Simon Borowiak: Lieblos

Ich sehꞌ etwas,
was Du nicht siehst.

Ich fühlꞌ etwas,
was Du nicht fühlst.

Ich hörꞌ etwas,
was Du nicht hörst.

Wann merkst Du endlich,
dass Du störst?

Du schaust mich an
wie hundert Kühe.

Ich stehe vor Dir
wie ein Schwein.

Du gibst Dir redlicher als redlich
Mühe,

und ich will doch nur
bei der Andren sein.

Carsten Stephan: Narren

Runde Köpfe, spitze Zungen,
Stiller Weltschmerz, lautes Lachen.
Ab und zu kommt eine Nachricht
Und es zeigt sich wer beleidigt.

Dünner Bizeps, dicke Lippe,
Werk mit Absicht, ohne Wirkung.
Ab und zu kommt eine Klage
Und es plündert wer das Konto.

Sanfte Augen, scharfe Blicke,
Narrenfreiheit, Idealismus.
Ab und zu kommt eine Kugel
Und es greinen falsche Freunde.

Sabrina Marzell: Klassenfrage

Sara und Caro schauen einen Film, eine Aufstiegsgeschichte. Die Geschichte löst in
Sara negative Gefühle aus! Sara fängt an Caro Vorwürfe zu machen. In der
Auseinandersetzung driften die beiden auseinander.

Ich hielt den Kopf aufgestützt auf meinem Ellbogen, der sich immer tiefer in die Sofalehne
bohrte. Neben mir auf dem Sofa saß Caro und suchte die Fernbedienung. Ich richtete
mich auf und legte die Decke, die ich mir um meine Beine gewickelt hatte beiseite. Dann
tastete ich mich vorsichtig durchs dunkle Zimmer zum Lichtschalter vor und knipste das
Licht an. Das kleine, unaufgräumte Zimmer wurde von einem kalten weiß durchflutet und
der Schatten, der gerade noch über Caros Gesicht lag verschwand. Ich setzte mich wieder
und starrte einen Moment lang auf den grauen, dreckigen Teppichboden der an manchen
Stellen verklebt war und auf dem sich jetzt auch noch orangfarbene Chipsreste verteilten.
Nervös griff ich in die Chipstüte, die auf dem Tisch lag. Sie war leer. Ich zerdrückte die
Chipstüte und warf sie auf den Boden, wo sie knisternd wieder aufging. Ein bedrückendes
Gefühl stieg in mir auf. Meine Brust zog sich zusammen und in der kleinen Furche unter
meiner Nase bildeten sich Schweißperlen. Ich stand auf, öffnete das Fenster und zündete
mir eine Kippe an. Kalte Luft schlug mir entgegen und der Lärm des Zuges der vorbei
rauschte überfuhr mich. Ich rauchte ohne abzuaschen und schaute auf die menschenleere
Bahntrasse, die langsam vor meinen Augen verschwamm. Mutti war allein,
tablettenabhängig und chronisch pleite und mein Bruder schwänzte immer häufiger die
Schule und zog jeden Tag mit ein paar Idioten, die die Wohnscheibe in Beschlag nehmen
wollten durch die Siedlung. UND ICH: ICH BEKAM PANISCHE VERSAGENSÄNGSTE.
SCHEIẞE!, dachte ich.
„Was ist los?“, fragte Caro und riss mich aus meinen Gedanken. Ich schnippte die
angerauchte Kippe auf die Straße und schloss das Fenster. „Ich glaube, ich schaff´s Abi
nicht, vielleicht schmeiß ich´s hin.“ Caro zappte durchs Programm. „Quatsch, das klappt
schon!“ Du musst dich nur anstrengen“. Ich nahm ihr die Fernbedienung aus der Hand.
„Caro, du hörst mir gar nicht zu!“ Sie sah mich irritiert an. „Wir müssen alle büffeln, ohne
geht´s halt nicht!“, sagte sie. Mein Mund war trocken und meine Stimme wurde rau und
dünn. „Mir wird das gerade alles zu viel“, „ich mach´ mir Sorgen um meine Mutter und
meinen Bruder und darüber, ob wir die Wohnung verlieren und wieder umziehen müssen!“
Ich schämte mich für meine Mutter und meinen Bruder, für unsere Plattenbausiedlung und
ich schämte mich für den dreckigen Teppichboden in meinem Zimmer. Ich sah Caro
unverwandt an und wartete auf eine Reaktion. Sie schwieg.
Nach einer Weile bakam ich nichts weiter zu hören als ein kurzes, entmutigendes „Hmm“.
„HMMM“, wiederholte ich bedrohlich und krallte mich an der Sofalehne fest. Das Leder
unter meinen Händen wurde feucht. „Du musst nach der Schule nicht arbeiten und
irgendwelchen Yuppies teure Klamotten andrehen! Du hast nach der Schule Zeit zum
Lernen und gehst abends entspannt ins Schwimmtraining.“ Caro sah mich herausfordernd
an. „Glaubst du, ich hab´s einfacher als du?“ „JA! Verdammt!“, fluchte ich. Sie fing an
hecktisch in ihrer Jackentasche herumzukramen und zog ihre Dauerkarte fürs Schimmbad
heraus. Sie warf sie auf den Tisch. „Hier bitte“, ihre Stimme bekam einen spöttischen
Tonfall. „Schwimm so viele Runden du willst! Du musst keinen Cent dafür bezahlen!“ Dann
nahm sie die Fernbedienung in die Hand und zappte weiter durchs Programm. Meine
Situation schien Caro nicht zu interessieren. Das kränkte mich. Doch wie sollte sie sie
auch verstehen können? Caros Eltern waren noch zusammen und verdienten beide gut
und konnten ihr alles ermöglich. Caro kennt keine Geldsorgen keine sozialen
Abstiegsängste. „Reg dich ab, Caro!“, sagte ich nach einer Weile. Es geht nicht nur ums
Geld. Du hast gute Noten. Du wirst mit Sicherheit studieren und nach dem Studium
wahrscheinlich im Büro deiner Mutter anfangen!“, sagte ich nüchtern und zuckte die
Schultern. „Ich habe keine Ahnung was aus mir einmal werden soll.“ „Aber dafür kann ich
doch nichts“, erwiederte sie „Und dass ich im Büro meiner Mutter anfange“, schob sie
hinterher „ist auch noch nicht sicher“. „Du hast aber die Möglichkeit im Büro anzufangen
wenn du willst. In meinem Leben gibt es keine gemachten Nester, in die ich mich setzen
könnte.“ Mein Blick ruhte auf ihrem verständnislosen Gesicht. Als sie es bemerkte, sah sie
weg. „Verstehst du nicht!“ Sie schüttelte den Kopf, dann nahm sie ihre Jacke vom Sofa
und ging wortlos aus dem Zimmer.

Elias Hirschl: Über das Motiv der SAMSUNG MS 23 K 800 Watt Mikrowelle im Werk von Karsten Dorsch


Heute möchte ich einen Blick auf einen stark unterschätzten Autor werfen, ja vielleicht den unterschätztesten aller Zeiten. Karsten Dorschs Romane zeichnen sich durch ihre sprachliche Raffinesse aus, durch ihren Einfallsreichtum, ein diffiziles Einfühlungsvermögen zu seinen Figuren und eine enorme Detailkenntnis historischer Werke, zu denen er in seinen Büchern durchwegs stark Bezug nimmt. Ja seine Bücher sind gespickt mit Querverweisen, Zitaten und Anspielungen auf andere Werke und es würde Jahre dauern sie alle aufzulisten. Es gibt mehrere Theorien darüber, warum Dorschs Romane nie wirklich in den Literatur-Mainstream vordringen konnten. Manche halten sie für zu trist, andere für zu komödiantisch und wieder andere sagen, es liegt an eben jenen Querverweisen von denen Dorschs Bücher nur so überquellen. Letztere Theorie möchten wir uns kurz genauer ansehen.
Dorschs Werdegang ist im Vergleich zu seinen literarischen Kolleg:innen ein etwas sonderbarer. Als siebenjähriger Junge flüchtete er während eines Hurricans in den Sturmschutz-Bunker eines Nachbarn. Der Nachbar starb während des Sturms und der kleine Karsten war so leider die nächsten 30 Jahre in besagtem Bunker gefangen, bis ihn eines Tages ein Jogger zufällig entdeckte. In diesen 30 Jahren ernährte sich Karsten Dorsch ausschließlich von Tomatensuppe und Bohnen aus der Dose und las sämtliche Bücher, die in dem Bunker vorhanden waren. Die Bücher im Bunker waren: Ein Fall für dich und das Tigerteam Teil 576 – Geisterspuck im Altenheim von Thomas Brezina sowie eine Bedienungsanleitung für die Bunkerinterne Mikrowelle zum Aufwärmen von Dosennahrung. Laut eigener Aussage fand Karsten Dorsch seine Liebe zum Schreiben von eigener Literatur in dem er immer und immer wieder Ein Fall für dich und das Tigerteam Teil 576 – Geisterspuck im Altenheim, sowie die Bedienungsanleitung der SAMSUNG MS 23 K, 800 Watt Mikrowelle las.
Seine Bücher enthalten dementsprechend ebenfalls ausschließlich Zitate, Verweise und Anspielungen auf diese beiden Werke, die in der Geschichte der Weltliteratur leider viel zu wenig Beachtung finden, sodass die meisten Leser von Dorschs Romanen seine genaue Kenntnis dieser Werke nicht richtig zu würdigen wissen. Beispielsweise sein grandioser Roman: Die kaputte Mikrowelle in Zimmer 34, in dem vier Jugendliche der Bewohnerin eines Altenheims dabei helfen herauszufinden, wo die seltsamen geisterhaften Geräusche aus ihrer Mikrowelle herkommen, ist ein Musterbeispiel eines psychologischen Thrillers und verbindet gekonnt literarische Elemente und Motive nicht nur aus dem Buch Ein Fall für dich und das Tigerteam Teil 576 – Geisterspuck im Altenheim von Thomas Brezina, sondern auch aus dem Werk Bedienungsanleitung der SAMSUNG MS 23 K, 800 Watt Mikrowelle. Auch sein zweiter Roman mit dem Titel: „Der Geist in der Mikrowelle im Altenheim“ ist ein grandioses Beispiel dafür, wie sich altbekannte historische Stoffe in neuem Gewand erzählen lassen. Die historischen Stoffe in diesem Fall sind die Bedienungsanleitung der SAMSUNG MS 23 K, 800 Watt Mikrowelle, sowie das Buch Ein Fall für dich und das Tigerteam Teil 576 – Geisterspuck im Altenheim von Thomas Brezina und das neue Gewand in dem sie erzählt werden, ist ein etwas anderes Altenheim mit Klimaanlage und eine Mikrowelle, die eine lustige Melodie spielt, wenn sie das Essen fertig erhitzt hat. Eine lustige Melodie… oder etwa das läuten einer Friedhofsglocke? Dorsch spielt gekonnt mit unseren Erwartungen und unterwandert sie immer wieder von neuem. So etwa auch in seinem dritten Roman: „Die geisterhafte Mikrowelle aus dem Altenheim“, in dem der Geist einer verstorbenen Mikrowelle die armen Bewohner eines Altenheims terrorisiert – eine wirklich außerordentlich gut gelungene Adaption des alltherbekannten Themas von Geisterheimsuchungen in Altenheimen, erweitert durch das Motiv der SAMSUNG MS 23 K 800 Watt Mikrowelle.
So oder so, Dorschs Romane sind immer eine Empfehlung wert und noch heute läuft es mir kalt den Rücken hinunter, wenn meine Suppe endlich heiß ist.

Harald Kappel: Vom Abstellen des Mangels

morgens
ist das Bedürfnis am Größten
der Vortag
ist mit feuchten Erinnerungen gefüllt
der erste Schluck
nicht vor neun
ist der Schwerste
die selbstauferlegte Beschränkung
ein täglicher Erfolg
und
ein körperliches Muß
die Erleichterung
setzt augenblicklich ein
die Freude niemals
der Tag
wird
vom Abstellen des Mangels
erfüllt

Lea Schlenker: Der Bär

Wäre ich lieber
alleine eine Nacht
in einem Wald
mit einem Bären
oder einem Mann?

Aus einem seltsamen Grund
denke ich Sachen wie
einem Bär könnte ich vielleicht noch ausweichen
oder ihn irgendwie besänftigen
ich könnte mich totstellen
oder versuchen
laut zu sprechen und ihn somit einzuschüchtern

Ich denke an Bärenfallen
und Honigfässer
an Winnie Poos Freunde und
dass sie mehr Angst von mir als ich von ihnen hätte
Und dass ich so laut über seine Witze lachen dürfte
wie ich will
ohne dass er sich gleich in mich verliebt

Wäre ich lieber
auf einer einsamen Insel
mit Paddington oder einem Incel
einem gefrässigen Faulpelz oder einem schmierigen Pinsel
Wieso wird mir diese Frage überhaupt gestellt?

Es ist vielleicht weil ich nach einer Lesung
jeweils fleischfressende Pflanzen per Post erhalte
Weil ich die fetten Fische eigenhändig aus dem Meer fische
Oder es ist, weil ich mich manchmal fragen muss ob ich übertreibe
mich dann auf der Toilette verstecke
und ein Bär in meinem Büro
wenigstens irgendwie niedlich wäre

Wäre ich lieber eine Partygängerin
Mit einem Teddybären oder einem Pfefferspray
in der Handtasche?
Wäre ich lieber eine Arbeitnehmerin
Mit Werdegang oder einem Gang zum HR?

Ich denke an Bärenfallen und Honigfässer
Weil sie mir die Illusion von Kontrolle geben
Denn jeder weiss
Dass Bären nicht angreifen
Es sei denn man provoziert sie
Ich Männer gleichzeitig liebe und hasse
und ich nach einem Bärenangriff
niemandem erklären müsste
wieso mein Rock so kurz war

Benjamin Weissinger: HOLZ BALANCE MIT [Estragonmilch] weitere Personen

In einer Klasse wird gefragt, was die jeweiligen Großeltern der Kinder besonders gut kochen oder anders zubereiten können – oder konnten. Als Ira als letzte an die Reihe kommt, fällt ihr nichts ein. Sie hat auch gar keine Großeltern. Da sagt sie halb in ihre Hand: „Estragon Milch“. Die Lehrerin ganz laut: „Was? ESTRAGONMILCH? Das kann ich mir ja garnicht vorstellen.“ Ira wird rot, die Kinder feixen, rufen „wäh“, diese Dinge. Doch die Lehrerin kniet sich zu Ira hin und sagt, dass sie es nicht böse gemeint habe und alles gut sei. Dann macht die Klasse mit etwas anderem weiter.

Als Ira mittags nach ihrem Hause eine Straße entlang geht, findet sie nicht, dass alles gut ist. Ich kann mich schon gar nicht daran erinnern, wenn einmal alles gut war. Und das mit der Milch war nicht die Wahrheit, aber etwas Erfundendes ist besser, als wenn man gar nichts hat. Da geht sie an der geöffneten Tür einer Kneipe vorbei, vor der ein riesiges Fahrrad steht. Innen hört sie einen gehörigen Händel und zersplitternde Holzmöbel. Schließlich kommt, ganz zerzaust, der drei Meter große Zimmersmann herausgewankt. Fast läuft er Ira über den Haufen, die sich vor lauter Staunen nicht rühren kann. „Huch“, brummt er, „pass doch auf, sonst walz ich dich noch platt.“ „Schön und gut, aber was war denn da drinnen los“, fragt Ira forsch. Ein Lächeln, das man nicht sehen kann, huscht über das grimmige Gesicht des Zimmersmanns. „Ach, nur ein kleiner Händel. Alles gut, mein Kind.“ „Ich heiße Ira und es IST NICHT ALLES GUT!“ Der Zimmersmann wird ernst. Nach einer Pause sagt er: „nein.“ Und: „hier, eine Kastanie“. Die Kastanie ist sehr groß, schön glatt und sieht als wie poliert, so wunderschön rotbraun leuchtet sie. „Darfst sie behalten, Ira. Hat mich gefreut, dich kennenzulernen. Ich muss los.“ Als der Zimmersmann gerade losfahren will, ruft Ira: „du bist doch sicher schon an vielen Orten gewesen.“ Er hält an und dreht sich zu ihr um. „Das will ich meinen.“ „Hast du schon mal Estragon M.. magst du Estragon?“ Der Zimmersmann nickt und Ira lächelt zufrieden.

Die Lehrerin hat sich zuhause Estragonmilch in einem Vergleich der Berge gemacht und befüllt ein HOLZ BALANCE MIT ESTRONG MILCH BEHANG VOLL in der zoterharensik und dort gekordelt in den sportkordelonmmnm. ESTRANK heißt das Gemank. Die Lehrerin denkt, mit dem Experment sei alles gut. Doch manchmal ist auch weniger schon Mut.