Bastian Kienitz: INDUSTRIEBAUERN

(Blankosonett)

das Feld liegt brach und schweigt im engen Raum
dem Leben nach, das von den Wänden blättert
wie Scheinabraum der toten Außenkippe
mit dem Ergebnis schwerer Arbeitsgänge

sitzt man zu Tisch und faltet seine Griffel
im Glauben, dass jetzt alles besser wird
zum Erntedank gibt es ein Luftgemisch
mit Staub dosiert, damit die Augen brennen

jetzt zuckt der Nerv ganz aufgeregt und spastisch
mit der Tendenz sich weiter zu entfalten
wird Sitzfleisch tagelang gut angemästet

plus Tierversuch: Tablettenresistenzen
vom hohlen Geisteszustand ganz zu schweigen
dass sich so manche selbst für Götter halten…


Das Gedicht wurde von dem gleichnamigen Bild INDUSTRIEBAUERN von Georg Scholz inspiriert.

Bastian Kienitz: Wir sind alle Zeugen

es sind Bilder
welche dich verfolgen
festgebrannt

auf einem Negativ
aus digitalen
Zwischenräumen

gestochen scharf
in HD-Qualität

hier habt ihr
einen Ort wie jeden

plus Kain
der hat seinen Bruder
erschlagen

auf einem Feld
gleich hinterm Gebüsch

mit der verödeten
Gleichgültigkeit eines Males

Bastian Kienitz: Treibstoff zum Feuern

Masse ist gleich Treibstoff zum Verfeuern in deren Mittelpunkt
ein junger Mensch am Anfang seines Lebens steht als hätte er
A) keine andere Möglichkeit und B) die rote Pille bereits jetzt
geschluckt – K E R N B O T S C H A F T:

Macht zur Wahrheit oder Mut zum Wissen wenn die Wimpern
ausgerissen neben den Schrecken des Alltags wintern…

Bastian Kienitz: MENSCHLICHE SCHLACHTEREI

(Blankosonett)

auf bleicher Leinwand schwimmen Überreste
vom Wind verweht, was durch die Steppe zieht
semihumid mit Löss aus karger Quelle
der von der Tundra Kälte mit sich bringt

die strömt hinunter in die Südgefilde
und leckt mit ihrer scharfen Zunge Fleisch
das von den Rippen fällt, die Nahrungsspitze
wird umgekehrt und schreit die ganze Nacht

Verzweiflung drängt aus jeder Fieberpore
und schwitzt sich aus, bis sie von innen friert
nennt sich selbst Unmensch dieses Innenleben

das nichts als nehmen und Ermordung kennt
heißt Schlächter in den Tiefen seiner Seele
wir sehen uns in Wald und Höhle selbst


»nennt sich selbst Unmensch« Zitat: aus dem Drama Faust – Der Tragödie erster Teil, Wald und Höhle von Johann Wolfgang von Goethe. Das Gedicht wurde zudem von dem gleichnamigen Bild MENSCHLICHE SCHLACHTEREI von WOLS inspiriert.

Bastian Kienitz: SPLATTER

(dt. Spritzer, Blankosonett)

die Schütte Splatter auf dem weißen Leinen
trägt keinen Namen, doch es riecht nach Blut
aus alten, längst verwaisten Regentagen
Film ab, jetzt sag zur Horrorshow: Beginn

und höre selbst wie Tropfen lautstark klopfen
mit jedem Spritzer Klatsch lautmalerisch
zu einem Kunstwerk, deinem Opfer werden
in dem die Kraft der reinen Seele steckt

du fließt und mit dir fließen lauter Worte
im Zeilenabstand, der jetzt leiser wird
und anfängt todeswund abstrus zu röcheln

bis du dich selbst in einem Wort erkennst
und deine Flügel auseinanderfaltest:
du unterzeichnest dich und fliegst davon…


»du unterzeichnest dich« in Anlehnung an den Vers „Du unterzeichnest dich mit einem Tröpfchen Blut“ aus Faust 1, Studierzimmer II von J.W. Goethe. Des Weiteren ist das Gedicht von dem gleichnamigen Werk SPLATTER von Hermann Nitsch inspiriert worden.