Matt S. Bakausky: Freiheit ohne Waschmaschine

Freiheit bedeutet für mich eine Waschmaschine, um die eigene Wäsche zu waschen. Kennst du die Bilder von den glücklichen Menschen in Indien, die ihre Wäsche im Fluss waschen? Nein, ich habe keine Waschmaschine also verbringe ich viel Zeit im Waschsalon. Aber ich drücke mich davor, da es viel Zeit kostet. Viel zu viel Zeit, aber ist eigentlich meist ziemlich entspannt im Salon.

Betrete ihn durch eine Klapptüre und spiele eine Runde Poker mit dem ein oder anderen Ass im Ärmel. Bis ich auffliege und es draußen zum Duell kommt. Dann muss ich für meine Freiheit kämpfen, aber ich bin ein guter Schütze. Und meistens rennt der Gegner weg, wenn ich ihm zack den Hut weggeschossen habe. Den Leben ist den meisten doch wichtiger als die Poker-Ehre.

Im Poker bin ich mittelmäßig und das reicht für einen mittleren Platz in der Highscore beim Briefpoker online. Früher war das Internet Freiheit für mich, mit Menschen kommunizieren, die viel Interessanter waren, als die Kinder in der Schule. Mit denen kam ich nur durch Saufen in Kontakt. Besoffen fühlte ich mich frei. Mit einer Kippe im Mund, wie ein Cowboy aus der Werbung.

Irgendwann habe ich dann erfahren, dass Freiheit gar nichts mit Zigaretten zu tun hat. Schuld war die Lektüre von obskurer Literatur. Erfuhr, dass die meisten Menschen wie Roboter ihrer Konditionierung hinterherlaufen. Da begann ich mich zu dekonditionieren, das lief immer eine Weile gut, nur kamen da Persönlichkeitsanteile zum Vorschein, die irgendwie im Konflikt mit der konformen Mehrheit standen und mir wurde die Freiheit entzogen.

Die Polizei fand mich merkwürdig und steckte mich erst mal auf Freiheitsentzug in die Klapse. Dort war ich dann wirklich frei, denn Verrückte können tun und lassen, was sie wollen. Na ja, so weit wie es die aktuelle Konditionierung zulässt. Also nur ein wenig mehr als die Normalen. Fliehen aus der Klinik war ganz ok, wurde dann irgendwie langweilig, als mir das Geld ausging.

Freiheit hat auch mit Geld zu tun. Nicht umsonst sagte mir ein Guru: Schau, dass du dich bildest und den Menschen nützlich machst, um Geld zu verdienen und mehr Freiheit zu erlangen.

Ein paar Jahre später merkte ich, dass ich es nicht schaffe, meine Konditionierung komplett abzulegen und das die eigentlich ganz ok ist. Der Drang nach Freiheit brachte mich auf die Idee, dass Gedanken mich einschränken.

Also lebte ich eine Zeit ohne Gedanken. Ließ das Leben Leben sein, ohne es zu bewerten.  Aber das war etwas problematisch, als die Emotionen mich wieder ins Denken drangen. Erwachen schön  und gut, aber die Emotionen der unteren Chakras sind trotzdem nicht weg, nur weil das Kronen-Chakra sich öffnet. Habe ich dich an dieser Stelle verloren?

Ich sitze immer noch in meiner Wohnung, die Wäsche stapelt sich. Der Waschsalon wartet, hat jedoch jeden Tag offen. Ich bin happy, aber das geht auch vorbei. Und Freiheit? Freiheit ist ein Wort. Die Bedeutung dahinter ist, was ich suche.

Julian Knoth: Die Stunde Fahrt

Die A9 kurz hinter der Brücke der Deutschen Einheit. Wir lassen die Raststätte Frankenwald hinter uns liegen. Fahren noch ein Stück weiter. Hier irgendwo muss sie sein – die Freiheit. Shell Autohof in Triptis. Eigentlich egal wo. Such Dir irgendeinen Ort aus. Irgendeinen der Kategorie „noch-nie-gehört“. Ich steige aus dem Van. Mir ist kalt. Nehme doch noch schnell die Jacke mit. Ich muss auf’s Klo und bin unterzuckert. Shell Autohof in Triptis und nicht Frankenwald. Denn Sanifair und Serways sind der Feind. Ich würde ja gerne, aber ich kann es nicht.  Ich meine, mich unter der Sanifair-Schranke durch zu drücken. Deswegen Autohof. Am liebsten für Trucker ausgelegt und mit Souvenirs. Das einzige Souvenir, das ich mir je gekauft habe war ein „Verbot der Einfahrt“- Verkehrszeichen als Sticker. Klebt auf meinem Laptop. Kann ich euch mal einen mitbringen, wenn ich mal wieder unterwegs bin. 

Zurück zum Text. 

Wir befinden uns schließlich immer noch im Shell Autohof in Triptis.  Auf der Toilette war ich mittlerweile und überlege nun, ob sich lohnt noch etwas gegen den Hunger zu unternehmen, oder ob ich doch lieber abwarten sollte. Ich verachte mich dafür, dass sagen zu müssen, aber ich muss leider beichten, dass eine Bockwurst mit Senf und Brötchen schon öfter die Rettung in höchster Not war. Heute nicht. 

Die Stunde Fahrt halte ich noch durch. 

Wisst ihr noch wie das riecht? So ein Club? Für mich immer im Moment des Ankommens nach Putzmittel und Bier und später dann nach Schweiss und Bier. Ich hätte nie gedacht, dass ich das mal vermisse. 

Die Stunde Fahrt halte ich noch durch.

Ich habe aufgehört den alten Zeiten hinterher zu trauern. So alt bin ich dann auch wieder nicht. Der Blick geht nach vorne. Nur unlängst, als ich mal wieder auf der Autobahn war und mir eine Bockwurst mit Senf und Brötchen gekauft habe, wurde ich kurz nostalgisch. Ja, ich schäme mich dafür. Für die Bockwurst und die Nostalgie und für mein Verlangen, mir noch einen verbrannten, scheußlichen Kaffee hinterher zu kaufen. Ich hätte nicht gedacht, dass ich das mal vermisse. 

Die Stunde Fahrt halte ich noch durch. 

Freiheit ist zu merken, was man wirklich vermisst. 

Das Gefühl der Freiheit kann man nicht in Worte fassen.

Morgens im Hotel. Viel zu viel mittelmäßiger Kaffee. Orangensaft in diesen kleinen Gläsern. Ein Brötchen bekomme ich irgendwie runter. 

Scheiße bin ich privilegiert.

Zülküf Kurt: Minerva’nın baykuşu

“Saatin on ikiyi geçmediği bu yer, bir külkedisi masalı bile etmiyor.”

Barbarlarla beklerken, Mehmet Mahsum Oral

Kendini gördüğün sudan kaçman, yüzünü saklaman… Tanıyamadığın bir beden… Aniden dönüştüğün şeyin bir adı, hâlâ hiç ara vermeden dönüştüğün şeyin götürdüğü bir yer olmalı… Ya yoksa diye başlayan tüm korkuların bir kâbusu olmalı. Biz, bu kâbusun çocukları, korkular dünyasının acımasız sokakları, varoşun en keskin bıçakları, sözümüz var, hınca ve korkuya bulanmış kanlar arasından. Bu defa bizi dinlemek zorundasınız. İşte, şimdi kaçamayacağımız bir denizin tam ortasındayız…

Gemilerin altına sürülen katran kadar ağır bir suyun içinde, kollarımız yorgunluğa teslim. Büyük sözler söyleyeceğim birazdan, şefkatten uzak. İçinde merhamet barındırmayacak bir kürsüden konuşacağım, gözüm uzak, sesim yakına düşerken. En yakınımızdakinin bizi çektiği aşağılarda, karanlıklarda dolanıp da çıkmayı ihanet sayanların bozkırlarından bu ses. Çıkmayacağız bu koyu karanlıktan, ışığın ucu görünse bile…

Akasyaları yere düşürecek kadar sertleşse de rüzgâr, henüz kırılmadı içimizdeki zincirler. Bir daha, bir daha vur… Daha güçlü, en ince noktasına… Çekicin murca değdiği yeri dümdüz edercesine… Ardı ardına, güçten takatten düşmemecesine. Daha çok bilenerek, daha çok hınçlanarak. Zor bir doğum bu. Demirden ve mermerden bir çocuktur doğacak olan. Şimdi anlıyor musun fırlatılan çekiçle birlikte yükseklere sinen “Diril..!” yankısını…

Neyle var olacaksın tozdan ve kilden başka? Suların ıslattığı taşlarda kaymaman maharet sayılmaz bu gaddar çağda. Yeteneğin kalmaya değil, ölmeye yazgılı. Dirhem dirhem tükeneceksin. Ne yapsan da batacaksın bu bataklığa. Belki bir timsah yemeyecek seni… Yenilme korkusuyla değil, yavaş yavaş batacaksın gittikçe milleşen bu toprağa… Batmaktan korkmaz kimse düşmekten, yenilmekten korktuğu kadar… Ölecek kadar zamanımız olacak ne de olsa…

Orta yaşlı, şapkalı bir adam olta attı denize. Üç defa boş çıktı olta. Dördüncüsünde balık kaçmayı başardı. Beşincisinde biraz daha umudu yükseldi adamın. Altıncısında öfkesi bilendi. Yedincisinde öfkesi aklını zehirledi. Sekizincisinde balık kaybetti. Sudan bir balık azaldı, karada bir balık öldü. Balıkçının her gün öldüğü kıyılarda…

Sözüm var! Dinleyin beni! Bunca yılın ardından herkese iki kelam etmeye hakkım var. Yapabildiklerimin hanesinde kalamadım. Yapamadıklarım ise hep günah diye yazıldı. Ben hiçbir yerde olmadım oysa. Siz vardınız bütün evlerde, ama hiçbiriniz de kalmadınız, bana kal dediğiniz hiçbir yerde. Hepinizin bir adı var, fakat hiçbirinizin bir adı yok. Söyleyin desem, hikâyelerinizin yalnızlığından koşar adım kaçarsınız… Neden bunca zaman bastırdınız peki, yok etmeye çalıştınız bu kadar şeyi? Ne zannediyorsunuz kendinizi? Kimsiniz siz?

Bir suya düşen taş kadar değeriniz yok diye bağırdıkların karşı kıyıda. Sen çoktan kaybettiğin bir savaşın adasında. Rutubet… Demir ranza… Kan ve kum… Ne yapsan ilk dalgada, ilk fırtınada boşa düşecek. Sen bir Sisifos Söyleni’nin içinde değilsin. Çaresizliğini öfke dışında anlatacağın bir kağıdın bile olmayacak… Ne kadar bağırabilirsen bağır, sesin aşamayacak bu dalgaları… 

Öfkenin doruğuna çıkacak bu koridorlar. Yeraltındaki tünelleri bul mutlaka. İlk tünelden gitme, sonu yıkık. İkinci tünelin ortası kuyu. Üçüncü tünelden yürü. Öfkenin koridorlarında koşarcasına… Bağır, çağır, haykır! Sen de kus öfkeni, büyüt bu denizi, yükselsin sular… Dindirilmesini bekleme bu öfkenin… Bekledikçe bilen, hatırla… Daha çok, daha çok hatırla… Ve çıkamayacaksın o tünelden de, unutma…

Sesler seslere, sesler dalgalara karışırken, ayın yüreğimizi şişirircesine daha çok büyümesi. Suyun üzerine vuran bu ışığın üzerimizdeki örtüsü kalkınca ne kalacak öfkemizden geriye? Dalgalar alıp götürmeden, ya da uzaklara uçmadan önce söyleyeceklerimiz olacak, biliyorum. Ama ne bir kelime ne de bir söz hatırlıyorum… 

Lea Schlenker: Der Kaiman

 Der Kaiman

Ich habe die Nachricht aus der Zeitung erfahren. Sie hat es zwar nicht auf die Titelseite geschafft, allerdings war sie auch für Personen, die normalerweise bloß nach den Kreuzworträtseln Ausschau halten, kaum zu übersehen. Fett gedruckt und neben einem anschaulichen Bild aus der Mediendatenbank las ich folgende Schlagzeile:  Aargauer Polizei jagt in Hallwilersee Kaiman. 
Ich war gerade bei meinem morgendlichen Tee, einer entspannenden Mischung aus Alpenkräutern und frischer Kamille. Um diese Nachricht aufnehmen zu können, musste ich allerdings sicherheitshalber meine Tasse absetzen und einmal tief Luft holen. Ein Kaiman im Hallwilersee! Das war schon eine eher ungewöhnliche Nachricht. Ich wuchs nur wenige Dörfer weit entfernt von diesem See auf und während meiner gesamten Kindheit schwamm ich jeden Sommer in diesen Gewässern. Der Gedanke daran, gemeinsam mit einem kleinen Krokodil gebadet zu haben, wäre sicherlich für die meisten Menschen eher erschreckend. Allerdings war dieses Thema für mich aber noch auf eine ganz andere, auf eine persönliche Art und Weise ungewöhnlich.  
Mir ist nämlich vor ungefähr zwei Tagen aufgefallen, dass mein eigener Kaiman spurlos verschwunden ist. Zuerst dachte ich, er hätte lediglich frische Luft schnappen wollen, weil ihm vielleicht die Decke auf den Kopf gefallen ist. Als dann aber Stunde um Stunde verstrich und von ihm nicht die geringste Spur zu sehen war, wurde ich misstrauisch. Etwas war passiert. Ich wusste zwar nicht genau, wie er hätte verschwinden können – habe ich ihm doch nie das Türe öffnen beibringen können. Auch von den Fenstern hielt er sich in der Regel eher fern. Die Nachricht aus der Zeitung ließ bei mir aber wenig Zweifel aufkommen – das wird wohl oder übel mein Haustier in diesem See sein. Die Situation war nun leider etwas ungünstig, da der Besitz dieses Kaimans in einer rechtlichen Grauzone lag. Mir gefällt der Ausdruck illegaler Handel nicht besonders, aber es war mir leider nicht möglich, das Tier auf rechtmäßige Art in meinen Besitz zu bringen. Ich habe viele Freunde verschiedenster Art. Manchen bin ich bis heute noch ein oder zwei Gefallen schuldig.  
Aber darum ging es nicht. Mein Haustier war verschwunden, und ich wollte es wiederhaben. Nachdem ich alle möglichen Optionen abgewogen hatte, rief ich meinen Bruder Lukas an. Er war Journalist bei einer 
renommierten Wirtschaftszeitung, hatte also mit dieser Lokalsensation kaum was am Hut. Ich fragte ihn, ob er am Nachmittag Lust hätte, mit mir an den See zu fahren. Mit dem miefigen Brummen in den Hörer hatte ich in etwa gerechnet. Er mochte die Sonne nicht, auch das Baden lag ihm fern. Seine Definition von einem Traumurlaub bestand darin, jedes Jahr an denselben Ort in dasselbe Haus zu fahren, jenes dann nur zum Lebensmittel einkaufen zu verlassen und dann den ganzen Tag fernzusehen. Wenn es dazu noch zwei Wochen lang regnete, umso besser. Heute war ich aber dummerweise auf ihn angewiesen. Ich hatte kein Auto, konnte selber nicht fahren und für den alle zwei Stunden fahrenden, nicht-klimatisierten Bus fehlten mir die Nerven.
Und tatsächlich konnte ich ihn dazu überreden, mit mir an den See zu fahren. Wieso auch nicht? Die Hitze machte ihm mehr zu schaffen als jedem anderen, den ich kenne. Vermutlich sah er ein, dass ein Sprung ins kalte Nass die einzige Möglichkeit war, sich abzukühlen. 
Wir fuhren also kurz nach drei Uhr nachmittags los. Schon bald erreichten wir den Parkplatz vor dem Strandbad. Die anderen Autos glitzerten in der Sonne wie feurige Metallsärge. Hoffentlich hat auch niemand seinen Hund auf dem Rücksitz vergessen. Manchmal liest man im Sommer auch etwas von Kleinkindern, die in der Hitze auf dem Rücksitz explodieren. Nachdem wir den vermutlich letzten Parkplatz gefunden haben, stiegen wir aus und marschierten Richtung Parkuhr. Ich sah ein junges Mädchen, deren Erdbeereis so schnell südlich tropfte wie die Gletscher im 21. Jahrhundert. Zurück blieb bloß eine zuckergetränkte Waffel. Ich sah Lukas an. Er hatte noch nichts gesagt, seitdem wir losgefahren sind. Er verzog bloß hin und wieder das Gesicht, vielleicht weil er seine Sonnenbrille zuhause vergessen hatte. Er warf Münzen in die Parkuhr und wischte sich dazwischen immer wieder den Schweiß von der Stirn. Ich lächelte ihn an, er kniff aber bloß die Augen zusammen und machte eine Handbewegung Richtung Strandbad. Wir trotteten träge in das Freibad, beim Eintritt wollte man noch einmal je fünf Franken von uns haben. Die Frau an der Kasse sah müde und abgekämpft aus. Ich war ehrlich gesagt froh, wenn kein aufmerksames Personal herumschwirrte, während ich nach meinem Liebling sah. Wobei ich zugeben musste, dass ich mich noch nicht auf einen definitiven Plan festgelegt hatte. Wenn ich ihn sehen und nur kurz fünf Minuten mit ihm allein sein konnte, könnte ich ihn vielleicht dazu überreden, nachhause zu kommen. Wobei ich mir ehrlich gesagt keinen Reim darauf machen konnte, wieso er überhaupt verschwunden ist. Ich dachte, wir hätten es gut miteinander. Wie dem auch sei, Lukas sollte nichts davon erfahren. Der Kaiman mochte es ohnehin nicht so gern, wenn ich in Begleitung kam. Ich habe bisher nur meiner Mutter von ihm erzählt, und sie toleriert die ganze Sache mehr oder weniger, weil ich ihr versprochen habe, dass sie ihn ab und zu mal ausleihen darf, um die Tauben auf ihrem Balkon zu jagen. Aber begeistert war sie nicht, das wusste ich genau.
Wir suchten uns ein halbschattiges Plätzchen irgendwo hinter den Bäumen aus. Lukas legte sich auf das ausgebreitete Badetuch und schloss die Augen. Ich griff in die Tasche, fischte nach der Sonnencreme und verteilte einen Klecks nach dem anderen auf meiner Haut. Danach machte ich das gleiche bei ihm, wobei er weder zustimmte noch protestierte. So langsam wurde ich ziemlich ungeduldig. Hinter dem Vorwand, eine Abkühlung nehmen zu wollen, spazierte ich von den Sonnenanbeterinnen weg ins Ungewisse.  
Ich lief vom Strandbad fort, dem Wasser und dem Ufer entlang. Vermutlich versteckte er sich im Schilf, damit ihn niemand finden konnte.
Ich hörte Vögel kreischen und Kinder laut schreien. Ab und zu rief ich leise nach ihm, und wartete dann wieder. Ich setzte mich auf einen Steg und hoffte, die Sonne würde erst mal nicht so schnell wieder untergehen. Mir war klar, dass ich ihn nicht mehr finden würde, wenn es erst einmal dunkel war. Daher ließ ich den See keine einzige Sekunde lang aus den Augen. Weder Hunger noch Durst noch Langeweile überkam mich. Alles, was ich tat, war der Sonne beim Wandern zusehen und dabei nach dem Kaiman Ausschau zu halten. Grillen zirpten, Vögel zwitscherten, und was Tiere in der Sommerzeit noch sonst so alles an Geräuschen zu bieten hatten. Noch mehr Kinderschreie, ich versank in Gedanken zum Thema Verhütungsmittel. Bis mein Kaiman dann tatsächlich aus dem Wasser auftauchte. Er schwamm auf mich zu und hielt am Seeufer an. 
Kaimi, wieso bist du abgehauen?  wollte ich von ihm wissen.
Das war eine unglaubliche Sache, meinte er verwirrt, du wirst mir diese Geschichte niemals glauben. 
In einer ruhigen, mütterlichen Stimme hielt ich ihn dazu an, mir doch zu erzählen, was genau passiert war. 
Du hast die Tür nicht abgeschlossen, und als deine Mutter geklingelt hat und niemand geöffnet hat, ist sie schnurstracks rein und zu mir ins Bad. Sie bat mich, mit zu ihr zu kommen, da die Tauben auf ihrem Balkon außer Kontrolle waren und der Plastikrabe, den sie aufgestellt hatte, um die Tauben zu verscheuchen, bloß weitere Raben angelockt hatte, die nun bei ihr lebten und ihre Walnüsse stahlen. Ich dachte, ich will nicht unfreundlich erscheinen, und begleitete sie daher zu ihr nach Hause. Allerdings hat sie nicht übertrieben – so viele Tauben wie auf ihrem Balkon habe ich noch nie in meinem Leben gesehen. Ich konnte nicht einmal erkennen, was noch Balkon war und wo die Tauben anfingen. Dementsprechend war ich völlig machtlos. Als ich die Tauben anschrie, sie sollen verschwinden, lachten sie bloß und schissen mir auf den Kopf. Nun war ich auch noch blind, und das einzige, das ich noch mitbekam, war, wie sie mich mit ihren Dinosaurierfüssen packten und über Himmel und Lüfte hinwegtrugen, bis ich mich endlich losreißen konnte und hier im See landete. Allerdings kenne ich den Heimweg nicht mehr. Als ich ein paar Angler fragen wollte, machten die bloß Fotos und rannten weg. Aber es macht nichts, denn es gefällt mir hier. Das Wasser ist tief und die Enten schmecken hervorragend.
Ich versuchte ihm zu erklären, dass ich ihm helfen wolle, ihn wieder bei mir in der Badewanne platzieren wollte, aber er tauchte bereits wieder runter und verschwand in der Tiefe.  Bevor ich etwas unternehmen konnte, tauchte aber schon wieder Lukas hinter mir auf. Sein Gesicht war rot und verschwitzt. Er trug sein graues T-Shirt und hatte orange klebrige Flecken auf der Brust. Dem Anschein nach wollte er wieder nachhause, ganz im Gegensatz zu meinem Krokodil.
Ich hob bloß meine Schultern, ohne etwas zu sagen. Wenn er sich normalerweise dazu entschieden hat zu gehen, dann nutzte es in der Regel nichts, mit ihm zu diskutieren. Ich stand auf und zog das Kleid über, das er für mich mitgenommen hat. Es war das Kleid, das ich schon lange entsorgen wollte, es war puderrosa und ich sah wie ein Schwein aus darin. Wenn mich mein Kaiman noch sehen könnte, würde er vermutlich denken, ich wäre sein Abendessen und mich fressen.  
 
Einige Tage später lief ich an einer Zoohandlung vorbei. Im Schaufenster stand, man solle sich ein Reptil zutun, das seien Freunde für die Ewigkeit. Darunter ein Foto einer Eidechse, die im Wasser plantschte. Ich war erstaunt über dieses Zusammenspiel von Zufällen und betrat das Geschäft. Hinten im Laden, hinter dem Tresen, konnte ich einen gelangweilt wirkenden Verkäufer erspähen. Vor ihm hinter der Vitrine tummelten sich Eidechsen, Schildkröten, Bartagame und Geckos. Ich marschierte auf ihn zu und erklärte ihm meinen Wunsch. Er kratzte sich am Kopf, sagte ein paar Mal verstehe und griff dann nach einem Katalog. Er zeigte auf ein Bild. Ein so genannter Dornschwanzagame war zu sehen, der allerdings nicht einmal einen Meter groß werden würde. Ich schüttelte den Kopf. Der Haustierfachmann blätterte etwas im Buch und zeigte dann auf ein anderes Tier. Ich seufzte und runzelte die Stirn. 
„Tut mir leid, das ist leider das Einzige, das wir in diese Richtung haben. Wenn Sie möchten, kann ich noch meinen Kollegen rufen, der kennt sich besser aus mit der Haltung von größeren Reptilien.“  
„Ist schon in Ordnung. Trotzdem danke.“  
Die Bartagame hinter der Vitrine starrten mich mit ihren ausdruckslosen Knopfaugen an. Ich fragte mich, ob sie wohl auch lieber ein kleines Krokodil wären. Oder zumindest frei. 
 

Margit Heumann: Freiheit im Wandel

Es war einmal ein kleines Mädchen, das lernte die Freiheit beim Zuhören kennen. Oma, erzähl mir eine Geschichte, und schon durfte es sich in Fantasiewelten tummeln. 

Es war einmal ein Schulkind, das holte sich die Freiheit aus Büchern. Mit einem Buch vor Augen entfernte es sich aus der engen Umgebung, weg von den Hausaufgaben, vom lästigen kleinen Bruder, von der fordernden Mutter, von allen Pflichten. 

Es war einmal ein Mädchen, das wollte nicht immer nur anziehen, was die Mutter nähte, was die anderen trugen. Schließlich hatte der Papa Erbarmen: sie bekam eine Hose, dunkelblau, dreiviertellang, mit roten Kordeln an den geschlitzten Aufschlägen. Diese Hose machte sie zum ersten hosentragenden Mädchen im Dorf – der Inbegriff der Freiheit. 

Es war ein mal ein Teenager, die sah ihre Freiheit darin mit Worten zu provozieren. Sie war gegen alles: Gegen frühe Schlafenszeiten, gegen regelmäßiges Essen, gegen die spießige Wohnungseinrichtung, gegen die Verwandtschaft, gegen die Erwartungen der Mutter, gegen die Ansichten des Vaters, gegen den sonntäglichen Kirchgang. Taten beschränkten sich auf die Mitgliedschaft in einem Europaclub und immer noch auf Hosen zu jeder passenden und unpassenden Gelegenheit. 

Es war einmal eine Berufsanfängerin, für die es Freiheit bedeutete, die sichere Arbeitsstelle im Nachbardorf aufzugeben, den Freund zu verlassen und für ein Jahr nach England zu gehen. Der Preis war verdrängtes Heimweh, aber jeder Tag hatte sich gelohnt.

Es war einmal eine Zwanzigjährige, die nahm sich die Freiheit zweierlei Leben zu führen. Es gab das streng geregelte Tagleben im Büro von acht bis 17 Uhr, das ihr Wohnung, Auto und Plattenspieler finanzierte. Es gab das Nachtleben mit Studenten, Künstlern und Dichtern, die nach der Arbeit bei ihr aufschlugen zu gemeinsamem Kochen, Trinken, Rauchen und Diskutieren, was ihr chronischen Schlafmangel brachte.

Es war einmal eine Fünfundzwanzigjährige, der waren zweierlei Leben nicht genug. Sie verfolgte einen neuen Freiheitstraum und heuerte zwei Monaten beim Zirkus an  – und machte die Erfahrung eines anstrengenden und extrem reglementierten Alltags.

Es war einmal eine Familie, die hatten ihre Wunschtochter und wollte noch ein Kind. Um gleichzeitig einem Kind zu helfen, entschied sie sich für eine Adoption, ohne Not und freiwillig. So ganz nebenbei war die Mutter dadurch auch von der Mühsal einer zweiten Schwangerschaft befreit. 

Es war einmal eine selbständige Kleinunternehmerin, die entschloss sich nach dreißig Jahren das Landleben aufzugeben und das Kontrastprogramm Großstadt zu wählen. Dieser Schritt gab ihr die Freiheit einer bisher unterdrückten Leidenschaft zu frönen. 

Es war einmal eine Frau, die hatte wechselvolle Jahre hinter sich und wenn sie einmal gestorben ist, hat sie ihr ganzes Leben immer neue Freiheiten gesucht und gefunden.