Tock-tock-tock. Was klopft mit dem Mitternachtsschlägen vom Kirchturm um die Wette? Pünktlich zur Geisterstunde ein Gespenst?
„Blödsinn“, denkt Alfred, „das ist mein überreiztes Gehirn.“
Tag und Nacht lassen den Waffenproduzenten seine Geschäfte nicht los. Irgendwo ist immer Krieg und es wird nicht einfacher, Exportverbote für Rüstungsgüter zu umgehen und sowohl Aggressoren als auch Verteidiger zu beliefern. Deswegen leidet er unter chronischer Schlaflosigkeit, schon seit Wochen, keine Nacht macht er ein Auge zu. Was Wunder, dass er an Halluzinationen leidet.
„Ich brauche dringend einen Arzt“, murmelt er vor sich hin.
Es klopft wieder. Diesmal an der Tür. Länger und lauter.
„Wer kann das sein?“ Seufzend wirft sich Alfred einen Mantel über und öffnet.
„Da bin ich!“ Draußen steht eine hagerer, fast durchscheinende Gestalt, Stethoskop um den Hals, OP-Maske, OP-Haube, Stirnlampe, Brille. Offensichtlich ein Arzt. In weißem Kittel mit goldenen Knöpfen, wohl ein Professor oder Primarius. „Sie haben mich gerufen?“
„Das ist … das ist ja wie Geisterbeschwörung“, stammelt Alfred. „Aber wenn Sie schon mal da sind: Ich schlafe schlecht, seit Wochen mache ich keine Nacht ein Auge zu. Ich höre und sehe schon überall Gespenster …“
„Ihnen kann geholfen werden“, antwortet der Arzt. „Schuld ist die Seele.“
„Zum Teufel mit der Seele! Ich glaube nicht an Esoterik.“
„Jeder Mensch ist von Natur aus beseelt“, erklärt der Arzt.
„Und Sie können Seelen kurieren?“
„Kurieren nicht, aber davon befreien.“
„Eine Operation?“ Der Gedanke gefällt Alfred nicht.
„So ähnlich, aber völlig schmerzfrei.“
„Ich kann es mir nicht leisten, lange auszufallen.“
„Keine Sorge! Ich verfüge über genügend Mittel, die ihre Geschäfte erst richtig anzukurbeln.“
Alfred bekommt glänzende Augen. „Solche Mittel gibt es? Her damit!“
„Moment. Sie müssen mir dafür Ihre Seele verkaufen.“
„Herzlich gern.“ Als Manager weiß er, dass es kein Geschäft ohne Gegengeschäft gibt. „Und was sind das für Mittel?“
„Kokain. Opium. Ecstasy. Speed. Sie erleichtern den Soldaten die Kriegsführung.“
Alfred begreift das Geschäftsmodell im Handumdrehen. „Genial. Je mehr Ihrer Rauschmittel ich umsetze, desto mehr Waffen werden gebraucht.“
„Und umgekehrt! Eine Win-win-Situation für uns beide. Und ohne Seele schlafen Sie trotzdem gut.“ Er hält ihm die Hand hin. „Deal?“
Alfred zögert keinen Augenblick. „Deal!“, bestätigt er und schlägt ein.
„Eine Frage noch, reine Neugier: Was wird aus meiner Seele?“
Im Weggehen macht der Mann eine gleichgültige Handbewegung. „Sie haben es ja selbst gesagt: Zum Teufel mit der Seele.“
Der Arztkittel weht hinter ihm her und das Klopfen eines Pferdehufs hallt durch die Nacht. Alfred schlottern die Knie. Er friert, als hätte ihm jemand die Kleider vom Leib gerissen.
„Da hol mich doch der Teufel“, stößt er zähneklappernd hervor und geht zurück ins Bett. „Aber das ist mir meine Nachtruhe wert.“
Das Ein-Uhr-Läuten der Kirchturmuhr hört er schon nicht mehr.