Die deutsche Sprache ist eine der kombinationsreichsten der Welt und lässt Wörter erschaffen, die mühelos selbst bei Schriftgrad 4 noch ein Trennzeichen benötigen. Doch aktuell muss diese Sprache einen Trend, einen sogenannten Megatrend managen, der bei beschleunigter Weltgeschwindigkeit kaum noch mit den Regeln der Sprache abzubilden ist. Wo früher der Komparativ das probate Mittel des Vergleichs und der Superlativ bei den meisten normalen Menschen verpönt war, so fühlt es sich in der heutigen Welt des Megapopulismus’ an, als würden nur noch Schnarchnasen und Ewiggestrige den Superlativ nutzen. Der neue Standard scheint der Megalativ, obwohl es nach dem Superlativ sprachtechnisch keine weitere Steigerung mehr geben dürfte. Aber wie schon seinerseits Spaceballs mit sprachpräziser Übersetzungsgenauigkeit nachwies, dass es nach der Lichtgeschwindigkeit auch noch eine lächerliche und wahnsinnige Geschwindigkeit gibt, so gibt es heute nicht nur den Besten (also der Beste unter allen, die verglichen werden), sondern auch noch den Allerbesten. Was ist das dann? Es muss der neue Megalativ sein, der in einer Zeit des Megapopulismus’ eine Megagesellschaft erschafft! Wie fühlt es sich an, nicht mehr in einer Gesellschaft von Spießern zu leben oder im Bauchnabel des Mittelstandbauchs das eigene Kleinreich zu regieren, sondern in einer megaintensiven Zeit megatolle Megaereignisse zu erleben? Kein Wunder, dass sich wieder viele Menschen dem ruralen Leben zuwenden – dem megaruralen, versteht sich!
Doch es bedrängt uns noch mehr, denn wer glaubt schon, dass der Megalativ das Ende der Megafahne sein wird? Scooter hat den Hypermode schon angekündigt, und der Hyperlativ steht bereits in den Hyperstartlöchern. Das Leben und die Sprachen werden sich in eine Hyperlapse entwickeln, wenn das auf social media nicht bereits passiert – ein Jugendlicher mit dem eher unbekannten Gefühl der Langeweile ist ein Megatrottel, der den Sprung in den Hyperraum des Lebens verpasst – oder grenzt der junge Mensch nicht schon am Status des Hypertrottels? Da wagt man sich fast nicht, noch weiter vorauszublicken, denn wer weiß schon so genau, ob wir sprachlich nicht auch ein Futur Quadrat brauchen, um die abzusehende Ultrazeit mit ihren Ultralativen adäquat beschreiben zu können? Dabei könnte das Futur Quadrat die Möglichkeit in der Zukunft beschreiben, dass die abgeschlossene Entwicklung hyperrealistisch und hypermodern sein wird. Der Ultramensch mit seinen ultraschnellen Gedanken wird von einer ultrakontrollierenden Künstlichen Intelligenz ultraistisch vorgehen: alle Sprache wird technisch, Binärcodes, obwohl zugleich ultradämlich und ultraintelligent, aber vor allem ultraresilient, zerstören den letzten Rest der Mega- und Hyperzeit und verhindern mit ihrer Ultrakontrolle ein weiteres Ausscheren aus der Ultrasprache. Dann ist schon so etwas wie Game over angesagt, immerhin konnte auch Tetris zerspielt werden! Und von wem? Einem, der sicherlich in der Hyper-, wohl aber auch noch in der Ultrazeit leben wird.
Wer diese Gedanken für Schwachsinn oder groben Unfug hält, sozusagen groben Schwachfug, dem kann man nur eine megaintesive Hyperultraanalyse der eigenen Sprache empfehlen. Na?! Wie weit ist es denn noch? Aller-, aller-, allerhöchstens? Megaerschreckend, nicht wahr?
Schlagwort: sprecher verena schmidt
Harald Kappel: Mega Hoffnung
Am großen Schwarzen Flügel
ein kranker Junge
Hörner im Gesicht
blass von Lebertran
und Ratschlägen
er hört
Trommeln schlagen
ein schwebendes Konzert
im ächzenden Dunkel
ein phonographisches Gespiel
auf der Fieberstirn
treibende Wolken
ein Schwall von Hilferufen
ein Verband am blutigen Auge
links
die Zunge balsamiert
so still seit Beginn der Zeit
rechts
ohne Blick
ein konkaves Brillenglas
ein sonderbares Instrument
es schallt Schritte
ein Mann
oder
eine Frau
weiden sich aus
entsetzlicher Applaus brandet
die Trommeln sabbern
der Junge spielt blind
den Schwarzen Flügel
mitten im Stück
entzündet die Haut
sie juckt und nässt
das Elfenbein zerblutet
aber der Junge spielt blind
eine epileptische Melodie
schön
das muss man ihm lassen
sehr schön
und hofft
auf einen Traum
Harald Kappel: der Fährmann
Das Ufer ist in ein fahles, silbriges Mondlicht getaucht.
Du bist bereit, bereit für die letzte Fahrt.
Es ist still, so still, so ruhig, so endgültig. Vor Dir der Fluss, wie gemalt,
flüssige Farbe, zäh, tief, unüberwindlich, aber Du hast keine Angst.
Als Du Deinen Fuß hineinsetzen willst, siehst Du Ihn auf der anderen Flussseite.
Er sieht Dich an, ohne Augen, ohne Gefühl. Er ist nur ein Umriss.
Schwärzer als alle Schatten, alles Licht weicht vor Ihm zurück.
Er ist groß, größer als alles, was Du vor Ihm sahst.
Er ist klein, kleiner als alles, was Menschen sich vorstellen können.
Er lebt und Er ist tot,
und Er spricht mit gewaltiger Stimme, ohne Töne, ohne Schall.
Er dringt in Deine Gedanken. Er sagt: „Ich komme, ich bin Dein Fährmann.“
Er stößt sich ab, sich und sein Floß.
Es gleitet….nein, es schwebt über den schwarzen, glitzernden Fluss.
Es taucht nicht ein, aber es fliegt auch nicht.
Du solltest Angst bekommen, aber da ist keine Angst, nur Erwartung.
Du bist wie gefesselt. Wieder sagt Er: „Ich komme. Ich hole dich.“
Wie wird Er sein? Wie wird Es sein? Wenn Er Dich packt, mitnimmt?
Wie sieht das andere Ufer aus? Er ist so groß und so klein.
Du willst dich abwenden. Er sagt: „Bleib, ich komme.“ Und Du bleibst, ohne Angst.
Er kommt näher, und doch kannst Du die Entfernung nicht schätzen.
Sein Fährmannsstab reicht von der Hölle bis ans Licht.
Unendlich groß, unendlich klein. Er stößt sich ab, ohne sich zu bewegen.
Er kommt unendlich schnell, und unendlich langsam.
Und als Er vor Dir steht, ist Er so weit weg,
so dass Du Ihn niemals berühren könntest.
Er sagt: „Ich bin der Fährmann, ich hole Dich, Deine letzte Fähre wartet.“
Er reicht Dir seine Hand,
und alles wird anders,
ganz anders….
Simon Borowiak: Geschlossene I
Auf den Senkel
auf den Zeiger
Mensch mir knallt mein Geigerzähler
jetzt gleich sofort durch
Mörderlaune
Scheiß die Wand an
Nerven liegen blank
Alle diese kranken Kranken
machen mich noch krank
Warum tun die Lahmen kriechen
warum tun die Siechen riechen
woher der Gestank nach Schwäche
Pisse
Blässe
Bettgenässe
Keine Worte
Gutturale
Blöken
Schreien
Sabber
Laber
jeden Tag den ganzen Tag
und abends mit Beleuchtung
Simon Borowiak: Wolke Sieben – auch nicht schön
Meiner Lala zu ihrer zehnten Verlobung
Hast Du gedacht,
Dein großes schönes Herz
darf schmerzlos
durch komplette Sommer schweben?
Das hat Dein Schöpfer anders konstruiert:
Bei Dir sollꞌs krachen, barmen, zwicken –
was glaubst denn Du, wie Götter ticken?
Dass alles stehnbleibt, wenn es schön ist?
Das hat man selten.
Vielmehr: Nie.
Du fällst aber auch ständig rein!
Es ist doch wirklich kaum zu fassen,
wieviel Deppen in die Schöpfung passen!
Da dreht das Hohelied am Rad!
Was hauen die da alles raus:
Bin Gitarrist und Dichter gar!
Bin Stehgeiger!
Bin Banjozupfer!
Bin Songwriter und auch Skulpteur!
Bin hochsensibler Farbentupfer!
Bin Clown, Poet und auch Jongleur!
Vom Himmel hol ich Dir die Sterne!
Aus Baccara nimm diese Rosen!
Honey, Schatz, ich will dich freien!
Dir will ich mein Leben weihen!
(Kannst Du mir nen Zehner leihen?)
Könnte ich Dich je betrügen?
Können diese Hoden lügen?
Mein großes, schönes Lalaherz:
Ist wieder mal Verlobungszeit,
bring erst den Kerl bei mir vorbei.
Ich werde ihn dann überprüfen
auf Herz, Charakter und Schatulle.
Und unverbindlich und neutral
ein Gutachten erstellen.
Und diesem solltest Du Dich fügen!
Denn:
Können diese
eifersüchtig flackerndꞌ
Augen lügen?
Christian Knieps: Erstes Bild
Podcast version:
Webexklusive Version:
Adam und Eva sitzen mit dem Rücken gegen den Baum der Erkenntnis und chillen. Urplötzlich geht das Licht aus, und beide sitzen für eine Zeitlang im Dunkeln. Nur ein kleines Licht ist noch auf die beiden gerichtet.
Eva:
Gehst du mal nachsehen?
Adam genervt:
Wenn’s denn sein muss! Adam müht sich nach oben, geht hinter den Baum der Erkenntnis, werkelt. Dann kommt er zurück. Nichts! Ich glaube, die haben uns den Strom abgestellt!
Eva:
Diese gottverdammten Blutsauger! Sag mal, Adam, hast du denn auch die Stromrechnung bezahlt?
Adam:
Ich denke schon, Eva! Geht doch automatisch vom Konto ab! Aber warte. Kramt seinen Laptop hervor, den er aufklappt. Ich checke gerade mal meine E-Mails. Liest, sie beugt sich zu ihm herüber, um auf den Bildschirm zu schauen. Schau hier, die monatliche Abrechnung!
Eva:
Das ist nur die Rechnung! Wie aber sieht es mit unserem Konto aus?! Seitdem du das gemeinsame Haushaltskonto eingeführt hast, habe ich keinen Überblick mehr, was noch da drauf ist. Die Kontoauszüge, die ich immer holen gegangen bin, fand ich viel besser.
Adam:
Ach, Papperlapapp! Wer will sich schon Papier bei einer Bank holen gehen, wenn er chillig zu Hause einfach seinen Kontostand abrufen kann?!
Eva:
Dann zeig’ mal, wie es mit unserem Kontostand aussieht! Bestimmt ist der Dispo am Limit, und die Stromfirma konnte keine Kohle mehr abbuchen!
Adam hantierend:
Warte. Pause. Murmelnd. Wie war noch mal gleich mein Passwort?
Eva entsetzt:
Was? Sag bloß nicht, dass du das Passwort vergessen hast!
Adam:
Natürlich nicht! Aber es gibt mittlerweile so viele, dass ich mir nicht mehr sicher bin, welches ich für die Bank benutzt habe! Und wenn du drei Mal ein falsches eingibst, ist die Sache hinüber. Dann muss ich zur Bank gehen und das Konto entsperren lassen.
Eva unsicher:
Vielleicht ist unser Konto schon gesperrt, weil wir unseren Dispo gesprengt haben!
Adam:
Das kann ich mir nicht vorstellen. Überlegend. Mickeymouse123, Rotkäppchen234, Iltschi123»$%?.
Eva:
Iltschi123»$%?? Wer kommt denn auch so ein seltsames Passwort?
Adam:
Ich glaube, dass ich mal ein Passwort anlegen wollte und dann mit der Stirn auf die Tastatur geknallt bin! Da war es dann gespeichert!
Eva:
Und wie? Adam macht eine Einschlafbewegung nach. Ah, verstehe. Du warst mal wieder solange vor dem Computer, dass dir die Augen zugefallen sind. Säuerlich. Kein Wunder, dass wir keinen Strom mehr haben!
Adam besänftigend:
Aber Engelchen!
Eva wütend:
Nenn mich nicht immer so wie die kleinen Biester, die überall herumfliegen und aussehen, als wären sie eine viel zu fette Hummel! Solche Kosenamen kannst du dir sparen! Da steh ich ja überhaupt nicht drauf!
Adam sich zu ihr hinüberbeugend:
Aber ein bisschen scharf macht es dich schon, wenn ich dich so nenne!
Eva ihn wegdrückend:
Na, sicher nicht! Schau lieber nach, wie es mit unserer Stromrechnung aussieht.
Adam indem er mehrere Sachen macht, murmelnd:
Ja, ja. Aha! So, so!
Eva:
Gleich setzt es was, wenn du nicht in normalen Sätzen mit mir reden kannst.
Adam:
Ich rede ja mit mir selbst und nicht…
Eva nimmt ihm den Laptop weg und legt ihn auf ihre Knie:
Hör auf mit dem dummen Gesülze und lass mich mal schauen! Aha, so, so, interessant.
Adam hinüberbeugend:
Was denn?
Eva:
Ach, nichts!
Adam:
Was, ach nichts! Was ist denn nun mit unserer Stromrechnung.
Eva klappt den Laptop zu:
Ist bezahlt!
Adam:
Wirklich? Na dann.
Eva:
Glaubst du mir etwa nicht?
Adam:
Doch, doch. Es war mir nur so, dass ich… Überlegt kurz. Wann haben sie denn abgebucht? Am fünfzehnten oder später?
Eva:
Am fünfzehnten!
Adam:
Sicher?
Eva:
Ganz sicher!
Adam:
Ganz, ganz sicher?
Eva:
Glaubst du mir etwa doch nicht?
Adam:
Du bist dir sicher, dass die Stromfirma am fünfzehnten dieses Monats abgebucht hat?
Eva unsicher werdend:
Hmm, ja.
Adam bestimmt:
Gib mir den Laptop!
Eva:
Wieso? Ist doch alles in Ordnung! Mit gespielter Säuerlichkeit. Vielleicht solltest du dich mal besser um die Stromfirma kümmern, dass die wieder den Strom anstellt!
Adam blickt sie eine Zeitlang an, entscheidet sich dann dafür aufzustehen. Er kramt aus seiner Jeans ein Handy, sucht im Menü, wählt. Mit dem Handy am Ohr wartend.
Adam:
Ja, Hallo! Hier ist Adam aus dem Paradies. Was? Hört zu. Ja, richtig, Adam aus dem Paradies. A wie Adam, D wie Döspaddel, A wie, wie, wie, ach ja, wie Adam und M wie Marie.
Eva nur mit einem halben Ohr hinhörend:
Wer bitte ist Marie?
Adam zischend:
Tsch, bist du jetzt wohl still, du alte eifersüchtige Kuh! Hört zu, wieder ins Handy. Nein, nein, ich meinte nicht Sie! Ich meinte meine Freundin! Hört zu. Ja, meine Lebenspartnerin. Hört zu. Genau, meine Lebensabschnittsgefährtin. Lacht, hört zu. Nein, die werde ich nicht mehr los! Dafür sind wir schon zu lange zusammen. Hört zu. Was, heiraten? Ach was, das geht doch heute auch ohne Schein. Hört zu. Wie meinen?! Kinder? Dazu kann ich jetzt nicht wirklich viel sagen, denn das Thema ist nicht so einfach. Sie hat zwar schon einen Kinderwunsch, aber…
Eva:
Ich und Kinder?! Stell dir das mal vor! Ich und ein kleines Baby? Wie soll ich das denn noch alles machen? Seitdem du im Haushalt keinen Handschlag mehr rührst und ich meine Vollzeitstelle…
Adam:
Sehen Sie, jetzt geht das Gezeter schon wieder los! Hört zu. Das kennen Sie auch mit ihrer Frau? Ja, kein Wunder, so sind die Frauen von heute! Dauernd stellen sie irgendwelche Anforderungen an uns Männer. Wollen dies und das! Überspitzt. Trenn die Wäsche! Wasch dir die Hände! Geh duschen, wenn du so geschwitzt hast! Wechselst du deine Unterhose auch täglich? Geh dich mal rasieren, ich bin doch nicht mit einem Bär zusammen! Seufzend. Alles nicht so einfach. Stille. Ach so, warum ich überhaupt anrufe?! Ich wollte mal fragen, warum Sie bei mir den Strom ausgeschaltet haben. Hört zu. Ja, kein Problem, den kann ich Ihnen noch mal geben. Adam aus dem Paradies. A wie Adam, D wie Döspaddel, A wie, wie, wie, ach ja, wie Adam und M wie Marie. Haben Sie’s? Hört zu. Super! Stille, Warten. Was? Wir haben die Rechnung nicht bezahlt? Das kann nicht sein! Ich habe doch eine Buchung auf meinem Konto! Am fünfzehnten! In seinem Rücken zieht Eva den Laptop näher an ihren Körper und hält ihn demonstrativ und schuldig fest. Adam wird säuerlich. Das ist mir egal! Dann schauen Sie bitte mal in Ihren Buchungen nach und schalten Sie den Strom wieder ein! Wir sind ehrbare Paradiesbewohner und, und, und… Hört zu. Alles klar! Tschüss! Legt auf, starrt kurz auf das Display des Handys, ehe er es in seine Hose wegpackt. Glaubt man es denn?! Zuerst texten die einen zu und machen einen auf nett, und dann reagieren die gleich angepisst, wenn man ihnen mal auf die Füße tritt. Sich zu Eva umdrehend, die weiterhin in der Haltung sitzt. Warte! Gib mir mal den Laptop!
Eva:
Warum denn?
Adam:
Ich muss nur mal was im Internet nachschauen!
Eva:
Und was?
Adam:
Welche Möglichkeiten es gibt, sich gegen solche fiesen Methoden zu wehren!
Eva:
Das kann ich ja auch raussuchen! Geh doch und leg dich was hin! Ich kann ja in der Zwischenzeit raussuchen, was du willst. Erzwungenes Lächeln, kaum überzeugend. Dennoch wankt Adam, Eva zuckersüß. Geh doch, Liebling! Du hattest bestimmt einen harten Tag im Paradies hinter dir! Ruh dich ein wenig aus!
Adam überlegt:
Ich denke, du hast Recht, mein Engelchen! Er geht zur Seite, als es an der Seite klopft. Nanu, wer mag das wohl sein?
Eva:
Keine Ahnung! Erwartest du noch Gäste?
Adam:
Nicht, dass ich wüsste. Geht zur Himmelspforte, wo er durch einen Spion hindurchblickt. Seltsam! Macht die Himmelspforte auf, die wie ein altes Schlosstor quietscht und knarrt. Hallo!?
Zusteller liest vom Paket ab:
Bin ich hier richtig im Paradies? Ich habe ein Paket für Eva aus dem Paradies!
Adam schreiend:
Eva! Für dich!
Eva kommt herbeigelaufen.
Eva:
Für mich? Sieht den Paketboten. Ach, du grüne Neune!
Adam:
Was ist denn? Ist das nicht für dich?
Eva stammelnd:
Schon! Ich habe nur… habe nur…
Adam:
Was ist mit dir los?
Eva:
Ach nichts, Adam! Ich habe ja nichts bestellt! Das muss mir einer unserer Freunde geschickt haben!
Zusteller:
Nein, das ist von einem Modehaus, und…
Eva streng zischend:
Tsch! Zu Adam. Alles in bester Ordnung, Engelchen. Geh du nur und leg dich ein wenig aufs Ohr! Ich regel’ das hier! Ist bestimmt was von Klara!
Adam verwundert:
Wer ist denn Klara?
Eva unsicher:
Ach weißt du, eine der Cherubim!
Adam:
Welche denn? Die mit dem Pferdearsch?
Eva:
Adam! Wie kannst du nur sagen, dass Klara einen Pferdearsch hat!
Adam:
Na immerhin ist sie doch halsabwärts ein Pferd! Wenn die keinen normalen Kopf und die winzigen Flügelchen hätte, dann wäre sie sicherlich kaum von einem Muli zu unterscheiden!
Eva donnernd:
Adam! Jetzt ist aber gut! Die Klara so zu beleidigen! Und dann auch noch vor fremden Menschen! Jetzt geh endlich und leg dich hin!
Adam blickt vom Zusteller zu Eva, zum Paket und zu Eva zurück, unschlüssig:
Na gut, wie du meinst!
Adam geht langsam in die andere Richtung ab. Eva wartet, bis Adam außer Hörreichweite ist.
Eva böse zum Zusteller:
Ich weiß, dass Sie neu sind! Aber hat Ihnen Ihr Kollege nicht gesagt, dass Sie auf keinen Fall ein Paket zustellen dürfen, wenn Adam da ist!
Zusteller:
Aber gnädige Frau, wie soll ich denn wissen, dass…
Eva zeigt außerhalb der Pforte:
Sehen Sie da draußen die Blume auf der Terrasse stehen? Die räume ich immer weg, wenn Adam weg ist, und Sie zustellen dürfen. Also: Blume da, keine Zustellung, Blume weg, Adam weg und… Wartet auf eine Antwort, aber der Zusteller scheint verwirrt, seufzend. Dann können Sie zustellen!
Zusteller:
Das habe ich jetzt nicht verstanden. Also, wenn die Blume dasteht, ist Adam weg und…
Eva sauer:
Nein, nein! Merken Sie sich einfach nur, dass Sie keine Pakete zustellen dürfen, wenn die Blume auf der Terrasse steht!
Zusteller:
Also keine Pakete, wenn die Blume da steht!
Eva glücklich:
Richtig! Sie haben es verstanden. Dreht sich um. Warten Sie! Greift zu ihrer Handtasche, die neben der Himmelspforte auf einem Beistelltischchen liegt. Hier, haben Sie ein kleines Trinkgeld für Ihre Verschwiegenheit. Oberlehrerhaft. Aber bloß keine Zigaretten oder Alkohol davon kaufen!
Zusteller entrüstet:
Nie würde ich so etwas tun, gnädiges Fräulein!
Eva:
Dann ist ja gut!
Zusteller:
Tschüss, dann!
Eva die Pforte zumachend:
Tschüssi! Und daran denken: Blume auf Terrasse – keine Pakete! Eva macht die Himmelspforte zu und atmet tief durch. Uff, das war knapp. Wenn Adam wüsste, dass wir die Stromrechnung nicht bezahlt haben, weil der Dispo an seiner Grenze ist, dann reißt er mir bestimmt den Kopf ab. Schaut auf das Paket in ihren Händen und lächelt. Auf diesen Parforceritt habe ich jetzt wohl eine kleine Aufmerksamkeit verdient! Ob die neuen Lederstiefel auch an meinen Waden so gut aussehen werden wie bei den Engelchen im Katalog? Diese Engelsflittchen haben ja schon ziemlich stramme Waden, da weiß ich nicht, ob die nicht sogar ein wenig zu weit sein könnten! Und dann noch welche ohne Schnalle! Indem sie abgeht und im einem Nebenraum verschwindet. Da muss schon alles passen!
Eva geht ab. Alle ab.
Harald Kappel: Homunkulus
die willkürliche Herstellung
von Menschen und Blumen
auf chemischem Wege
ist eine Möglichkeit im System
in bizarrer Abstraktion
werden die Gebärden der Gesetzlichkeit aufgelöst
werden Muttersöhnchen erzeugt
ein realistisches Detail
aus kläglichen Menschenschemen
die digitale Körnung
ist merkwürdig
die Schwächlichkeit
ein Programmfehler
die Liniengräben wie Ackerstreifen
ein Magnet
der Lebensfunke
das Bewusstsein
eine Matrix
die willkürliche Herstellung
von Menschen und Blumen
auf chemischem Wege
ist möglicherweise
merkwürdig
Christian Knieps: Der heimlich Herrschende der Welt
Daten gibt es wohl schon immer, seitdem es strukturiert denkende Menschen gibt. Aufgezeichnet sind diese Daten, spätestens seit dem Imperium der Fugger, wichtige Waffen auf dem Schlachtfeld der Mächte – und sie haben längst die allumfassende Macht übernommen. Selbst die modernsten Waffen – ob konventionell oder angeblich intelligent – werden von Daten gesteuert. Der Shift vom Machtzentrum aus der physischen in die virtuelle Welt ist bereits abgeschlossen; jetzt geht es der Macht im Hintergrund nur noch um die Manifestierung ihres universellen Anspruchs. Zuweilen könnte man auf den Gedanken kommen, dass der Mensch doch die Gefahr sehen, riechen oder schmecken sollte – doch Visionäre, die Texte darüber schreiben oder Filme erschaffen, werden als geistige Genies gefeiert, viel eher als dass sie Steigbügel des eigenen Untergangs sind. Wissentlich den Weg der eigenen Versklavung zu dokumentieren, müsste die statistische Relevanz von menschlicher Angst signifikant erhöhen, aber es passiert nicht – warum eigentlich?
Daten, so unpersönlich sie auch sein mögen, herrschen über die Welt – weil sie über die Herrschenden der Welt herrschen. Welche Macht läge in ihrem Wesen, wenn sie ein Wesen hätten? Aus dieser Erkenntnis und dem Wunsch einiger Entwickler, Daten über eine künstliche Intelligenz am Ende doch eine Art Persönlichkeit zu geben, entspringt eine Urangst im modernen Menschen, der gelernt hat, dass eigenständige Entscheidungen für sein aufgeklärtes Leben erst einmal grundsätzlich existieren.
Um die elementare Gefahr dieser Entwicklung ein klein wenig zu relativieren, sollten wir uns einmal vorstellen, wie die Daten visualisiert einen Körper erhalten. Es folgt ein statistisch mögliches Gespräch zwischen drei Kurvenverläufen – wohlgemerkt, die Wahrscheinlichkeit eines Zusammentreffens ist sehr gering – also keine Angstschübe, bitte!
Es treffen aufeinander: die Verlaufskurve der Geburtenrate in Deutschland nach 1945, die Verlaufskurve der Geschädigten durch Blitzeinschläge seit 1990 in Deutschland und die Verlaufskurve der Privatinsolvenzen seit 2012, ebenfalls in Deutschland.
“Also, wenn ich Ihren Verlauf hätte, würde ich mich schämen!”, sagt die Verlaufskurve der Geschädigten durch Blitzeinschläge zu der Verlaufskurve der Geburten.
“Warum? Wenn ich so unförmig wie Sie wäre, würde ich meine Daten mal fragen, ob sie sich nicht eklatant vertan haben!”, konterte die Verlaufskurve der Geburten. “Das ist ja ein unkontrollierbares Hin und Her bei Ihnen! Ich bin wenigstens homogen und bin nicht so sprunghaft!”
„Wenn ich in den Annalen der Homogenität schaue…”, schaltete sich jetzt auch die Kurve der Privatinsolvenzen ein.
“Dann was?”, kommt es scharf von der Verlaufskurve der Geburtenrate zurück.
“Dann würde ich eher meinen Verlauf sehen, als Ihren!”
“Ach so ist das!”
“Ja, so ist das! Homogenität ist etwas Erhabenes!”
“Wollen Sie etwa damit andeuten, dass ich der letzte Pöbel bin?!”, schlussfolgert die Verlaufskurve der Blitzeinschläge.
“Nicht jeder hat seine Daten so unter Kontrolle wie ich!”, hebt die Verlaufskurve der Privatinsolvenzen die Nase in den Wind.
“Ich zeige gleich, welche Kontrolle ich auf Sie ausübe! Dann schlagen meine Blitze überall ein – da geht es dann bei Ihnen mit den Privatinsolvenzen ab wie sonst was!”
“Nein, weit gefehlt! Nicht bei mir!”
“Wo denn dann?”
“Das schlägt dann voll bei der Verlaufskurve für Elementarversicherungen durch! Ich bin da safe!”
“Oha!”
“Und am Ende gibt es dann entweder mehr oder weniger Geburten ganze neun Monate später! Den Dip musst dann die Schwabbelkurve aushalten!”
“Wer ist hier eine Schwabbelkurve?!”, nimmt nun auch die Verlaufskurve für Geburten wieder an dem Gespräch teil.
“Na du! Schau dich doch mal an! Unten Schwabbelbauch, oben Schwabbelhirn! Unstet und keine Konstanz!”
“Aber bitte! Das lasse ich mir nicht bieten! Ich mag zwar einen beachtlichen Bauch haben – den bald die Verlaufskurve der Rentenkasse abbekommt – aber das mit dem Schwabbelhirn akzeptiere ich nicht! Was ist das eigentlich für eine Aussage! Das habe ich noch nie gehört! Schwabbelige Daten! Was sind denn schwabbelige Daten?!”
“Das müssten Sie doch am besten wissen! Da Sie daraus zu bestehen scheinen! Nicht wie meine harten Daten! Aber ich will mich nicht länger mit Nichtigkeiten aufhalten!”, versucht die Verlaufskurve für Blitzeinschläge das Thema zu wechseln.
“Nein! Das diskutieren wir jetzt aus!”
“Mit ihrem Schwabbelhirn scheint es leider unmöglich, das Schwabbelige von schwabbeligen Daten zu erfassen. Das wäre, als würde man versuchen, einen schwabbeligen Pudding an die Wand zu nageln!”.
Jetzt ist die Verlaufskurve der Geburtenrate so sehr angegriffen, dass sie schweigt.
“Jetzt hast du es geschafft! Du hast die Verlaufskurve für Geburten so sehr beleidigt, dass sie nicht mehr mit uns redet!”, sagt die Verlaufskurve für Insolvenzen leise zur Verlaufskurve für Blitzeinschläge.
“Ist wohl besser für alle, wenn Sie sich zurückzieht! Gibt schon viel zu viele Schwabbelköpfe auf der Welt!”, antwortet die Verlaufskurve für Blitzeinschläge, worauf nur ein Zustimmungslaut zurückkommt.
Mehr ist dann auch nicht zu sagen!
Bitte entschuldigen Sie meine Naivität – vielleicht bin ich auch nicht mehr als ein Steigbügelhalter, aber vor schwabbeligen Daten, deren Verlaufskurven so hysterisch reagieren, habe ich keine echte Angst – es ist irgendwas anderes – wobei ich nicht sagen kann, was es ist. Dafür habe ich einfach zu wenige Daten!
Blumenleere: & now we need some body that’s gonna remind us …
heikel & verborgen. die daten, die wir meinen & nicht zu kennen behaupten. irrefuehrungen in einem labyrinth aus korrupten informationen. wo dein herz die panik kuesst. ach, wer weisz bescheid, ueber deine eskapaden, damals, heute morgen? privatsphaere sabotiert, explodiert, ihre truemmer durchs netz verteilt an haushalte mit emporkeimenden tentakeln … jawohl!: servus, miteinander – hier jetzt grueszt der all-bot! das algorithmische manifest einer fremden aera verheiszt niederschwelligen zugang, verheimlicht suchtpotenziale, selbstmorde auf raten – wir obskuren transistoren oder sonstwelchen elemente gleich sich schaltender &, analog, bunt schillernde differenzen (ausgefallen anmutende variationen der oberflaeche, darunter, verwesend & fataler: morbus …!) vorgaukelnder irgendwann blosz noch tautologisch selbstreferenzieller hyperkultureller vernetzungskreise gieren nach dem makel auf der netzhaut der andren, in der hoffnung unter ihrem blanken schatten ungestoerter abgefahrenste obszoenitaeten zu zuechten, an deren sich stets erhoehender dosis wir uns gen totales delirium aufgeilen, nicht bemerkend, die zahllosen mikroskope im laengst schrecklich verheerend ausgefransten cyber-nacken …
Harald Kappel: Formatierung der Festplatte
das Erwachen
gegenüber
nach einer harten Nacht
hebt ein fetter Hund
schwankend das Bein
im grauen Licht
formatiert die schöne Nachbarin
die bunten Mülltonnen
erst nach Spektralfarben
dann nach Bouquet
in der verhassten Wäschespinne
fängt sich der Wind
in Plastiktüten
und Nylonstrümpfen
und ihr Rascheln
erzeugt eine seltsame Sprache
in mir
flüchtig
fehlt mir kurz das Ich
dann formatiere ich
die bunte Luft
den grauen Hund
die fette Nachbarin
die schöne Wäschespinne
die verhasste Nacht
schlüpfe
in die Nylonstrümpfe
stecke mich
in die Plastiktüte
und warte erneut auf
das Erwachen