Margit Heumann: Für den Wald ins Feld ziehen

Ich träum, ich steh im Wald. In meinem Sommerwald mit dem Duft nach Harz und Tannen und Hitze und Pilzen und Moos. Kindheitswälder voller Haselnüsse, Waldbeeren und Sauerklee. Wichtelgärten mit Buschwindröschen und Leberblümchen und Efeu. Kobolde unter Schneckenblättern. Zwergenhöhlen zwischen Baumwurzeln, ausgestattet mit Rindenmöbeln und Moosbetten, das Vieh sind Lärchen- und Föhrenzapfen hinter Steckenzäunen. Auf dem Rücken liegen im Moos und Händchen halten mit der ersten Liebe, hinter schräggestreiftem Sonnenvorhang, in dem die Stäublinge tanzen, die Blicke verloren in den Blättern und Nadeln, den Baumkronen, den Wolken und dem Himmelsblau zwischen den Wipfeln. Solcher Wald ist nicht mehr. Nun brennt der Baum.

Fakt ist: Wald ist überall. Ich war schon im Bayerischen Wald, im Wiener Wald und im Waldviertel, dem mystischen. Es gibt den Böhmer-, Oden- und Grunewald. Der Teutoburger Wald ist historisch bedeutsam. Den Nürnberger Reichswald nennt man auch Steckerleswald. Der Schwarzwald heißt in der Schweiz Bois Noir und sonst Black Forest. Filme habe ich gesehen über die Paradieswälder Papua-Neuguineas und den radioaktiv ermordeten Red Forest und über Forrest Gump, aber der ist kein Wald. Der Waldmeister auch nicht, gehört jedoch hierher wie das Reh, der Specht, der Eichelhäher, das Eichhörnchen, das Wildschwein. Ein Waldschwein gibt es nicht, aber eine Waldkatze, zumindest eine norwegische, und einen Waldkauz, wo Fuchs und Hase nicht mehr lange Gute Nacht sagen.

Fakt ist: Vor lauter Bäumen sieht man den Wald nicht. Tannen, Fichten, Föhren, Lärchen, der Nadelwald. Eichen, Buchen, Birken, der Laubwald. Monokulturen haben sich nicht bewährt, der Mischwald, das Unterholz. Der Bannwald gegen Lawinen, Felsstürze, Muren. Der Nutzwald zur Holzgewinnung. Die boreale Nadelwaldzone, besser bekannt als Taiga. Palmen, Mammutbäume, Mangroven, Affenbrotbäume, Olivenhaine. Der Dschungel. Der Tropische Regenwald. Die Urwälder, bedrohte Heimat der Berggorillas ebenso wie der letzten indigenen Völker. Überall ist die Axt am Baum.

Fakt ist: Vor lauter Bäumen sieht man den Wald nicht in Gefahr. Der Regenwald ausgebeutet und abgeholzt für Teak und Mahagoni, brandgerodet für Plantagen. Vor Augen das heimische Waldsterben. Durch sauren Regen. Borkenkäfer. Ozonloch. Skipisten. Erdrutsche und Muren. Dürren. Waldbrände. Wildverbiss durch Überpopulation. Schneelast. Lawinen. Abgase und Schadstoffausstoß. Die maschinelle Abholzung per Harvester. Wibke und Lothar und Kyrill knicken die Bäume wie Streichhölzer. Und als Krönung des Ganzen dauerhaft verstrahlter Waldboden, radioaktive Pilze, becquerel-verseuchte Wildschweine auch noch dreißig Jahre nach Tschernobyl. Auf vielfältige Weise wird der Wald zu Asche gemacht.

Fakt ist: Einen alten Baum verpflanzt man nicht. Für den Wald ins Feld ziehen. Es braucht Baumschulen für den Nachwuchs. Die Aufforstung und die Wiederaufforstung. Die Waldpflege. Die Waldarbeiter, die Jäger und Heger. Forstämter, den Staatsforst und die nachhaltige Nutzung samt Schadholzaufarbeitung und Holzrücken mit Pferden. Die Ausweisung von Naturschutzgebieten, Nationalparks, Reservaten. Es braucht Brandreden und Protestaktionen, das Kyoto-Protokoll, Kampagnen und Goodwill-Maßnahmen wie den symbolischen Regenwaldkauf, urkundlich bestätigt. Es gibt die Verantwortung. Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus.

Arabella Block: Wundertüte

„Nein“, sagte meine Mutter und: „Du meine Güte.
Was willst du denn mit diesem billigen Ding!
Da ist doch niemals etwas von Bedeutung drin.
Schluss, aus, ich kauf dir keine Wundertüte.“

Und dabei blieb es kindheitlang. An der A3
stand zwar das Wundertütenwerk, in dem die Tüten,
auf denen ach so vielversprechend Sterne blühten,
enstanden, doch wir fuhren stets vorbei.

Der neonblaue Namenszug an der Fassade
hat sich mir zugeflüstert Jahr für Jahr.
Bis die Buchstaben nacheinander starben.

Als auch das großgeschwungene W erloschen war,
blieb nur eine Fabrikruine ohne Farben.
„Zu spät“, wisperte sie mir zu, „wie schade.“

Verena Schmidt: Chiffre Glücksspiel

Socken. Ähh zocken (jiddisch „zschocken“) steht laut Wikipedia umgangssprachlich seit den 2010er-Jahren für das Spielen von Computerspielen – und bei diesem netten Zeitvertreib ist man ja meist alleine. Anders verhielt es sich in den Zeiten des Wirtschaftswunders. Hornbrille zurechtgerückt und Ohren gespitzt. Unter dem Buchstaben K findet man einen hilfreichen Leitfaden zur Vorbereitung einer Kartenpartie und im Anschluß zum gesellschaftlichen Verhalten wären des Kartenspielens. Da die Zusammenkunft in privatem Kreis stattfindet, wird der Gastgeber angehalten alles so vorzubereiten, dass das Spiel gleich beginnen kann, wenn die Runde vollzählig beisammen ist. Zur Vorbereitung gehören: ein passender, mit grünem Tuch bespannter Tisch saubere (Chiffre) Spielkarten niemandem sollte zugemutet werden mit abgegriffenen und „gezeichneten“ Karten zu spielen Schreibblock und Bleistift eventuell Spielmarken sowie geeignete Tassen. Griffbereit sollten auch Rauchzeug und genügend viele (Chiffre) Aschenbecher für (Chiffre) Raucher sein. Spielen Sie möglichst geräuschlos und schonen Sie die Karten, wenn Sie irgendwo mit von der Partie sind. Wer Karten „drischt“ gehört nicht in eine kultivierte Gesellschaft. (Chiffre) Kiebitz Nach etwa einer Stunde werden Chiffre Erfrischungen angeboten. Schließlich wäre es unhöflich gegen den Gastgeber und auch unhygienisch, diese Erfrischungen während des Zockens- ähm des Spielens zu sich zu nehmen. Also: das nette Spiel unterbrechen, eine kleine Pause wird den erregten Gemütern nicht schaden. (Chriffre) Spielschulden.

Daphne Elfenbein: Casino

„Du gehst heute Abend nicht da hin!“ Sie haute die Faust auf den Tisch, dass die Weihnachtsdeko hüpfte. „Oder ich verlass dich!“ Es war still. Gleich würde eine Tür schlagen. Er stand in der offenen Badezimmertür und füllte ein Glas mit Wasser. Sie saß am Küchentresen. Er kramte im Spiegelschrank, warf sich ein paar Aspirin ein, kippte das Wasser runter und zog seinen Mantel an. „Du siehst aus wie ein Penner“, sagte sie. „Danke, das ist charmant von dir, sagte er leichthin, „ich geh heute zum letzten Mal, Liebes, glaub mir“. Er kratzte sich die Bartstoppeln, strich seiner Frau zerstreut über den Kopf, worauf sie in haltlosem Schluchzen über dem Tisch zusammensank. Dann drückte er sanft die Tür ins Schloss und atmete auf. 

In Erwartung eines sicheren Hochgefühls schwebte er durch die Straßen mit seinem Leihwagen. Den eigenen hatte er verloren in jener denkwürdigen Pechsträhne letztes Jahr. Doch da war er noch ein blutiger Anfänger gewesen. Das würde er heute wettmachen… heute Abend… Und morgen hör ich auf damit! Susanne zuliebe! Eine Welle von Rechtschaffenheit und Wohlbehagen schwemmte sein schlechtes Gewissen weg. Alles wird gut. Die Ampel sprang auf grün. 

Der Wagen hielt vor dem Casino. Er hielt sein pochendes Herz, als die Türsteher ihren Stammkunden flüchtig nach Waffen abtasteten. Dann trat er ein in die Räume, die schon immer sein ureigenstes Element waren. Warmes Licht umfing ihn, Parfums und leichte Musik, da waren Frauen mit nackten Schultern und alte Damen mit kleinen weißen Hündchen auf dem Arm, Behandschuhte Schönheiten hielten lange spitze Zigaretten und befrackte Herren bedienten sich einer gewählten Sprache. Die Roulettescheiben klepperten wie die Uhrwerke Gottes. Die Croupiers murmelten Zauberformeln. Die Kronleuchter glänzten. HOME!! 

In der einen Hand hielt sie eine Rasierklinge, in der anderen Hand das Telefon. Auf ihrem Schoß lag ein Handtuch, in das Rotz und Wasser flossen. Am Telefon Christine, die beruhigend auf sie einsprach. Die Dialoge kennt man. Sie werden hier nicht wiederholt. Es wurde spät. Und ein paar Baileys halfen über den Schmerz hinweg. Am nächsten Morgen, an dem sie allein erwachte, sah Susanne ihrerseits wie eine Pennerin aus. Rot geschwollene Augen glotzten ihr aus dem Badezimmerspiegel entgegen. Es war noch Aspirin da. Sie öffnete die Behördenpost der letzten Wochen und nahm all ihren Mut zusammen um hin zu schauen. Da war was von der Arbeitsagentur, vom Inkassobüro, von der Hausverwaltung…

Gegen 11 Uhr vormittags ging die Türglocke. Sie öffnete. Da stand ein Fremder, der einmal Frank gewesen war. Er grinste blöde aus übernächtigtem Gesicht und hatte ein albernes weißes Hündchen auf dem Arm. „Ich hab gewonnen!“ rief er und hielt ihr ein Bündel Geldscheine entgegen, die irgendwie falsch aussahen. Sie glotzte müde auf die Erscheinung und machte keine Anstalten, ihn hereinzulassen. „Spitz hat mir geholfen“, er deutete auf den Hund in seinem Arm und stellte einen Fuß in die Tür. Der Hund sprang runter und lief in die Wohnung, als gehöre sie ihm. Frank krähte künstlich fröhlich wie zu sich selbst: „erst hab ich Spitz gewonnen, dann hat Spitz gewonnen!“ Er drängte sich an ihr vorbei in die dunkle, unaufgeräumte Wohnung, die schon Jahre keinen Besuch mehr empfangen hatte. Sie folgte ihm schleppend in ihrem Bademantel. 

„Und heute Abend gehen wir wieder hin…, rief er aus dem Badezimmer, wo er den Wasserhahn aufdrehte, „Spitz und ich!“ Susanne holte den Koffer vom Schrank, packte als erstes ihre Weihnachtsdeko vom Küchentresen ein, und wählte die Nummer von Christine. Der Hund hockte vor der Badezimmertür.

Michael Schmidt: Magie

– Überall sieht man sie heut wieder, diese Zauberer. In der Zeitung lest man sie, im Fernseher tun sie Wunder. Sogar in den Kirchen wird gezaubert, wird gesagt, dass man sich Warzen wegbeten oder doch zurückschrumpeln kann. Dämonen werden ausgetrieben, Pferde kuriert, Kamine gesegnet, aufdass sie nicht abbrennen oder so gefährlich für die Umwelt sein mögen. Ja, beim amerikanischen Präsidenten sitzen die Wunderkönner und segnen und besprechen und schauen die Zukunft. Dabei steht es schon bei den Propheten in der Schrift: ‚Und will die Zauberer bei dir ausrotten, dass keine Zeichendeuter bei dir bleiben sollen.‘ Und trotzdem tun sie’s alle. Und alle laufen ihnen zu und recken die Hände zum Himmel und schreien und schlagen sich selber an die hohlen Köpf. Ja, es ist schon eine finstere Zeit, wo alle diese Zauberer und Magier und Zeichendeuter wieder auf und ab gehen weit und breit. Und auf der anderen Seite? Die Wissenschaft gilt eh nichts mehr, und wenn einer sagt, dass es das und das gibt und dass das und das nicht stimmt, wird er ein Ungläubiger genannt. […] Oder dass er zum Schluss noch in die Hölle kommen tät. Dass er dafür in die Hölle kommt, wegen seinem Glauben in die Wissenschaft. Als Ungläubiger. […] Der Professor Wuiser hat auch gesagt, dass er sich heutzutage deswegen fürchten muss. Und dass er genau aufpasst, wen er was von seiner Wissenschaft erzählt. Am Ende nämlich könnt es gar ein Zauberer sein.

– Was hat er denn dann für eine Wissenschaft?

– Wie bitte?

– Na, was für eine Wissenschaft? Der Professor Wuiser?

– Ah, jetzt! Ja, der Herr Wuiser, der ist Alchemist. Warum?

Margit Heumann: jahreszeitenmagie

abralenzabra

zitronenfalter auf schlittschuhen sausen in spiralen um die letzten eiszapfen. sonne tropft von den dachrinnen. der föhn jagt stadtansichten über den himmel. aus den landschaftsausblicken quillt frische erde. der gärtner vertikutiert das gehirn und macht den blick mehltaufrei. die oma hat neue gartenstühle gestrickt. auf der vogeltränke steht ein alter schlager kopf. socken und sandalen übernehmen das kommando, die strumpfhose geht ins exil. zwei liegen paaren sich auf der terrasse, wohl wissend, dass der vorhanghinter der gardine spechtet. mitten hinein in diese idylle schneien yetis und derwinter feiert fröhliche urständ. ohne ansehen der person frieren die eismänner sämtliche lenzattribute in handliche blöcke, zitronenfalter und gartenstühle, omas und gärtner, schlager und socken, sandalen und sich paarende liegen. die kalte sophie macht auf erlöser und ertränkt alles mit whiskey on the rocks bis zum bitteren ende aller eiswürfel im sommerloch.

sesamsonnwendich

die letzte wolke stürzt über den weltenrand, im sonnenwagen jagt phaethon über den himmel, zikaden zirpen griechische nächte an den nördlichen wendekreis, wind verkommt zum gluthauch und hausmauern speichern backofenhitze, nur wer von winter und arktis träumt, findet ruhe in orpheus armen. schwüle lässt alle hüllen fallen, bikini und fkk haben hochkonjunktur, im wahn verschlingen einander sonnenanbeter, klimaanlagen surren sich ohne kühlungseffekt zu tode, die arbeitende bevölkerung schwitzt oder transpiriert, je nach etage, schnappt nach sauerstoff wie fische an land, kreisläufe kollabieren, ärztlich verordnet werden wasserhähne, mineralwasserflaschen leergesaugt. Zwischen vertrockneten saaten bricht die erde auf, zur unzeit öffnet der himmel seine schleusen, mit blitz und donner und sturm und fluten bestätigt die ausnahme die regel, während, wehe, die polkappen unter dem ozonloch schmelzen.

simsaladember

reifezeit ist. der urlaub lang vorbei. der himmel sattelt sich türkis, und auf den fluren lässt rainer maria die winde von der kette und auf baumkronen los. die frucht ihrer leiber hängt in stachelmontur im geäst, fallen die hüllen, nehmen sie kullernd reißaus, enden in kinderfäusten oder herbstgestecken oder eines gewaltsamen todes auf asphalt. ein paar stiefel rascheln durchs laub, wo gras seine sommerfrische längst eingebüßt hat. windhosen bitten blätterseelen zum tanz. vogelgezwitscher verwelkt über leeren bänken. niemands blick ruht auf dem tümpel, ungehindert entsteigen ihm trübsinn und modergeruch. wind riffelt das trugbild der uferbäume. ein blatt fällt darauf, zeitigt nicht die leiseste spur, kein wasserfilm reißt und keine ringe laufen auseinander, so bar jeden nachtritts möchte man gegangen sein, wenn der hufschlag des schnitters verklingt. durch dünne jacken beißt der wind eine ahnung von winter.

hokusjulpokus

schneehimmel verspricht das blaue vom firmament, wolken entleiben sich, ihre seelen rieseln in flocken und eisigen nadeln. schneekristalle bitten zum mummenschanztanz und kahle erde erlebt ihr weißes wunderland unter.
stahlblauer wintertag, blendgranaten im auge zündend, stellt sonne in den schatten. am schneesaum weißbärtige gestalten in schwerem hermelin habenfichtenseelen, unter ächzen und stöhnen bewegen sie ihre flügel, filigrane kristalle stieben regenbogenschillernd. Es irrlichtert die kompassnadel über die rose und findet kein norden, oben und unten kommen dem weltenlenker abhanden, wellen ohne wasser, dünen ohne sand, nordwärts transzendierte sahara, huf um huf steppt das kamel eine naht in die jungfräulichkeit. fata morgana.
schneebälle schlachten sich, türmen sich zu männern, drehen dir eine lange karottennase und kehren dich von der bildfläche. lifte schleppen die erodiertenhänge zu tode und skifahrer gipfelwärts, der olymp wartet auf mit kachelofen und jagertee, es lagern matratzen dicht an dicht, anonymes knie im rücken, unbekannte füße in jeweils fremdem revier, einer atmet den geruch des anderen, schneewehen tauen wie nichts, gletscherspalten sind nie gewesen, alle miteinander vertraut und schlafen, jeder topf findet seinen deckel, neun monate später erntet der herbst die früchte, entzaubert.
natur sorgt auf vielerlei weise für den fortbestand der art.

Arabella Block: Ekstasen. Triptychon

Ekstasen. Tryptichon

1.

Er kommt nach Hause,
zieht das Jackett aus,
holt sich ein Bier aus dem Kühlschrank
und Chips
und lässt sich schwer in den Drehstuhl fallen.
Ein tiefer, langer Schluck,
während der Computer hochfährt.
Unglaublich, murmelt er.
während er das Angebot an Filmen überfliegt
auf der Suche nach dem richtigen.
Unglaublich. Weil ihm einfällt,
was sein Vater ihm neulich erzählte.
Dass er in einem Rohbau gezeugt worden war,
auf einem Stück Pappe und einem Schal,
Frucht einer spontanen Erregung
auf dem Heimweg vom Kino.
Kichern beim Klettern über den Bauzaun.
Er schüttelt den Kopf, nippt am Bier,
dimmt das Licht,
entscheidet sich für ein Video,
ein Gangbang auf einer Yacht
und drückt Start.
Unglaublich wiederholt er in Gedanken.
Ein Rohbau, und das im November.
Holt seinen Schwanz raus und legt los.

2.

Nervös skrollt sie durch die Seiten.
Ob das mit dem Einlauf echt sein muss?
Konzentriert studiert sie die Körper,
steht auf, geht zum Spiegel am Schrank,
drückt das Kreuz durch, wie sie es gesehen hat.
Ja, das sieht schon sehr geil aus.
Irgendwo hat sie gelesen,
als Frau beim Analsex zu kommen
ohne dass der Mann stimuliert
sei das ultimative Zeichen
ihrer sexuellen Freiheit.
Frei ist sie jedenfalls, anders als ihre Mutter,
deren Schritte sie draußen im Flur hört.
Mama hat ja ihr Leben lang
allenfalls Missionarsstellung gekannt,
wetten dass? Und vermutlich im Dunkeln.
War vermutlich auch besser,
die war ja nicht mal rasiert.
Ein letzter Blick auf die Filme.
Nein, sie zog das jetzt durch.
Probeweise imitiert sie das Stöhnen.
Es klopft. „Ist alles gut, mein Schätzchen?“
„Ja, Mama“ ruft sie und fährt
rasch den PC herunter.

3.

Er beeilt sich nach Hause zu kommen,
wirft den Schulranzen in die Ecke
und zerrt sich die Hose auf.
Er kommt fast sofort, noch im Stehen.
Für das zweite Mal nimmt er sich Zeit,
zieht die Jeans aus, legt sich aufs Bett
und denkt an die Bilder,
die Jonas ihm neulich gezeigt hat.
Der hat einen großen Bruder
der sich im Internet auskennt.
Der hat sogar Filme mit Hunden.
Allerdings tun ihm da die Tiere irgendwie leid.
Lieber mag er die Frau,
die ihre Brüste so knetet,
dass man meint, sie gehen kaputt.
Langsam beginnt er zu reiben.
Lange hat er geglaubt,
in ihrem Mund, das wäre eine Bratwurst.
Seltsam nur, dass sie beim Essen
so dermaßen sabbert und stöhnt.
Inzwischen kennt er sich aus.
Nur macht er sich Sorgen,
falls es mal in echt passiert,
Ob er es dann auch schaffen wird
so doll zu schwitzen.

Natalia Breininger: Echo

Ἠχώ (Echo)

Noch bist du nicht fort, aus meinen Träumen, noch hallt die Stimme, erscheint das Gesicht, der Weg, wir unter den Bäumen der Alleen, auf verschiedenen Seiten des Flusses schlafend, ein paar Straßen voneinander entfernt, im Herbst, im Taxi, erst murmelnd, dann ein wenig still, zwischen Schachpartie und Schwarzem Meer, während der Wagen rollt, in der Nacht, schließlich wird es ein Patt, und du wirst dich durch meine Träume ziehen, sporadisch, nicht viel sagen, aber da wird etwas sein, eine Umarmung wie immer, ein Abschied, und ich, zwischen den Gleisen, Rolltreppen, Dunst und Waggons, die Biegung der Pferde, wie die der Bahn, ein uneingelöstes Wiedersehen – in deinem meinem Blick.

08 / 01 / 2019

Da ist noch das Bier zwischen uns, und der Stuhl, und die Stimmen der anderen, die vorbeirauschen, wie Autos, es regnet, das Theater knurrt, hier war mal was, hier spielten andere Stücke, wir reden über Weinl und dir flirrt immer noch die Angst in den Augen, ich stelle mir vor, wie du durchs Fenster türmst oder über das Parterre, was an mir mag es wohl sein, dass dich in die Flucht treibt und immer wieder zum Anschauen zwingt, – und doch – trink noch eins, bleib noch für ein halbes Stündchen, sagst du, Etappen der Scheu – wovor? – mit einem Lächeln dazwischen, im Laub sitzt die Hoffnung vergraben und raschelt, morst, dass es … sie noch gibt, dass es noch blühen muss, atmen, aus dem Versteck heraus, und der Einsatz auf Glück auch mal gewinnen, statt nur zu verlieren, wir zünden die Stille an mit Blicken, und ich locke dich wie einen Straßenhund aus der Reserve – weißt du Frisch und Pasternaks Schiwago und Hemingways Mann am Meer – ein wenig Vertrauen, ein wenig … bevor es schneit, und dann der Schnee schmilzt, und alles vorüberzieht, und wird wie immer … leuchtet das Nikotin am Ende unserer Münder auf, in der satten Dunkelheit der Straßen, ich hebe die Hand zum Abschiedsgruß an in der Bahn, mit einer Nasenspitze voll Regen, und rolle davon, der Nacht entgegen.

26 / 10 / 2018

Arabella Block: Spielanleitung für Helden

Jeder bekommt eine Spielfigur.
Du musst eine Farbe anmelden,
sonst gibt es keine Helden.
Sonst singen sie nicht. Singen wie die Kiebitze.
Dazu muss es Seiten geben. Mindestens zwei muss es geben.
Hat etwas Seiten im Leben,
dann singen sie wieder, singen die Lieder
von richtig und falsch.
„Der Held liegt im Auge des Betrachters, doch er schert sich nicht drum.“

Wähl deine Seite und zieh.

Wähle Schwarz oder Weiß!
Nicht Feldgrau oder braun wie das Vieh.
Helden stehen nicht an Übergängen,
nicht an sanften Hängen,
selten im Morgengrauen und im Abenddämmer nie.
Sie stehen High Noon. Schattenlos.
Ohne den Schatten eines Zweifels, bloß
im Rücken und die festumwallte Burg.
„Der Helden steht immer am Abgrund, den er sich selbst gegraben hat.“
Schlag deinen Gegner aus dem Feld,
Den Gegenheld.
Helden erkennt man daran,
dass sie sterben.
Helden sind niemals Erben.
Helden leben nicht lang. Helden ist deshalb nicht bang.
„Helden glauben nicht an Schicksal, sie werfen sich ihm in die eisernen Zähne.“

Leider verloren.

Reden wir nicht darüber.
Singen wir Lieder.
„Der Held geht niemals im Kreis und das immer wieder.“

Singen will ich oh Muse
,
von ciao bella ciao bella ciao.
Wir haben nichts zu verlieren, die Reihen fest geschlossen,
es klappern die morschen Knochen,
ins Moor, ins Moor.
Komm, schöner schwarzer Vogel,
komm Kiebitz, sing mir das Lied,
es ist immer das Lied vom Tod.
Das Leben spuckt Helden wieder aus,
Das Leben spielt immer remis.
Nur der Held wird zerkaut und durchverdaut.
Das Richtige tut man einmal oder nie.
Dann vergeht dem Kiebitz das Pfeifen.

Angelika Jodl: 鴛鴦 (Mandarinente)

Durch den Frost im Winter war der Boden gut vorbereitet. Als Lai Fang Lei ihn mit der Harke bearbeitete, fiel die Erde in schwarzen Brocken auseinander. Regenwürmer wanden sich auf den Klumpen. Seine Familie besaß noch mehr Ackerland am Dorfrand, heute hatte er nur die drei Mu hinter seinem Haus pflügen können. Aber Bohnen und Mais kamen sowieso erst in zwei Wochen dran.
Er legte die Hacke beiseite, holte das große Sieb und lehnte es an den Pflaumenbaum am südlichen Ende des Ackers. Dann lud er die Schubkarre voll mit Erde, fuhr sie dicht an das Sieb und begann, die speckigen Klumpen gegen das Sieb zu werfen. Es war harte Arbeit, Lai spürte, wie ihm Schweißtropfen in die Augen rannen und legte den Kopf in den Nacken. Oberhalb seines Hauses schwang sich die Große Mauer durch die Berge, zwischen dem Mädchenturm und dem Pekingblickturm genau über der Himmelsbrücke stand reglos eine weiße Wolke.
Hier war er geboren und aufgewachsen, er kannte die Mauer so gut wie sein Haus, die restaurierten Teile ebenso wie die Wilde Mauer. Vor vier Jahren hatte er mitgeholfen, das Stück zwischen Jinshanling und Simatai auszubauen. Sie sammelten die alten Steine, rührten Mörtel an und flickten die Stellen, wo Wind und eingewachsene Bäume die Mauer geschliffen und zersprengt hatten. An einer Stelle hatte er einen Stein mit einem alten Schriftzeichen gesetzt. Es war ein besonderer Moment gewesen, obwohl weder er noch seine Kollegen das Zeichen lesen konnten. Es mochte zweitausend Jahre alt sein, wer wusste das schon. Jedes Mal wenn er Gäste auf diesen Mauerabschnitt führte, machte er kurz Halt, um seinen Stein mit dem Zeichen zu grüßen.
Letzten Monat hatte er zwei japanische Touristen über die Himmelsleiter geleitet. Die Japaner waren trainiert, sie schafften das schwierige Stück ohne dass er sich sorgen musste um sie. Harte Burschen waren das, nachts lagen die Temperaturen oben bei Null Grad, aber sie rollten ihre Schlafsäcke in einem der Türme aus, tranken heißen Tee und legten sich zum Schlafen auf den Boden, als ob sie das alle Tage täten. Am nächsten Morgen setzte sich ein Baumfalke ganz nah vor sie auf einen Giebel am Turm. Die Japaner waren begeistert und fotografierten den Vogel von allen Seiten. Sie malten mit einem Stock Schriftzeichen in die Erde, Lai verstand, dass sie in ihrer Heimat Vogelkundler waren.
Wieder belud er die Schubkarre und warf die schweren Brocken gegen das Sieb. Auf der anderen Seite hatte sich schon ein schöner Hügel feinkrümeliger Erde gebildet. Noch eine Stunde, dann konnte er sie ausbringen und Furchen für die Samen ziehen.
Um diese Uhrzeit war seine Frau noch im Innenhof beschäftigt, reinigte den Backofen und bereitete die Mittagsmahlzeit zu. Demnächst käme sie heraus, um ihm beim Einbringen der Zwiebelsaat zu helfen, dann würden sie sich in den Hof setzen und Reis mit Gemüse essen, das war die gewohnte Reihenfolge. An jedem anderen Tag hätte Lai sich darauf gefreut, aber heute wäre es ihm lieber gewesen, die Frau bliebe im Haus. Bestimmt würde sie ihn nach dem Moped fragen, das seit gestern Abend nicht mehr im Schuppen stand, die Rede würde weiter auf den Abend kommen, auf ihren Bruder, auf das Mahjong Spiel und bei jeder ihrer Fragen könnte er nichts anders tun als den Kopf hängen zu lassen.
Er ergriff die Schaufel und begann in großen Schwüngen die Erde auf dem Acker zu verteilen. Die abgetrockneten, helleren Krümel legten sich als feine Schicht über den dunkleren Grund. Der Schweiß rann ihm in die Augen, er legte den Kopf in den Nacken und fuhr sich mit dem Unterarm über die Stirn. Vom Hof her hörte er ein leichtes Klappern. Die Frau kam heraus. Schweigend nahm sie den Rechen und begann vom Nordende des Ackers her Furchen zu ziehen. Sie arbeitete in raschem Rhythmus. Lai beschleunigte seine Würfe.
An der Westseite grenzte sein Acker an den des Nachbarn, immer noch wucherte da das Unkraut. Zwischen den Grasbüscheln tauchte die schwarze Katze des Nachbarn auf. Lai mochte beide nicht, die Katze und den Nachbarn. Leise wie ein Dieb schlich sie herbei, hielt an mit erhobener Pfote, dann betrat sie sein Feld und begann in der frisch ausgebrachten Erde zu scharren. Lai klatschte in die Hände, um sie zu vertreiben, er wusste, was sie vorhatte. Später, wenn erst die Zwiebelsamen gesetzt waren, käme sie noch einmal und würde alle ausgraben. Ausgiebig scharrte die Katze weiter. Lai bellte wie ein Hund, sie hielt kurz inne, dann scharrte sie noch emsiger.
„Gaiside, mao!“, schrie Lai – Geh zum Teufel, Katze! – er sah sich nach einem Stein um, den er nach ihr werfen könnte.
In dem Moment erschien der Nachbar auf seinem Grund. Offenbar hatte er gerade zu Mittag gegessen. Er hielt ein Teeglas in der einen Hand, in der anderen ein Stück Zuckerrohr, an dem er nagte.
„Nimm deine Katze mit!“, rief Lai ihm zu. „Sie macht mir die Arbeit hier kaputt.“
Der Nachbar ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. „Gestern war Versammlung im Dorf“, erklärte er. Er schnaufte wichtig. „Parteikader Liu war hier. Aus Beijing. Er ist mit einem Auto gekommen.“
Die Katze saß gesittet mitten auf dem Acker. Lai beobachtete sie aus den Augenwinkeln. Er war entschlossen, sie zu verjagen, sobald sie wieder anfing zu scharren.
„Es ist so“, sagte der Nachbar, „dass Parteikader Liu dann noch in meinem Haus etwas gegessen hat. Wir sind so miteinander.“ Teeglas in der einen Hand, Zuckerrohr in der anderen, spreizte er seine beiden Zeigefinger ab, um sie aneinander zu klopfen. „Schnaps haben wir auch zusammen getrunken, der Herr Liu und ich.“ Vergnügt lutschte er weiter an seinem Zuckerrohr.
Ohne zu antworten, warf Lai weiter Erde auf den Boden.
„Ich habe über viele Dinge gesprochen mit dem Parteikader Liu. Er hört auf mich, weißt du?“
Die Katze erhob sich und machte einen Buckel. Lai bückte sich, hob den Stein vor seinem Fuß auf und zielte.
„He! Lass meine Katze in Ruhe, Lao Lai!“, schrie der Nachbar. Lai pfefferte den Stein direkt neben sie. Zielen konnte er, etliche Wildkaninchen hatte er schon auf diese Weise getötet. Entsetzt floh die Katze zurück zu ihren Grasbüscheln. Leise schimpfend trat auch der Nachbar den Rückzug an.
Die Arbeit war beendet. Schweigend ging Lai neben seiner Frau in den Hof und setzte sich auf den Boden. Auf dem niedrigen Holztisch vor ihm dampfte in einer Blechschüssel der Reis. Er ergriff seine Stäbchen. Hastig schaufelte er sich Reis in den Mund. Die Frau stellte drei Teller auf das Tischchen. Gestocktes Ei mit Zwiebeln und Spinat mit Erdnüssen und Trockenchili. Zwei Teller frisch gekochter Speisen und einer mit rohem Lauch und Paprika. Normalerweise gab es zum mittäglichen Reis nur die Reste vom Abendessen zuvor. Voll schlechtem Gewissen rupfte er sich ein Stück aus dem flaumigen Eierstich und schlang es hinunter.
„Laopo – ehrwürdiges Weib“, sagte er, „ich muss dir etwas sagen.“
Die Frau aß schweigend ihren Reis.
„Gestern Abend habe ich mit deinem Bruder Mahjong gespielt. Wir haben Reisschnaps getrunken.“ Hatte sie verstanden, was als nächstes käme?
„Das Moped“, sagte Lai mühsam, er spürte, dass sein Gesicht dunkler wurde, „das Moped ist leider kaputtgegangen. Es hängt in einem Baum auf der Straße zu unserem Haus.“
Seine Frau stand auf und ging ins Haus.
Ängstlich sah er ihr hinterher. Es gab Frauen in der Nachbarschaft, das wusste er, die waren wie Tiger, verprügelten ihre Männer bei geringeren Anlässen mit dem Besen. Den Nachbarn, der sich mit dem Parteikader so wichtigmachte, hatte er schon ein paar Mal laut schreien hören.
Sie kam zurück. In der Hand hielt sie die Teekanne und zwei Gläser. Sie stellte sie auf den Tisch und goss heißen Tee ein. „Mann“, sagte sie, „ich möchte dir einen Rat geben.“
Er wagte nicht, sie anzuschauen, starrte auf das Geschirr.
„Du sollst nicht mit dem Moped fahren, wenn du Reisschnaps getrunken hast.“
Jetzt konnte er sein Gesicht wieder zeigen. Er glaubte fast nicht, was er da hörte. Kein Schimpfen? Kein Geschrei? „Ich hole das Moped heute Nachmittag“, versprach er. O, wie war er dankbar für diese Frau! Er hatte die beste bekommen, eine Fleißige war sie, einen Sohn hatte sie ihm geboren und sanft war sie auch noch! Einen goldenen Ziegel hielt er in den Händen mit dieser Frau! Lai Fang Lei, Bauer an der Großen Mauer, schlürfte seinen Tee voller Genuss. Gleich am Nachmittag würde er das Motorrad holen und zusehen, ob er es flicken konnte.
In Ruhe aß er nun Reis, Ei, Spinat, er trank heißen Tee und genoss den Anblick seines Hofs. Was hätte wohl die Frau des Nachbarn mit ihrem Mann gemacht? Hinter dem Anwesen rauschten die Bambusblätter, aus dem Koben grunzte das Schwein. Alles war, wie es sein sollte.