FD: Die Finale Stufe

Seit wann und wie lange die Treppe schon bestanden hatte, ließ sich nicht genau feststellen. An den Tagen nach der Entdeckung wurden zunächst Grundbucheinträge und Aufzeichnungen der alten Ruine gewälzt, ohne einen Hinweis auf eine in der Tiefe liegende Ebene zu finden. Der ehemalige Hof hatte einen Keller, die Treppenanlage an der Grenze des Grundstücks war jedoch nirgends verzeichnet. Zu Beginn weckte die Treppe vor allem die Neugierde der Anwohner der nahegelegenen Siedlung.
Tagsüber liefen Spaziergängerinnen vorbei und warfen neugierige Blicke in die Tiefe, am späteren Abend trafen sich Gruppen Jugendlicher und forderten sich gegenseitig heraus, der Treppe ins Dunkel nach unten zu folgen. Sie hinterließen Zigarettenstummel und leere Bierdosen. Nach etwa einer Woche waren schließlich Bürgermeisterin und Presse auf die Entdeckung aufmerksam geworden. Es wurde ein offizieller Termin ausgemacht, um dem Rätsel auf den Grund zu gehen.
Trotz der vielen Neugierigen war nämlich das Ende der Treppe noch nicht erreicht worden. Immer weiter schien sie sich in die Tiefe zu schrauben und die meisten, die mit Handylicht oder Taschenlampe bewaffnet den Abstieg wagten, gaben spätestens nach hundert Stufen auf. Manche, besonders Abenteuerlustige oder auch Geduldige erreichten vielleicht noch die Hundertfünfzig, verloren aber nach einiger Zeit ebenfalls die Motivation für den weiteren Abstieg – denn allen war klar, dass sie den Stufen später auch wieder nach oben folgen mussten. Dennoch wollten alle wissen, was sich wohl am Ende der Treppe befinden mochte. Vermutungen und Gerüchte machten sich bald breit. Einige behaupteten, es seien die Überreste eines alten Luftschutzbunkers. Andere versteiften sich auf die Idee, dass auf dem ehemaligen Hof wohl Bier gebraut und dieses in den tiefen Kellern aufbewahrt wurde. Wieder andere wagten die Theorie, es könne sich um den Anfang eines alten Tunnelsystems handeln, das noch viel älter als der ehemalige Hof war und mysteriösen Zwecken gedient hatte.
Einige professionell ausgestattete Mitglieder der örtlichen Feuerwehr wurden beauftragt, im Namen der Stadt in die Tiefe zu steigen. Nachdem die Schaulustigen vor Ort bereits eine Stunde ausgeharrt hatten und weiterhin kein Wort von den Feuerwehrleuten zu hören war, verloren die ersten die Geduld und gingen nach Hause. Nach zwei weiteren Stunden waren nur noch die Einsatzleute vor Ort zurückgeblieben. Auch die Bürgermeisterin hatte sich mit dem Hinweis auf einen weiteren wichtigen Termin verabschiedet und der Mitarbeiter der Lokalzeitung musste am Nachmittag noch zur Versammlung des örtlichen Kaninchenzüchtervereins. Man möge ihn später telefonisch über die Entdeckung benachrichtigen. Nach insgesamt fast fünf Stunden war die Gruppe der Feuerwehrleute ohne viel neue Erkenntnisse zurück an der Oberfläche angekommen:
Die Wendeltreppe führte stets weiter und weiter nach unten, die anfangs noch gemauerten Wände gingen nach etwa dreihundert Stufen in reines Gestein über, wurden teilweise von Abschnitten rein aus befestigter Erde unterbrochen, um dann wieder von Gestein und teilweise kleinerem Mauerwerk abgelöst zu werden. Je weiter die Einsatzkräfte nach unten vordrangen, desto kühler, dunkler und stiller schien es um sie herum zu werden, bis sie nur noch ihre eigenen Schritte und das Schlagen ihrer Herzen hören konnten. Ohne ausreichend Verpflegung und mit der Aussicht, den Stufen auch wieder zurück nach oben folgen zu müssen, hatten sie die Erkundung schließlich abgebrochen. Die letzte, die finale Stufe hatte man nicht erreichen können.
Der halbherzige, in der Lokalzeitung gedruckte Hinweis auf die Entdeckung der Treppe und deren mysteriöse Umstände konnte nur die Aufmerksamkeit Weniger wecken. Die anfängliche Neugierde der Ortsansässigen nahm bald ab und das Thema wurde im öffentlichen Interesse schließlich von anderen, dringenderen Fragen abgelöst. Dennoch gab es einen kleinen Kreis Interessierter, die von der Treppe und dem Rätsel, das sie aufgab, angezogen wurden. Im Laufe der Wochen entwickelte sich geradezu ein kleiner Kult. Täglich konnte man eine Handvoll Personen in stiller Meditation auf- und absteigen sehen. Vielleicht drangen sie jeden Tag eine Stufe weiter in die Tiefe hervor, um am nächsten Tag wiederzukehren und noch eine weitere Stufe hinabzusteigen. Die ersten begannen schließlich, auch die Nacht auf der Treppe zu verbringen, dann ganze Tage. Mit Taschenlampen, Decken und Verpflegung ausgestattet, stiegen sie die Treppe immer weiter hinab immer weiter weg vom Lärm der Welt.
In der kühlen Stille des Gewölbes verbrachten sie schließlich immer längere Zeitabschnitte, ließen sich für einige Tage auf einem bestimmten Treppenabsatz nieder und gingen schließlich dazu über, nur noch in gelegentlichen Abständen eine Person an die Oberfläche zu schicken, um Verpflegung und weitere, für den Alltag wichtige Gegenstände zu holen.
Sie gewöhnten sich allmählich an die Dunkelheit, an die Kälte und die Ruhe des Treppenschachts.
Stückchenweise verlagerten Sie ihre Stätten immer weiter nach unten, immer weiter weg vom Lärm an der Oberfläche – aber scheinbar nie näher zur letzten, finalen Stufe. Stattdessen näherte sich die Treppe mit jeder Stufe der Ewigkeit an. Die Besorgungsgänge die Treppe aufwärts wurden immer seltener. Gespräche und Gedanken wurden langsamer, als übertrage sich die ewige Ausbreitung der Treppe allmählich auf die Gemüter der Anwesenden. Die Möglichkeit, die Treppe nach oben zu steigen, ging schließlich vergessen.
Lange war niemand mehr oben gewesen. Die Treppenstufen schienen sich nach oben wie nach unten gleich weit auszudehnen. Das Gefühl für den Raum hatte sie verlassen, genauso wie das Gefühl für die Zeit. Sie wussten nicht, was oben passierte, wer noch dort war und wer nicht, wen sie zurückgelassen hatten. Aber es interessierte sie auch kaum. Gedanken und Bewegungen hatten sich der absoluten Stille angenähert. Außerhalb von Raum und Zeit verharrten sie im Stillstand.
Niemand war mehr anwesend, um zu bezeugen, wie die Treppe schließlich wieder genauso
plötzlich verschwand, wie sie aufgetaucht war. Niemand war mehr. Außerhalb der Zeit bestanden weder Anfang noch Ende

FD: Rom 2125

Leises Motorensummen. Rauschen einer Klimaanlage.

A: Viele Wege führen nach Rom.

B: Auch Rom wurde nicht an einem Tag gebaut.

A: Eulen nach Rom tragen.

B: Athen. Das war Athen.

C rührt gelangweilt in ihrem Kaffee: Was soll denn bitte Athen sein?

B: Die Hauptstadt von Griechenland.

A: Ehemalige Hauptstadt.

C: Noch so ein Haufen alter Ruinen?

A: So ungefähr. Bist du sicher, dass es Athen war? Warum sollte man Eulen nach Athen tragen?

C: Warum sollte man überhaupt irgendwohin Eulen tragen?

B: Genau darum geht es doch!

C: Aha.

A: Ich glaube ja, dass es Rom war.

B: Gut. Sollen wir es nachschauen? Okay, Google: Sprichwort – Eulen nach Athen tragen.

Google: Eulen nach Athen tragen: Die Redensart Eulen nach Athen tragen steht für eine überflüssige Tätigkeit./

C: Etwa so überflüssig wie die Diskussion gerade./

Google: Sie geht auf den antiken griechischen Dichter Aristophanes zurück, der den Ausspruch in seiner Komödie Die Vögel um 400 v. Chr. prägte./

C: Laaangweilig./

Google: Dort wird in Vers 301 eine herbeifliegende Eule mit den folgenden Worten kommentiert: «Τίς γλαῦκ’ Ἀθήναζ’ ἤγαγεν;» / „Tis glauk’ Athénaz’ égagen?“/

C: Okay, danke! Google.

Google: „Wer hat eine Eule nach Athen gebracht?“ (Anmerkung: γλαῦκ’ glauk’ ist verkürzt aus γλαῦκα glauka „Eule“ [Akkusativ] und steht im Singular.)/

C: Danke, Google.

Google: In der Übersetzung von Carl Friedrich Schnitzer und Wilhelm Siegmund Teuffel heißt es:/

B: Danke, Google. Es reicht!

A: Ich versteh nicht, warum es nur auf dich hört.

B: Vielleicht hab ich es so eingestellt!?

C: Können wir dann mal für einen Moment euer intellektuelles Battle unterbrechen und klären, warum wir da überhaupt hin fliegen?

B: Tun wir ja nicht.

C: Hä?

A: Ugh. Wir fliegen nach Rom. Nicht nach Athen. – Kannst du mal deine Besserwisserei ein bisschen weniger raushängen lassen?

B: Sorry.

B: Ich dachte, es wäre zur Abwechslung mal ganz nett – etwas Kultururlaub!?

C: Aha.

C: Hätte es nicht trotzdem wenigstens ein Städtetrip oder so sein können? Warum sollen wir uns einen Haufen Steine anschauen?

B: Na ja… es sind halt recht wichtige? Steine?

A: Was genau macht denn diese Steine wichtiger als andere?

B: Es gab zum Beispiel mal ein römisches Reich…!?

B: Antike und so!?

C: Okay, google: Römisches Reich.

Google: Römisches Reich. Das Antike römische Reich (lateinisch Imperium Romanum) war das von den Römern, der Stadt Rom bzw. dem römischen Staat beherrschte Gebiet zwischen dem 8. Jahrhundert v. Chr. und 7. Jahrhundert n. Chr.

C: Okay, google: Fun facts zum Römischen Reich.

Google: Meme: Eine Frau filmt sich, wie sie einem Mann die Frage stellt, wie oft er an das Römische Reiche denke. Die Antwort: »Drei Mal täglich.« Und: »Jeder Junge, den du jemals getroffen hast, hat sich schon mal die Frage gestellt: ›Könnte ich in der römischen Legion überleben?‹ «/

B: Okay, danke, google.

Google: »Das ist eine normale Sache.« Die Frau wirkt nicht so, als könne sie das nachvollziehen. Sie lacht.

C: Google, klappe.

A: Na, Du hast deinem google ja auch einen freundlichen Umgangston beigebracht.

C: Immerhin hört es auf mich.

A: Tz.

C: Okay, aber was soll der Quatsch von wegen „Wie oft denkst du an das römische Reich?“

B: Keine Ahnung, irgendsoein „early 21st century nonsense“.

C: Aha.

B: Jedenfalls war Rom mal riesig. In der Antike jedenfalls. Und später dann die Hauptstadt Italiens.

C: Ach, krass. Rom war mal eine Hauptstadt? Ich dachte, da gibt es nichts außer viel Sand und Stein.

A: Dir ist aber schon klar, dass die Welt nicht schon immer gleich aussah, oder?

C: Haha…

A: Klimawandel?

C: Ich dachte immer, das wäre ein Mythos gewesen?

B: Naja… weiß man nicht so genau. Also, warum sich genau im 21. Jahrhundert plötzlich so viel… verändert hat. Aber Rom war wohl mal eine ganz normale Stadt.

C: Und dann? Haben sie einfach beschlossen, die Hauptstadt umzuziehen?

A: Wahrscheinlich ist ihnen nicht viel anderes übriggeblieben?

B: Zu hohe Temperaturen, zu wenig Wasser.

C: Und da wollen wir hin? Freiwillig?

B: Ach, komm. Wir machen ein, zwei Tagestouren. Wenn es dir zu heiß ist, kannst du ja im Auto bleiben.

A: Und den Rest der Zeit liegen wir eh nur am Pool. Wie immer. Von wegen „Bildungsurlaub“.

C: Ich hoffe, der Pool ist indoors?

B: Ja, natürlich. Wie soll das denn sonst gehen, bei den Temperaturen?

Klirren einer Kaffeetasse auf der Untertasse. Kurzes Klingeln (Ding-Dong).

Pilot: Okay, ladies. Ihr müsst euch kurz anschnallen. Wir erwarten Turbulenzen.

C: Ugh. Wofür haben meine Eltern eigentlich einen neuen Privatjet, wenn der immer noch nicht sicher ist gegen Turbulenzen!?

B: Ich glaube nicht, dass das so funktioniert!?

Lauteres Klirren.

A: Ich hasse fliegen.

FD: Postapo-Glitzer-Glitzer

Wir sind ausgezogen
die Welt zu erobern
gefunden haben wir nur Trümmer
Hinterlassenschafen vergangener
Generatonen
irgendwo zwischen Bau-Skeleten und Restauratonsversuch
wandeln wir
in dem Wissen, wir werden die letzten sein
mit einem Lächeln lassen wir die Bemühungen
um…
hinter uns
In dem Wissen
es wird nichts bleiben
unseren Lebensstandart nehmen wir nicht mit
postapokalyptsch heißt der neue Trend
irgendwo zwischen Gleichgültgkeit und Müllbergen
kultvieren wir Wahnsinn und Magie
irgendwo zwischen Kapitalismus und Konsum
streuen wir den verlorenen Glitzer
suchen wir nicht mehr das Leben
das uns verweigert bleibt
irgendwo tanzen wir weiter auf dem Schlachteld
der letzten Generaton
irgendwo tanzen wir
solange die Musik weiterläuf
merkt vielleicht niemand
wie
vor den Toren unserer Welt
der Tag anbricht