Christian Knieps: Taeping vor Ariel vor Serica

Ein Wettrennen um die halbe Welt

Robert Steele eilte zu den Docks. Die Nachrichten hatten sich in den letzten Stunden überschlagen, und der Schiffsbauer aus Greenock an der schottischen Westküste konnte es kaum glauben, dass die ersten drei Tea-Clipper, die an der Küste gesichtet worden waren, aus seiner Werft stammen sollten.
Ein Junge hatte es ihm atemlos berichtet: es seien die Taeping, die Ariel und die Serica. Drei Schiffe aus seiner Werft! Was wäre das für ein Sieg gegen die scheinbare Übermacht der Fiery Cross unter dem erfahrenen und siegreichen Kapitän Richard Robinson! Vier der letzten fünf Rennen hatte die Fiery Cross gewonnen, und die Wetten bei den Buchmachern sahen dieses besondere Schiff auch dieses Jahr in der eindeutigen Favoritenrolle!
Für die ganzjährige Teeversorgung des Alten Europas waren diese Wettrennen nur von spezieller Bedeutung. Es ging viel mehr um die Ehre, den ersten Tee der neuen Pflückung nach Hause zu bringen, und nicht nur die Buchmacher wähnten ein gutes Geschäft mit diesen ersten Lieferungen des neuen Jahres.
Daher galt es für die Schiffsbauer, die Balance zwischen möglicher Ladung und Seetüchtigkeit zu finden, um die Tea-Clipper sicher und schnell nach England zurücknavigieren zu können. Das schien Robert Steele mit seinen Werftarbeitern gelungen zu sein.
Die Taeping und die Ariel, beide in einer Kompositbauweise, also mit einem Holzrumpf mit Eisenballast, aber auch die Serica in Eisenbauweise waren darauf getrimmt, auf den zum Teil stürmischen und hohen Wellen der offenen Meere zu segeln, ohne dass dabei die Kontrolle über das Ruder aufgegeben werden musste.
Noch war nichts an den Docks zu sehen; allein eine schnell größer werdende Menge an Zuschauern fand sich zusammen. In ihrer Mitte stand Robert Steele und wurde mit jedem vermeintlichen Aufschrei der Zuschauenden nervöser und nervöser.
Vierzehntausend Meilen waren es vom chinesischen Fuzhou, das die Englänger Foochow nennen, bis an die Londoner Docks. Die besten Schiffe schafften diese Strecke in knappen einhundert Tagen, bei voller Last zu jeder Tag- und Nachtzeit. Gestartet am Pagoda-Anchorage, durch die China-See und die Sunda-Straße, vorbei an Anjer, dem Kap der Guten Hoffnung, über den Äquator nach Norden, an Kap Verde vorbei und auf dem schnellsten Weg nach London.
Zwei Drittel der gesamten Tee-Exporte aus China, die in Foochow verladen wurden, gingen in diesen Jahren nach Großbritannien. Auch in diesem Jahr 1866 wurden fast 500 Schiffe ausklariert, die mehr als 60 Millionen Pfund Tee exportierten. Die häufigsten Sorten waren dabei Congou, Souchoung und grüner Oolong.
Langsam wurde die Menge unruhig. Auch Robert Steele ging einige Schritte an den Docks umher, um sich während des Wartens zu beschäftigen. Mit seinen geschulten Augen untersuchte er die dort liegenden Schiffe, doch keines konnte sein Interesse erwecken. Vor allem die schweren, dickbauchigen Kohlenschiffe lagen herum und waren so ganz anders als die feingliedrigen Tea-Clipper, die noch von bärbeißigen Kapitänen hart am Wind gehalten wurden.
Bei den Kapitänen war es Brauch, einen Biberfellhut zu wetten, während die Mannschaften bis zu ganzen Monatslöhnen auf ihr Schiff setzten. Auf der Taeping kämpfte Kapitän MacKinnon mit seiner Mannschaft um den Sieg, während es auf der Ariel Kapitän Kaey und auf der Serica Kapitän Innes versuchten, vor dem jeweilig anderen Clipper in den Londoner Docks zu sein.
Inzwischen war die Sonne längst untergegangen, und zum Glück für die wartende Menge waren die abendlichen Temperaturen an diesem 06. September 1866 recht angenehm. Plötzlich hörte man ein Raunen und in der Weite sah man den ersten Tea-Clipper, wie er von Schleppern die letzten Meter auf der Themse hinaufgezogen wurde. Noch wusste die Menge nicht, welches der Schiffe die Führung besaß und wie viele Längen die anderen hinter ihr waren, doch Robert Steele sah mit dem ersten Blick, dass es sich um die Taeping handelte.
Es war also tatsächlich ein Schiff aus seiner Reederei! Er dankte dem Herrn für diese erfüllte Hoffnung und sah mit leuchtenden Augen, wie nur wenige Minuten hinter dem ersten Schiff bereits das zweite am Horizont sichtbar wurde: es war die Ariel! Robert Steele ging auf die Knie und schloss die Augen vor Glück.
In den nächsten Tagen war der äußerst knappe Sieg Schlagzeile Nummer eins auf den Titelseiten der Zeitungen. Dort stand in großen Lettern zu lesen: Taeping vor Ariel vor Serica! Die Klipper bringen die ersten Tees der neuen Ernte! Alle drei Schiffe gelangen zu den Docks binnen eineinhalb Stunden!
Das Teerennen von 1866 war entschieden, und Robert Steeles Werft hatte mitgewonnen. Seit diesem Septemberanfang war sie plötzlich und unerwartet die gefragteste Adresse für Tea-Clipper, die auch in den nächsten Jahrzehnten noch für spektakuläre Momente bei der Überfahrt von Foochow nach London sorgen sollten.

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