Carsten Stephan: Karneval

Ein Knabe kriecht in die Konfettidüne.
Ein plumpes Blasorchester bläst zum Spaß.
Ganz grüne Röcke fliegen auf der Bühne,
Und große Zähne beißen in ein Glas.

Katarrhe schielen nach der nackten Wade.
Ein draller Dackel liebt ein Narrenbein.
Es hagelt große Tafeln Schokolade,
Ein Balg bricht nieder und ein Sturm herein.

Ein Wagen kippt. Bemützte Männer purzeln.
Ein Altersfleck ist von Kamellen blau.
Trompeten dellen. Rote Trommeln wurzeln.
Ein Traktor stolpert über ein Helau.

Carsten Stephan: Unterwegs mit Eichendorff

„Hörst du nicht die Quellen gehen
Zwischen Stein und Blumen weit?

Hörst du nicht die Bäume rauschen
Draußen durch die stille Rund’?

Hörst du nun den Frühling laden,
Waldhorn gehn im grünen Wald?

Hörst du tief die feuchten Hügel
Schlagen an die Felsenwand?“

„All das kann ich gar nicht hören.
Also: halt doch mal die Klappe!“

Carsten Stephan: Narren

Runde Köpfe, spitze Zungen,
Stiller Weltschmerz, lautes Lachen.
Ab und zu kommt eine Nachricht
Und es zeigt sich wer beleidigt.

Dünner Bizeps, dicke Lippe,
Werk mit Absicht, ohne Wirkung.
Ab und zu kommt eine Klage
Und es plündert wer das Konto.

Sanfte Augen, scharfe Blicke,
Narrenfreiheit, Idealismus.
Ab und zu kommt eine Kugel
Und es greinen falsche Freunde.

Carsten Stephan: Bauhaussiedlung Dessau

Terzinen

Beharrlich mied ich jene Siedlungsstraßen
Mit ihren glatten, seelenlosen Bauten,
Die vor der Stadt sich in die Felder fraßen

Und ewig weiß und gleich und fremd ausschauten,
So dass sich alle, die das Schöne lieben,
Allein beim Abbild vor dem Ganzen grauten.

Doch jüngst hat mich der Zufall hingetrieben,
Ich staunte sehr und muss die Siedler loben:
Dank euch ist wenig, wie es war, geblieben.

Statt Fensterbänder, schwarz und abgehoben,
Sah ich beglückt die goldnen Dekosprossen.
Auch saßen jene einstmals zu weit oben

Und hatten so der Siedler Blick verdrossen
Auf Nachbars Gartenzwerg und Hütchenfichte,
Den sie nun auf dem Bette noch genossen.

Das Monotone machte man zunichte
Mit Dämmungsklinker- oder Schindelfronten,
Ihr Beige stand ihnen prächtig zu Gesichte,

Zumal, wenn sie am Dache glänzen konnten
Durch Braun, so dunkel wie der Wälder Rauschen,
Und gar durch ein Geweih mein Herz besonnten.

Doch soll die Siedlung wirklich uns berauschen,
Muss sie ganz lassen vom modernen Wahn:
Die flachen gegen Satteldächer tauschen,

Und übern First: ein goldner Wetterhahn!

Carsten Stephan: Moralkolumnist Dr. Ehrmüller

Darf man sagen, dass die Kinder nerven?
Darf man schlipslos aufs Familienfest?
Darf man Tante Trudes Kunst verwerfen?
Darf ein Veggie, um nichts wegzuwerfen,
Knabbern einen fetten Eisbeinrest?

So klug fragen Kaufmann und Friseuse,
Das ist es, worum die Welt sich dreht:
Darf man? Ist es gut? Oder doch böse?
Ehrmüller hält in der Zeitung Lese,
Und man hofft und spricht ein Bittgebet.

Darf man über rote Ampeln gehen,
Wenn der Zug fährt und die Zeit verrinnt?
Keineswegs! Denn schnell ist es geschehen,
Schließlich geht man oben nur auf Zehen,
Dass man fällt. Natürlich auf ein Kind!

Darf man Penner aus dem Bahnhof jagen?
Ja! Er ist doch öffentlicher Raum.
Doch es bleibt ein leises Unbehagen:
Darf man denn zu Menschen Penner sagen?
Nein! Denn ohne Achtung geht es kaum.

Darf man mangels Geld für eine Reise
Karten schicken: Gruß aus Sansibar?
Darf man, wenn zu arm für Biopreise,
Fleisch verzehren? Nö! – Und vom Kakao,
Durch den sie einen ziehen, trinken? Klar!

Unser Doktor hegt Gewissensmaden
Und erteilt schon jahrelang Absolution.
Selten spricht er nur von Schurkenstaaten.
Darf man seinen Lebenstraum verraten?
Er in der Weltethikkommission.

Darf man alte Panzer ausrangieren,
Oder wäre das ein Umweltgau?
Darf man auf Raketen Hate Speech schmieren?
Darf man einen schönen Weltkrieg führen,
Wenn so Zeit fehlt für die Ehefrau?

Carsten Stephan: Schweiß und Preis

Glosse

            Von der Decke bis zur Diele
            Muß der Schweiß herunter rinnen,
            Willst gelangen Du zum Ziele,
            Wohlverdienten Preis gewinnen.
                                Friederike Kempner

Woher kommt und wohin geht er?
Welches ist des Schweißes Richtung?
Davon kündet dir die Dichtung.
Fließt er grade oder dreht er,
Spritzt er achtundsiebzig Meter?
Ob im Nebel, ob am Nile,
Von dem Steiß geht er zur Schwiele,
Zu dem Krapfen, zu der Kröte,
Von dem Griesbrei bis zum Goethe,
Von der Decke bis zur Diele.

Aus der Achsel muss er fließen,
Er muss strömen, er muss schnellen,
Gleich den Niagarafällen,
In Fontänen aufwärts schießen,
Im Quartiere sich ergießen.
Ob bei Froste, ob bei Finnen,
Ob bei Flippfloppträgerinnen,
Er muss sprudeln, er muss sprützen,
Ja, zu ungeheuren Pfützen
Muss der Schweiß herunterrinnen.

Diese Flut musst du durchwaten,
Gar das gelbe Meer durchschwimmen,
Um die Zwecke zu erklimmen,
Gleich den Hanse- und Kroaten
Rudern zu den Resultaten.
Ob in Schweden, ob bei Schwüle,
Nimmer geht’s per Besenstiele,
Du musst schnorcheln, du musst schippern,
An den Kliffen, auf den Klippern,
Willst gelangen du zum Ziele.

Wird man dich mit Lorbeer schmücken
Für den Duft an allen Ecken?
Wird man dir die Füße schlecken?
Wird man Ehrennadeln zücken,
Preisen dich in Bühnenstücken?
Ob am Montag, ob zum Minnen,
Fünfzig Raubtierpflegerinnen
Werden schnurren, werden schnobern,
Konntest ja ihr Herz erobern,
Wohlverdienten Preis gewinnen.

Carsten Stephan: Musikantenstadl

In matten Augen glänzt die Studiosonne,
Ein Rüschenbalg kräht im Tapetenwald.
Und alles schunkelt sich in beige Wonne.
Ein Hirschhornknopf von einer Hose knallt.

Ein Mottenschwarm entflieht den Kampferdünsten.
Ein Jodler schlüpft aus einem Dekolleté.
Der Saalschutz fantasiert von Feuersbrünsten.
Ein Stützstrumpf blickt verliebt auf ein Toupet.

Carsten Stephan: Bimbam

Schilleroulipo

Der Marsch muß hinaus
In den feindlichen Leichtsinn,
Muß wirken und streben
Und pflanzen und schaffen,
Erlisten, erraffen,
Muß wetten und wagen,
Den Grad zu erjagen.
Da strömet herbei das unendliche Gas,
Es füllt sich die Spitze mit köstlichem Halfter,
Die Rechtshänder wachsen, es dehnt sich der Heide.
Und drinnen waltet
Das züchtige Heilkraut,
Der Nachtdienst der Klarheit,
Und herrschet weise
Im häuslichen Krokodil,
Und lehret die Manager
Und wehret den Kode,
Und reget ohn’ Entwicklung
Die fleißigen Hascherl,
Und mehrt die Glasfaser
Mit ordnender SMV.
Und füllet mit Schermäusen die duftenden Laptops,
Und dreht um das schnurrende Springseil die Fanfare,
Und sammelt in der reinlich geglätteten Schürfwunde
Den schimmernden Yuppi, das schneeigte Lichtjahr,
Und füget zum Hahn den Glücksklee und die Schleimhaut,
Und ruhet nimmer.

Carsten Stephan: Backe, backe Kuchen

Nach einem Rezept
von Kenneth Goldsmith

Backe, backe Kuchen,
Der Bäcker hat gerufen:
Wer will guten Kuchen backen,
Der muß haben 144 Sachen:

E 100, E 101, E 102, E 104,
E 120, E 122, E 124, E 129,
E 131, E 132, E 133,
E 140, E 141, E 142,
E 150, E 151, E 153, E 155,
E 160, E 161, E 162, E 163,
E 170, E 171, E 172, E 173.

E 200, E 202, E 203,
E 214, E 215, E 216, E 217,
E 218, E 219,
E 220, E 221, E 222, E 223,
E 224, E 226, E 227, E 228,
E 260, E 261, E 262, E 263,
E 270, E 280, E 281, E 282, E 283,
E 296.

E 300, E 301, E 302, E 304,
E 306, E 307, E 308, E 309,
E 310, E 311, E 312,
E 320, E 321, E 322, E 325,
E 326, E 327,
E 330, E 331, E 332, E 333, E 334,
E 335, E 336, E 337, E 339,
E 340, E 341,
E 350, E 351, E 352, E 354,
E 380.

E 400, E 401, E 402, E 403,
E 404, E 406, E 407,
E 410, E 412, E 413, E 414, E 415,
E 420, E 421, E 422,
E 440, E 442, E 450,
E 460, E 461, E 463, E 464,
E 465, E 466,
E 470, E 471, E 472, E 475,
E 481, E 482.

E 500, E 501, E 503, E 508,
E 516, E 530, E 575,
E 620, E 621,
E 950, E 951, E 952, E 953,
E 954, E 959,
E 965, E 966, E 967.

E 1410, E 1412, E 1413, E 1414,
E 1420, E 1422,
E 1440, E 1442,
E 1518.

E 110 macht den Kuchen gehl!
Schieb, schieb in Ofen ’nein.

Carsten Stephan: Fachrechnen für Bäcker

Goldsmith-Variationen


1.
Zum Verbacken von 100 kg Mehl
sind 35 000 kcal notwendig.
Wieviel kg Braunkohlenbriketts
sind beim Brustofen unter
Berücksichtigung des
Wärmeverlustes erforderlich?

2.
Eine Konsumbäckerei erhält
ein Faß Trennemulsion im Gewicht
von 58,8 kg. Das Faß wiegt 12,25 kg.
Wieviel Kilogramm netto sind
geliefert worden?

3.
In einer Bäckerei sollen 185 kg Teig
hergestellt werden. Der Anstellsauer
beträgt 0,4 %, der Anfrischsauer
1,4 %, der Grundsauer 18 %, der
Vollsauer 55 % der Teigmenge.
Wieviel Kilogramm muß
jede Stufe wiegen?

4.
Auf der Beute liegen 82,5 kg
Weißbrotteig. Nach dem Abwiegen
werden 75 Weißbrote gezählt.
Wieviel Kilogramm beträgt
die Teigeinlage für ein Weißbrot?

5.
Eine Backbrigade hat täglich 1,2 t
Roggenmehl zu verarbeiten.
Die Gebäckausbeute beträgt
durchschnittlich 142,5 %.
Wieviel Kilogramm Brot
werden hergestellt?

6.
Wieviel Gramm Asche sind
in 80 kg Weizenmehl Type 812
bei einem Wassergehalt
von 14,5 % enthalten?