Frédéric Valin: Wohnen

Nachts um zwei ist wieder was los. Mein Zimmer grenzt an die Küche, und Tag und Nacht haben für Ilse nur noch marginale Bedeutung; häufig kriegt sie nachts um zwei Lust auf, sagen wir mal, eine heiße Milch. Blöderweise steht keine heiße Milch im Kühlschrank, man braucht einen Topf – den alten, verbeulten, blankgescheuerten am besten, in dem wird schon seit Jahren, vielleicht auch Jahrzehnten die Milch heiß gemacht.

Dazu braucht es auch den Herd, ein altes Ding, das noch mit Gas betrieben wird, und der keinen Anzünder hat; man muss ihn mit dem Feuerzeug entflammen. Außerdem ist er widerspenstig, das Feuerzeug muss schon im richtigen Abstand zum Ventil gehalten werden, im richtigen Winkel sowieso, und das ist eben schwierig, wenn die Hände zittern und die Ungeduld wächst.

Es dauert nicht lang, bis Ilse das erste Mal ein enerviertes „Du Scheißding“ entfährt, und dann dauert es noch kürzer, bis sie es ein zweites Mal sagt. „Geh endlich an, Du Scheißding!“ An guten Tagen – an guten Nächten vielmehr – bleibt es dabei. Irgendwann klappt das alles schon, und am nächsten Morgen ist dann alles wie immer, bloß mit zwei drei Milchflecken auf dem Herd. In schlechten Stunden aber ist der erste Fluch nur der Riss im Damm, und es drängt immer mehr Gefühl und Frustration heraus, warum die Scheiße nicht so will, wie sie soll, warum eigentlich alles so gottverdammt schwer geworden ist, was zur Hölle das alles eigentlich noch soll.

Und wenn der Damm erstmal gerissen ist, dann bleibt es auch nicht bei der Scheißigkeit des Herdes, schließlich ist dieser Herd nicht die einzige Zumutung; nein, die Scheißtabletten, die nichts nutzen, fliegen dann in die Ecke, und bald wird ein Fluch zum Himmel geschickt – „Der liebe Gott, ja, wie kann der das machen, man muss ja blöde sein, um an einen Gott zu glauben, der ist ein Schwein, eine Dreckssau…“ Hier hält Ilse kurz inne. „Nein“, sagt sie dann, „Schweine sind nicht so, die Schweine können nichts dafür.“ Aber es ist nur eine kurze Unterbrechung, und es ist im Grunde egal, ob der Herd nicht funktioniert oder der Faden nicht durchs Nadelöhr will oder ein Brief, der wieder viel zu klein gedruckt ist, gekommen ist, obwohl sie eine Postkarte erwartet hat; schuld ist Deutschland, dieses Drecksland, das voller Nazis ist, immer schon war und immer so zivilisiert tut. „Wie kann ein Land sich zivilisiert nennen“, fragt sie, „und ich habe einen solchen Herd? Dieses Drecksland, diese Arschlöcher alle, meinen sie wären sonstwer!“ und mal ganz im Ernst: wer könnte da widersprechen. Ich nicht.

Gerwin Weinknoth: Spießdeutsche Pretiosen V – Der Kloß

Oh, güldengelbe Seele vom Potack,
aus Bulwens Leib geborenes Gezier,
von Erdenäpfeln bestgeratner Erb,
Die Götter lachten und es strahlte schier
der Himmel, als Bramburo dich gebar.
Schneeweiß liegst du auf unsern Tellern hier
wie Alabaster oder Marmor gleich.
Oh, feisteste der Speisen, sieh dich an!
Gibt es ein Ding auf Koches weiter Flur,
das Rundungen so reizvoll hat wie du?
Wie Meißners Porzellan, so schön und pur
liegst du wie Aphrodite in der Schal.
Noch nicht wie sie, oh unschenante Hur,
gehst schwanger du, mit Brot in deinem Leib.
Wir blicken deine Rundung an und nur
der Anstand hält uns fern, dass gierig wir
dich händisch in den Schlund uns stopfen rein.
Derweil saust uns das Blut aus Kopf und Hirn
und kindlich-reine Freude ins Gebein.
Du brandest unsre darbend Kehlen an,
die Lippen kräuseln sanft sich um das Dein.
Die Zunge, sorgenschwer benetzt dich gut,
der Zahn dringt ohn Erbarmen in dich ein
der eisge Speichel netzt dein weißes Fleisch.
Die Speiseröhr, die derbe, drückt dich klein.
Du wartest bis man Zutritt dir gewährt,
gemessnen Schrittes gehst du alls hinein.
Der Magen schließlich haucht dein Leben aus.
Du lässt es tapfer, ohne Kummer, zu
und schenkst dich her, du selbstlos nobler Schmaus.
Dein Opferwill bald größer als sichs ziemt:
„Oh, Heiland!“, rief so mancher schwärmend aus,
weil Leben und Erquickung du ihm gabst.
Augapf der Götter, schön bist du und gut.
Du schützest uns vor Pommesfritzens Harm.
Schon Omas von gebrechlichstem Gebein,
dich bargen unter ihrem weichen Arm.
Wes Vater mahnte nicht vor Schmerz durch Reis?
Wes Mutter schlug bei Nudeln nicht Alarm?
Oh, Kloß, du lieber, sakrosankter Glob,
Wir danken dir.
Vom Teller bis zum Darm.

Gerwin Weinknoth: Spießdeutsche Pretiosen I – Lied an die Leimfliegenfalle

Du Todesleimgespinst, wie filigran,
hängst du doch an der Küchendecke dran.
Als Pendel des Verderbens und der Qual,
dem flatternden Gefleuche ein Fanal,
drehst Du Dich in des Fensters engen Spalts
und wer Dich kennt, der weiß: schon bald verhallt’s,
der freudig schwirrend Mücken heitres Spiel.
Den argen Kleister intressiert nicht viel,
nicht Fliege oder Wespe oder Gnu,
ein Jedes führt er seinem Schöpfer zu
bis eine Fibonacci-Locke hängt,
ganz dicht an dicht mit Opfern vollgedrängt.
Vereinzelt zucken Beine von Getier.
Vivat! Oh Klebedings, wir danken Dir!

Gerwin Weinknoth: Spießdeutsche Pretiosen VI – Das Bier

Du köstliches Gepansch, oh, Gerstendunst,
Hältst fern von uns Verderben, Not und Pein.
Stehst gülden-braun im Glas, wie hingebrunst.
Du höchstes Gut der Welt und Sonnenschein.
Du prickelst, sprudelst, knallst wie ein Vulkan
Schmeckst herrlich auch Schnaps und Zigarett
Und brandest unsre kargen Kehlen an.
Du machst uns hunderttausend Sorgen wett.
Ergebenster Gefährt in bittrer Not
Und ewig unser allerbester Freund,
Wenn Finsternis ihn zu ersticken droht,
Hat jedermann noch stets von dir geträumt.
Wie Bernstein schmückst du unsres Tresens Kron.
Du funkelst wie der allerbraunste Stern.
Machst uns zu Helden, hebst uns auf den Thron.
Zefix, du Bierschatz, wir haben dich gern.
Was wärn wir ohne den umarmend Trost,
Den täglich du uns offenherzig leihst?
Weil du uns unsre Blödigkeit verzeihst,
Drum, Bier, auf dich, auf Ewigkeiten: Prost!

Gerwin Weinknoth: Spießdeutsche Pretiosen II – Ode an den Gartenzwerg (lang und kurz)

Lang:

Oh, der du da den Garten uns behütest,
Magnolien, die Gurken und den Kohl.
Wie häufig hat Frau Mieze hier geschmutzt,
die schauerliche Wachtel gar gebrütet
und dennoch hältst du Wache, brav und wohl
von dir wird jeglicher Gefahr getrutzt.
Am Rande der Rabatten ist dein Hafen,
mit klarem Aug und apfelroten Backen
bewachst du alle Früchte, wenn sie schlafen.
Für Bohnen und für hilflose Tomaten
den Kürbis gar, die adipöse Beer,
setzt du dich ein mit blutdürstigem Spaten.
Wie häufig kam Herr Teckel her, zu kacken
und ohrenwehend floh davon nunmehr?
Du hältst den Buckel hin für Rübe oder Blüte.
Als treuster deiner Freunde liegt voll Schwere
dein Bart, der deinen Wanst so sanft umdeckt
wie tausend wollne Decken bester Güte.
Hast Krieg getrotzt und Nachbars giftger Schere,
die alle Tage mordlustig er streckt.
Das Rot von reifen Kirschen schmückts Barett,
trotzt Regenwetter, Hunden oder Bären
und ist wie durch ein Wunder noch komplett.
Wenn, abgestraft vom Chefe heim wir kehren
und sehnen die Geborgenheit, die warme,
stehst freilich wieder du vor unsrer Tür.
Dann schließt du uns in deine kalten Arme
und küsst uns auf die Stirn, werweißwofür.
Stehst auch noch hundertzwanzig Jahre hier.
Oh, lieber Gartenzwerg, wir danken dir!
 

Kurz:

Ein Männlein steht vor meines Hauses Flor,
es trägt ein Mützlein, ganz aus rotem Gips,
es schwingt sein Säckchen, was wohl hat es vor?
Ich denk, es will mich töten mit 1 Schnips.