Bastian Kienitz: Das Dachstudio

(Blankosonett)

der Bass schlägt schräg auf die Sekunde ein
ins Zwischendurch gevögelt bis zum Wahn
wirkt dieses Glas lichtbrüchig und erhitzt
wenn man ganz oben auf der Treppe steht

verliert die Maske ihren Sinn und Zweck
und die Gestalt erhebt sich lüstern selbst
auf das Podest und wird zum Mittelpunkt
der Tagesschau auf dem Dachstudio

das Fiftyfour gleich um die Ecke scheint
ein Licht aus Tausenden und einer Nacht
mit Charme, Schablone und von Angesicht

zu Angesicht, gemeißelt, bibeltreu
vielleicht auch frei von Mauern, alles gleicht
dem großen Plan: dem Ganzen scheingestellt…

Carsten Stephan: Herrenschneider Waltraud Buckel

Trotz ihres Namens voller Liebreiz
War Buckel Traudel, blass und zart.
Sie ward ein hübscher Herrenscheider,
So einer von der sanften Art.

Die Lehrzeit bot ihr bloß Schablonen,
Da wurde Traudel nonkonform.
Sie träumte von der eignen Handschrift,
Entfernte sich rasch von der Norm.

Wozu denn Faden? Wozu Nadel?
Wozu die Massenkonfektion?!
Das war ihr Credo. Aber nicht das
Der Herrn der Prüfungskommission.

Doch lagen sie ihr bald zu Füßen,
Das gaben Traudels Schnitte her:
Den Herren auf den Leib geschnitten,
Mit ihrer großen, scharfen Scher’.

Sie sorgte auch für andre Herren,
Und stets war es der letzte Schrei.
Jedoch hieß Freigeist auch Gefängnis,
Zum Glück kam unsre Traudel frei.

Der Westen zahlte und man raunte,
Die Traudel sei ihm wenig fremd:
Schliff ’53 schon die Schere
Für Josef Stalins letztes Hemd.

Nun traf sie Kennedy mit Scheren,
Schön rot-weiß-blau war sein Trikot.
Und Barschels Badewannenfrack gar! ‒
Die Traudel schnitt auf Weltniveau.

Facharbeiterzeugnis von Waltraud Buckel von 1954

Carsten Stephan: Fashion-Rentner Günther

Er ist eine Stil-Ikone,
Er ist unverwechselbar.
Girlies kreischen, wo er hinkommt,
Günther, Günther, Superstar!

Heute macht er selber Mode,
Und auch die ist das Gespräch:
Jedes Stück so voller Frische,
Jedes Stück so herrlich beige.

Hat man sowas je gesehen?
Endlich hat es Konjunktur!
Lasst uns mit dem Meister loben:
Beige, die Farbe der Natur.

So lacht uns der Sommerhimmel,
So lockt uns das schöne Meer.
Erstes Beige freut uns im Frühling,
Immerbeige sind Storch und Bär.

Bald gibt es beim feschen Günther
Accessoires zur Kollektion.
Wieder ist die Welt von Sinnen:
Eine Farbenrevolution!

Riesenhandys, Rollatoren
Und Toupets vom letzten Zar.
Halma, Hörrohr, neue Hüften ‒
Alles beige und abwaschbar.

Ein screenshot eines Onlineartikels mit der Überschrift "Fashion-Rentner Günther"

Bastian Kienitz: PHOTOSHOP CS

(Blankosonett)

du bist so Foto, du auf einer Feder
gebettet in ein nacktes Kleid aus Nichts
im Sucher meiner Retroperspektive
und einem Hauch dazwischen, der verlockend wirkt

verflogen, wie der Farbabriss verflüchtigt
in diesen Schein aus Werbung eingetaucht
ich glaube Venus vor dem V und lese
mit diesem Pinsel deine Ware, Wirkung auf

ich bin real geneigt, dein Spiel zu glauben
den deine Lippen ausgesprochen jetzt
in diesem Augenblick mir sagen wollen

vielleicht hast du sie dir geleckt und ich
ich höre diese ungesagten Worte
dass du mich willst, weil du mir so gefällst…

Bastian Kienitz: Amazon

(Blankosonett)

das ist in etwa die Gemengelage
in der wir uns befinden, kurz von vorn
es sind unendlich viele Päckchen, Kisten
in einer Lagerhalle auf dem Weg

zu dir, dem Konsumenten plus Ist-Zustand
dass dies letztendlich immer weiter geht
gleich einem Rad im Kreislauf des Planeten
mal immer wieder Neues produziert

die Marke Made hat sich bereits verschlissen
denn alles dreht sich um die Quantität
der Ware aus ganz billigen Produkten

selbst du als Mensch bist leider gar nichts wert
wenn du nichts kaufst und deine ganze Zeit
im Rausch des Mangels weiter konsumierst…

blumenleere: den leeren tischen & gestaden

trachte verschwenderisch nach ueberopulenten & -kandidelten trachtenpersiflagen,
auf dass diese deine dann pseudotrachten explizit nach einer dich auszerordentlich schmerzhaft vertrimmenden tracht pruegel trachteten, da du die bestehenden ordnungen kategorisch erstarrter konservativer trachtenvereine gezielt in neumodische un- & umordnungen hinein zu stuerzen suchst … eine frage, also, der blickwinkel, der weltanschauungen & perspektiven: der einen freud, der andren leid – wandel kontra bestaendigkeit. & waeren wir dem i-ging naeher als dem blanken faschismus unsrer scheinheiligen, verlogenen bibeln & vermeintlich in granit gemeiszelten, in ihren hoechst ambivalenten umsetzungen elitaere blasen behuetenden & die relativ armen mehr & mehr zermalmenden scheiszgesetze, wuerden uns – dem salz der erde …? – ganz flugs mal hier die steine von den augen rollen & wir saehen klarer, unablaessig uns veraendernd, die metamorphosen des chaos, deren inkonsistente schaumspitzen wir auch sogleich schon bildeten.