Christian Knieps: Sehnsuchtserinnerung

Viele Schülerinnen und Schüler hatten bestimmt die Möglichkeit, in der Jugend mit der Schule einen Ort zu besuchen, der im späteren Leben eine Art Sehnsuchtsort werden könnte. Bei mir waren zwei Italienreisen mit unterschiedlichen Schulen Ausgangspunkt für meine Sehnsucht nach diesem Land, das schon seit mehreren Jahrzehnten die Deutschen fast magisch anzieht. Auch schon zu Zeiten der Aufklärung und der folgenden Romantik sehnten sich viele nach dem Land im Süden, und diejenigen, die Italien als Studienreise besuchen konnten, schwärmten ihren Zeitgenossen vor, welche Bildung in diesen Landstrichen zu erlangen sei.

So toll das klingen mag – das alles interessiert einen Jugendlichen in den Neunzigern so überhaupt nicht! Wir fuhren nach Rom, Pisa, Florenz, Siena, aßen Pizza in Seitenstraßen, tranken eiskaltes Peroni und herben Campari, suchten in den Städten das goldene M, besuchten offiziell die Uffizien, doch als wir drin waren, wollten wir nach dem Pflichtteil nur nach draußen, um uns die Italiener und die Italienerinnen anzuschauen. Damals verstanden wir die Komplexität des Lebens, der Kultur und der Bildung nicht mal ansatzweise – wobei streng genommen doch etwas hängen blieb.

Im Rückblick entwickelte sich die Sehnsucht nach Italien, Rom, die Kultur, die vielen geschichtsträchtigen Regionen und Bauten und die Menschen vor Ort erst später, im Studium, doch da waren die weitreichenden Möglichkeiten aus den Studienreisen der Schulzeit vorbei; ab nun musste für eine Reise selber gezahlt werden – und die Frage, die im Raum für mich steht, ist folgende: vielleicht ist die Sehnsucht nach Italien am Ende stärker als das Gefühl, wirklich vor Ort zu sein – sollte man es dann nicht besser bleiben lassen, zu seinem Sehnsuchtsort zu reisen, nur um die Sehnsucht danach nicht zu zerstören? Wenn man doch nur wieder Jugendlicher wäre – denen fallen solche Entscheidungen einfach viel leichter!

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