blumenleere: hitzerisse

& so, also, lautet die geschichte, wie wir zu wasser kamen, & zwar naemlich gerade als die sengende hitze einer gnadenlos unbarmherzigen sonne & das knirschen zwischen unseren schier erbaermlich panisch klappernden zaehnen unsere ausgedoerrten maeuler mit senkrecht aufkreischender verzweiflung bestrich & uns, beinahe, hinweg ueber die wanderduenen des unertraeglichen – sprich: der indifferenten wueste des todes … – gen nirwana – eine fata morgana …? – trieb: da, ja, da rief uns ploetzlich meine mutter rein, indem sie uns mitteilte, die sandkastenzeit waere nun wohl oder uebel vorbei & wir sollten uns besser einen schluck klaren nasses goennen, uns unserer dreckigen klamotten entledigen & den schatten der wohnung linderung & die notwendige basis fuer eine regeneration unserer kraefte entziehen, statt drauszen gleich raeudigen hunden unter wogen schmutzigen staubs zu krepieren. ach, & weil unsere sonst durchaus relativ nennenswerten widerstaende gegen erwachsene machtausuebungen & anweisungen jedweder art mitterweile leider fast vollkommen vertrocknet waren, gehochten wir, kaum murrend, & stillten unseren durst, brav & untertaenig & gierig, am heimischen busen beziehungsweise herd …

Christian Knieps: Taeping vor Ariel vor Serica

Ein Wettrennen um die halbe Welt

Robert Steele eilte zu den Docks. Die Nachrichten hatten sich in den letzten Stunden überschlagen, und der Schiffsbauer aus Greenock an der schottischen Westküste konnte es kaum glauben, dass die ersten drei Tea-Clipper, die an der Küste gesichtet worden waren, aus seiner Werft stammen sollten.
Ein Junge hatte es ihm atemlos berichtet: es seien die Taeping, die Ariel und die Serica. Drei Schiffe aus seiner Werft! Was wäre das für ein Sieg gegen die scheinbare Übermacht der Fiery Cross unter dem erfahrenen und siegreichen Kapitän Richard Robinson! Vier der letzten fünf Rennen hatte die Fiery Cross gewonnen, und die Wetten bei den Buchmachern sahen dieses besondere Schiff auch dieses Jahr in der eindeutigen Favoritenrolle!
Für die ganzjährige Teeversorgung des Alten Europas waren diese Wettrennen nur von spezieller Bedeutung. Es ging viel mehr um die Ehre, den ersten Tee der neuen Pflückung nach Hause zu bringen, und nicht nur die Buchmacher wähnten ein gutes Geschäft mit diesen ersten Lieferungen des neuen Jahres.
Daher galt es für die Schiffsbauer, die Balance zwischen möglicher Ladung und Seetüchtigkeit zu finden, um die Tea-Clipper sicher und schnell nach England zurücknavigieren zu können. Das schien Robert Steele mit seinen Werftarbeitern gelungen zu sein.
Die Taeping und die Ariel, beide in einer Kompositbauweise, also mit einem Holzrumpf mit Eisenballast, aber auch die Serica in Eisenbauweise waren darauf getrimmt, auf den zum Teil stürmischen und hohen Wellen der offenen Meere zu segeln, ohne dass dabei die Kontrolle über das Ruder aufgegeben werden musste.
Noch war nichts an den Docks zu sehen; allein eine schnell größer werdende Menge an Zuschauern fand sich zusammen. In ihrer Mitte stand Robert Steele und wurde mit jedem vermeintlichen Aufschrei der Zuschauenden nervöser und nervöser.
Vierzehntausend Meilen waren es vom chinesischen Fuzhou, das die Englänger Foochow nennen, bis an die Londoner Docks. Die besten Schiffe schafften diese Strecke in knappen einhundert Tagen, bei voller Last zu jeder Tag- und Nachtzeit. Gestartet am Pagoda-Anchorage, durch die China-See und die Sunda-Straße, vorbei an Anjer, dem Kap der Guten Hoffnung, über den Äquator nach Norden, an Kap Verde vorbei und auf dem schnellsten Weg nach London.
Zwei Drittel der gesamten Tee-Exporte aus China, die in Foochow verladen wurden, gingen in diesen Jahren nach Großbritannien. Auch in diesem Jahr 1866 wurden fast 500 Schiffe ausklariert, die mehr als 60 Millionen Pfund Tee exportierten. Die häufigsten Sorten waren dabei Congou, Souchoung und grüner Oolong.
Langsam wurde die Menge unruhig. Auch Robert Steele ging einige Schritte an den Docks umher, um sich während des Wartens zu beschäftigen. Mit seinen geschulten Augen untersuchte er die dort liegenden Schiffe, doch keines konnte sein Interesse erwecken. Vor allem die schweren, dickbauchigen Kohlenschiffe lagen herum und waren so ganz anders als die feingliedrigen Tea-Clipper, die noch von bärbeißigen Kapitänen hart am Wind gehalten wurden.
Bei den Kapitänen war es Brauch, einen Biberfellhut zu wetten, während die Mannschaften bis zu ganzen Monatslöhnen auf ihr Schiff setzten. Auf der Taeping kämpfte Kapitän MacKinnon mit seiner Mannschaft um den Sieg, während es auf der Ariel Kapitän Kaey und auf der Serica Kapitän Innes versuchten, vor dem jeweilig anderen Clipper in den Londoner Docks zu sein.
Inzwischen war die Sonne längst untergegangen, und zum Glück für die wartende Menge waren die abendlichen Temperaturen an diesem 06. September 1866 recht angenehm. Plötzlich hörte man ein Raunen und in der Weite sah man den ersten Tea-Clipper, wie er von Schleppern die letzten Meter auf der Themse hinaufgezogen wurde. Noch wusste die Menge nicht, welches der Schiffe die Führung besaß und wie viele Längen die anderen hinter ihr waren, doch Robert Steele sah mit dem ersten Blick, dass es sich um die Taeping handelte.
Es war also tatsächlich ein Schiff aus seiner Reederei! Er dankte dem Herrn für diese erfüllte Hoffnung und sah mit leuchtenden Augen, wie nur wenige Minuten hinter dem ersten Schiff bereits das zweite am Horizont sichtbar wurde: es war die Ariel! Robert Steele ging auf die Knie und schloss die Augen vor Glück.
In den nächsten Tagen war der äußerst knappe Sieg Schlagzeile Nummer eins auf den Titelseiten der Zeitungen. Dort stand in großen Lettern zu lesen: Taeping vor Ariel vor Serica! Die Klipper bringen die ersten Tees der neuen Ernte! Alle drei Schiffe gelangen zu den Docks binnen eineinhalb Stunden!
Das Teerennen von 1866 war entschieden, und Robert Steeles Werft hatte mitgewonnen. Seit diesem Septemberanfang war sie plötzlich und unerwartet die gefragteste Adresse für Tea-Clipper, die auch in den nächsten Jahrzehnten noch für spektakuläre Momente bei der Überfahrt von Foochow nach London sorgen sollten.

Lena Speckmann: Unter Wasser

Der erste Eindruck, als ich aus dem Wald trete ist weiß. Weites Weiß, so weit das Auge reicht. Ich schirme meine Augen mit den Händen ab.
Das Weiß des Horizonts mischt sich mit dem Weiß des Nebels, der über dem See liegt. Es ist still, das passt zum Nebel. Und zum Weiß.
Etwas fällt ins Wasser und durchbricht die makellos spiegelglatte Oberfläche des Sees. Vielleicht eine Maus, die einem Habicht aus den Krallen entglitten ist, vielleicht auch nur Habichtkacke. Den Ringen, die sich jetzt auf dem Wasser bilden, ist das egal.
Wie auf Kommando wird auch die Stille von einem Specht durchbrochen. Das Geräusch reißt mich aus meinen Gedanken. Ein Schauer läuft mir über den Rücken, ich bin noch müde und meine Augen noch nicht ganz an das Weiß gewöhnt. Ich schüttele mich und mein Rucksack mit dem Angelzeug klappert. Ich laufe hinunter zum Ufer des Sees.
Dort liegt, an einer in den See ragenden Baumwurzel angebunden, mein Ruderboot und leuchtet durch den Nebel hindurch. Es ist rot, ich habe es selbst lackiert. Es heißt Pippilotta und der Name steht groß auf dem Bug. Links Pippi, rechts Lotta. Ganz vorne an der Spitze, in weißer Schrift.
Ich greife das Seil, an dem es festgebunden ist und hole Pippilotta zu mir heran. Ich lege erst die Angel hinein, löse dann das Seil vom Baum und steige ein. Ich liebe es, wie das Boot schaukelt, wenn man einsteigt.
Ich setze mich und nehme die Ruder. Mit langen und kräftigen Schlägen bewege ich mich vom Ufer weg, zur Mitte des Sees. Letzte Woche hatte ich drei Hechte rausgezogen und gewinnbringend verkauft. Davor geschlagene sechs Wochen gar nichts gefangen und stattdessen im Boot geraucht.
Ich lege die Ruder zurück ins Boot und lasse mich treiben, während ich beginne, den Blinker an der Angel zu befestigen. Wie jedesmal, wenn ich das tue, bin ich fasziniert von dem schönen Regenbogenschimmer des Köders. Ich behalte ihn eine Weile in der Hand, lasse meine Finger über das Relief der imitierten Schuppen gleiten und betrachte ihn von allen Seiten. Wäre ich ein Fisch, ich würde sofort anbeißen.
Der Blinker ist dran. Ich kurbele ihn hoch, bis er circa einen halben Zentimeter unter der Spitze frei baumelt, hole aus, werfe und lasse ihn über den See fliegen. Knappe zehn Meter vom Boot plumpst er ins Wasser. Ich kurbel-ziehe, lasse locker, kurbel-ziehe, lasse locker. Immer wieder, in unregelmäßigen Abständen. Gleichzeitig nehme ich die Stille wahr, meine Atmung, die tief und ruhig ist.
Beim dritten Wurf beißt einer. Ich drille ihn leicht an, aber er haut ab. Einen Moment lang ärgere ich mich über meine Überstürztheit, und muss dann aber lachen. Das ganze Ärgern bringt ja den Fisch nicht zurück. Ich werfe die Angel wieder aus.
Nach zwei Stunden und einigen halbherzigen und letztlich erfolglosen Anbissen habe ich auf einmal etwas Großes an der Angel. Sie biegt sich derart, dass ich einen kurzen Moment lang versuche, mich an meinen Kontostand zu erinnern, falls ich mir eine neue kaufen muss. Ich kurbele, lasse nach, ziehe, lasse nach, kurbele. Das Miststück an der Angel ist kräftig und hat nicht vor, aufzugeben. Mir wird warm, das Boot schaukelt, Wasser schwappt hinein, der Fisch ist jetzt nur noch anderthalb Meter weg. Ich lasse locker und gebe mehr Schnur, drei Meter vom Boot weg beginne ich das Spiel von neuem und ziehe ihn ans Boot heran.
Er wehrt sich erbittert.
Ich kann ihn schon direkt unter der Wasseroberfläche sehen. Er ist ziemlich groß für einen Hecht, ein stattliches Exemplar. Ich traue mir zu, ihn zu kriegen. Ich will ihn kriegen.
Ich kurbele und ziehe, und das macht ihn wütend. Er zerrt so ruckartig an der Schnur, dass ich die Angel fast verliere. Ich erschrecke mich, gerate ins Wanken. Es ist niemals eine gute Idee, in einem Ruderboot ins Wanken zu geraten. Die Idee wird zunehmend schlechter, je kleiner das Boot ist. Meine Pippilotta ist kaum drei Meter lang.
Es kommt, wie es kommen muss, ich verliere letztlich doch zuerst die Angel und dann das Gleichgewicht.
Das 15°C kalte Wasser umfängt mich, meine Klamotten saugen sich voll wie ein Schwamm und ziehen mich nach unten. Mit aller Kraft schwimme ich der Schwerkraft entgegen, doch es geht nur langsam aufwärts. Nach einer empfundenen Ewigkeit taucht mein Kopf aus dem Wasser auf, ich schnappe nach Luft. Pippilotta wartet ruhig schaukelnd auf mich. Erst jetzt begreife ich, dass ich wirklich und wahrhaftig ins Wasser gefallen bin. Zum ersten Mal.
Irgendwie schaffe ich es, mich wieder ins Boot zu ziehen. Mir wird die Schwere meiner Glieder bewusst, es waren kaum zwei Minuten, die ich im Wasser war, aber die Kälte und der Kampf haben mir die Kraft geraubt. Ich bleibe kurze Zeit quer über dem Boot liegen, atme schnell und heftig, meine Augen geschlossen. Als meine Atmung ruhiger wird, richte ich mich langsam auf. Ein eiskalter Wassertropfen perlt aus meinem Pony auf meine Wimpern, dann meine linke Wange hinab, wie eine kühle Träne.
Ich setze mich auf und lasse den Blick über den See schweifen. Meine schöne Angel, denke ich wehmütig. Mein Lieblingsblinker, einfach weg.
Ich streiche mir das nasse Haar aus dem Gesicht und rudere zurück. Mir wird kalt und ich bin frustriert.
Kaum eine halbe Stunde später in der heißen Badewanne denke ich nicht mehr daran und bestelle mir im Internet genau die Angel, die ich gerade opfern musste. Selbst zwei Wochen Lieferzeit und die 180 Euro, die ich dafür hinblättern muss, ändern nichts an meiner guten Laune.
Ich bin ins Wasser gefallen.
Aber ich bin nicht untergegangen.

Carsten Stephan: Möbelmäkelei

Nach Prof. Walde

Die Kommode ist ein Kastenmöbel, welches
seinen Namen nicht mit Unrecht trägt. Früher
stellte man die Kommode auf hohe Füße,
während jetzt die Schubkasten bis fast auf
den Fußboden reichen, so daß man sich bei
ihrer Benutzung zu sehr bücken muß; deshalb
ist die Kommode von heute nicht mehr so
„commode“ als ehedem.

Unter der seltsamen Bezeichnung „Vertikow“
versteht man einen Schrank oder Behälter
von zierlichen Formen zur Aufbewahrung
wichtiger oder wertvoller Gegenstände,
Kostbarkeiten, Nippes u. drgl. Der Name
soll herrühren von dem ersten Verfertiger
dieser Art von Schränken, die zumeist an
die Stelle der „Glasschränke“ unserer
Voreltern getreten sind. Von dem durch
das Eindringen des neuen Stiles veranlaßten
Umschwung der Dinge ist auch das Vertikow
nicht verschont geblieben; der moderne Stil hat
ihm das Urteil gesprochen, und dies lautete auf
Verbannung.

„Wandschrank“ ist eine wenig glückliche
Bezeichnung für ein an der Wand hängendes
Schränkchen von geringer Ausdehnung. Denn
auch der große Schrank steht jemals kaum
anders als an der Wand. Der Unterschied ist
in der Größe und darin zu suchen, daß jener
hängt und dieser steht. Der Name wird uns
erklärlich, wenn wir wissen, daß man früher
unter Wandschrank einen in der Wand
befindlichen Schrank verstand. Die Sitte,
Nischen in der Wand vorzusehen und
dieselben mit Türen zu verschließen, ist
nur langsam, erst seit der Gotik verdrängt
worden durch die Einführung beweglicher
Holzschränke.

Der Schreibtisch war ein Tisch, ehe er zu
dem heute oft so umfänglichen Schrank
wurde. Der Schreibtisch von heute hat
so gewaltige Ausdehnung angenommen,
daß zur Ausfüllung der Schränke und
Schubkasten schon ein ganzer Papierladen
erforderlich sein würde; daher bilden seine
Gelasse gewöhnlich entweder das Familien-
archiv, oder sie dienen als Bücherschrank.
Denn so viel Schreibwerk hat kaum der
Schriftsteller von Beruf, daß er die
Verschlüsse alle damit füllen könnte.

Mit dem undeutschen Namen „Salontisch“
bezeichnet man landläufig den meist für
Empfangsräume bestimmten, aber darin
ziemlich überflüssigen Tisch. Denn nur
die Gewohnheit läßt uns einen Raum ohne
größeren Tisch als unfertig möbliert
erscheinen; nimmt man diesen oder jenen
Luxusgegenstand, ein Buch, eine schöne
Bedeckung der Platte aus, so hat der Tisch
im Empfangszimmer nichts zu tragen,
infolgedessen auch keinen oder doch nur
den Zweck, daß man daran oder in seiner
Nähe Platz nehmen kann; ebensogut kann
man aber auch anderswo Platz nehmen, da
im Empfangszimmer weder gespeist, noch
gearbeitet oder gelesen wird. – Von der
früher so beliebten runden, ovalen oder
vieleckigen Form des Tischplattes macht
man neuerdings wieder gern Gebrauch.
Der runde Tisch hat den Vorzug, kein Unten
und Oben, kein Links und Rechts zu haben;
die von ihm gebotenen Plätze sind völlig
gleichwertig, es gibt keinen bevorzugten
Platz, keinen Rang am Tische, jeder Platz
ist Präsidentenplatz.

Christian Knieps: Besitzlos

Ich bin heute Morgen aufgewacht und hatte richtig hartnäckige Kopfschmerzen. Solche Kopfschmerzen, dass man ausrasten könnte, wenn es nicht so verdammt wehtun würde. Ich stelle mir die Frage, worüber ich in der Nacht alles nachgedacht habe, und ich komme zu der Erkenntnis, dass mich mein Besitz so richtig annervt! All der blödsinnige Kram um mich herum, den ich aus irgendwelchen anerzogenen Gründen seit Jahren und Jahrzehnten sammle. Also weg damit!
Ich beginne. Zunächst suche ich alles zusammen, das ich nur aus reiner Sentimentalität behalten habe: Gläser vom Weihnachtsmarkt, alte Fotos von irgendwelchen uncoolen Ereignissen aus meinem Leben, Bücher, die mir geschenkt wurden, da ich sie angeblich verschlingen würde, Kerzen, hunderte davon, Nippes und noch mehr Nippes. Ich stehe vor einer Schublade und schaue auf vierzehn Tesafilmrollen, neunzehn Kugelschreiber, vier Notizblöcke und so viele Post-Its, dass ich meine Wohnung wohl zweimal damit tapezieren könnte. Dabei mache ich mir doch Notizen auf dem Handy!
Der erste Müllsack ist in wenigen Minuten voll, dann der zweite, und als ich den dritten zuknote, stelle ich mir langsam die Frage, wie viel Müll ich zusammentragen werde und wohin ich diesen bringen müsse. Das alles würde niemals in die Mülltonne passen. Aber bloß nicht ablassen vom Ausmisten! Sonst knicke ich ein und räume wieder alles aus und in die Schränke ein. Die Kopfschmerzen werden weniger, und ich halte das Tempo hoch, indem ich nach und nach meine Wohnung entgifte.
Der Wohnzimmerschrank hat es mir angetan – das meiste habe ich bereits entsorgt, und jetzt geht es an die staubigen Bier- und Weingläser, die schon lange nicht mehr in Benutzung waren, ehe auch die allerletzten Reste in anderen Schubladen verschwinden, und ich mich ernsthaft zu fragen beginne, ob ich eine leeren Schrank im Wohnzimmer haben möchte.
Kurzerhand entschließe ich mich, im Schlafzimmer das Bett abzuschlagen – die Matratze kommt mit ins Wohnzimmer. Ab jetzt ist ein großer Teil des Schlafzimmers Ablagefläche für die Müllsäcke, aber auch nach und nach für die Möbel, die ich abbaue – beginnend mit dem Bettgestell und dem leeren Wohnzimmerschrank.
Ich merke, wie die Wohnung große leere Flecken erhält, und am Nachmittag ist der erste Raum komplett leer. Nichts, aber auch rein gar nichts habe ich aus dem Wohnzimmer als bewahrungswürdig für mein weiteres Leben identifiziert, und so führt mich mein nächster Weg in die Küche. Hier fliegen zunächst die vielen Geräte, die ich nie nutze, aus den Schränken, ehe ich die Anzahl an Geschirr drastisch reduziere. Ich brauche keine zwölf Teller oder vierzehn Kaffeebecher, je ein Set muss genügen.
Auch die Küche leert sich immer weiter; nur die Kaffeemaschine und der Kühlschrank scheinen noch eine gewisse Wichtigkeit in meinem Leben zu besitzen. Dann aber beschleicht mich ein Gedanke, der alle aufkommenden Fragen für immer und ewig beantworten könnte: wenn ich doch gar nichts so richtig besitzen muss – warum muss ich überhaupt eine Wohnung besitzen? Diese Frage arbeitet sehr stark in mir, und ich muss zugeben, dass ich einige Probleme nicht auf Anhieb lösen kann – wie zum Beispiel die Klamottenversorgung -, doch soll ich mich von diesen Unwägbarkeiten etwa abhalten lassen? Vom absoluten Besitzlosenzustand? Wobei… Ja natürlich! Ich besitze dann immer noch meine Erinnerungen, Gefühle, Leidenschaften… doch ich bin dafür wenigstens den ganzen Pröll los! Endlich!

blumenleere: burnin‘ ur furniture may lead to a celebration of life

schlag das haus auf, die wohnung. darin prothesen, dir, laut massenwahn, deine mehr bis minder alltaeglichen taetigkeiten zu erleichtern, sowie semistationaere aufbewahrungsbehaelter fuer kuenstliche abgelegte haeute & allerlei zeug, dessen scheinbare notwendigkeit deiner blanken unfaehigkeit entspringt, dich den umstaenden & dir begegnenden ereignissen ohne ein pathologisches horten von vorsichtsmasznahmen & gegengiften zu unterwerfen: du, also, verstellst dir den raum mit pervers geknechtetem material – wider seine natur mit viel aufwand zum vermeintlichen stillstand gezwungen –, seinen wandel verdraengend, abnutzungserscheinungen verfluchend … aber, wieso, nur, wo dir doch klar sein muesste beziehungsweise sollte, dass seine erosion dadurch zwangslaeufig beschleunigt wird, nutzt du es denn dann, um ruecksichtlos darauf zu liegen, sitzen, speisen, scheiszen, kopulieren? willst du in einer zeitkapsel vor dich hinvegetieren, dich in deiner nahezu grabkammer dem quirligen leben entziehen & dir die luft zum atmen von letztlich primaer industrieware rauben lassen, die das, was du zuhause nennst, mit seiner widerlich sperrigen anwesenheit verseucht …?

Bastian Kienitz: 10.11.2012 [2.00Uhr]

Auf dem Tisch liegt er, wie etwas Gezähmtes, mit Zähnen,
mit messerscharfen Blickpunkten, an ihren Schenkeln ent-
lang kleine Perlen, klitzekleine vom Regen und rotgestürzte
Unterlippen von seiner Protagonistin: er liest am Biertisch
weiter vom Schreiben….

blumenleere: schwaermerisch zertret‘ ich allzu klebrige schwaermereien …

eine muse: eine muse scheint irgendwas –beziehungsweise ein konkreter mensch – & zwar irgendwo zwischen katalysator – beschleunigung kreativer prozesse – & transistor – verstaerken inspirierender impulse – zu sein, ferner jedoch mitunter gar selbst das der so dringend kultur schaffen wollenden persona akut fehlende gegenstueck darzustellen, welches letztere unbedingt & quasi zwingend benoetigt, um pittoresk ueber sich hinauszuwachsen & in einem mehr oder minder euphorischen flieszen sie berauschende werke hervorzubringen, die sie fuer gut genug haelt, sich vor sich & anderen mit ihnen zu schmuecken – & das vielleicht blosz deswegen, weil ihre unsicherheit solch enorme ausmasze annimmt, dass sie, sofern niemand auszer ihr verantworlich waere, fuer ihr schaffen, sie sich, von erbarmungslosen zweifeln zerfressen, nicht aus ihrem schneckenhaus wagen wuerde? eine gefaehrliche allianz, ganz unabhaengig dessen, denn es manifestiert sich in ihr ein streben gen totale abhaengigkeit & sobald das ueberhoehte wesen sich rar macht, ungnaedig agiert oder verschwindet, was dann? ich fuer mich & meinen teil favorisiere dahingegen & daher nach wie vor eher den kompromisslosen, koerper, geist & psyche laeuternden waldgang – & verabscheue opportunismus, hinternkuessen, infantile schulterschluesse –: die sublime einsamkeit – eins mit allem, im oestlichen sinne …? – des anarchen – maennlich, weiblich, divers et cetera … – in memoriam ernst juenger & max stirner: voila!

Pola Ruin: musenflagge

tatsächlich hat jemand mal „du bist meine muse“ zu mir gesagt. aber eigentlich ist das doch nur ein sauber blasiertes und überkandideltes „schatzi“, wenn wir ehrlich sind. also man kann zumindest rausfinden ob’s das ist.

weil muse ist ja ein so grosses wort, dass man unbedingt und dringend diese anhaftende großwahn-artsy lack- und glitzer schicht davon abkratzen muss, um zu sehen was bleibt.

das geht auf einem weg gut, den kenn ich: dazu müsste man zum beispiel schrecklich viel fragen; hey wow wie kommt’s, was inspiriert dich an mir, welche situation, oder meinst du gar doch das aussehen oder oder. und der kontext spielt mit rein, wie es gemeint ist konkret, wo der andere drin ist, ist das gegenüber kunststudierend oder schreibt oder macht musik oder findet einfach dass ich den alltag besser mach und man sich was abgucken kann? eine praktische muse. das wär was.

es wird aber gefälligst nicht nach gefragt. das sei ein fauxpas.
der mensch (inbesondere der weibliche) soll das hingebungsvoll geehrt annehmen. zerstört ja wohl voll den moment!

ein tipp, falls dir das passiert, da weisst du sofort: dieses kompliment ist leider wie eine frische erdnuss, wo die zweite nuss drin fehlt, wenn du die schale zerbrichst und die verbleibende nuss ist eh trocken und schrumplig und schmeckt gammlig.

wenns dir dann aber erklärt wird, warum du musig bist, vielleicht noch mit freudigem blick, ja dann dingdingding! nicht weiterlesen. und vergiss das davor.

egal. was dann übrig geblieben ist von dem ganzen muse sein war so eine art pappröhre, in der mein körper kopf voran steckte. aus der ich dann langsam richtung licht rausgekrochen bin. das ging nur, weil jedes weitere genervt sein und jeder abfällige blick hat die pappe aufgeweicht, das aalglatte aufgelöst und da konnt ich mich reinkrallen.

ankommen tut erst mal weh, all das licht und die dinge auf dem weg und das leben das weitergelaufen ist ganz viel ohne einen. ich würd sogar sagen ich war noch ne weile drin in der pappe, als der musensalbaderer schon weg war.
obwohl auch viele freunde mal von links und rechts geklopft haben, die pappe is halt so dumpf und der glitzer war halt noch da. aber immerhin, immerhin war sie nicht aus beton, mein lieber scholli.

Christian Knieps: Bremsspur

Die Gesellschaft um mich herum hat sich in einen wahnsinnigen
Geschwindigkeitsrausch versetzen lassen, der alleine dazu dient, die
Gegenwart durch immerwährenden Wandel nicht zu langweilig werden zu
lassen. Die Moden wechseln derart schnell, dass man eine verpasste Mode
nicht mal bemerken muss, und ganz bestimmt muss man sich keine Gedanken
darüber machen, denn die nächste ist schon da! Solange man nicht zu viele
Moden verpasst und als outdated oder immergestrig gilt, ist alles reparabel, da
das Gedächtnis mit diesen Moden ebenso leidet wie oft der Geschmack.
Ich wage jetzt etwas Verwegenes! Ich durchbreche diesen wahnsinnigen
Geschwindigkeitsrausch und bremse mit ordentlicher Spur ab, halte kurz ein,
betrachte die Moden, die an mir unberührt vorbeiziehen, und stelle mit
leichter Freude fest, dass absolut nichts Neues dabei ist – allenfalls eine neue
Abmischung verschiedener Moden der Vergangenheit. Die Beschleunigung der
Kurzfristigkeit der Moden führt zu dem absurden Phänomen, dass
Normalaltwerdende eine Mode mehrere Male erleben können, was den
unschlagbaren Vorteil mit sich bringt, Kleidungsstücke nicht mehr entsorgen
zu müssen, da diese in wenigen Jahren wieder en vogue sein werden – wobei
jedoch der Nachteil des zu kleinen Kleiderschranks ebenso mehr als evident
wird.
Während die Moden so an mir vorbeizischen, überkommt mich das Gefühl
einer latenten Nervosität, dass ich am Ende durch meine Pause doch mehr
verpassen würde, als ich es noch vor wenigen Momenten stock und steif
behauptet hätte. Ich muss meine gesamten Übungen zu Atemtechniken
auffahren, dass ich nicht in einen Zustand der Hyperunsicherheit gerate –
denn, wenn man einmal in einem solchen Zustand ist, ist man dem Wahnsinn
ausgeliefert, ohne Macht und Widerstand, ohne Willen und Resilienz. Dann
können Populismus und Metamoden viel einfacher in das eigene Gehirn
einziehen und sich dort breitmachen, als Folge eines Abgehängtseingefühls,
das man nie wieder verspüren möchte.
Ich für meinen Teil bekomme gerade noch mal die Kurve, das Vehikel, in dem
ich mich befinde, versetzt nur kurz, bricht aber nicht aus, sodass ich dagegen
ankämpfe, gegen einen Teil meines Selbst kämpfe – und traurigerweise die
tiefere Erkenntnis habe, dass ich auch verliere, wenn ich gewinne! Was ich
aber auf jeden Fall gewinne, sind die vielen abschätzigen Blicke meiner
Mitmenschen, die bisher dachten, dass ich aktuell und hip wäre, doch jetzt
erkennen sie den wahren Kern von mir: den gestrigen, noch nicht den
Ewiggestrigen. Vielleicht ist auch bei diesem turning point die Antwort 42,
denn seit Überschreiten dieser Grenze habe ich das Gefühl, dass sich das
Hetzen nach vorne nicht mehr so lohnt, denn statistisch ist es die zweite Hälfte
des Lebens – und anders als im Fußball gibt es keine dritte Halbzeit, in der
gefeiert wird.
Ich stehe also hier und sehe die nächsten Moden an mir vorbeiziehen, trage
meine alten Klamotten auf, verhalte mich, als wäre ich in der Entwicklung
irgendwann stehengeblieben, höre mir von meinen Kindern an, dass ich super-
mega-cringe bin, weil ich die neuesten Moden im social network mit vollem
Herzen missachte, und fühle mich gut damit.
Das Lustige an diesem Morgen ist, dass sich die Moden so sehr einmal um sich
selbst gedreht haben, dass ich mit meinem Stil und meiner Art wieder ein
angesagter Sportsfreund bin, was ich inzwischen etwas peinlich finde – doch
ich ahne, dass diese Mode spätestens beim nächsten Kaffee schon wieder
cringe bin. So soll es auch sein! Metamoden, was für ein Käse!