Harald Kappel: uncharmant

lässig
spiegeln sich
trotz sternklarer Nacht
die Gletscher
auf den Betonsockeln
mit minimaler Leuchtdichte
knülle
sind die Lebern
wegen Pfortaderhochdrucks
in den Schlachthäusern
zur Unkenntlichkeit deformiert
konkret
sind in den Schulen
die Vorhänge
nach der Lidstraffung
als Wimpern getarnt
kokett
liegen die Apps
auf meinem Phone
unantastbar
in goldenen Vitrinen
verfettet
kämpfen Models
mit Schürzen
und Spiegeln
charmant
sind Worte wie diese

nicht

Harald Kappel: Letzte Sommertage

Im Keller der letzten Sommertage
warten vergorene Getränke
rauhe Winde quälen auf dem Acker
scheues Grün
lieblich und frisch
währt nur die Herrlichkeit der Fantasie
schwache Riesen fallen aufrecht
in Sickergruben
man hört es modern
und ist interessiert
im Jakobsmuschelmoor wabern
diesige Räume
ein Blutkuchen liegt unter hellen Birkenlaub
zerregnete Schmetterlinge
kommen aus der Traufe
in die Einsamkeit
ein leises Lachen
stört den Wald beim Wachsen
und blaue Luft
streicht dogmatisch
über einen starrköpfigen Zaun
im Keller der letzten Sommertage
freut sich der Herbst auf den ersten Schluck

Harald Kappel: 11mal11

vermischt
werden Wochen
zwischen kalten Nerven
eine stumpfsinnige Sprachlosigkeit mästen
sich an die Worte heranmachen
sie unvermittelt auf nasses Papier klopfen
damit es so ganz einfach nicht wird
unterwegs ein kopfloses Dasein zum bloßen Schein führen
eine alte Schreibmaschine mit jungen Haselnüssen und Jakobsmuscheln verzieren
wer entspricht schon der verlangten Anstrengung in der reichen Bedürfnislosigkeit
dösen

ohne Worte den Hof kehren
verlangt zufriedene Tüchtigkeit im Kleinen
sparen an der Denkfähigkeit
erhöht die physikalische Rente
trinken und spielen
ist gleichzeitig möglich
und ein natürlicher Wunsch der Umstände
schwüle Sommer
ohne Klimaschutz
begünstigen die Mattigkeit
das Innen bleibt schleierhaft

für die Frauen ein Witz
ist Hantieren in der Küche
gleichzeitig möglich
mit Überhörtwerden
Besenreisern Überbeinen und Schlafmangel
auf dem Land
gewöhnt man sich
an häusliche Funktion
der Schminktisch
steht im Vorratsraum
wird nur zum Kirchgang benutzt

drinnen ist Nebel am Herd
Zeichen der Äußerlichkeit
Wassertropfen hängen an Wäscheleinen
Tangas werden gestohlen
fremde Lebensformen des Ichs
existieren in der Dystopie
Kleinhalten ist wertvoll
ohne Vergleichsmöglichkeit
keine Bedürfnisse
Brauchtum und Tod
haben eine seltsame Ähnlichkeit

wo sind FlipFlops
Limonade und Leidenschaft
Heimweh nach Ferne
das Licht?
ordnet die Nachtstunden
das Unbegreifliche ein Ritual
Liebe
existiert handschriftlich
auf Rückseiten von Polaroids
das Tagebuch
Quersumme der Tagesschau

das
können
wir doch besser
die schlimmen Momente fehlen
die scharfe Unordnung ist nicht ansprechbar
der handzahme Körper ein schmerzloses Zeitvergehen
und doch erzähle ich sinnlos
am liebsten sofort abgelenkt
vom unhöflichen Zugehen
na hoffentlich
kurz

in dieser Zeit
half ich mir
aus dem Herausgehen
ich formulierte Berichte
über Traurigkeit
für das Radio
Prospekte aus Vergangenheit
sind Backpapier
für künftige Empfindungen
je mehr man fingiert
je fester wird der Glaube

nach den Kinderkrankheiten
unterschrieb ich das Darlehen
die Hypothek ist mein Ernstfall
meine Kinder liegen im Schatten
schweigen und atmen
lernen in der Schule
elementare Scham
summen Schlagertexte
werden frech
die Narben die Narben der Kinder
nach den Krankheiten

aus Hilflosigkeit
nahm ich Haltung an
keine Lust auf Abenteuer
das schwere Herz
ein Klumpen Embolie
verstockt vor Grausen
mein Doppelgänger
erwähnt ein tröstliches Ende
aber
identische Sprachlosigkeit
löst meine Rätsel nicht

hier werde ich stolz
früher hätte ich geprotzt
in der Ecke steht man stumm
das pure Auskommen
ein Beichte der Beschränktheit
das Ich erscheint mir fremder
als ein Stück Mond
in der Nacht
werde ich entpersönlicht
die guten Sitten
werden mein Rosenkranz

indem
die Zustände von frühen Neurosen nicht in der Notwendigkeit leben
gibt es nun tabellarische Momente von äußerst angespannten Deutungen
inzwischen habe ich euch elf sinnlose Briefe eingeschrieben
es sind private Szenen aus beweglichem Besitz
vielleicht treffen wir uns im Bewußtsein
oder in Alpträumen ohne Familiengeheimnis
eingefleischt im unheimischen Zuhause
vielleicht auch nicht
werden Wochen
vermischt

Harald Kappel: Stöpsel

auf unserem Gartenteich
sind Landungsboote
die neue Wirklichkeit
gerade haben sie Kampftaucher
zu den Posthornschnecken geschickt
weil zu oft gelacht wurde
meine baumelnden Füße
stören die Spezialoperation
ohne Betäubung
werden sie am Gelenkspalt sehr sauber amputiert
meine Schreie werden im Wasser
zum musikalischen Opfer
der Froschlaich wartet auf die Oberstimmen
eine akustische Orientierungslosigkeit breitet sich aus
einige Torpedos verlieren sich im Schalllabyrinth
Materialfehler und Ermüdungsbrüche
eine Metamorphose von Eingriff zu Abort
als ich den Stöpsel ziehe
verschwindet
die neue Wirklichkeit
im Abfluss

Harald Kappel: Rücksichten

der Gaul wurde gefedert
dein Slip geteert
dein Kopf eine Bruchbude
die Kirche ein Rätsel
die Natur kauert auf dem Klo
mein Schweiss nimmt keine Rücksicht
im Pelz juckt der Arsch
der Gin ist ein Spinner
keiner redet von Geld
ich schlafe an der Wand
die Nutten warten im Mais
ich lerne Zigarren zu rollen
deine Beine sind tierisch
der Teufel ist Unfug
die Engel nerven
am Ende frage ich mich
welche Rücksicht
gerade ich
auf deine Sprache nehmen sollte

Harald Kappel: Melisma

beim Abschied
trägt dein müder Duft Federn in den Regen
sie füllen meine Tränensäcke
randvoll mit Sehnsucht
und
als das Schiff Fahrt aufnimmt
kantilliere ich leise
aus meinem Notizbuch
Psalmen und Suren
buchstabiere die Mißverständnisse
bis meine Augen heulen
verschütte unsichtbaren Nebel zwischen uns
suche in der Funkbude
ein randvolles Gefäß
voller Signale
und
während in der Kombüse
der Einheitsbrei zusammengerührt wird
morse ich kreischend laut vom Eselshaupt
labyrinthäre Verse
die keiner versteht
und
als meine Zungen
durch das Schalltrauma kollabieren
führt mich ein hübscher Lotse
zu den stummen Fischen
ihr Schweigen
trägt dein Einverständnis
beim Abschied

Harald Kappel: FluorChlorBromJod

die Dissektion der Schlagader
unterbricht den Saftstrom
des Träumenden
in monochromer Tinktur
ertrinkt das Mitgefühl
für den kahlen Schädel
stereotomisch
werden Wünsche ausgeschält
heimlich
die Meinung geglättet
die Kritik entlaubt
jaja
im Schatten droht die Apnoe
dann macht doch
was ihr wollt
die Oberfläche bleibt stumm
schamlos vermehrt sich
im Schädeltransplantat
die alte Vaccine
der Saftstrom
des Träumenden
ertrinkt
in monochromer Tinktur

Harald Kappel: Beanstandung der Szene

in meiner Nähe
lagern
im Bahnhofslicht
in der warmen Kühlbox
ungelieferte Torten
in meiner Nähe
schimmern
unter Neonröhren
in Zeitungspapier eingeschlagen
goldgelbe Makrelen
in der gekippten Stimmung
dünsten deine Nylonstrümpfe
wie geronnene Milch
ich beanstande
die kleine Szene
unbemerkt
bedaure aufrichtig
mit halblauter Rührung
deine Tränensäcke
dann
schiebe ich den Fischen
deine Traurigkeit hinter die Kiemen
esse die warmen Torten
fühle mich obenauf
reibe dein Nylon
zum vagen Funkenschlag
unbemerkt
beanstande ich
mich selbst
und warte
warte
war
w
v
,
.

Harald Kappel: Vom Abstellen des Mangels

morgens
ist das Bedürfnis am Größten
der Vortag
ist mit feuchten Erinnerungen gefüllt
der erste Schluck
nicht vor neun
ist der Schwerste
die selbstauferlegte Beschränkung
ein täglicher Erfolg
und
ein körperliches Muß
die Erleichterung
setzt augenblicklich ein
die Freude niemals
der Tag
wird
vom Abstellen des Mangels
erfüllt

Harald Kappel: Mega Hoffnung

Am großen Schwarzen Flügel
ein kranker Junge
Hörner im Gesicht
blass von Lebertran
und Ratschlägen
er hört
Trommeln schlagen
ein schwebendes Konzert
im ächzenden Dunkel
ein phonographisches Gespiel
auf der Fieberstirn
treibende Wolken
ein Schwall von Hilferufen
ein Verband am blutigen Auge
links
die Zunge balsamiert
so still seit Beginn der Zeit
rechts
ohne Blick
ein konkaves Brillenglas
ein sonderbares Instrument
es schallt Schritte
ein Mann
oder
eine Frau
weiden sich aus
entsetzlicher Applaus brandet
die Trommeln sabbern
der Junge spielt blind
den Schwarzen Flügel
mitten im Stück
entzündet die Haut
sie juckt und nässt
das Elfenbein zerblutet
aber der Junge spielt blind
eine epileptische Melodie
schön
das muss man ihm lassen
sehr schön
und hofft
auf einen Traum