Sophie Stiller: Ein Musikchen

Musik, Musik, jubelt es in mir. Was kommt da an mein Ohr heran? Es schlecht sich ein leises Cello dicht herbei, quietschend, summend, ein warmer Klang, klug und vorsichtig tastend, fühlend.. nebenher galoppiert die EGitarre, es schrammt und dampft rhythmisch vor sich hin, wobei im nächsten Augenblick ein klarer Riff den Raum durchsaust wie ein Blitz. Von links holpert und stolpert ein Saxophon herbei, etwas clownesk und auf schöne Weise unbeholfen mault und jault es den gemeinschaftlichen Klängen zu, wird aufgefangen durch ein freundliches Stuhl-Xylophon, welches sich rhythmisch ins musikalische Gedränge tanzt und das Gejubel und Gejaule mal unter- mal übermalt. Während die hölzernen Rhythmen sich selbstbewusst und ungestüm in die vielen Klänge verweben, kommt plötzlich eine Riesenmuschel zutage und durchbricht dröhnend blasend den Moment. Dieser sehr überraschende Auftritt bringt mich zum Lächeln und Jubeln. Ein wenig später entscheidet auch die Riesenmuschel sich für trancierendes Rhythmisieren, mal rennend, mal laufend, mal summend, mal schnaufend. Prustend. Überall singt es, summt es, klingt es, brummt es, dröhnt es, stöhnt es, schwingt es, singt es, tanzende Pflänzlein und Tierlein wiegen sich dazu und dieser Dschungel der Töne und Farben füllt den ganzen Raum aus.

Dankbar sitze ich dabei und höre zu, in mir breitet sich eine Ruhe und Freude aus wie schon lange nicht mehr und das Gefühl, alles sei doch ganz in Ordnung so wie es ist.

Liebe Grüße von Sophie

Simon Borowiak: Spirituosenleben

Frau Magenbitter hauts vom Stuhl.
Herr Dornkaat liegt daneben.
Eifrig bemüht sich Pommery,
versucht sie aufzuheben.

Dem jungen Korn ist nichts mehr klar.
Frau Gin sieht eine Maus.
Herr Pils beugt sich zu weit nach vorn
und fällt zur Flasche raus.

Alles verdunstet, schwappt und ölt,
entkorkt sich auf den Tischen.
Auch Fräulein Selters geht es schlecht:
Sie muss hier morgen wischen.

Simon Borowiak: Parforce

Es scheuchte der Wind
mit Fauchen und Pfeifen
die Wolken geschwind
übern Mond
und all das Gefiederte
schwärmte aus
und all das Gefiederte
stob auseinander
und Himmel und Pfützen
und Luft und Gehölz
und fauchende Wasser
und pfeifende Äste
ganz dicht beieinander
die zehn Firmamente
und Hagel und Flocken
rußschwarz und mondgelb
mein Herz wurde müde
und ich stieg vom Pferd.

Jasper Nicolaisen: Millennial Punk

Der Schlagzeuger der Killerpilze
Ist ungefähr acht
Und hat auch für acht
Radau gemacht
Er hat gedengelt und getreten
Man hat ihn nur sparsam
Darum gebeten
Mit acht ist er kein Sexsymbol
Die Trommel ist von innen hohl
Die Trommel ist von außen laut
Drauf hat der Schlagzeuger der Killerpilze
Seine Karriere gebaut
Mit ca Dreißig tritt er vor die Kamera
Was die Fans beruhigt
Er ist noch da
In einer Doku namens Millennial Punk
Sagt er den Plattenkäufern vielen Dank
Doch auch wir haben bei ihm
Dankesspesen
Ohne den Schlagzeuger der Killerpilze
Wäre das Schlagzeugspiel der Killerpilze
Nicht dasselbe gewesen
Der Gitarrist, der Sänger und der Bassist
Der Killerpilze
Haben schlagzeugerisch weniger beigetragen
Man kennt sie. Doch dazu muss man sie nichts fragen.
Sie hätten wenig oder nichts dazu zu sagen.
Ach übte doch jeder die Zurückhaltung dieser kindlichen Punkveteranen
Wer mit acht noch kein Sexsymbol ist
Und auch kein Schlagzeuger
Mag das eine oder andere davon noch werden
Gibt aber keine Interviews zu Delfinen oder Pferden
Welche zu Weltmeeren oder Ketamin sicher einiges einfiele
Weniger oder nichts jedoch zum Schlagzeugspiele
So schließt sich der Kreis
So bleibt ein jedes bei seinen Leisten
Wir wollen nun schweigen
Das will etwas heißen

Juli Kling: Moby Dick

Als Moby Dick die Essex mit seiner gigantischen Schwanzflosse getroffen hat, ging sie unter mit Pauken und Trompeten. Die Besatzung klammerte sich an alles, was sie hatte: an die Reling, an die Riemen, an die Ladeluken und aneinander. Aber es half den Männern nichts. Sie hatten keine Chance gegen den mächtigsten Wal der Welt. Sie hatten ihn jagen und erlegen wollen, denn sie waren gierig nach seinem Fleisch und dem Rat in seinem riesigen Kopf. Doch Moby Dick dachte nicht daran, sich mit den Walfängern zu beratschlagen. Er rammte die Essex mit ihren drei langen Masten, er brach sie entzwei, als wären sie aus Pappe, und mit seiner gewaltigen Fluke riss er alles in die Tiefe, was nicht niet- und nagelfest war. Die meisten Männer waren es nicht. Nur ein paar wenige von ihnen konnten sich in die verbliebenen Fangboote retten und in Richtung der chilenischen Küste treiben. Sie dachten, Moby Dick wäre fertig mit ihnen, und sie dachten, dass sie vielleicht heil aus der Sache herauskommen und zu ihren Familien zurückkehren könnten. Dabei vergaßen sie, dass auch Moby Dick eine Familie gehabt hatte, die sie ihm in ihrer Jagdlust genommen hatten, und Moby Dick vergaß im Gegensatz zu ihnen gar nichts. Er verfolgte die Fangboote und er beobachtete die Männer, während sie in ihrer Not und in ihrem Hunger begannen, sich gegenseitig aufzuessen. Er bemerkte mit Wonne, wie die Sonne ihre Haut verbrannte und wie ihr eigenes Fleisch ihnen wichtiger wurde als das seine. Er wusste, dass er gewonnen hatte und dass er niemandem einen Rat geben musste, dem er keinen geben wollte.
Daran dachte ich, als ich im Bug eines motorisierten Schlauchbootes saß und warm eingepackt über das bitterkalte Nordmeer glitt. Ich war hier, um den Nachfahren des wehrhaftesten Pottwals aller Zeiten zu begegnen. Zur Sicherheit hatte ich vorher ausreichend gegessen – selbstverständlich nur, um einer möglichen Seekrankheit vorzubeugen, welche mir von allen Seiten prophezeit worden war. Gewiss nicht zu Unrecht, denn ich leide an einem nervösen Magen und als Kind konnte ich lange Autostrecken lediglich mit einem Eimer auf dem Schoß bewältigen. Todesmutig hatte ich mich heute jedoch beim Einsteigen ganz vorne in das wackelige RIB-Boot gesetzt. Ganz oder gar nicht, lautete meine Devise und mit ihr das Gedenken an die zurückgelassene Reisetablette in meiner Unterkunft. Noch nie zuvor war ich in solch einem kleinen Boot auf dem Ozean unterwegs gewesen. Über meiner Winterkleidung trug ich einen ausladenden Kälteschutzanzug, der mir viel zu groß war und in dem ich kaum laufen konnte. Falls ich auf der Fahrt über Bord gehen sollte, was ich in Anbetracht der Historie und meiner mir vorauseilenden Tollpatschigkeit nicht unbedingt für ausgeschlossen hielt, würde er mir bestimmt gute Dienste leisten. Mit gefühlt 180 Sachen bretterte das Boot über das wogende Meer. Die Gischt schlug mir ins Gesicht und ich musste die Augen zusammenkneifen, um auf der azurblauen Unendlichkeit vor mir überhaupt etwas erkennen zu können. Trotzdem war ich die erste, die plötzlich in der Ferne das stiebende Blas eines Pottwals erblickte. Begeistert sprang ich von meinem Sitz auf und zeigte in Richtung des treibenden Wals. „Please sit down! It’s too dangerous!“, schrie mich der Walführer erschrocken an und irgendjemand zog mich am Arm zurück nach unten. Die anderen Fahrgäste redeten aufgeregt durcheinander, aber ich hörte ihre Stimmen nur noch dumpf und undeutlich, denn in mir war ein regelrechtes Konzert im Gange. Jeder Herzschlag fühlte sich an wie ein Paukenschlag und während wir uns der sechsköpfigen Walgruppe näherten, dachte ich, ich würde schlichtweg bersten vor Glück. Mehrere Meter, bevor das Boot die Wale erreichte, stellte der Kapitän den Motor aus und wir trieben schaukelnd über die rastlosen Wellen. Handys wurden gezückt und Kameraauslöser gedrückt, doch ich selbst saß ganz still da und bewegte mich nicht. So laut, wie die Trompeten in meinem Kopf gerade noch gespielt hatten, so verhalten waren meine Gedanken jetzt, im Angesicht der Urenkel von Moby Dick. Ich wusste, dass ich genau richtig war, wo ich war, und ich wusste, dass ich nirgendwo sicherer sein würde als hier draußen auf dem Nordmeer. Denn ich wollte keinen Rat von den Walen, ich wollte einfach nur, dass sie da waren und mein wildes Herz in Ruhe höher schlagen ließen.

Hank Schmidt in der Beek – TU DEN ARMEN PUNK-POET

Pop und nen Meter kaut
Poren kaputten Munde
Pumpenden Tone Kraut
Toten Urpamp ne Kunde

Duenne Truten am Kopp
Knaupen unter dem Top
Ratten poken um den Pu
Motten an der Kuppe nu

Tu den roten Kappen um
Tu ne nakte Noppe drum
Tu empor nun den Paket
Tu den armen Punk-Poet

Harald Kappel: Stöpsel

auf unserem Gartenteich
sind Landungsboote
die neue Wirklichkeit
gerade haben sie Kampftaucher
zu den Posthornschnecken geschickt
weil zu oft gelacht wurde
meine baumelnden Füße
stören die Spezialoperation
ohne Betäubung
werden sie am Gelenkspalt sehr sauber amputiert
meine Schreie werden im Wasser
zum musikalischen Opfer
der Froschlaich wartet auf die Oberstimmen
eine akustische Orientierungslosigkeit breitet sich aus
einige Torpedos verlieren sich im Schalllabyrinth
Materialfehler und Ermüdungsbrüche
eine Metamorphose von Eingriff zu Abort
als ich den Stöpsel ziehe
verschwindet
die neue Wirklichkeit
im Abfluss

Harald Kappel: Rücksichten

der Gaul wurde gefedert
dein Slip geteert
dein Kopf eine Bruchbude
die Kirche ein Rätsel
die Natur kauert auf dem Klo
mein Schweiss nimmt keine Rücksicht
im Pelz juckt der Arsch
der Gin ist ein Spinner
keiner redet von Geld
ich schlafe an der Wand
die Nutten warten im Mais
ich lerne Zigarren zu rollen
deine Beine sind tierisch
der Teufel ist Unfug
die Engel nerven
am Ende frage ich mich
welche Rücksicht
gerade ich
auf deine Sprache nehmen sollte

Harald Kappel: Melisma

beim Abschied
trägt dein müder Duft Federn in den Regen
sie füllen meine Tränensäcke
randvoll mit Sehnsucht
und
als das Schiff Fahrt aufnimmt
kantilliere ich leise
aus meinem Notizbuch
Psalmen und Suren
buchstabiere die Mißverständnisse
bis meine Augen heulen
verschütte unsichtbaren Nebel zwischen uns
suche in der Funkbude
ein randvolles Gefäß
voller Signale
und
während in der Kombüse
der Einheitsbrei zusammengerührt wird
morse ich kreischend laut vom Eselshaupt
labyrinthäre Verse
die keiner versteht
und
als meine Zungen
durch das Schalltrauma kollabieren
führt mich ein hübscher Lotse
zu den stummen Fischen
ihr Schweigen
trägt dein Einverständnis
beim Abschied