Schlagwort: harald kappel
Harald Kappel – Malenmalen
abends am Brunnen
male ich ausgestorbene Vögel
obwohl ichs nicht kann
einen barocken Faun
ja
aber Blaumeisen
ha
sie fliegen in mein offenes Fenster
sie sind mir zu nah
malen kann ich nur
das Ferne
unter den Lichtern
Menschen
sie kann ich ich nicht malen
vielleicht
dich
mein Kloake singt dazu
reines Wunschdenken
horche der Elster
sie streift mit ihrem Schatten
durch den Garten
hellhörig
male ich den heiseren Klang
bist du es?
oder ist es doch nur
das Ferne
unter den Lichtern
das ich malen kann?
Harald Kappel – Am Gatter
durstig
unten am Tor
bin ich das Gatter
für die Sehnsucht
du
oben im Garten
wartest
schweigsam im Schnee
auf den falschen Freund
die Schrift deiner Augen
wird übermalt
von tropfendem Licht
auf den Porzellanflügeln
strahlt Perlmutt im Gegenwind
die Tragödie deiner Augen
dehnt die Zeit der Andacht
das Lügengebäude
im Schatten
atmet nicht mehr
ich übermale die Federn
mit Fehlfarben
du
oben im Garten
wartest
schweigsam im Schnee
auf das letzte Wort
von mir
das niemand kennt
und niemals fällt
Harald Kappel: BlauWeißNahsehen
irgendwo am Meer
wo’s warm ist
Bewegungen der Körper
Lampe aus
Lampe an
zwei Farben begegnen sich
blaue Tablette im Magen flau
weiße im Glas
zusammengefügtes Warten
auf nassem Laken
im Zimmer
ein stummer Fernseher
die Wände voller geheimer Gedanken
draußen die Volksmenge
tobt
ein strömendes Grau
in Erwartung des Augenblicks
im Zimmer
Schneefall in der Wüste
draußen lärmende Mehrheiten
Bewegungen des Hauptstroms
im Zimmer
ein stummer Schrei
Harald Kappel: SchwarzWeißFernsehen
inmitten der Arbeit der Nacht
bade ich im Schwarzen Gold
die rauchigen Schlote
werfen Ungemach auf Unterwäsche und Laken
dunkle Schwerkraft
durchdringt unsere private Stille
das Dich und Mich
Käfer fallen im Novemberdunst
in die Kälte des nebligen Wassers
das letzte Grubenpferd lahmt
auf dem Heimweg
die Augen gewöhnen sich
an seine Langeweile
mein Fernseher schreit
in den meisten Ohren wächst wildes Grün
ich will es nicht hören
verdammter Mond
halbfertige Novembernacht
in den Kanälen rauschen Worte
erwartet
und blöd
ein dünner Draht
verbindet die Unterwelt
mit der katholischen Messe
in eigenen Binnenmeer
sprechen Fische
unerwartet
der Neubau der Sprache
hellt die seltsame Befindlichkeit auf
und ich sehe
in der Arbeit der Nacht
ungestrichene Sinnlosigkeit
nur
wer hilft dem Grubenpferd
auf dem Heimweg
zu sich selbst?
Du?
Ich?
nicht
Harald Kappel: eigenartiges Radio
ich bin ein kreiselndes Geschöpf
am Toten Punkt
jenseits der Jetztzeit
die Uhren beben
und laufen ab
nur für mich
das Transistorradio verkündet
meinen Einschlag auf den Mond
und im Dorf
haben sie es ja schon immer gewußt
Massen versammeln sich am Horizont
meine verklebten Augen
sehen den Würgereiz ihrer Gesichter
im Stall stopfen sie mir trockenes Heu
ins freche Maul
reglos ertrag ich die Fütterung
nach Vorschrift des Führers
im Graben
ist die Strömung zum Erliegen gekommen
und das Denken
dort liegt die Freiheit im nassen Sarg
ich falle quer hinein
dieser Bruch wird nicht verheilen
ein scharfer Schatten
seziert meinen falschen Mut
das Transsistorradio verkündet
meine Läuterung
Harald Kappel: ihr Ratten
ich habe mein Bett
unter euer Fenster gerückt
gleich morgen
werde ich etwas aus dem Leben machen
mein Wein wird sauer
wann er will
Ratten können gehen
wohin auch immer
nur ich
ich
ich bin gefangen
Durst ist mein Käfig
ich kämpfe hart
habe keine Furcht
nur
vor der Freiheit
aber ich werde
euch Allen verzeihen
euch Alle bezahlen
euch Alle lieben
ihr Ratten
ich werde etwas aus dem Leben machen
ich habe mein Bett
unter eure Freiheit gerückt gleich morgen
Harald Kappel: die Motte
im silbergrauen Regen
aus dem dunklen Moor
unter den niedrigen Kiefern
schlüpfe ich aus der alten Haut
hinterlasse milchweiße Fetzen
krieche rücklings
aber voller Hoffnung
über Wurzeln und Steine
erscheine eigenartig schön
in fremden Augen
in deinen Augen
bleibe ich
eine heuchelnde Made
ohne Einsehen
so altere ich schnell
unter der grünen Lampe des Waldes
wohne im Bootssteg
tief im Eisenholz
blinzele gelegentlich
in die träge Sonne
nage Bitternis in den Magen
schmecke
rieselnde Verzweiflung
und doch glitzerst du
unsterblich
ich
werde niemals fliegen
im silbergrauen Regen
Harald Kappel: ans Fenster treten
Ans Fenster treten
das Leben steht still
Vögel fliegen nicht mehr
Seelen schaben die Landschaft
unsere Zeit sinkt in verschimmeltes Brot
Bäume wandern umher
endlich
die Farben brennen
was bleibt ist Asche
tote Halme unter Planen
ans Fenster treten
das Leben
ich sehe nicht
das Leben
vergessene Spuren
das Leben leben
womit denn
wenn nichts fliegt
wenn Klänge im Vacuum versiegen
womit denn
fühlen
wenn man Hände
im kalten Meer
Gebeine nennt
ans Fenster treten
tun
was zu tun ist
Harald Kappel: Lügenregen
in der alten Fabrik
strömt saure Gegenwart
aus den Oberlichtern
regnen langsam Lügen
die Anzahl der Legenden
kreuzt das Imperfekt
mit der Zeit
Kapitel des Schreckens
überdauern
die Dummheit der Prokuristen
Gerechtigkeit
verflüssigt alle Spiegel
offene Fragen
erhitzen die Zungen
schwüle Raumluft
strömt aus Oberlichtern
am Himmel
in der sauren Fabrik