Carsten Stephan: Kraut ahoi!

(Audiobeitrag wird nachgereicht)

Früher schlangen die Matrosen
Sauerkraut, das scheint euch klar,
Weil sie Vitamine brauchten.
Aber das ist gar nicht wahr.

Denn kein Mensch braucht Vitamine,
Das sind Märchen, seid nicht dumm.
Es genügte Wind in Segeln
Und in Kehlen reichlich Rum.

Ging der Rum einmal zur Neige,
Kam es schnell zur Meuterei.
Gab es eine lange Flaute,
Rief man nur: Zum Kraut herbei!

Bald schon bliesen da die Winde,
Und sie rochen sehr apart.
Und sie blähten alle Segel,
Und man setzte fort die Fahrt.

Durch die Kraft des Krautes machte
Der Koloss von Rhodos schwapp.
Mit ihr fuhr man gar in Gizeh
Einer Sphinx die Nase ab.

Ist auch euch nach Abenteuern,
Bleibt dem Sauerkraute treu.
Hisst auf euerm Bett das Laken,
Und dann heißt es: Kraut ahoi!

Carsten Stephan: Was läßt sich über Möbel sagen?

Mit Goldsmith keine Pleite schieben

Adrett, allerliebst, anmutig, ansehnlich,
ansprechend, anziehend, apart, appetitlich
(Küche!), berückend, etwas Besonderes,
bildschön, blendend, brillant, duftig,
delikat, echt, eindrucksvoll, einnehmend,
einmalig, einzigartig, elegant, elfenhaft,
entzückend, erhaben, exquisit, charmant,
fabelhaft, fantastisch, fein, fehlerfrei,
fesch, flott, formvollendet, ganz groß,
gefällig, gewinnend, graziös, herb,
herrlich, hinreißend, hübsch, ideal,
imposant, jugendlich, klar, klassisch,
köstlich, kräftig, kühn, künstlerisch,
lebendig, leuchtend, lieblich, mächtig,
mondän, nett, niedlich, patent, pfundig,
pikant, prachtvoll, prächtig, raffiniert,
rank, rassig, reif, rein, reizend, sauber,
schick, schmissig, schmuck, schnittig,
schön, stattlich, stilvoll, strahlend,
sympathisch, tadellos, traumhaft,
vollendet, vornehm, wirkungsvoll,
wohlgeformt, wohlgestaltet, wunderbar,
zauberhaft, zierlich.

Nun darf man über eine Aufzählung
dieser Art nicht einfach hinweglesen,
so geht es nicht, das muß man sehr
aufmerksam in sich aufnehmen und
versuchen, jeden Begriff auf ein bestimmtes
Möbel anzuwenden. Erst, wenn dieses
gelungen ist, befreit man sich von den
stehenden Redewendungen
formschön modern preiswert.

blumenleere: schwaermerisch zertret‘ ich allzu klebrige schwaermereien …

eine muse: eine muse scheint irgendwas –beziehungsweise ein konkreter mensch – & zwar irgendwo zwischen katalysator – beschleunigung kreativer prozesse – & transistor – verstaerken inspirierender impulse – zu sein, ferner jedoch mitunter gar selbst das der so dringend kultur schaffen wollenden persona akut fehlende gegenstueck darzustellen, welches letztere unbedingt & quasi zwingend benoetigt, um pittoresk ueber sich hinauszuwachsen & in einem mehr oder minder euphorischen flieszen sie berauschende werke hervorzubringen, die sie fuer gut genug haelt, sich vor sich & anderen mit ihnen zu schmuecken – & das vielleicht blosz deswegen, weil ihre unsicherheit solch enorme ausmasze annimmt, dass sie, sofern niemand auszer ihr verantworlich waere, fuer ihr schaffen, sie sich, von erbarmungslosen zweifeln zerfressen, nicht aus ihrem schneckenhaus wagen wuerde? eine gefaehrliche allianz, ganz unabhaengig dessen, denn es manifestiert sich in ihr ein streben gen totale abhaengigkeit & sobald das ueberhoehte wesen sich rar macht, ungnaedig agiert oder verschwindet, was dann? ich fuer mich & meinen teil favorisiere dahingegen & daher nach wie vor eher den kompromisslosen, koerper, geist & psyche laeuternden waldgang – & verabscheue opportunismus, hinternkuessen, infantile schulterschluesse –: die sublime einsamkeit – eins mit allem, im oestlichen sinne …? – des anarchen – maennlich, weiblich, divers et cetera … – in memoriam ernst juenger & max stirner: voila!

Carsten Stephan: Matze Maier

Matze Maier schrieb am Abend
Launig, mit geschnorrtem Stifte,
Ein paar Zeilen auf den Deckel
Seines Bieres.

Und am nächsten Morgen schellten
Vierzig feiste Großverleger,
Bis er endlich irgendeinem
Gähnend nachgab,

Der sein Werk in einer Woche
Dann millionenfach verkaufte
Und die Wälder niederwalzte
Fürs Papier.

Matze Maier zuckte zaghaft
Seine schönen, schmalen Schultern
Und zog zügig in ein Schlösschen
Fern in Frankreich,

Wo bald große Kipper knatternd
Geld aus Hollywood abluden
Und die Groupies grinsend aus den
Laken lugten.

Und kaum einen Monat später
Schrieb er wundersamerweise:
Werde nie im Leben Dichter!
Und zerbarst.

Simon Borowiak: Parforce

Es scheuchte der Wind
mit Fauchen und Pfeifen
die Wolken geschwind
übern Mond
und all das Gefiederte
schwärmte aus
und all das Gefiederte
stob auseinander
und Himmel und Pfützen
und Luft und Gehölz
und fauchende Wasser
und pfeifende Äste
ganz dicht beieinander
die zehn Firmamente
und Hagel und Flocken
rußschwarz und mondgelb
mein Herz wurde müde
und ich stieg vom Pferd.

blumenleere: Durchgerasselt

der erbaermlichen inszenierung schmaehlings auf den leim gegangen, die dir aufoktroyierten kritierien blindlings angenommen, bist du, mit pauken & trompeten – ganz, ganz groszes kino, also …? – durchgefallen. die pruefungskommision feixt, die konkurrenz tut dergleichen – & du, du duemmliches kleines opferlamm, heulst, kreischst & versinkst im boden, vor lauter scham: dank deiner tatkraeftigen unterstuetzung festigst du zudem wieder mal die macht eines voellig idiotischen systemes, in dem der dem menschen zugewiesene wert davon abgeleitet wird, wie er kuenstlich konstruierte herausforderungen bewaeltigt. lebensnaehe? jein. nein, da die sogenannte natur – auch blosz eine unsrer fixen ideen …? – eigentlich gewisse arten & weisen, hindernisse zu nivellieren nicht unbedingt belohnt. ja, da sich unsere existenzen gerade aufgrund absurder dominanter vorstellungen weniger im rahmen eines leistungsgesellschaftsscheiszdrecks mit solcherlei nonsens als realitaet zunehmend auseinanderzusetzen zu haben – berge von unnuetzen papieren, formularen, neunundneunzig prozent der ausguebten berufe fiktiv & praktisch krankheiten, die von einem prozent der bevoelkerung ernaehrt & versorgt werden et cetera et cetera, bis wir dann endlich dermaszen weit vom gesunden dasein entfernt, nicht weiter ueberleben koennen & uns gegenseitig endgueltig ausmerzen.

Angelina Roth: Szenen einer Sucht

Ich gehe zum Bahnhof
und kaufe eine Zeitung am Kiosk,
als wäre nie etwas gewesen.
Ich fühle mich wie ein Junkie,
der jetzt clean ist
und an der Heroin-Abgabe vorbeifährt
schön frisiert, mit neuem Leben,
der Tochter über den Kopf streicht.

Durchsagen dröhnen durch den Lautsprecher
und vermitteln dieses unbeschreibliche Gefühl:
Einfach einsteigen und wegfahren.
Hinter dem Abteil liegt der Flughafen
und dahinter das Meer.
Check-in, check-out,
so schlug mein Puls,
Berlin, New York, Kapstadt.
Bis ich eines Tages aufwachte,
und nur noch schrie.
Ich wollte bleiben,
stornierte meine Reisen,
legte mich auf den Boden,
und wartete bis der Teufel meinen Körper verlassen hatte.

Seitdem ist der Bahnhof für mich kein Tor zum Glück mehr.
Er ist ein Gebäude wie jedes andere auch.
Ich hole mir ein Stück Kuchen
und schwelge in dem guten Gefühl, frei zu sein.

Ich brauche dich nicht mehr,
schreie ich leise gegen das Gemäuer,
spaziere zwischen den Shops hindurch
Hand in Hand mit meiner Sehnsucht
Heute sind wir Freunde – vorbei die Zeiten,
in denen wir uns zerstörerisch geliebt haben.
Unsere Finger ineinander verhakt,
gehen wir Richtung Gleise.

“Schau”, sage ich, “hier musste ich früher hin,
um mich lebendig zu fühlen.”
Heute sehe ich den anderen zu,
wie sie zu den Zügen hasten
und lächle über ihren Zwang.

Die Sehnsucht bleibt stehen
und schaut mir tief in die Augen
Sie zieht mich näher an sich heran.
“Du weißt doch, dass wir das lassen wollten”,
sage ich gestresst.

Sie hebt ihre Finger an meine Wange
und streicht sanft darüber.
“Aufhören”, fauche ich und versuche, sie wegzustoßen.
Sie kommt noch näher und ihre Lippen
berühren fast mein Gesicht.
Ich spüre ihren Atem und erinnere mich
an unsere verhängnisvollen Nächte.

Eine Sekunde und ihre Lippen berühren meine,
weich, fordernd, erobern sie sie mühelos.
Ich werfe alles über Bord und drücke mich gegen sie.
Die Sehnsucht umarmt mich noch heftiger
und flüstert mir atemlos ins Ohr:
“Lass uns abhauen von hier,
ein Wochenende, nur du und ich”,
und zieht mich zu den Gleisen.