Mit dieser Art von Einsätzen hatte ich wirklich meine Probleme.
Aber sich drücken ging nicht. Sind wir doch mal ehrlich. Niemand aus unserer Truppe hat Lust auf so einen Einsatz.
Der Ablauf ist in der Regel immer der Gleiche.
Ein Nachbar ruft an und beschwert sich wegen eines schlimmen, bestialischen, alle Alarmsignale weckenden Geruchs aus der Nachbarwohnung.
Natürlich sind da auch manchmal so Scherzbolde dabei, die anrufen um sich über die Kochgerüche der arabischen Nachbarn aufzuregen.
In so einem Fall gibt’s dann gern mal eine Anzeige, wegen grundlosen Rufens der Polizei.
Im heutigen Fall zeichnete es sich aber schon ab, das wir es mit einer gerechtfertigten Anzeige zu tun hatten.
Die Wohnung war uns zumindest nicht unbekannt. Zumindest die vermeintlichen Bewohnerinnen.
Die beiden Schwestern hatten schon mehrere kleinere Anzeigen bei uns im Computer, wegen kleinerer Delikte. Kleinere Diebstähle, Erregung öffentlichen Ärgernisses.
Die Nachbarn hatten uns informiert, dass aus der Wohnung ein furchtbarer Gestank zu vernehmen sei. Klingeln und Klopfen hätten nichts gebracht. Keine der beiden Damen öffnet die Tür.
Die Polizei kann eine Wohnung gegen den Willen des Inhabers nur betreten, wenn dies zum Schutz eines Einzelnen oder des Gemeinwesens gegen dringende Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung erforderlich ist.
Gefahr in Verzug. Umgangssprachlich.
In diesem konkreten Fall. Die Sorge der Anwohner, dass jemand in der Wohnung gestorben ist.
Ich bezweifle das. So schnell stirbt man nicht.
Trotzdem müssen wir hin und mein Kollege und ich werden zugeteilt.
Auf der Fahrt zu der Wohnung sprechen wir wenig. Mein Kollege spricht eigentlich generell wenig mit mir, aber er ist kein Arsch. Dem ist zum Glück auf eine gesunde Art alles wurst.
So eine Einstellung bewundere ich. Dienst nach Vorschrift, sich nichts zuschulden kommen lassen. Alles immer korrekt bei dem. Und noch dazu, sich deswegen nicht wichtig machen.
Hätte ich heute diesen Einsatz abgelehnt, wäre das sicher so rüber gekommen. Dass ich mich wichtig machen will. Ab und zu dürfen wir das.
Einsätze verweigern, ohne Angabe von Gründen.
Das ist ein kleiner Trick den unser Dienstleiter sicher aus irgendeinem Motivations-Seminar hat.
Lassen Sie in einfachen Dingen auch mal Fünfe gerade sein
Allzu oft brauchst du das aber nicht bringen. Und ich will auch nicht, dass jemand Verdacht schöpft, weil ich jedes Mal bei dieser Art von Einsätzen kneife.
Ich habe jetzt in meiner Dienstzeit schon echt ein paar heftige Sachen gesehen. Blut zum Beispiel macht mir überhaupt nichts aus.
Wir sind am Wohnhaus angekommen. Hier gibt es immer mal wieder Randale.
Das Viertel wird gerade von Hipstern übernommen und die Häuser nach und nach saniert. Das Haus, wo wir heute sind, ist das letzte in dem Strassenzug, das noch nicht renoviert wurde.
Die Wohnung befindet sich im dritten Stock.
Das Eingangstor ist nicht verschlossen.
Der Vorgang ist klar: erstmal nach oben und klingeln und vehement klopfen.
Checken, ob etwas in der Wohnung zu hören ist.
Im zweiten Stock vernehme ich den Geruch schon. Es ist kein Verwesungsgeruch und ich weiß jetzt schon, was uns bevorsteht.
Der Geruch – eigentlich Gestank – ist eine Mischung aus Kompost und Zigarettenrauch.
Süß und herb. Und es reicht eine kleine Prise, um bei mir eine Erinnerungskette in meinem Gehirn freizuschalten. Schon verrückt wie stark das Gehirn auf Gerüche reagiert.
Wie gut man sie sich merken kann.
In meinem Kopf bin ich wieder 8 Jahre alt. Wir lebten damals in einem ähnlichen Mietshaus. Jeden Nachmittag, als ich von der Schule nach Hause kam, empfing mich dieser Geruch.
Meine Mutter war ein Messi.
Jemand der nichts wegschmeissen konnte.
Und da war es vollkommen egal, ob die Dinge, die sie anhäufte, einen Wert hatten.
Ich kann mich nicht erinnern, dass meine Mutter mir jemals etwas zu essen gekocht hat.
So schnell stirbt man nicht
Das Hämmern an der Tür ließ mich aus meinen Gedanken schrecken.
Die Nachbarin steckte mittlerweile ihre neugierige Nase zur Tür hinaus.
Ja, gut, dass die Polizei endlich da ist. Der Gestank ist ja wirklich nicht mehr auszuhalten.
Die zwei Frauen waren eh nicht mehr ganz sauber, sie wissen schon was ich meine.
Das war ja nur eine Frage der Zeit, bis die sich mal was antun.
„Haben sie mal die Nummer der Hausverwaltung für mich“
„Ja, Guten Tag, wir bräuchten Zugang zu einer ihrer Wohnungen“
„Ja, wir warten“
Ich habe mich immer gefragt, wo meine Mutter all das Zeug eigentlich her hatte.
Wir hatten kein Geld. Nahm ich zumindest an. Meine Mutter hat meines Wissens nach nie gearbeitet.
Ich war mit einem mir unbekannten Mann irgendwann gezeugt worden. Ich hatte noch zwei ältere Geschwister, die schon lange ausgezogen waren.
Mein Therapeut hat mir gesagt, ich muss das von mir loslösen. Meine Mutter war krank.
Der Begriff Messie-Syndrom (abgeleitet von englisch mess „Chaos, Durcheinander“) bezeichnet ein zwanghaftes Verhalten, bei dem das übermäßige Ansammeln von mehr oder weniger wertlosen Gegenständen in der eigenen Wohnung im Vordergrund steht, verbunden mit der Unfähigkeit, sich von den Gegenständen wieder zu trennen und Ordnung zu halten
Ich muss verstehen, dass das wie eine Sucht ist. Der Betroffene kann nicht damit aufhören.
Die Betroffene kann nicht mehr wichtig von unwichtig unterscheiden.
Die Betroffene kann nichts dafür, dass man vor lauter Zeug um sich herum vergisst, dass man ein Kind hat.
Der Hausbesitzer ist mittlerweile eingetroffen. Vorerst verzichten wir auf Verstärkung.
Reicht auch wenn wir die rufen, wenn wir eine oder zwei Tote in der Wohnung finden.
Der Hausbesitzer schließt die Wohnung auf. Die neugierige Nachbarin, die sich direkt hinter mir in Position gebracht hat, fängt unmittelbar das Würgen an.
Es ist genauso wie ich es geahnt habe.
Ich betrete meine Wohnung. Verrückt, dass sich die Art von Messi-Wohnungen so wenig unterscheiden.
Damals als mich das Jugendamt zusammen mit der Polizei aus der Wohnung geholt hatte, mussten sie sich auch erstmal einen Weg zu mir freiräumen.
Ich war seit drei Tagen nicht mehr in der Schule gewesen und meine Lehrerin hatte Meldung beim Jugendamt gemacht.
Die Polizistin, die mich damals aus der Wohnung getragen hatte, roch ganz betörend gut nach Waschmittel. Manchmal denke ich mir, das ist auch der Grund warum ich Polizistin geworden bin.
Und wenn die Großwäscherei, die unsere Uniformen wäscht, irgendwann das Waschmittel ändert, kündige ich.
Mein wortkarger Kollege kann sich nicht mehr beherrschen. Er flucht, weint geradezu. Wir können die Wohnung nicht betreten.
Mit Tränen in den Augen rufe ich die Verstärkung.
Ja, sie soll gleich der Entrümpelungsfirma bescheidgeben.
Zwei Tage lang haben die gebraucht um die Wohnung zugänglich zu machen.
Von den Frauen fehlte jede Spur.
Genau wie meine Mutter hatten sie sich in Luft aufgelöst.
Das Jugendamt konnte mir nie sagen wo sie abgeblieben war.