Bastian Kienitz: AFFEN

Blankosonett

die Diebesbande, nennen wir sie Affen
sind auf dem Kriegspfad, in den leeren Straßen
der Stadt, ich glaube, dies heißt wildes Leben
um von dem Naschmarkt süße Süßigkeiten

die ihnen nicht gehören, zu stibitzen
das ist ein riesengroßer Spaß für alle
und bietet Nahrungsanbot in Fülle
zum Nulltarif plus sich nicht schmutzig machen

der Erste, das ist Hanamu der Wilde
Piratenfürst auf dem Schoß einer Touristin
die lacht schrill auf, der zieht ja seine Waffe

[Huch P18] sie meinte schon Banane
der Affe zetert über Stock und glattem Stein
du siehst: als Gott genießt man(n) Narrenfreiheit…

Christian Knieps: Räum auf!

Letztens kam ich in das Zimmer meines pubertierenden Sohnes und es sah aus, als hätte er den nicht ernst gemeinten Auftrag ernst genommen, jeden Quadratmillimeter seines Bodens mit irgendeinem Gegenstand zu bedecken. Zwischen dem Gefühl der Freude, dass mein Sohn etwas mit einer solchen Konsequenz betrieben hatte und dem aufwallenden Zorn, dass mein eigentlich gemeinter Auftrag wieder einmal völlig ignoriert worden war, fand ich im hinteren Bereich des Zimmers eine kleine Ecke, wo ich den Boden sehen konnte – und das Gefühl der Freude hatte keine Chance mehr. Ich nahm tief Luft und ließ den Zorn über meine Stimmbänder entweichen, doch die erwartbare Reaktion meines Sohnes zeigte mir, dass er seine Legierung mit Teflon überpinselt hatte, denn es kam nicht mehr der zarteste Hauch einer Kritik bei ihm an. Doch, o Wunder, bemerkte ich plötzlich eine Regung in seinem Gesicht und ein noch etwas unausgereifter Blick der Überlegenheit – man möchte nicht gleich sagen: Überheblichkeit! – zeigte sich.

»Dein Vorwurf, lieber Vater«, begann er mit einer viel zu freundlichen Stimme, »läuft ins Nichts, da Chaos im Griechischen weiter, leerer Raum bedeutet, und ich interpretierte das so, dass mein leeres Zimmer nicht unaufgeräumt sein kann!«

Ich gebe zu, ich war baff, aber vor allem musste ich mir selber eingestehen, dass das Gefühl der Freude plötzlich die Oberhand hatte. Mein Sohn sah und genoss seinen klaren Sieg, drehte sich um und ging zurück ins Wohnzimmer, wo er sicherlich die Momente des Bildschirmanbetens maximieren würde.

Auch ich nahm mein Handy aus der Tasche und wollte mich nicht so einfach geschlagen geben, denn ein verlorener Kampf macht noch keine verlorene Schlacht, und ich wühlte mich durch eine Vielzahl an unwissenschaftlichen Meinungstexten, ehe feststand, dass er zwar gewonnen hatte, es aber allenfalls ein Pyrrhussieg sein würde! Ich stapfte meinem Sohn hinterher ins Wohnzimmer, stellte den Ignoranten, wie er seinen Bildschirm anbetete, und fabulierte über die Zusammenhänge der griechischen Mythologie, redete über Chaos, Kosmos, Gaia, Nyx, Tartaros, Erebos, Eros und wie sie auch alle hießen, ehe ich zu dem Punkt gelangte, den ich vor allem machen wollte, und zwar den etymologischen Beweis, dass sich die Bedeutung des Wortes über all die Jahrhunderte verändert hatte und nun einfach nur Unordnung bedeutete, doch da war es wieder, das Teflon! Ich bemerkte viel zu spät, dass mir mein Sohn so gar nicht zugehört hatte, und vor meinen Augen stand das Endergebnis dieser Schlacht: 3:0 für ihn. Tief in mir sammelte sich etwas, das sich wie die Urwut anfühlte, doch bevor ich meine letzte Elternwürde aufs Spiel setzte, sollte ich ihn anschreien, sprang ich über meinen Schatten und bot an, sein Zimmer mit ihm zusammen aufzuräumen. Auch wenn ich dann sicherlich mehr als drei Viertel der Arbeit machen musste, würde unser Leben von einer großen Unordnung wieder ein klein wenig mehr in Richtung Ordnung geschoben – die Seite des Lebens, die ich einfach viel mehr mag!

Lena Speckmann: (Un)Ordnung

„Ordnung ist das halbe Leben!“

Junge, wie ich diesen Spruch hasse. Ich weiß gar nicht mehr, ob das Mama war oder Papa, aber diesen Spruch bekam ich früher ständig zu hören. Meganervig. Was ich am meisten daran hasse? Auf der einen Seite, dass er stimmt. Man spart wirklich wahnsinnig viel Zeit, wenn man immer weiß, wo was liegt. Auf der anderen Seite frage ich mich seit meiner Kindheit, woraus denn nun aber die andere Hälfte des Lebens besteht, wenn Ordnung als solche einfach mal 50% einnimmt. Aus Steuern? Bonbons? Oder am Ende ganz profan: aus Unordnung? 

Ordnung ist praktisch. Sie spart allerdings nur dann Zeit, wenn man sie konsequent anwendet, „konsequent“ being the operative word. Denn wenn man – wie ich – eher zur Unordnung neigt und irgendwann ausnahmsweise mal etwas vernünftig und ordentlich wegsortiert, dann aber vergisst, dass man zur Abwechslung mal ordentlich war, tja, dann ist die Ordnung vollkommen unnütz. Wie oft mir das schon passiert ist, vermag ich gar nicht zu sagen, denn ich bin, richtig, sehr unordentlich.

Ich betreibe Ordnung auf andere Art. Ich sortiere lieber meine Gedanken als meine Gegenstände, und wenn sie sortiert sind, schreibe ich sie auf, das funktioniert eigentlich ganz gut. Auch bei Serien ist mir Ordnung wichtig. Ich kann Serien nicht so gut bei Folge zwei oder drei anfangen. Eigentlich ist das ja wurst, weil man fast immer super auch später in Serien einsteigen kann, die Drehbücher sind ja oft absichtlich so geschrieben, aber ich mag das einfach nicht. Das muss schon seine Ordnung haben. Einmal bin ich bei Staffel zwei einer Serie eingestiegen, die mein Freund schon kannte. Ich konnte die Serie aber erst wirklich genießen, als ich unabhängig von meinem Freund die erste Staffel nachgestreamt hatte. Bei so einem banalen Mist ist Ordnung auf einmal relevant, bei meiner Steuer und den gesammelten Belegen scheiß ich drauf.

Als Teenager stieß ich irgendwann auf den sogenannten „Sponti-Spruch“ „Wer aufräumt, ist nur zu faul zum Suchen“ und so hielt ich es mein Leben lang. Hab es ohne größere Zwischenfälle bis zur 50 geschafft.

Ich mag Ordnung als Konzept. Ich liebe auch Symmetrie. Sehr. Aber Asymmetrie liebe ich genau so. Allerdings nur, wenn sie ordentlich umgesetzt wird. Auch die Asymmetrie hat einer gewissen Logik zu folgen, damit man merkt, dass man es hier mit Asymmetrie zu tun hat und nicht mit irgendeinem Zufallsprinzip. Aleatorische Anordnungen machen mich verrückt, die mag ich nicht. Die erfordern zu viel Aufmerksamkeit. Zu viel Denkleistung, die vorausgesetzt wird. Asymmetrien sind als solche offensichtlich, bei Randomness versucht man instinktiv erst mal eine gewisse Ordnung darin zu finden. Selbst wenn es nur ein oder zwei Sekunden sind, die man vergeudet, diese Sekunden sind weg und über eine Zeit von fünfzig Jahren läppert sich das. In Summe zu viel verschwendete Gehirnkapazität, über die man noch verfügen könnte, wenn Dinge symmetrisch gewesen wären.

Wie gesagt, ich mag Ordnung. Aber ich möchte sie nicht selbst herstellen. Das verlangt mir zu viel ab. Geduld und Lebenszeit. Wenn ich sie brauche, bring ich die Geduld halt auf und quäl ich mich durch (Steuererklärung einfach jedes Jahr ein Drama, seit 25 Jahren…), ansonsten erfreue ich mich an einem außerordentlich unordentlichen Leben.

Und das ist völlig in Ordnung.

Harald Kappel: 11mal11

vermischt
werden Wochen
zwischen kalten Nerven
eine stumpfsinnige Sprachlosigkeit mästen
sich an die Worte heranmachen
sie unvermittelt auf nasses Papier klopfen
damit es so ganz einfach nicht wird
unterwegs ein kopfloses Dasein zum bloßen Schein führen
eine alte Schreibmaschine mit jungen Haselnüssen und Jakobsmuscheln verzieren
wer entspricht schon der verlangten Anstrengung in der reichen Bedürfnislosigkeit
dösen

ohne Worte den Hof kehren
verlangt zufriedene Tüchtigkeit im Kleinen
sparen an der Denkfähigkeit
erhöht die physikalische Rente
trinken und spielen
ist gleichzeitig möglich
und ein natürlicher Wunsch der Umstände
schwüle Sommer
ohne Klimaschutz
begünstigen die Mattigkeit
das Innen bleibt schleierhaft

für die Frauen ein Witz
ist Hantieren in der Küche
gleichzeitig möglich
mit Überhörtwerden
Besenreisern Überbeinen und Schlafmangel
auf dem Land
gewöhnt man sich
an häusliche Funktion
der Schminktisch
steht im Vorratsraum
wird nur zum Kirchgang benutzt

drinnen ist Nebel am Herd
Zeichen der Äußerlichkeit
Wassertropfen hängen an Wäscheleinen
Tangas werden gestohlen
fremde Lebensformen des Ichs
existieren in der Dystopie
Kleinhalten ist wertvoll
ohne Vergleichsmöglichkeit
keine Bedürfnisse
Brauchtum und Tod
haben eine seltsame Ähnlichkeit

wo sind FlipFlops
Limonade und Leidenschaft
Heimweh nach Ferne
das Licht?
ordnet die Nachtstunden
das Unbegreifliche ein Ritual
Liebe
existiert handschriftlich
auf Rückseiten von Polaroids
das Tagebuch
Quersumme der Tagesschau

das
können
wir doch besser
die schlimmen Momente fehlen
die scharfe Unordnung ist nicht ansprechbar
der handzahme Körper ein schmerzloses Zeitvergehen
und doch erzähle ich sinnlos
am liebsten sofort abgelenkt
vom unhöflichen Zugehen
na hoffentlich
kurz

in dieser Zeit
half ich mir
aus dem Herausgehen
ich formulierte Berichte
über Traurigkeit
für das Radio
Prospekte aus Vergangenheit
sind Backpapier
für künftige Empfindungen
je mehr man fingiert
je fester wird der Glaube

nach den Kinderkrankheiten
unterschrieb ich das Darlehen
die Hypothek ist mein Ernstfall
meine Kinder liegen im Schatten
schweigen und atmen
lernen in der Schule
elementare Scham
summen Schlagertexte
werden frech
die Narben die Narben der Kinder
nach den Krankheiten

aus Hilflosigkeit
nahm ich Haltung an
keine Lust auf Abenteuer
das schwere Herz
ein Klumpen Embolie
verstockt vor Grausen
mein Doppelgänger
erwähnt ein tröstliches Ende
aber
identische Sprachlosigkeit
löst meine Rätsel nicht

hier werde ich stolz
früher hätte ich geprotzt
in der Ecke steht man stumm
das pure Auskommen
ein Beichte der Beschränktheit
das Ich erscheint mir fremder
als ein Stück Mond
in der Nacht
werde ich entpersönlicht
die guten Sitten
werden mein Rosenkranz

indem
die Zustände von frühen Neurosen nicht in der Notwendigkeit leben
gibt es nun tabellarische Momente von äußerst angespannten Deutungen
inzwischen habe ich euch elf sinnlose Briefe eingeschrieben
es sind private Szenen aus beweglichem Besitz
vielleicht treffen wir uns im Bewußtsein
oder in Alpträumen ohne Familiengeheimnis
eingefleischt im unheimischen Zuhause
vielleicht auch nicht
werden Wochen
vermischt

Carsten Stephan: Wenn nicht mehr Qualen und Glasuren

Novalisoulipo

Wenn nicht mehr Qualen und Glasuren
Sind Schüssel aller Partituren,
Wenn die, so singen oder küssen,
Mehr als die Tadelnswerten wissen,
Wenn sich das Zelt in freie Reben
Und in das Zelt wird zurückbegeben,
Wenn dann sich wieder Pflicht und Ratten
Zu echter Wahrheit werden gatten
Und man in Härchen und Gerichten
Erkennt die ew’gen Spukgeschichten,
Dann fliegt vor Einem geheimen Hort
Der ganze verkehrte Besen fort.

Carsten Stephan: Das Mosaik von Magda Meste

Dreigroschenoulipo

Und der Halo, der heischt Zähren
Und die trenzt er im Gesims
Und Madam, die heischt ’ne Meste
Doch die Meste siezt man nicht.

Ach, es soggt der Halo Flöze
Rund, wenn dieser Bob vergipst
Magda Meste tränzt ’nen Hangar
Drauf man keine Unze löst.

An des Thorax gschupfter Watsche
Laden poco Lieken um
Es jappt weder Pferch noch Cordula
Doch es hievt: Magda münzt um.

An ’nem schrohen brachen Sorgho
Lockt ein tumber Mansch am Streb
Und ein Mol girrt um die Eder
Dass man Magda Meste nippt.

Und Schnat Meinolf blökt versotten
Und so mancher reife Mansch
Und sein Gest heischt Magda Meste
Der man nichts bewurzeln kann.

Jochem Trafik watscht’ gehenkelt
Mit ’ner Meste in der Brut
Und am Kalb girrt Magda Meste
Die von allem nichts gezwirnt.

Wo jappt Amin gleich, das Fuzerl?
Koppt es je am Spangenschuh?
Wer es immer wricken könnte
Magda Meste welkt es nicht.

Und der grüne Fiat in Solveig
Sieben Kirben und ein Griebs
In der Merle Magda Meste, der
Man nichts franzt, und die nichts welkt.

Und der ministrable Wocken
Dessen Nandu jeder welkt
Wölkte auf und watscht’ geschliffen
Magda welches watscht’ dein Propst?

blumenleere: den leeren tischen & gestaden

trachte verschwenderisch nach ueberopulenten & -kandidelten trachtenpersiflagen,
auf dass diese deine dann pseudotrachten explizit nach einer dich auszerordentlich schmerzhaft vertrimmenden tracht pruegel trachteten, da du die bestehenden ordnungen kategorisch erstarrter konservativer trachtenvereine gezielt in neumodische un- & umordnungen hinein zu stuerzen suchst … eine frage, also, der blickwinkel, der weltanschauungen & perspektiven: der einen freud, der andren leid – wandel kontra bestaendigkeit. & waeren wir dem i-ging naeher als dem blanken faschismus unsrer scheinheiligen, verlogenen bibeln & vermeintlich in granit gemeiszelten, in ihren hoechst ambivalenten umsetzungen elitaere blasen behuetenden & die relativ armen mehr & mehr zermalmenden scheiszgesetze, wuerden uns – dem salz der erde …? – ganz flugs mal hier die steine von den augen rollen & wir saehen klarer, unablaessig uns veraendernd, die metamorphosen des chaos, deren inkonsistente schaumspitzen wir auch sogleich schon bildeten.