Simon Borowiak: Spirituosenleben

Frau Magenbitter hauts vom Stuhl.
Herr Dornkaat liegt daneben.
Eifrig bemüht sich Pommery,
versucht sie aufzuheben.

Dem jungen Korn ist nichts mehr klar.
Frau Gin sieht eine Maus.
Herr Pils beugt sich zu weit nach vorn
und fällt zur Flasche raus.

Alles verdunstet, schwappt und ölt,
entkorkt sich auf den Tischen.
Auch Fräulein Selters geht es schlecht:
Sie muss hier morgen wischen.

Simon Borowiak: Parforce

Es scheuchte der Wind
mit Fauchen und Pfeifen
die Wolken geschwind
übern Mond
und all das Gefiederte
schwärmte aus
und all das Gefiederte
stob auseinander
und Himmel und Pfützen
und Luft und Gehölz
und fauchende Wasser
und pfeifende Äste
ganz dicht beieinander
die zehn Firmamente
und Hagel und Flocken
rußschwarz und mondgelb
mein Herz wurde müde
und ich stieg vom Pferd.

Simon Borowiak: Hochsommer

Garten platzt aus allen Nähten.
Hummeln strecken ihre runden
Hummelhintern aus den Kelchen.

Wespen wild auf Sommertorte.
Kinder, Kreide, Gehwegplatten.
Kaffee für Erwachsene.

Kohle raucht und Steak und Bratwurst.
Sonne will nicht untergehen;
lungert noch an Gartenpforte.

Alle Blätter stehen still.
Alle Blumen machen dicht.
Widerwillig sinkt die Sonne.

Müde Vögel schläfrig schnarren.
Sehr geschäftig trippeln Igel.
Garten atmet aus und duftet.
Sonne scheint jetzt anderswo.

Simon Borowiak: Wahre Romantik

Verkommener Bahndamm
an vergessner Industrie
Verfärbt ins Unbeschreibliche
Lichtbrei gemischt
Nichts schwarz Nichts gelb
Die Sonne steil

Darunter
alles am Dunkeln
Staub am Glimmen
Dreck am Funkeln
Die Welt
verhauen und verstoßen
Gestockt und eben und getrübt
Zwei Sonnen steil

Darunter grauer Gilb an Schotter
Blauer Efeu Chromgestänge
Der Teer gebrochen und Ginster

Drei Sonnen steil
darunter Ableben
Und wir
mit sandigen Augen
Vier Sonnen steil
Darunter Rost

Simon Borowiak: Flughafen Nizza

Flughafen Nizza.
Sitze ich und warte
in meinen Anziehsachen.

Daneben sitzt und wartet
münchener Familie
in ihren Anziehsachen.

Der Situierten Sohn stakt auf und ab.
Mustert mich, als wär ich Dreck.
Bei jedem auf und ab
mustert er mich Dreck.

Da hat er recht:
Von seinem Büffel-Seiden-Kaschmirmantel
könnte ich zwei Jahre leben.

Dann Aufruf.
Einstieg.
Mein Onkel hat es gut mit mir gemeint:
Erste Klasse, erste Reihe, erster Platz.

Danach steigt ein
der Rest der Welt.

Der Seidenraupenbüffelsohn
muss weitergehen, zweite Klasse.
Und das auch noch an mir vorbei.

Gesichtszug wie ein grad mit Wucht
entgleister ICE.

Kurz gleiche Höhe,
Tuchfühlung,
fast aneinander schabend:
Der Kaschmir und
die Jeans von kik.

Er: Fassungslos und voll von Wut.
Ich: Voll das Herz,
voll von Verachtung,
voll schmutziger Verachtung.

So tief
lassen uns Reiche sinken.

Simon Borowiak: Lieblos

Ich sehꞌ etwas,
was Du nicht siehst.

Ich fühlꞌ etwas,
was Du nicht fühlst.

Ich hörꞌ etwas,
was Du nicht hörst.

Wann merkst Du endlich,
dass Du störst?

Du schaust mich an
wie hundert Kühe.

Ich stehe vor Dir
wie ein Schwein.

Du gibst Dir redlicher als redlich
Mühe,

und ich will doch nur
bei der Andren sein.

Simon Borowiak: Geschlossene II

Sechs Uhr dreißig Morgenrunde.
Setz Dich auf! Geh los! Gesunde!
Lange Gänge,
zähe Gänge,
immer wieder,
volle Länge,
immer wieder
Bett bis Tür,
wo ein Cherub sitzt dafür
und liest Illustrierte.
Elf Uhr dreißig Mittagsrunde.
Seelenkrümmung. Neue Stunde.
Kurze Gänge,
enge Gänge,
tausend Meisen
im Gedränge,
Bett bis Tür
und Tür bis Klo,
laut bis Krach
und Mensch bis Zoo.
Einer muss mal kreischen.
Sechs Uhr dreißig Abendrunde.
Pharmaka in aller Munde.
Dunkle Gänge,
schwarze Gänge,
immer wieder,
volle Länge,
Finsternis und Fehlbelichtung,
Einsamkeit und Selbstvernichtung,
leider stirbt man nicht im Schlaf.

Simon Borowiak: Geschlossene I

Auf den Senkel
auf den Zeiger
Mensch mir knallt mein Geigerzähler
jetzt gleich sofort durch

Mörderlaune
Scheiß die Wand an
Nerven liegen blank
Alle diese kranken Kranken
machen mich noch krank
Warum tun die Lahmen kriechen
warum tun die Siechen riechen
woher der Gestank nach Schwäche
Pisse
Blässe
Bettgenässe
Keine Worte
Gutturale
Blöken
Schreien
Sabber
Laber
jeden Tag den ganzen Tag
und abends mit Beleuchtung

Simon Borowiak: Wolke Sieben – auch nicht schön


Meiner Lala zu ihrer zehnten Verlobung

Hast Du gedacht,
Dein großes schönes Herz
darf schmerzlos
durch komplette Sommer schweben?
Das hat Dein Schöpfer anders konstruiert:
Bei Dir sollꞌs krachen, barmen, zwicken –
was glaubst denn Du, wie Götter ticken?
Dass alles stehnbleibt, wenn es schön ist?
Das hat man selten.
Vielmehr: Nie.

Du fällst aber auch ständig rein!
Es ist doch wirklich kaum zu fassen,
wieviel Deppen in die Schöpfung passen!
Da dreht das Hohelied am Rad!
Was hauen die da alles raus:

Bin Gitarrist und Dichter gar!
Bin Stehgeiger!
Bin Banjozupfer!
Bin Songwriter und auch Skulpteur!
Bin hochsensibler Farbentupfer!
Bin Clown, Poet und auch Jongleur!
Vom Himmel hol ich Dir die Sterne!
Aus Baccara nimm diese Rosen!

Honey, Schatz, ich will dich freien!
Dir will ich mein Leben weihen!
(Kannst Du mir nen Zehner leihen?)
Könnte ich Dich je betrügen?
Können diese Hoden lügen?

Mein großes, schönes Lalaherz:
Ist wieder mal Verlobungszeit,
bring erst den Kerl bei mir vorbei.
Ich werde ihn dann überprüfen
auf Herz, Charakter und Schatulle.
Und unverbindlich und neutral
ein Gutachten erstellen.
Und diesem solltest Du Dich fügen!
Denn:
Können diese
eifersüchtig flackerndꞌ
Augen lügen?