Megacities
und Megasmog
Megacities
und Mega-Lärm
Megacities
und Megaprobleme
Zu groß
Zu laut
Zu stickig
Und viel
zu nervend.
Schlagwort: sprecher katrin rauch
Harald Kappel: Murmeln
Beim Betreten des Saales
trinken wir Sand
aus riesigen Urnen
bis sich die Zeit bewegt
schreitend
ziehen schwindelnde Gemälde vorbei
wir überqueren eine dunkle Schwelle
auf der andren Seite
Fische und Schalentiere
schwarz wie Blei
im öden Raum
auf dem Plakat
hinter dem Vorhang
suchen sie verlassene Muscheln
die Anderen nicken fremd
ich weiß nichts davon
atme graue Luft
kein Erklären
bin allein
in dieser taubstummen Welt
regiert das Schweigen
rauschen Murmeln vorbei
klickern die Leere ein
mit Augenschuss
am Wetzelloch
sammeln sich die stillen Stimmen
der einsamen Nacht
und machen mir Angst
auf dem Plakat
im öden Raum
suchen sie
mich
Harald Kappel: ohne Drachenfell
es war einmal
draußen
im Erwachen
zogen Glasfasern gen Süden
ich rutschte auf dem Vorjahreslaub hinterher
verschluckte den Frost
mit klopfendem Herzen
ein unbedeutender Corvus
ohne Drachenfell
schnell jagte
ich im ersten Licht
deine Silben
als ich jedoch die Daten berührte
hinterließen sie Bites
auf meiner Haut
mein Körperschatten erbleichte
zu Pfützen aus Sehnsucht
deine Silben rasten
wie Kometen ins All
uneinholbar
für einen unbedeutenden Ritter
ohne Drachenfell
David Telgin: Big Data
Daten
Daten
Daten
Die dich
verraten
Registriert
und analysiert
Du
Deine Vorlieben
Dein Verhalten
Deine Muster
Registriert
und analysiert
Du
Als gläserner Kunde
Der lebt
und konsumiert.
Bastian Kienitz: MENSCHLICHE SCHLACHTEREI
(Blankosonett)
auf bleicher Leinwand schwimmen Überreste
vom Wind verweht, was durch die Steppe zieht
semihumid mit Löss aus karger Quelle
der von der Tundra Kälte mit sich bringt
die strömt hinunter in die Südgefilde
und leckt mit ihrer scharfen Zunge Fleisch
das von den Rippen fällt, die Nahrungsspitze
wird umgekehrt und schreit die ganze Nacht
Verzweiflung drängt aus jeder Fieberpore
und schwitzt sich aus, bis sie von innen friert
nennt sich selbst Unmensch dieses Innenleben
das nichts als nehmen und Ermordung kennt
heißt Schlächter in den Tiefen seiner Seele
wir sehen uns in Wald und Höhle selbst
»nennt sich selbst Unmensch« Zitat: aus dem Drama Faust – Der Tragödie erster Teil, Wald und Höhle von Johann Wolfgang von Goethe. Das Gedicht wurde zudem von dem gleichnamigen Bild MENSCHLICHE SCHLACHTEREI von WOLS inspiriert.
Bastian Kienitz: SPLATTER
(dt. Spritzer, Blankosonett)
die Schütte Splatter auf dem weißen Leinen
trägt keinen Namen, doch es riecht nach Blut
aus alten, längst verwaisten Regentagen
Film ab, jetzt sag zur Horrorshow: Beginn
und höre selbst wie Tropfen lautstark klopfen
mit jedem Spritzer Klatsch lautmalerisch
zu einem Kunstwerk, deinem Opfer werden
in dem die Kraft der reinen Seele steckt
du fließt und mit dir fließen lauter Worte
im Zeilenabstand, der jetzt leiser wird
und anfängt todeswund abstrus zu röcheln
bis du dich selbst in einem Wort erkennst
und deine Flügel auseinanderfaltest:
du unterzeichnest dich und fliegst davon…
»du unterzeichnest dich« in Anlehnung an den Vers „Du unterzeichnest dich mit einem Tröpfchen Blut“ aus Faust 1, Studierzimmer II von J.W. Goethe. Des Weiteren ist das Gedicht von dem gleichnamigen Werk SPLATTER von Hermann Nitsch inspiriert worden.
Simon Borowiak: Atheistische Glaubenskrise
Eine Frage, Gott:
Warum hast Du mich verlassen?
Doch wenn ich dann so um mich schaue:
Du musst die Menschheit ganz schön hassen.
Du machst sie dumm und pöbelnd und gemein,
zerstörst die Schönen, fällst die Gesunden.
Insofern muss die Eingangsfrage eigentlich lauten:
Mein Gott,
warum hast Du mich gefunden?
Harald Kappel: im Labor
ich traf Dich gestern
im Labor
nachmittags
wurde der Igel überfahren
seine Mutter gefressen
Hunde und Katzen
sahen zu
ich traf Dich gestern
beim Hochsprung
nachmittags
wurde Dir die Haut abgezogen
der liebe Gott gekreuzigt
Menschen und Ratten
sahen zu
ich treffe Dich
nicht mehr
nachts
weine ich
wegen Deiner Geburt
keiner und niemand
sieht mir dabei zu
Harald Kappel: Abwehrhaltung
habe genug gelitten
lasse mich ohne Gegenwehr erschlagen
weil
ich es mir verdient habe
mein Haus ist graugrün
wie letztens
der trübe Urin
was bist du nur für ein Mensch
sagte sie
mach was aus deinem Leben
sagte sie
so ein Wahn
dachte ich
ja was denn?
habe genug gelitten
dachte ich
keiner begreift
was ich will
es geht alles durcheinander
wie schmeckt ein Kuss?
ja wie denn?
was erwartest du?
lecke am Rasierwasser
weil
ich es mir verdient habe
im Totenbuch steht
dass die Möglichkeiten
verwirkt werden
irgendwann
möchte mal wissen
was das bedeutet
für mich
möchte das mal wirklich wissen
das ist doch kein Spass
das Saufen
nun mach schon
wie letztens
ohne Gegenwehr
Carsten Stephan: Musikantenstadl
In matten Augen glänzt die Studiosonne,
Ein Rüschenbalg kräht im Tapetenwald.
Und alles schunkelt sich in beige Wonne.
Ein Hirschhornknopf von einer Hose knallt.
Ein Mottenschwarm entflieht den Kampferdünsten.
Ein Jodler schlüpft aus einem Dekolleté.
Der Saalschutz fantasiert von Feuersbrünsten.
Ein Stützstrumpf blickt verliebt auf ein Toupet.