Andreas Lugauer: Nahteufelerfahrung

Für Eilige wird es am Ende dieses etwas längeren Textes eine Zusammenfassung geben.

In der Nürnberger Innenstadt gibt es ein kleines Café namens Treppenhauslounge. Es wird betrieben vom CVJM. Das ist der Christliche Verein Junger Menschen, der deutsche Ableger der – wir kennen sie von den Village People: YMCA, der Young Men’s Christian Association. Die Belegschaft der Treppenhauslounge wechselt häufig, immer aber besteht sie aus jugendlichen und jungerwachsenen Christ*innen von überall auf der Welt, die in ihrem jeweiligen Herkunftsland Mitglied des dortigen YMCA-Ablegers sind. Gelegentlich bin ich vormittags Gast in diesem Café, um vor der Schreib- und Lektürearbeit in einer nahegelegenen Bibliothek ein Frühstück einzunehmen. Es ist ein irgendwie subventioniertes Café und kann deswegen mit marktunüblich günstigen Preisen aufwarten. Das weiß aber kaum jemand, weswegen es dort meist angenehm oder vielmehr unangenehm leer ist.

Folgende Beobachtung mache ich bei diesen Besuchen immer wieder: Oft, wenn ich die Treppenhauslounge am Kornmarkt betrete und, noch bevor ich mir einen Tisch ausgucke und belege, am Tresen meine Bestellung aufgebe, machen die Mitarbeiter*innen so einen seltsamen Eindruck. So, als würde ihnen plötzlich eiskalt ums Heil, als umklammerten sie bei meinem Eintreten geschwind einen Rosenkranz in ihrer Hosentasche so fest, daß die Fingerknöchel weiß hervortreten, ja, als zögen sie augenblicklich einen Bußgürtel fester, auf daß er seine Stacheln noch tiefer ins Oberschenkelfleisch treibe.

Sie verhärten, verhornen dann in spürbar, dennoch verhalten bannendem Ausdruck, als fürchteten sie in meiner Gegenwart die Anwesenheit des Leibhaftigen. Sie scheinen, als glaubten sie ihn fast zu spüren, den großen Verwandler, den Verführer, das Große Thier, das alle ins Dunkel zu locken trachtet – zu spüren als eisigen Hauch, der ihnen vom Nacken aus beckenwärts schießt.

Während sie den Kaffee zubereiten, das Gebäck auf den Teller heben und dann kassieren, scheinen sie, als sagten sie innerlich hastig Ave-Marias auf, und zwar auf Latein. 

Ave Maria, gratia plena,
Dominus tecum.
Benedicta tu in mulieribus,
et benedictus fructus ventris tui, Iesus.
Sancta Maria, Mater Dei,
ora pro nobis peccatoribus
nunc et in hora mortis nostrae. Amen.

Angekommen beim Amen: wiederbegonnen beim Ave, und so in einem fort. 

Ave Maria, gratia plena,
Dominus tecum.
Benedicta tu in mulieribus,
et benedictus fructus ventris tui, Iesus.
Sancta Maria, Mater Dei,
ora pro nobis peccatoribus
nunc et in hora mortis nostrae. Amen.

Ave Maria, gratia plena,
Dominus tecum.
Benedicta tu in mulieribus,
et benedictus fructus ventris tui, Iesus.
Sancta Maria, Mater Dei,
ora pro nobis peccatoribus
nunc et in hora mortis nostrae. Amen.

Ave Maria, gratia plena,
Dominus tecum.
Benedicta tu in mulieribus,
et benedictus fructus ventris tui, Iesus.
Sancta Maria, Mater Dei,
ora pro nobis peccatoribus
nunc et in hora mortis nostrae. Amen.

Ave Maria, gratia plena,
Dominus tecum – und so weiter.

Äußerlich ist ihnen das fast nicht anzumerken, aber ihre Augen wandern kaum merklich unruhig hin und her, so als läsen sie die Zeilen des Gebets vom Blatt.

Verlasse ich das Café wieder, ohne daß jemand hinabgerissen wurde ins Fegefeuer, wirken sie sogleich erleichtert. Die Erleichterung entspringt dem Glauben, erfolgreich einer Prüfung widerstanden zu haben. Der mit meinem Eintreten heraufgezogene Schatten verschwindet, die plötzlich die Sonne verdunkelnden Unwetterwolken lichten sich, das Licht des Herrn bricht wieder in den Laden. 

Die Nahteufelerfahrung ist überstanden. 
Und die verstummten Vögel singen wieder ihr fröhlich Lied.

Hier gibt’s jetzt überhaupt keine Zusammenfassung. Das wäre ja, als schöbe man einen ganzen Leberkäse in den Backofen, büke ihn, schnitte ihn in Scheiben, äße dann aber nur die beiden Endstücke und würfe den Rest unverdaut in den Mülleimer. – Wir sind hier schließlich nicht bei Spiegel Online oder einem von seinen Epigonen. Mahlzeit!

Ronja Paffrath: Frühstück

1
name dropping in nürnberg zur blauen stunde
Clara Fieger trifft im Cereal Foyer
Ceal Floyer persönlich
mit einem Frostie auf den Kopf
Über dem Kopf von Kerstin Stakemeier
bringt mich eine psychotherapeutische emotionstabelle zum weinen,
ich halte ein und falle,
rein, schön, falle!
Wie kluge Wörter über KP Brehmer
mich zu Trost zürück bringen,
wie Frosties Milch herunter

2
Ich habe meine Tage,
alle.
Meine Tage gehören mir.
Ich habe meine Tage alle gegliedert:
Die Nacht mit dem Schlaf dazwischen kommen zu lassen und dann zur etwa gleichen Zeit zu frühstücken ist wichtig, damit das
tägliche Licht zum immer gleichförmigen (aber nicht zwingend gleichgroßen) Rechteck wird. Die Tage sind dann schon vom
Licht bezeichnet und man müsste nichts weiter machen.
Vom Licht bezeichnet müsste man nichts weiter machen
mit meinen Gliedern –
Meine Tage erblicken das Licht der Welt,
ich lege sie Glied auf Glied.
Gegliedert kommen sie aus mir heraus,
gebildet zu griechisch hystéria, Gebärmutter, Hysterie.
Vom licht bezeichnet,
mit meinen Gliedern,
lege ich Glied auf Glied,
lege ich Lid auf Lid,
lege ich ein Lied auf die Lippen.
Ich habe meine Glieder beisammen.
Ich habe meine Tage alle
gegliedert

3
ich habe einen apparat
mit dem ich etwas aufnehmen kann
in dem ich darauf schieße
ich bin ein apparat
mit dem ich etwas abgeben kann
in dem ich es erschieße
damit es nicht umsonst gestorben ist
bist du mein letzter apparat
mit dem ich etwas teile

4
er soll nicht umsonst gestorben sein
dieser tod von
hat uns nichts gekostet
und nichts eingebracht
er ist umsonst gestorben
also wirklich, ich bitte dich,
freundin, lass mich umsonst gestorben sein
und bleib dennoch ein freund
der preis für die kaufware
ist nicht der einkauf
der einkauf von
wurde nicht mit dem einkaufen bezahlt
ich habe dir einen mittelgroßen tod mitgebracht
die im internet haben ihn auf dem bett liegen oder unter dem schreibtisch
und schieben ihre glieder darunter
wir haben alle diese warmen füße
und jene müden zehen, die zum mond hin abstehen, zugedeckt
wow so ein extraflauschiger tod
teddybären mit herzen wurden dafür ausgeweidet
die füllende faser war noch zu
verwenden, weiße viskose
die rotbraunen hüllen dagegen sind im regenfall verschimmelt weil
sohnemann die waldbestattung vorzog
im vorbeifahren kann man sie nicht mehr für fliegenpilze halten:
sie sind jetzt eine birke
sei beruhigt schöne schonung
er ist nicht umsonst gestorben
der probemonat licht zieht in formation
vor deinem auge, dem bedeckten
himmel vorbei
aus dunkelgrüner ferne der gesang
die stimmen jeder stimmung
kommen bei dir an, freundin refrain
dieser tod
hat uns nichts gekostet
und nichts eingebracht
er ist umsonst gestorben
lass uns umsonst gestorben sein
und dennoch befreundet bleiben
der preis für die kaufware
ist nicht der einkauf
er wurde nicht mit dem einkaufen bezahlt
freundin freund freunde freundinnen
lasst uns befreundet bleiben
mit kostenlosen toden
lasst uns umsonst gestorben sein
freundin refrain
für kostenlose tode kostenlose
freundin refrain
umsonst sterben kostenloser freund
für den kostenlosen tod umsonst
freunde umsonst freundin judy refrain
schonung freundin schonung hier
wohnt schon nicht mehr weil verzogen
doch wohlmöglich zieht noch vor den
wolken wieder ein in dieses schöne
häuslein unsere liebe
freundin schonung refrain

5
Wenn auf mich geschossen wird,
bleibe ich

  • in Bewegung.
  • Oder: An einem Ort, aber über- oder unterbelichtet.
  • Oder: An einem Ort,
    aber zur Seite des Geschosses hin von Pflanzen, Gesteinen und Wänden verdeckt.
  • Oder: An einem Ort und klar, scharf umrissen, aber doppelt.
  • Oder: An einem Ort und klar, scharf umrissen, aber doppelt.
  • Oder: An einem Ort und klar, scharf umrissen, aber viele
    also jedes Körperteil vereinzelt sich,
    jedes vereinzelte Körperteil lebe ich aus,
    bis zu jeder möglichen Einsamkeit,
    aber ich bleibe in Kontakt.
    Mit meinen Gliedern
    lege ich Glied auf Glied,
    lege ich Lid auf Lid,
    lege ich ein Lied auf die Lippen.
    Ich habe meine Glieder beisammen.
    Ich habe meine Tage alle
    gegliedert

6
Aus dem Modus des Beschäftigungsverhältnisses:
Im Modus Autofokus Ein-Schuss, bringe die Misere durch ein Objekt auf den Punkt, dass in der gleichen Distanz situiert wird, wie
das Subjekt und verrücke die Misere auf den Punkt, nachdem das Bild neu kompositioniert wurde.
Subjekte durch die es schwer ist, die Misere auf den Punkt zu bringen:

  1. Mit Vorliebe kontrastierte Subjekte
    (Beispiel: Blauer Himmel, Uni-farbenes Murren, etc.)
  2. Sehr wenig suffisant aufgeklärte Subjekte
  3. Gegen den Tage gewaltsame Subjekte und solche mit starker Reflektion
    (Beispiel: Gefährt mit einer kraftvoll reflektierten Karosserie, etc.)
  4. Geschlossene und angeleinte, wiederentdeckte Subjekte, durch einen Kettenautomaten auf Autofokus
    (Beispiel: Tiere im Käfig, etc.)
  5. Repetitive Momente
    (Beispiel: Fenster eines Gebäudes, Tastaturen eines Computers, etc.)

Wichtig (von: Wicht; lebendes Wesen, Geschöpf, Ding, Dämon, Sache) !
Prozessieren Sie die Wiederaufladung genau nach der Impression.
Besonders im Falle von Beschuss, prozessieren Sie die Wiederaufladung immer genau nach der Impression.
Eine Prozession durch Sitzen schließt die Auswahl des auf Autofokus gestellten Kettenautomaten hinten an.
Das erfordert, den auf Autofokus gestellten Kettenautomaten auszuwählen und die Molette zu drehen, bis das rote Licht blinkt.
Passen Sie den Tusch ab um den Kettenautomat im Autofokus auszuwählen.

7
nachts wach
ronja geht alleine durch die
nacht, sagst du, begleite sie!
ich kann nicht, ich bin ronja
ich bin ronny, sagst du, gut,
so machen wir‘s, du begleitest ronja,
ich bin solange ronny und begleite clara
die mich ronni nennt, mit hut,
die nacht ist doch für alle da

Theobald O.J. Fuchs: Frühstück

Das Frühstück ist die wichtigste Mahlzeit des Tages. Die Zeitung ist ein wichtiger Bestandteil des Frühstücks. Nicht der wichtigste, aber schon sehr wichtig. Aber die Zeitung kommt heute sehr spät. Durchs Küchenfenster sehe ich die Zeitungsfrau auf ihr Rad steigen und weiter fahren. Ich gehe hinaus, ziehe die Zeitung aus der grünen Plastikröhre, die außen an unserem Jägerzaun befestigt ist. Ich will schnell zurück ins Haus, weil das Frühstück wartet. Im Gehen werfe ich einen Blick auf die Schlagzeilen und bleibe überrascht stehen. Da steht: »Verdacht bestätigt – erster Todesfall seit 143 Jahren!«

Drinnen stehen für mich auf dem Küchentisch dreizehn Sorten Marmelade und elf Sorten Wurst bereit. Ich habe noch nicht einmal angefangen und will doch von allem essen. Von jeder Marmelade einen Löffel. Himbeere, Schlehe, Erdbeere, Zwetschge, Kirsche, Orange, Apfel, Rhabarber, Pfirsich, Johannisbeere, Quitte, Mandarine und Radieschen. Von jeder Wurst eine Scheibe: Bierschinken, Stadtwurst, Gelbwurst, Mettwurst, grobe Leberwurst, feine Leberwurst, kalte Bratwurst, Pfefferbeißer, Bauernseufzer, Räucherschinken und kalte Frikadelle. Immer nur diese Sorten, keine anderen. Und das jeden Tag.

Die Meldung in der Zeitung bringt mich aus dem Tritt, meine Routine ist unterbrochen, ich bin verwirrt. Seit einhundertdreiundvierzig Jahren ist das Rezept für die Unsterblichkeit bekannt. Sofort, nachdem die Formel für ein ewiges Leben bekannt wurde, begannen alle Menschen so zu leben wie die Wissenschaftler es rieten. Im Grunde war es ganz einfach, die Zutaten waren alle längst bekannt, jeder konnte sich einfach und billig mit dem notwendigen Zeug eindecken: Dreizehn Sorten Marmelade und elf Sorten Wurst. Jeden Morgen von jeder Sorte Marmelade einen Löffel, von jeder Wurst eine Scheibe. Dazu Kaffee oder Tee, was man eben bevorzugt, und ein Brötchen, kein Problem. Auch ein Ei oder ein Stückchen Käse – da gibt es keine Vorgaben. Hauptsache Marmelade und Wurst, in der richtigen Menge, die richtigen Sorten. Das Resultat: Unsterblichkeit.

Und nun das: Ein Todesfall, irgendwo in Kanada, in einem kleinen Dorf. Dort ist zum ersten Mal seit einhundertdreiundvierzig Jahren wieder ein Mensch gestorben. Schnell gehe ich ins Haus, setze mich an den Frühstückstisch, beginne Wurst und Marmelade zu essen. Immer abwechselnd, ein Löffel hiervon, eine Scheibe davon, dazu Kaffee und ein Bissen von der Semmel. Wie immer, wie jeden Tag. Wie gestern, vorgestern, vorvorgestern. Wie seit einhundertdreiundvierzig Jahren, jeden Tag. Immer dieselben dreizehn Sorten Marmelade und elf Sorten Wurst.

In der Zeitung steht, der Mann in Kanada ist gestorben, weil er keine Wurst mehr sehen konnte. Weil ihm die Marmelade zum Halse hinaushing. Weil er es nicht mehr ertragen hatte, jeden Tag dasselbe zu frühstücken. Seine letzten Worte hätten gelautet: »Ehe ich noch ein einziges Mal Gelbwurst und Rhabarbermarmelade auch nur anschaue, will ich lieber sterben.«

Das hat er nun davon, denke ich. Hätte sich halt nicht so anstellen brauchen. Selber schuld. Mir schmeckt’s jedenfalls. Mir schmeckt’s sehr gut, jeden Tag, immer dasselbe.
Weil: Das Frühstück ist die wichtigste Mahlzeit des Tages.

Sarah Grodd und Lukas Ullinger: Ein Brunch – zwei Perspektiven

Sie weiß es. Sie weiß es ganz genau. Ich hasse brunchen. Wer hat sich diesen Unsinn überhaupt einfallen lassen? Überhaupt, diese unmögliche Uhrzeit. Soll das jetzt Frühstück oder Mittagessen sein? Das ist doch normalerweise nicht ohne Grund getrennt. Brunch – schon dieses Wort löst Abneigung in mir aus. Müssen wir jetzt für alles einen neuen Begriff einführen? Nicht mal Hobbits nennen ihr zweites Frühstück Brunch. Sondern das was es ist: ein zweites Frühstück. Und dann das Zeug, das es da zu essen gibt. Grenola, Granola oder was weiß ich, für mich ist das einfach Ofen-Müsli-selbstgemacht, aber egal. Im Prinzip wäre das alles ja halbwegs erträglich, Müsli geht ja wirklich zu jeder Tageszeit. Aber nicht, wenn da ihre bekackten Freundinnen dabei sind. Vor allem Jennifer. „Hi, Jenny!“ Ich pack die Trine nicht. Wenn Brunch in mir Abneigung auslöst, bringt Jennifer die totale Ablehnung in mir zum Vorschein. Ihr albernes Lachen, ihre krallenartigen Fingernägel und ihr absolut verkacktes Tattoo auf dem Rücken vom Selbstfindungstrip in Indien. Die Vollpanne in Person.

„Denkst du bitte an die Lachsröllchen im Kühli?“, kommt es aus dem Schlafzimmer. „Ja sicher.“, knirsche ich zurück. Wie sollte ich die Dinger auch vergessen. Bei 15 Pfannkuchen habe ich assistiert. Aber keine stinknormalen Pfannkuchen. Nein, die werden jetzt glutenfrei zubereitet. Weil Jenny kann ja jetzt kein Gluten mehr. Seit Indien. Also, ab zu DM glutenfreies Mehl, Agavendicksaft – Zucker geht auch nicht – und Demeter Eier. Ist besser für die Tiere. Dass der Lachs bei Netto im Angebot nur 1,70 kostet, wird geflissentlich übersehen.

„Und ziehst du dann auch das Hemd an, das blaue? Das steht dir doch so gut. Du kannst dann wieder den obersten Knopf zu machen, dann sieht das richtig gut aus.“, sagt sie und streckt wie eine halb geschminkte Schildkröte ihren Kopf in den Flur. Klar, denke ich mir. Das Ding ist dann so eng, dass ich keinen Bissen von dem Fraß runterbekomme. Ha, vielleicht gar nicht schlecht. Und warum muss die sich jetzt so dermaßen aufbrezeln! Zum Frühstück – Verzeihung, Brunch? Ehrlich, von mir aus kann das auch so ablaufen: Kaffee, Kippe, fertig. Gerne ungeduscht in Unterhose und am besten allein. Stattdessen müssen wir uns fertig machen um dann stundenlang beinahe-bio-Lachspfannkuchen und Käse mit Weintrauben auf kleinen Holzspießen in uns reinzustopfen. Danke dafür.

Heute ist ja eigentlich Fußball. Aber es stimmt schon: Jenny hat nur einmal im Jahr Geburtstag.

Und wenn Jenny nur einmal im Jahr Luft holen würde, mir doch egal.

Ich gehe zum Kühlschrank, hole die Lachsröllchen. Eines schnappe ich mir schon mal heimlich. Schmecken tatsächlich ziemlich gut – zugegeben. Besser noch schnell eines, soll Jenny doch ihr Müsli essen.

„Also, los geht’s…“ murmle ich durch geschlossene Zähne und binde mir die Schuhe zu.

Das Frühstück. Die wichtigste und großartigste Mahlzeit des Tages. Es gibt nur wenig, das ein schönes Frühstück mit frischem Kaffee- und Brötchengeruch toppen kann. Eine Sache, die das noch um Längen schlägt: der Brunch. Diese Fusion aus Frühstück und Mittag, da ist für jeden noch so süßen Zahn sowie herzhaften Gaumenfreund etwas dabei. Seit Wochen freue ich mich auf den heutigen Tag, denn die liebe Jenny hat zum Geburtstagsbrunch eingeladen.

Jenny und ihr geiles, ja weltberühmtes Granola. Sie weiß ganz genau, wie gut es ist. Da muss ich gegensteuern. Nur mit ein paar langweiligen Sea Salt-Chia-Buchweizenvollkorn-Brötchen mit Sesam-Topping aufzutauchen, das kommt definitiv nicht in Frage. Ich muss sie ausstechen. Stundenlang habe ich bei Pinterest nach Instagram-fähigen High Class-Rezepten gesucht, die zudem auch noch glutenfrei sind. Denn die arme Jenny bildet sich seit ihrem Indien-Selbstfindungstrip eine Gluten-Unverträglichkeit ein. Nun ja, so sind es nun Lachsröllchen geworden. Und die habe ich natürlich äußerst akkurat auf einem extra dafür gekauften Teller drapiert, genau so wie auf den Vorschaubildchen bei Pinterest. Hoffentlich lässt der die Finger davon, bis die Mädels es gesehen und anerkennend gelobt haben.

Hauptsache, wir vergessen die Dinger nicht! „Denkst du bitte an die Lachsröllchen im Kühli?“ schreie ich aus dem Schlafzimmer, damit er auch was zu tun hat. Diese Brunch-Vorbereitung stiehlt mir schließlich schon genug Zeit.

Jenny hat einen neuen Freund, den sie uns heute vorstellt. Martin, Markus oder so ähnlich. Ein schnieker Typ soll das sein. Jenny schwärmt jedenfalls unerträglich oft von ihm. Bedeutet also, sich heute besonders viel Zeit fürs Schickmachen zu nehmen. Das gilt natürlich für uns beide – für mich UND für ihn, denke ich und rufe: „Und ziehst du dann auch das Hemd an, das blaue? Das steht dir doch so gut. Du kannst dann wieder den obersten Knopf zu machen, dann sieht das richtig gut aus.“. Unter uns: alles Taktik. Brunch ist eben nicht nur Essen, es ist auch ein Statuszeigen, eine Anstrengung.

„Also, los geht’s…“ sage ich und ziehe mir die Jacke an.

Elmar Tannert: Fränkische Gastlichkeit

Das Bett ist bekanntlich ein Ort verschiedenster Lustbarkeiten. Eine davon ist das Frühstück. Ja, im Bett wollten wir frühstücken, die Geliebte und ich, im Bett unseres mittelfränkischen Kleinstadthotelzimmers, wohinein die Morgensonne Wärme und strahlend Licht sandte. „Geh in den Frühstücksraum!“ gurrte die Geliebte mir ins Ohr, „und jag uns ein Frühstück, mein Held!“ – „Ja, mit Gottes Hilfe!“ sagte ich, frisierte mich mit einer Handvoll Leitungswasser, streifte Hemd und Hose über und machte mich tapfer auf den langen Weg zum Frühstücksraum, am anderen Ende des Korridors gelegen. Dort, in bedrohlichem Halbdunkel, wachte die Wirtin strengen Blicks über ihr Sortiment aus Semmeln, Aufschnitt und Marmelade.
Fröhlich wünschte ich ihr einen guten Morgen, und bestimmt habe sie nichts dagegen, wenn man sich ein Frühstück aufs Zimmer nehme.
Da musterte sie mich wie einen unartigen Buben und sagte, sie habe aber das Buffet extra so schön aufgebaut.
„Ihr Buffet“, sagte ich, „ist wirklich wunderschön. Aber noch viel schöner ist das Zimmer, das Sie uns zugedacht haben – wie dort die Sonne zum Fenster hereinlacht! Deshalb würden wir mit großer – Sie ahnen gar nicht, mit wie großer! – Freude im Bett frühstücken.“
Die Wirtin atmete tief durch, und ihre Stirnfalten verkündeten Unheil.
„Sie werden damit gar keine Mühe haben“, versicherte ich eilends. „Ich selbst werde das Tablett mit all den guten Dingen füllen und eigenhändig aufs Zimmer bringen.“
Ihr Gesicht verfärbte sich, ihre Miene wurde düster. „Nein. Das ist nicht erlaubt.“
„Sie sind die Wirtin!“ sagte ich. „Sie können es erlauben!“
Aber sie erlaubte nicht.
Geknickt meldete ich der Geliebten die verlorene Schlacht. Als wir gemeinsam im Frühstücksraum Platz nahmen, servierte uns die Wirtin den Kaffee mit dem Charme eines Getränkeautomaten, und wir nahmen unsere erste Tagesmahlzeit gemäß § 5 Absatz 2 der fränkischen Hotelfrühstücksverordnung zu uns, diszipliniert und unter Aufsicht.
Reisender, merk: Franken ist nicht romantisch, sondern protestantisch. Wenn du dir mit der Dame deines Herzens ein Zimmer nimmst – erkundige dich vorab an der Rezeption, ob man bereit ist, euch eine der elementarsten Freuden des Lebens zu gönnen: Ein Frühstück im Bett. Sonst hast du die Rechnung ohne die Wirtin gemacht.