Carsten Stephan: Was läßt sich über Möbel sagen?

Mit Goldsmith keine Pleite schieben

Adrett, allerliebst, anmutig, ansehnlich,
ansprechend, anziehend, apart, appetitlich
(Küche!), berückend, etwas Besonderes,
bildschön, blendend, brillant, duftig,
delikat, echt, eindrucksvoll, einnehmend,
einmalig, einzigartig, elegant, elfenhaft,
entzückend, erhaben, exquisit, charmant,
fabelhaft, fantastisch, fein, fehlerfrei,
fesch, flott, formvollendet, ganz groß,
gefällig, gewinnend, graziös, herb,
herrlich, hinreißend, hübsch, ideal,
imposant, jugendlich, klar, klassisch,
köstlich, kräftig, kühn, künstlerisch,
lebendig, leuchtend, lieblich, mächtig,
mondän, nett, niedlich, patent, pfundig,
pikant, prachtvoll, prächtig, raffiniert,
rank, rassig, reif, rein, reizend, sauber,
schick, schmissig, schmuck, schnittig,
schön, stattlich, stilvoll, strahlend,
sympathisch, tadellos, traumhaft,
vollendet, vornehm, wirkungsvoll,
wohlgeformt, wohlgestaltet, wunderbar,
zauberhaft, zierlich.

Nun darf man über eine Aufzählung
dieser Art nicht einfach hinweglesen,
so geht es nicht, das muß man sehr
aufmerksam in sich aufnehmen und
versuchen, jeden Begriff auf ein bestimmtes
Möbel anzuwenden. Erst, wenn dieses
gelungen ist, befreit man sich von den
stehenden Redewendungen
formschön modern preiswert.

Carsten Stephan: Möbelmäkelei

Nach Prof. Walde

Die Kommode ist ein Kastenmöbel, welches
seinen Namen nicht mit Unrecht trägt. Früher
stellte man die Kommode auf hohe Füße,
während jetzt die Schubkasten bis fast auf
den Fußboden reichen, so daß man sich bei
ihrer Benutzung zu sehr bücken muß; deshalb
ist die Kommode von heute nicht mehr so
„commode“ als ehedem.

Unter der seltsamen Bezeichnung „Vertikow“
versteht man einen Schrank oder Behälter
von zierlichen Formen zur Aufbewahrung
wichtiger oder wertvoller Gegenstände,
Kostbarkeiten, Nippes u. drgl. Der Name
soll herrühren von dem ersten Verfertiger
dieser Art von Schränken, die zumeist an
die Stelle der „Glasschränke“ unserer
Voreltern getreten sind. Von dem durch
das Eindringen des neuen Stiles veranlaßten
Umschwung der Dinge ist auch das Vertikow
nicht verschont geblieben; der moderne Stil hat
ihm das Urteil gesprochen, und dies lautete auf
Verbannung.

„Wandschrank“ ist eine wenig glückliche
Bezeichnung für ein an der Wand hängendes
Schränkchen von geringer Ausdehnung. Denn
auch der große Schrank steht jemals kaum
anders als an der Wand. Der Unterschied ist
in der Größe und darin zu suchen, daß jener
hängt und dieser steht. Der Name wird uns
erklärlich, wenn wir wissen, daß man früher
unter Wandschrank einen in der Wand
befindlichen Schrank verstand. Die Sitte,
Nischen in der Wand vorzusehen und
dieselben mit Türen zu verschließen, ist
nur langsam, erst seit der Gotik verdrängt
worden durch die Einführung beweglicher
Holzschränke.

Der Schreibtisch war ein Tisch, ehe er zu
dem heute oft so umfänglichen Schrank
wurde. Der Schreibtisch von heute hat
so gewaltige Ausdehnung angenommen,
daß zur Ausfüllung der Schränke und
Schubkasten schon ein ganzer Papierladen
erforderlich sein würde; daher bilden seine
Gelasse gewöhnlich entweder das Familien-
archiv, oder sie dienen als Bücherschrank.
Denn so viel Schreibwerk hat kaum der
Schriftsteller von Beruf, daß er die
Verschlüsse alle damit füllen könnte.

Mit dem undeutschen Namen „Salontisch“
bezeichnet man landläufig den meist für
Empfangsräume bestimmten, aber darin
ziemlich überflüssigen Tisch. Denn nur
die Gewohnheit läßt uns einen Raum ohne
größeren Tisch als unfertig möbliert
erscheinen; nimmt man diesen oder jenen
Luxusgegenstand, ein Buch, eine schöne
Bedeckung der Platte aus, so hat der Tisch
im Empfangszimmer nichts zu tragen,
infolgedessen auch keinen oder doch nur
den Zweck, daß man daran oder in seiner
Nähe Platz nehmen kann; ebensogut kann
man aber auch anderswo Platz nehmen, da
im Empfangszimmer weder gespeist, noch
gearbeitet oder gelesen wird. – Von der
früher so beliebten runden, ovalen oder
vieleckigen Form des Tischplattes macht
man neuerdings wieder gern Gebrauch.
Der runde Tisch hat den Vorzug, kein Unten
und Oben, kein Links und Rechts zu haben;
die von ihm gebotenen Plätze sind völlig
gleichwertig, es gibt keinen bevorzugten
Platz, keinen Rang am Tische, jeder Platz
ist Präsidentenplatz.

Christian Knieps: Besitzlos

Ich bin heute Morgen aufgewacht und hatte richtig hartnäckige Kopfschmerzen. Solche Kopfschmerzen, dass man ausrasten könnte, wenn es nicht so verdammt wehtun würde. Ich stelle mir die Frage, worüber ich in der Nacht alles nachgedacht habe, und ich komme zu der Erkenntnis, dass mich mein Besitz so richtig annervt! All der blödsinnige Kram um mich herum, den ich aus irgendwelchen anerzogenen Gründen seit Jahren und Jahrzehnten sammle. Also weg damit!
Ich beginne. Zunächst suche ich alles zusammen, das ich nur aus reiner Sentimentalität behalten habe: Gläser vom Weihnachtsmarkt, alte Fotos von irgendwelchen uncoolen Ereignissen aus meinem Leben, Bücher, die mir geschenkt wurden, da ich sie angeblich verschlingen würde, Kerzen, hunderte davon, Nippes und noch mehr Nippes. Ich stehe vor einer Schublade und schaue auf vierzehn Tesafilmrollen, neunzehn Kugelschreiber, vier Notizblöcke und so viele Post-Its, dass ich meine Wohnung wohl zweimal damit tapezieren könnte. Dabei mache ich mir doch Notizen auf dem Handy!
Der erste Müllsack ist in wenigen Minuten voll, dann der zweite, und als ich den dritten zuknote, stelle ich mir langsam die Frage, wie viel Müll ich zusammentragen werde und wohin ich diesen bringen müsse. Das alles würde niemals in die Mülltonne passen. Aber bloß nicht ablassen vom Ausmisten! Sonst knicke ich ein und räume wieder alles aus und in die Schränke ein. Die Kopfschmerzen werden weniger, und ich halte das Tempo hoch, indem ich nach und nach meine Wohnung entgifte.
Der Wohnzimmerschrank hat es mir angetan – das meiste habe ich bereits entsorgt, und jetzt geht es an die staubigen Bier- und Weingläser, die schon lange nicht mehr in Benutzung waren, ehe auch die allerletzten Reste in anderen Schubladen verschwinden, und ich mich ernsthaft zu fragen beginne, ob ich eine leeren Schrank im Wohnzimmer haben möchte.
Kurzerhand entschließe ich mich, im Schlafzimmer das Bett abzuschlagen – die Matratze kommt mit ins Wohnzimmer. Ab jetzt ist ein großer Teil des Schlafzimmers Ablagefläche für die Müllsäcke, aber auch nach und nach für die Möbel, die ich abbaue – beginnend mit dem Bettgestell und dem leeren Wohnzimmerschrank.
Ich merke, wie die Wohnung große leere Flecken erhält, und am Nachmittag ist der erste Raum komplett leer. Nichts, aber auch rein gar nichts habe ich aus dem Wohnzimmer als bewahrungswürdig für mein weiteres Leben identifiziert, und so führt mich mein nächster Weg in die Küche. Hier fliegen zunächst die vielen Geräte, die ich nie nutze, aus den Schränken, ehe ich die Anzahl an Geschirr drastisch reduziere. Ich brauche keine zwölf Teller oder vierzehn Kaffeebecher, je ein Set muss genügen.
Auch die Küche leert sich immer weiter; nur die Kaffeemaschine und der Kühlschrank scheinen noch eine gewisse Wichtigkeit in meinem Leben zu besitzen. Dann aber beschleicht mich ein Gedanke, der alle aufkommenden Fragen für immer und ewig beantworten könnte: wenn ich doch gar nichts so richtig besitzen muss – warum muss ich überhaupt eine Wohnung besitzen? Diese Frage arbeitet sehr stark in mir, und ich muss zugeben, dass ich einige Probleme nicht auf Anhieb lösen kann – wie zum Beispiel die Klamottenversorgung -, doch soll ich mich von diesen Unwägbarkeiten etwa abhalten lassen? Vom absoluten Besitzlosenzustand? Wobei… Ja natürlich! Ich besitze dann immer noch meine Erinnerungen, Gefühle, Leidenschaften… doch ich bin dafür wenigstens den ganzen Pröll los! Endlich!

blumenleere: burnin‘ ur furniture may lead to a celebration of life

schlag das haus auf, die wohnung. darin prothesen, dir, laut massenwahn, deine mehr bis minder alltaeglichen taetigkeiten zu erleichtern, sowie semistationaere aufbewahrungsbehaelter fuer kuenstliche abgelegte haeute & allerlei zeug, dessen scheinbare notwendigkeit deiner blanken unfaehigkeit entspringt, dich den umstaenden & dir begegnenden ereignissen ohne ein pathologisches horten von vorsichtsmasznahmen & gegengiften zu unterwerfen: du, also, verstellst dir den raum mit pervers geknechtetem material – wider seine natur mit viel aufwand zum vermeintlichen stillstand gezwungen –, seinen wandel verdraengend, abnutzungserscheinungen verfluchend … aber, wieso, nur, wo dir doch klar sein muesste beziehungsweise sollte, dass seine erosion dadurch zwangslaeufig beschleunigt wird, nutzt du es denn dann, um ruecksichtlos darauf zu liegen, sitzen, speisen, scheiszen, kopulieren? willst du in einer zeitkapsel vor dich hinvegetieren, dich in deiner nahezu grabkammer dem quirligen leben entziehen & dir die luft zum atmen von letztlich primaer industrieware rauben lassen, die das, was du zuhause nennst, mit seiner widerlich sperrigen anwesenheit verseucht …?

Bastian Kienitz: LINIENLAND

(Blankosonett)

in meinem Zimmer ist es praktisch einfach
puristisch konstruktiv, klar definiert
hier eine Ecke, übereck ein Spiegel
dazwischen Kreuzungspunkt und Bindeglied

aus Linien, Formen eines Vektorraumes
in einem Raum der Fläche zum Quadrat
und dessen leerer Kern um eine Mitte
die alles irgendwie zusammenhält

das ist Geworfensein in dieses Leben
an dem das ungreifbare Wirkgeflecht
wie Wellen an den Strand des Daseins spülen

nur nachts, da liege ich noch lange wach
und fühle, ich bin frei von jeder Sorge
wenn ich das Leben lebe, wie es ist…

Bastian Kienitz: Das Dachstudio

(Blankosonett)

der Bass schlägt schräg auf die Sekunde ein
ins Zwischendurch gevögelt bis zum Wahn
wirkt dieses Glas lichtbrüchig und erhitzt
wenn man ganz oben auf der Treppe steht

verliert die Maske ihren Sinn und Zweck
und die Gestalt erhebt sich lüstern selbst
auf das Podest und wird zum Mittelpunkt
der Tagesschau auf dem Dachstudio

das Fiftyfour gleich um die Ecke scheint
ein Licht aus Tausenden und einer Nacht
mit Charme, Schablone und von Angesicht

zu Angesicht, gemeißelt, bibeltreu
vielleicht auch frei von Mauern, alles gleicht
dem großen Plan: dem Ganzen scheingestellt…

Bastian Kienitz: Das Buch

das ist mein Buch, am Rand des hölzernen Tisches
mein Boden, auf den ich das Teeservice setze
die Ordnung zum Kreis einer Linie und Ecke
am Ende der Lehre, schlussendlich Verwischtes

dort steht auch die Kanne, chromblassgrau im Leben
meliert wie die Haare, die ich mit mir trage
doch alles wirkt ruhig, ringsum was ich habe
bleibt in sich gekehrt vom verwaschenen Reden

es ist jetzt vollbracht, meine Zeit scheint zu Ende
und alles was bleibt, sind die blattlosen Seiten
dort bin ich, dort war ich und dennoch beizeiten
bin ich das Stillleben im Schein deiner Hände…

Bastian Kienitz: 10.11.2012 [2.00Uhr]

Auf dem Tisch liegt er, wie etwas Gezähmtes, mit Zähnen,
mit messerscharfen Blickpunkten, an ihren Schenkeln ent-
lang kleine Perlen, klitzekleine vom Regen und rotgestürzte
Unterlippen von seiner Protagonistin: er liest am Biertisch
weiter vom Schreiben….

Bastian Kienitz: The Chair

der stuhl auf dem
du sitzt ist morsch
und auch die zeit

der Stuhl auf dem
du sitzt ist morsch
und auch die Zeit
hat ihre Spuren
hinterlassen

gefaltet hängst
du deine weißen
Hemden auf
und wünschst
dir dieses flatterhafte
Herz zurück

(vielleicht hat es dich längst
verlassen)

ich glaube nicht
dass es dich stört
den Neuanstrich
wird niemand wagen
und wie der Stuhl
wirst du zuletzt
zerbrochen einen letzten
Ausweg planen