Einst schrieb er mir, er würde im Nebel tappen. Um 23:00. Ich hatte mir keine Sorgen um ihn gemacht. Ich war mir sicher, er sorgte schon irgendwie für sich und würde bereits „studieren“. Klar, kam mir früh vor aber ich glaubte ihm.
So wie er auftauchte verschwand er wieder. Und ich fand mich nun im Nebel. In einem diesigen Gemisch, in dem ich meine Hand nicht vor Augen sehen konnte.
Einst schrieb er mir, er sei „blind“.
Ich aber hatte seinen Blick stets als ruhig und geordnet empfunden.
Ich habe die Sache gedreht, gewendet, gedanklich in jede mir auch nur erdenkbar Mögliche Richtung durchgedacht. Einmal, da gab ich das Zeugnis seines jugendlichen Willens aus der Hand.
Und daraufhin wurde es ganz, ganz schwarz um mich herum. Und ich fand mich nun ohne Augenlicht.
Das (klare und deutliche) Sehen ist heutzutage mein schwächster Sinn.
Sammeln wir also Synonyme für eine Richtung, einen Weg, Ausweg oder auch lediglich eine Orientierung.
Es ist das „sich anlehnen [an]“ Und das macht man Nebeneinander. Nicht Über – oder Untereinander.
Das Fräulein Mandala und Herr Reinhardt sitzen im Cafe`mit Blick auf den Hauptbahnhof.
Turbulentes Treiben am Bahnhofsplatz. Menschenmassen durchqueren die lange Halle auf dem Weg zu den schnaubenden Zügen und Grüppchen von Pfandsammlern schleichen um die Mülleimer, aus denen leere Gebäcktüten quillen. Manche von Ihnen haben Taschenlampen dabei und Baumwollhandschuhe an, wenn Sie nach Dosen oder Flaschen suchen. Sicher landet die ein oder andere Bierflasche in den Tonnen doch ist der Andrang schlicht zu groß um am großen Bahnhof noch richtig Geld zu machen.
Geht der Eine kommt der Andere ein – normaler Passant kann die Uhr danach stellen.
Herr Reinhardt und das Fräulein Mandala sitzen in ihrem Lieblingscafe` am hinteren Rande der Wartehalle auf einer Empore mit Blick auf die ankommenden und abfahrenden Züge.
Vor Ihnen zwei Gläser Pastis und ein Aschenbecher auf der Mitte des Tisches der mit einem Tischtuch aus rot-weißen Karos bedeckt ist und auf dessen Mitte eine beige Kerze steht.
Das Wachs der Kerze ist an einigen Stellen auf das Tischtuch getropft und Herr Reinhardt zündet sich eine Zigarre an, bevor er einen kleinen Schluck der milchigen Flüssigkeit seine Kehle hinabstürzen lässt.
Er nimmt die Tageszeitung in die Hände und zitiert während er immer wieder auf die Reaktionen des Fräuleins achtet:
„Immer mehr Menschen treten aus der katholischen Kirche aus. Im letzten Jahr sind so viele Menschen ausgetreten wie noch nie zuvor. Die Deutsche Bischofs-Konferenz sagt: Es sind rund 523.000 Menschen ausgetreten, im Jahr 2021 waren es rund 359.000.
Mein wertes Fräulein hätten Sie`s gedacht?“
„Das sind viele Leute.“ Setzt das Fräulein an und fährt fort: „Ein Austritt gilt als Kündigung der Mindestloyalität. Andererseits muss man keine Kirchensteuer mehr zahlen ist man aus der Kirche ausgetreten. Wie verhält es sich bei den Evangelen?“
Herr Reinhardt blickt eine halbe Minute in die Zeitung, dann seufzt er und sagt:
„Auch viele.
Mindestloyalität was soll das schon anderes sein als das Geld, welches man an die Kirche bezahlt?
Kirchenrechtler sprechen davon, dass Deutschland sich stark verändern wird, dass beispielsweise kirchlich geführte Kindergärten verschwinden werden.
Was meinen Sie? Was sind die Gründe für die Austritte von über einer halben Millionen Menschen?“
Das Fräulein zuckt mit den Schultern.
Dann nippt es ebenfalls am Pastis und antwortet:
„Ich war nie gläubig. Religion erschien mir immer als überdimensionales Angstgebäude, dass beispielsweise einem in mittelelterlichen Verhältnissen lebenden Bauern die Missernte erklärte. Im Rahmen der Religion und im Namen Gottes geschieht so viel Leid, nein das war nie was für mich. Und erst der Umgang mit Schutzbefohlenen. Ich denke die Missbrauchsskandale und die Tatsache, dass die modernen Gesellschaften von moderner Technologie nur so strotzen widersprechen den Gläubigen an den alten Strukturen festzuhalten. In Zeiten der Inflation will man sein Geld zusammenhalten und keinen Verbrechern zuschustern.“
„Ich war auch nie sonderlich gläubig.“
Erwidert Herr Reinhardt und fährt fort:
„Moralisches und Ethisches Engagement wie beispielsweise das Kirchenasyl, -war nie anerkanntes gesetzliches Mittel. Es gab den Geflüchteten nur ab und an mehr Zeit um alle Mittel auszuschöpfen doch noch in Deutschland bleiben zu können und nicht in unzumutbare Zustände zurück abgeschoben zu werden. Ich las jüngst in einer anderen Zeitung, dass diese Hintertür der Menschlichkeit nun auch geschlossen werden soll ganz heimlich, still und leise. Fräulein glauben Sie denn an einen Gott unabhängig von kirchlicher Tradition?“
„Aber Herr Reinhardt was soll dieser Unfug?“
erwidert das Fräulein Mandala und schnaubt.
„Ich möchte wissen wovon ich spreche und mag wissen woher all das Elend rührt!
Glauben Sie denn noch oder denken Sie schon?“
Herr Reinhardt lacht.
„Ach, wertes Fräulein Mandala ich glaube an Menschen. Es waren immer ganz irdische Gestalten auf diesen Erden die mir halfen war ich in Not oder brauchte Beistand. Manchmal aber wenn ich den Sternenhimmel weit weg von der Lichtverschmutzung der Stadt erblicke dann überwältigt mich dies so dermaßen, dass ich meine mit dem All zu verschmelzen so schön ist das. “
Ich glaube nicht an Monster. Als Teenager war ich selbst eines.
Ich fürchte mich nicht vor Dämonen Doch manchmal lähmen mich meine eigenen.
Ich fürchte mich nicht in der Dunkelheit. Doch manchmal Betrete ich die leere Wohnung alleine und spät Kuck ich schnell unters Bett und in alle Räume Bevor ich mich hinlege.
Ich fürchte mich nicht vor Drachen Doch geh ich alleine auf dunklen Straßen Blick ich mich um.
Die Zeit verfliegt Heute werden die Kinder meiner Freunde schon langsam zu kleinen Monstern.
Könnt ich doch nur die Zeit zurückdrehen Dann ward ich selbst auch noch einmal zu einem
Würd aber schon vieles anders machen. Mich anders verhalten.
Das größte Monster unserer Zeit ist die Vergänglichkeit – man sieht die Menschen um sich herum älter werden. Diejenigen, die für einen einst immer stark fangen an schwach zu werden. Um sich selbst sorgt man sich noch am wenigsten Denn man hat ja Zeit. Es wird nie genug Zeit geben mit denen deren Zeit schwindet. Menschliche Beziehungen sind Erstmal Etwas Unendliches. Der menschliche Geist ist nicht auf Abschied programmiert. Noch nicht. Und in manchen ganz innigen Fällen Nie. Die Zeit heilt keine Wunden. Gesichter verschwimmen Gerüche verblassen. Die Wunden sie heilen nicht. Wie kann ein Universum sterben Und eine Welt bleibt. Das Monster Zeit. Es ist das Unvorstellbare Und doch ist es nahe.
Am Wasser fühl ich mich wohl und frei und geborgen. An Seen und Flüssen will ich sein. Dort fühl ich mich wohl und sorgenfrei.
Naja was heißt schon ganz ohne Sorgen?!
An Brunnen bleib ich gerne stehen und betrachte die schimmernden Cent Stücke, welche Passanten in Hoffnung auf das große Glück im Wasser versenkten.
Ich mag es, wenn Wasserfälle platschen – in Matschpfützen und Regenwasser mit meinen Gummischuhen auf dem Weg zum Briefkasten patschen
Auch Tiere und Pflanzen am Wasser liebe ich sehr Trauerweiden sind meine Lieblingsbäume sie streicheln mich mit ihren Ästen behutsam Sitze ich an ihren Füßen und hab es gerade ganz unfassbar schwer.
Frösche quaken und Mücken schwirren Wie kann man sich in solch einer Umgebung schon richtig irren? Das Wasser ist klar Gedanken sind es auch
Ebenso wird die Welt unter Wasser ganz anders wahr: Sirenen und Piraten Fische bunt – groß – die sonderbarsten und schönsten verschiedenen Arten!
Doch quälen mich Monster und gar Dämonen Will es erzählen und Niemand verschonen. Erblick ich einen Abgrund er zieht mich an Seh ich tiefes Wasser will ich reinspringen obwohl ich doch gar nicht gut schwimmen kann.
Will oft in meinem schwarzen Schatten verschwimmen der sich beim Schwimmen ganz unter mir auftut
Es gibt Piranhas in Seen also seid auf der Hut.
Das Monster bin ich und ja das ist ganz klar Der Froschkönig spielt unten am Seegrund die Mundharmonika Aus Langeweile und Trott spielt er immer das selbe traurige Lied
Die Muscheln sie speien Perlen und singen dazu folgendes Lied:
„All of your demons will wither away Ecstasy comes and they cannot stay You′ll understand when you come my way Coz all of my demons have withered away
All of your demons will wither away Ecstasy comes and they cannot stay You’ll understand when you come my way Coz all of my demons have withered away All of my demons have withered away“
Hier ist keine Liebe – die Leichname der Engel tanzen auf den schwarzen Wolken der Erinnerung. Sie rauchen Zigarre und wähnen sich ihren Männern nahe – gefallene Tote auf den Hügeln des Krieges der Welt.
Schwarzer Dunst über den Schreien der Sehnsucht – Kälte in den Federbetten der Knaben und quälende Angst in den Fratzen der Mädchen. Am Horizont der Traurigkeit Blicke des Todes – Raben verschwimmen im Dunkel der Nacht und legen ein Goldstück auf die Schiene der Vergänglichkeit.
Sie laben sich an einem faulen Apfel und erheben sich elegant in den Himmel der Brüder und verlorenen Väter. Und Schwestern singen die Lieder der Liebe und fallen zu Boden der Leidenschaft in Umarmung mit Freunden und Seelen der auf Erden verweilenden Geister. Frost in der Höhle der Schlange – unerträgliche Hitze in den Bergen der Diamantengräbern.
Stille bei den Liebenden. Sich Küssend und Wiegenden.
Stolze Frauen schreiten den Abgrund hinab – passen die Lanzen der Ungerechtigkeit ab und verschmelzen in ihrem hitzigen Traum mit dem in der blutbefleckten Abendsonne silbern-schimmerndem Meeresschaum. Sich bekämpfende Völker erstarren vor der Schönheit der Jungfräulichkeit – legen die Waffen nieder und verfallen in besoffene gemeinsame Heiterkeit.
Stolz, Vorurteil und Eitelkeit ertrinken im Rausche der sanft auf dem Boden der Geschichte abgelegten Feigheit – Einigkeit über das Leben – nach Neuem streben.
Mehr brauch ich nicht. Will ich nicht. Mag ich nicht.
Bist Du bei mir. Und siehst mich so seltsam an, dass ich es nicht erklären kann! Erinnerst Du Dich noch? Das Blatt Papier ist nicht mehr weiß –
Es strahlt und schimmert in den schönsten Farben. Rosa, Gold – Azurblau und ein bisschen schwarz mit sattem Gelb. Ich mach es gerne. Deine Augen und schöne Musik berühren mich dabei zärtlich aus der Ferne. Dunkle, blaue Tinte verschwimmt dabei langsam auf einem nassen Fleck.
Du bist schon lange nicht mehr da, bist nicht mehr an meiner Seite.
geboren im November `85 in München – DaF Studium und Studium der Philosophie in München – arbeitet seit 2018 freiberuflich als Deutschlehrerin mit Personen mit Fluchthintergrund – hat den Traum ein Kinderbuch zu veröffentlichen und zu illustrieren – veröffentlicht unregelmäßig journalistische Texte
Lange Zeit wusste er nie genau wann er geboren worden war. Seine Papiere hatte er bekommen als er beinahe schon erwachsen gewesen war und in Gambia wurde man früher erwachsen als in den europäischen Ländern.
Wenn er sein Passbild auf dem Ausweis im Tageslicht schwenkte, dann schillerte das Hologramm in den schönsten Farben des Regenbogens.
Mamudu war 23 Jahre alt und war alleine auf das Boot gestiegen, seine Mutter hatte ihm noch viel Glück gewünscht und hatte beinahe geweint aber nur beinahe.
„Nicht!“
Er spürte eine Hand auf seinem linken Oberschenkel, hörte aber nicht auf seine Blase über den Schlauchbootrand hinweg direkt in das offene Meer hinein zu entleeren.
Sanfte Wellen mit vom Urin gelblich gefärbten Kronen aus Meeresschaum schwappten auf die am Boden kauernde jungen Männer in verblichenen Baumwoll T-Shirts in den vielfältigsten Farben und zerschlissenen Shorts.
Mamudus Sandalen hatten eine rutschige Sohle, der abgetretene Gummi rutschte nun nervös auf dem nassen Holzbrett neben dem Treibstoffkanister auf und ab, trommelte an die mit Rissen versehene Bootswand.
„Nicht!“
äffte er den Kerl nach, der noch immer seine Hand in Mamudus Richtung erhob. „Was willst du von mir?“ dachte er und blickte auf die Salzflecken auf seinen Shorts. Weiße Ringe die langsam in der gellenden Sonne zu Pulver vertrocknen. Ein ungenießbares Kokain aus den Tiefen der Meere.
Er hatte vier jüngere Geschwister davon eine Schwester. Es gab ungefähr dreihundert Meter von der Flüchtlingseinrichtung einen Spätkauf für Tabakwaren und Kaltgetränke. Spätkauf bedeutet auch Öffnungszeiten bis in den Abend hinein. Vor dem Eingang standen zwei Bänke und ein kaputter Sessel. Die LED-Lichterkette wechselte blinkend die Farben des Regenbogens und das Radio im Hintergrund verströmte poppige Rocksongs, Verkehrsmeldungen und Hits der jeweiligen Festivalsaison. Jedoch war die Musik immer leise, Nachbarn hatten sich zwei Mal beim Ordnungsamt beschwert. Die Anwohner hatten sich auch schon beschwert als entschieden worden war dass die alte Bürosiedlung hinter dem Schwimmbad zu einer Unterkunft für Personen mit Fluchthintergrund aus allen Herren Länder werden sollte. Das wussten die Neuankömmlinge meistens nicht da sie die Schrift auf den Schildern der Demonstranten nicht entziffern konnten. Außerdem hatte der Demonstrationszug seinen Auftritt in Regionalzeitung und Lokalradio bevor die ersten Familien vom Düsseldorfer Hauptbahnhof im Camp nach einem zusätzlichen besonders für die Kinder beschwerlichen Fußmarsch von der Bushaltestelle angekommen waren. Angekommen. Willkommen. Jedenfalls von der Bürgerinitiative für mehr Vielfalt in der das Ehepaar Kraus sogar einen Deutsch Konversationskurs mit Kinderbetreuung anbietet. Im kleinen Saal des Braukellers an jedem dritten Donnerstag im Monat. Die Kleinstadt hatte ihre eigene kleine Bierproduktion. Bei den Veranstaltungen mit den ehrenamtlichen Flüchtlingshelfern gab es nur Apfelsaftschorle und Kräutertee. Mamudu hatte allerdings den Deutschlehrer bereits in der örtlichen Kneipe Bier trinken gesehen. Seine Frau hatte eine Karaffe mit rotem Wein vor sich stehen gehabt. In Düsseldorf hatte er auch Jugendliche mit alkoholischen Getränken am Bahnhof gesehen. Mamudu selbst hatte das erste Mal getrunken als er längst erwachsen gewesen war nämlich mit 19 Jahren auf einer großen Feier seines Onkels. Es gab ein paar Flaschen Bier und Whisky mit Eiswürfeln und Coca Cola. Der Whisky brannte die Kehlen der jungen Männer um ihn herab wie die tiefroten Chilischoten im Garten seiner alten Tante. Die Flüssigkeit glänzte bernsteinfarben in der Flasche mit dem goldenen Etikett. Urin wurde auch dunkler je länger er im Körper verweilte. Nach drei Tagen schimmerte die Pisse bernsteinfarben in den Sprite Flaschen der Bootsflüchtlinge und schmeckte salzig, aber gerade noch nicht so salzig wie das klare Meerwasser welches bedrohlich mehrere Zentimeter hoch im Boot stand. Und gerade noch nicht so salzig wie der Schweiß auf den Stirnen der Elendsgestalten auf offener See.
Wenn Mamudu die Augen schloss in der brütenden Hitze dann schimmerte das Wasser neben dem Treibstoffkanister wie ein Regenbogen am Horizont nach der Regenzeit. Regen. Wie süß kann dieser eigentlich schmecken sieht man sich umgeben in einem Grab aus Salzwasser wie es nur der Hälfte der Fische eine Heimat bietet. Er hatte in der Heimat das Schwimmen nie richtig gelernt da der Ozean als gefährlich und unberechenbar galt. Nur erfahrene Fischer machten sich regelmäßig vor Sonnenaufgang auf in das schwarze Meer ohne Boden hinauszufahren und die Kinder jubelten jeden Mittag bei deren Rückkehr mit halbgefüllten mehrfach geflickten Netzen aus Nylonfaser.
Wahrscheinlich konnten die anderen Bootsinsassen genau so wenig Schwimmen wie Mamudu der ohne Gepäck eingestiegen war. Der Durst nach Salzwasser war so groß. Dieser Durst war eine Folter unter dem Sternenhimmel ohne Ränder und Ende. Nur wenige Tropfen Süßwasser sammelten sich jeden frühen Morgen auf der Reling des bunten Bootes. Gerade so viel um seine salzigen und trockenen Lippen zu benetzen und für einen Moment zu vergessen, dass dies weiße Kristall den Kampf gegen die nach Erfrischung flehenden Adern längst gewonnen hatte.
In Deutschland tranken die Kinder. Er hatte sie gesehen. Sie tranken Limonade mit Alkohol, der einem in den Kopf stieg. Einmal war ihm schlecht geworden. Vom Bier.
Auf dem Boot war ihm auch schlecht gewesen. Die Leute übergaben sich auf das raue Meer. Der Geschmack von Magensaft begleitete ihn auf dem Weg über das Mittelmeer, auf dem Weg über dieses unendlich tiefe und weite Massengrab.
Einmal hatte er Weißwein probiert, dessen Säure ihn sofort an diesen Geschmack erinnerte, der nicht besser wurde trocknete einem langsam der Mund aus vor Durst.
Er ekelte ihn. Rotwein ging besser. Es gab ihn süß in großen Literflaschen neben den Monatsangeboten. Wenn er sich mit Freunden auf einer Parkbank traf nahm Mamudu eigentlich immer zwei Flaschen Wein oder ein paar Bierdosen mit. Er mochte das Gefühl nach den ersten beiden Dosen, oder der ersten halben Flasche Wein wenn alles ein wenig lustiger wurde. Die Gespräche mit den Bekannten wurden laut und komisch, wenn man ein wenig einen sitzen hatte und am wichtigsten war, dass man nicht mehr an die Mutter und Geschwister in der Ferne dachte. Schmecken aber tat er ihm nicht, der Alkohol. In eigentlich keiner Form. Der Spätkauf hatte auch bunte Gummischlangen und Brausekugeln, Kaugummis und Lakritzstangen vor den Tabakwaren und den Getränken und manchmal zögerte Mamudu beim Kauf einer dritten Flasche Wein und war stark versucht eben solch Süßigkeiten zu kaufen statt der grünen Glasflasche. Schokolade war auch fein. Der Alkohol aber brannte, schmeckte nach Magensäure oder war so süß, dass man ihn in winzigen Schlucken trinken musste wollte man nicht heimlich würgen.
Es kostete Überwindung alkoholische Getränke zu sich zu nehmen. Willenskraft. Es war ein Kampf gegen seine eigenen Geschmacksnerven aber diese gewisse Leichtigkeit, welche sich nach den ersten kühlen Schlucken einstellte überwog an Wichtigkeit und Dringlichkeit.
Auch wenn man fast am Verdursten ist muss man langsam trinken.
In winzigen Schlucken kriecht der giftige Regenbogen in deinen Schlund wenn du neben dem gekenterten Boot aus bunten Leitplanken schwimmst. Es ist ein stiller Tod man wird erst ohnmächtig und entgleitet dann langsam und lautlos in die Tiefen des Meeres.
Nur in den Matrosenfilmen aus den 1950er Jahren wird ein solcher Tod majestätisch von kreisenden Möwen begleitet, in Wahrheit sinkt man auf den Grund ohne dass es jemand mitbekommen würde. Die zivile Seenotrettung berichtete dann über solche Todesfälle, aber den Rest der Welt interessierten die Leichen auf dem Grund des Mittelmeeres nicht.
Mamudu war nicht gekentert. Er hatte es geschafft.
Manchmal, wenn er spät am Abend heim kam dann wankte er wie ein Seekranker auf rutschigem Deck. Er war aber noch nie gestürzt.
Eines Abends saß er in einer der wenigen tropischen Nächte alleine auf der Parkbank und trank eine Flasche Rotwein, da schimmerte der Wein in der Abendsonne tiefrot wie Blut. In seiner Heimat alleine war die Sonne so tiefrot am Horizont zu sehen und zwar in den langen und heißen Sommermonaten. Er trank und trank und während er trank schloss er die Augen wie so oft und sah sich in den Armen seiner guten Mutter. Er hatte es geschafft. Und er wollte es schaffen. Er hatte kein Geld. Für den Alkohol reichte es.
Rausch nach Leben. Leben für ein bisschen Rausch.
Und als er so dasaß und in den Himmel blickte verspürte er einen unbändigen Durst nach Salzwasser. Er fühlte sich auf einmal einsam und verlassen, spürte seine müden Knochen und den verspannten Rücken, die Müdigkeit hatte sich angesammelt in den letzten Wochen der Schlaflosigkeit. Deutschland war ein kaltes Land. Viele lange Monate war es bitterkalt und dunkel. Auch die Menschen begegneten ihm eher kalt. Er hatte nur wenige Leidensgenossen kennengelernt, mit welchen er die Freizeit verbrachte. Die Freizeit überwiegte, er hatte ja noch keine Arbeit und wenn er durch die Kleinstadt mit dem Fahrrad fuhr begleiteten ihn neugierige, aber nicht besonders freundliche Blicke.
Das nächste Mal wollte er sich eine bunte Brausekugel kaufen und sie langsam im Mund zergehen lassen. Und es fing an zu regnen und als der Schauer vorüber war ging Mamudu unter einem Regenbogen, der schimmerte wie ein Ölfilm auf Salzwasser unter der brennenden afrikanischen Sonne.