Raphael Stratz: Wie wir uns einander passend machen

Ein einzelner Staubfussel kann viel verursachen. Gerät er in einen Rauchmelder, so schlägt dieser unter Umständen falschen Alarm, woraufhin große Fertigungshallen geräumt werden müssen, die Produktion für etwa zwanzig Minuten zum erliegen kommt und wirtschaftliche Schäden in Milliardenhöhe entstehen. Außerdem können die produzierten Waren deshalb nicht rechtzeitig geliefert werden, was einen Handelskrieg mit Paraguay auslöst und letztlich zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Kanada und Dänemark führt.
Ein einzelner Staubfussel könnte auch, sollte er nicht ordnungsgemäß entfernt worden sein, in einem Operationssaal landen. Dort gelangt er an das Besteck der zuständigen Ärztin und verbleibt schließlich im Körper des zu operierenden. Da der arme Mensch aber eine Augentransplantation erhält und sich das kleine Stück Schmutz gar ungünstig hinter seinen neuen Sehapparat klemmt, muss dieser nun für den Rest seines Lebens die Welt wie durch ein beschlagenes Fernglas betrachten.
In meinem Fall fiel der Fussel auf mein Mobiltelefon. Er entschloss sich, dies zu tun, als ich gerade im Wartebereich eines großen deutschen Bahnhofes saß und auf eben jenem Mobiltelefon mit einer Datingapp spielte. Mir war nicht ganz klar, woher er gekommen sein mochte, befand ich mich doch in einem riesigen Saal mit etwa dreißig Meter hohen Decken. Doch vielleicht hatte er einfach einen der vorbeihastenden als Transportmittel genutzt, um auf meinem Telefon Platz nehmen zu können.
Kurz betrachtete ich meinen ungebetenen Gast, entschloss mich dann, meine gute Kinderstube zu ignorieren und wischte ihn beiseite. Dies war der Moment, in dem Miriam in mein Leben trat.
Sie hatte sich unter dem Schmutz befunden. Genauer gesagt: Sie war innerhalb meines Mobiltelefons gewesen und hatte mich durch dessen Bildschirm hindurch angeblickt. Als ich nun den Staub beiseite wischte, signalisierte ich der Datingapp, dass sie mir rein optisch und aufgrund der spärlich angegebenen Informationen interessant erschiene. Es stellte sich heraus, dass Miriam mich, als ich sie meinerseits durch den Bildschirm ihres Gerätes hindurch angrinste, ebenfalls für attraktiv befunden hatte. Dies wurde mir auch umgehend angezeigt. Ich freute mich ein wenig über diesen unverhofften Zufall, hatte ich doch gar nicht beabsichtigt, sie gar so offensiv zu bestätigen und nur ein Stückchen Staub hinfortwischen wollen. Dann beließ ich es aber dabei, hatte ich ja nur ein Stückchen Staub hinfortwischen wollen und mich mit ihrem Profil gar nicht auseinander gesetzt.
Wäre sie tatsächlich interessant, so dachte ich mir, würde sie mir schon eine Nachricht schreiben, in der sie mir dies zeigte.
Sie schrieb mir tatsächlich, einen Tag später:
„Schreibst du mir auch irgendwann?“
Die Nachricht als Solche überraschte mich. War sie es doch, die mir in diesem Moment schrieb und natürlich würde ich ihr auf diese Nachricht antworten. Wir wären hier wieder bei meiner guten Kinderstube.
„Ja.“ Antwortete ich also wahrheitsgemäß.
Ihr schien meine knappe, präzise Art nicht sonderlich zu imponieren, doch irgendetwas daran musste es ihr angetan haben. Sie schien es nun nämlich als eine Art Herausforderung zu sehen, mir mehr zu entlocken. Sie durchlöcherte mich mit allerhand Fragen, die ich ihr selbstverständlich wahrheitsgemäß beantwortete und erfuhr auch einiges über sie.
Wir schrieben in der folgenden Zeit sehr viel mit einander. Miriam hatte ohne Zweifel auch mich neugierig auf sie gemacht. Ich erfuhr, was sie beschäftigte, sie womit ich meine Zeit verbrachte und mein Geld verdiente, ich von ihrer Familie und Träumen.
Nach einigen Wochen fragte sie mich, ob ich nicht denke, dass es langsam aber sicher an der Zeit wäre, sie auf ein Date einzuladen.
Warum sie nicht einfach mich einlüde, fragte ich zurück.
Weil das so ginge, dass der Mann die Frau einlädt und nicht umgekehrt, erklärte sie mir. Ob ich ein Feminist sei, wollte sie wissen.
Ich erklärte ihr daraufhin, dass ich sehr wohl ein solcher bin, es aber ganz unabhängig davon einfach erwachsen von ihr fände, wenn die Frage nach einem Date von ihr käme, wenn sie sich eines wünschte. Sie lies sich davon nicht beeindrucken und bestand weiterhin darauf, wenn dann hätte ich sie einzuladen.
Dies tat ich einige Zeit später, als mir danach war. Wir trafen uns, verstanden uns prächtig und vereinbarten, uns wieder zu sehen. In der darauf folgenden Zeit hatten wir viele Treffen, wir waren einander sehr sympathisch und unsere Gespräche wurden zunehmend intimer.
Als wir eines Abends nach einem sehr romantischen Date mit anschließendem Spaziergang vor der Tür ihres Wohnhauses angekommen waren, fragte sie mich, ob ich sie nun nicht endlich einmal küssen wolle. Ich fragte sie, weshalb sie mich denn nicht einfach selbst küsste, woraufhin sie erwiderte, ich sei der Mann, weshalb unser erster Kuss zwangsläufig von mir ausgehen müsse.
Ich dachte in diesem Augenblick nicht viel nach und küsste sie auf den Mund, was ich kurz darauf bereute. Ich bereute es nicht des Kusses wegen. Dieser war für sich genommen absolut akzeptabel und nichts wofür man sich hätte schämen müssen. Ich bereute es, weil ich ihr durch diesen Kuss in ihrem Denken, er müsse von mir kommen, Recht gab.  Allerdings wischte ich diesen Gedanken beiseite, als mir aufging, dass es sich nun ohnehin nicht mehr rückgängig machen ließ. Ich tröstete mich mit dem Gedanken, dass sie nun, da wir uns noch einmal näher gekommen waren, künftig sicher emanzipierter, zumindest mir gegenüber auftreten konnte.
Ich täuschte mich.
Miriam und ich entwickelten in den darauf folgenden Monaten eine Beziehung mit einer etwas merkwürdigen Dynamik. Sie hielt an ihren insgesamt doch recht traditionellen Rollenbildern fest, die besagten, jede Initiative habe von mir – als Mann – auszugehen. Währenddessen wünschte ich mir eine aufgeklärte, emanzipierte und feministische Frau an meiner Seite. Ich hatte nie den Anspruch an sie, eine Vorkämpferin für Frauenrechte zu sein und chauvinistischen Mannsbildern öffentlich die Stirn zu bieten. Dennoch wäre es mir zu wissen lieb gewesen, dass sie ihren eigenen Kopf hatte und ihren Willen auch klar definieren und durchsetzen konnte.
Im Prinzip war dies auch der Fall. Sie hatte ihre Vorstellungen davon, wie Dinge zu laufen hatten, aber das waren andere als die meinen.
Sie war der Meinung, ein Mann hätte die Frau in einer Liebesbeziehung zu führen und dies nach einem speziellen, althergebrachten Schema. Dieses betraf das gesamte Leben: Ich sollte entscheiden, wohin wir Essen gingen, wenn wir dann im Restaurant saßen, musste ich die Rechnung bezahlen. Saßen wir vor dem Fernseher, so sollte ich das Programm auswählen und dann die Fernbedienung in Beschlag nehmen. Es war auch der Fall, wenn wir mit einander schliefen, aber das geht niemanden etwas an.
Sie bräuchte einen Mann, der zeige, wo es langgeht, erklärte Miriam mir immer wieder.
Ich machte ihr daraufhin jedes Mal klar, wie wichtig es mir war, dass meine Partnerin selbst weiß, was sie will.
Aber das wisse sie doch ganz genau, entgegnete sie daraufhin immer wieder: Einen Mann, der zeige, wo es langgeht.
Wir waren etwa sechs Monate ein Paar, als mir aufging, dass wir uns missverstanden. Wir waren genau das, wir jeweils brauchten:
Ich zeigte an, wo es lang geht, indem ich von ihr forderte, mir zu sagen, was sie wollte.
Sie hatte ihren eigenen Willen, den sie mir dann erklärte.
Ich wiederum zeigte dann wieder an, wo es langging, indem ich das von uns beiden diskutierte Ergebnis zu meinem Willen machte und diesen durchsetzte.
Letztlich bekamen wir beide, was wir wollten. Zumindest in unseren Köpfen. Mir ist natürlich klar, dass das keinesfalls optimal ist, aber ich finde mich damit ab. Inzwischen sind wir seit beinahe drei Jahren zusammen und ich rechne damit, dass Miriam mir demnächst nahelegt, ich möge ihr einen Heiratsantrag machen. Wie ich darauf reagieren werde, weiß ich noch nicht. Vermutlich werde ich kein vernünftiges Argument dagegen finden.
Es ist erstaunlich, was ein einzelner Staubfussel auslösen kann.

Felix Benjamin: Reise ins Licht

Du bist noch ein Kind und liegst in deinem Bett. Deine Mama kommt zur Tür rein und sagt zu dir, dass du jetzt endlich das Licht ausmachen sollst. Du fragst, ob sie dann das Licht im Flur anlassen kann, weil du sonst Angst hast. Sie sagt zu dir, dass das nur Stromverschwendung wäre, wünscht dir eine gute Nacht und macht die Tür hinter sich zu. Du rufst sie nochmal zurück.
Du fragst, was sein wird, wenn du mal gestorben bist. Was da dann sein wird, wenn du nicht mehr lebst. Deine Mama sagt zu dir, dass da einfach nichts sein wird. Du antwortest, dass dir das ganz schlimme Angst macht. Und sie erwidert, dass alles irgendwann zu Ende ist, dass das ganz normal ist und man davor gar keine Angst haben muss. Sie wünscht dir nochmal eine gute Nacht und geht aus deinem Zimmer. Du bleibst im Dunklen liegen und hast so große Angst wie noch nie zuvor.
Du versuchst dir das Nichts vorzustellen. Ist das dann für immer so dunkel wie jetzt? Nein, es kann ja nicht dunkel sein, das wäre ja auch irgendetwas. Bist du dann für immer so einsam wie jetzt? Auch nicht, denn um einsam sein zu können, müsste es dich ja geben, und es wird dich nicht mehr geben. Deine Mama hat gesagt, da wird einfach nichts sein. Nichts.
Du hast Angst vor dem Einschlafen. Das ist ein bisschen wie Sterben, denkst du.
Irgendwann bist du offenbar doch eingeschlafen, denn du wachst auf. Du liegst im Dunkeln und hörst deine Mama schreien, du hörst deinen Papa schreien. Du kannst kein Wort verstehen, aber irgendwie hört es sich schlimmer an als sonst. Es kracht und scheppert und klirrt. Du suchst den Lichtschalter neben deinem Bett, doch du findest ihn nicht. Du stehst auf und tastest dich an der Wand entlang, bis du die Tür gefunden hast. Du machst sie auf und findest auch im Flur den Lichtschalter nicht. Du tappst mit deinen nackten Füßen über den kalten Boden durch die Dunkelheit. Du tastest dich an der Wand entlang, immer den Schreien hinterher, bis du das Schlafzimmer deiner Eltern gefunden hast.
Du drückst die Türklinke nach unten und siehst deine Mama neben dem Ehebett stehen. Sie steht da in Unterwäsche und schreit und greift immer wieder wahllos nach Sachen um sie herum, um sie ins Bett zu schmeißen. Sie sieht dich nicht, und du gehst weiter ins Zimmer rein. Du siehst deinen Papa im Bett sitzen, er sitzt da halb unter der Bettdecke und schreit. Er sieht dich, wie du neben ihm am Bettrand stehst, und ehe du dichs versiehst, packt er dich und zieht dich zu sich ins Bett.
Er drückt dich ganz fest an sich, du kannst dich nicht mehr bewegen. Er sagt immer wieder: „Keine Angst, mein Kind, ich beschütz dich vor dieser Nutte, ich beschütz dich vor dieser Hure“. Aber er sagt das nicht zu dir, er sagt das zu deiner Mama, die umso mehr schreit und umso mehr Sachen um sich schmeißt. Er beschützt dich nicht, im Gegenteil, du bist sein Schutzschild. Du kannst dich nicht rühren, du bist gefangen. Du kannst den Sachen nicht ausweichen, die dir entgegenfliegen. Du machst die Augen ganz fest zu, du presst die Lippen aufeinander und hältst die Luft an.
Auf einmal wird alles ganz leicht.
Da wo du jetzt bist, da ist nicht Nichts. Da ist alles, nur Mama und Papa sind da nicht.

Ruben Trawally: BETT

Der Begriff leitet sich vom weisen Satz von The Who „You better you bett“ ab, was soviel bedeutet wie „Besser schlafen“ respektiv „In der Ruhe liegt die Kraft“.
Das Betten versucht man auch in Las Vegas, oder in der Deutschen „Buß und Bett AG“, wobei kein Mensch weiß wo die Aktionäre schlafen. Gerade in Randbett-zirken Europas (auch Grenzbett-zirk genannt) liegen die wahren Könner der horizontalen Revolution. Sachsens Politiker gönnen sich auch einmal im Jahr ein Heavy Betting Festival, mitunter ohne Fremde, Freunde, oder gar Liebste. Dass Bettler den ganzen Tag schlafend nichts machen stimmt zwar, jedoch sind sie gefälligst nicht mit Soße zu beschmieren.
Hier noch ein paar Fakten:
Schon Richard von Weizsäcker schlief während seiner Amtszeit 3651 Mal in einem Bett. Kaum zu glauben, aber wahr.
Die Berg und Talbahn im Himalaya sollte Tibett mit Ost-Timoor verbinden, wurde jedoch niemals fertiggestellt. Der Baubeginn verschob sich von 1767 bis ins späte Technozeitalter.
Das Römische lectus genialis dient heute noch der Vermehrung von Menschen, bei Fakiren ist hierzu auch ein Nagelbett dienlich.
Die Anzahl von Himmelbetten und zählt man nach wie vor: Allfa – Betta – Ghamma -Dälta; Zu deutsch: Nordost – Südwest – Links – und das ganz hinten.
Das Hochbett findet heutzutage den meisten Zuspruch, da die Gärtnerkultur innerstädtisch weiterhin auf Distanz zum Boden baut. Bettziehungsweise anbaut. Falls ihr an einem vertrockneten Hochbett vorbeilaufen solltet, tut mir also einen gefallen, und gießt bitte. Gießen für Genießer.

Andreas Lugauer: Der Kokon des Philosophen

Weniges ist so gehaltlos und doch so unterhaltsam wie Klatsch und Tratsch. Dies gilt freilich auch für die Damen und Herren Philosophinnen und Philosophen. Gassenhauer im Philosophen-Gossip ist seit je das privathäusliche Verhalten des berühmtesten deutschen Idealisten, Immanuel Kant aus Königsberg. Was für eine wunderliche, neurotische Type er gewesen sein muss: Sein Tagesablauf war streng geplant, vom pünktlichen Aufstehen um 5 Uhr morgens über die nach dem Frühstück abgeleistete Arbeit in der Studierstube, die Vorlesungstätigkeit an der Universität und das Mittagsmahl im Kreis von Freunden – alles ging so pünktlich vonstatten, dass Zeitgenossen raunten, nach Kants Gewohnheiten könne man die Uhr stellen. Lagen die Schreibutensilien nicht an ihrer zugewiesenen Position oder stand ein Stuhl nicht dort, wo er sollte, befiel ihn schon die Unruhe. Dass Kant zeitlebens unverheiratet und kinderlos war, es lag wohl auch daran, dass mit der Zahl der Hausbewohner die Gefahr steigt, dass Gegenstände entwurzelt werden. Also lachte er sich nur einen Diener an.
Dieser Diener, Martin Lampe, hatte ihn jeden Morgen pünktlich zur selben Zeit zu wecken. Wie berichtet wird, war die Schlafenszeit in Kants Stundenplan wie alles andere genau geregelt: jede Nacht von 22 Uhr bis Viertel vor fünf Uhr. Mehr, das wäre Kant gefährlich erschienen. War er doch der Ansicht, jedem Menschen sei vom Schicksal eine bestimmte Portion Schlaf zugemessen worden. Wer in seinen besten Jahren zu viel Zeit damit verbringe, verbrauche sein Kontingent zu schnell und brauche sich gar nicht einzubilden, alt werden zu können – denn wer sein Pensum verschlafen hat, muss sterben.
Sterben, so scheint es, wollte Kant offenbar im Schlaf. Wie ein unbekannt bleibender und wahrscheinlich auch unbekannt bleibend wollender Zeitgenosse enthüllte, hatte Kant eine besondere Fertigkeit, sich in seine Decke einzuwickeln: Er schwang sich in die Matratze, zog einen Zipfel der Decke über seine Schulter unter dem Rücken durch bis zur anderen und – so der anonyme Zeitgenosse: durch eine einzigartige Geschicklichkeit! – auf die gleiche Weise auch den anderen Deckenzipfel, diesen jedoch nach vorne bis zum Oberkörper, sodass er schließlich eingesponnen dalag wie in einem Kokon; und damit für den Fall des nächtlichen Ablebens gleich praktisch eingewickelt zum Abtransport ins Leichenhaus. Kenner der Kantischen Philosophie mögen zustimmen: ebenso, wie man sich diesen Einwickelvorgang nur schwer vorstellen kann, kann man sich allzu oft kaum vorstellen, was Kant mit dem, was er schrieb, meinte, weil er seine Sätze derart über die Zeilen wand und schraubte und verschachtelte und, ja, wickelte, dass du dir beim Lesen meist wie eingesponnen vorkommst und dir, an besonders schwierigen Stellen, durchaus auch den Abtransport ins Leichenhaus wünschst.
Aber – was geht’s uns eigentlich an, wie sich dieser berühmteste aller deutschen Philosophen ins Bett legte? Richtig, die Anonymität des Ausplauderers legt es schon nahe: nichts. Wie es ja, außer der Familie und sonstigen Intimbekanntschaften, eigentlich überhaupt niemanden etwas angeht, wie sich irgend jemand einbildet, sich ins Bett legen zu müssen. Nahe liegt jedoch auch der Verdacht, dass es sich bei der Kolportage von Kants Marotten und Neurosen um eine Art Vergeltung all derer handelt, die, den Verfasser eingeschlossen, letztlich doch nicht so ganz kapieren, was Kant philosophisch zustande brachte. Die aber, wenn die Rede auf den Königsberger Philosophen kommt, immerhin sofort etwas daherzureden wissen, und wenn’s auch nur die Bettgeschichte ist. Klatsch und Tratsch gehen schließlich immer.

Elmar Tannert: Fränkische Gastlichkeit

Das Bett ist bekanntlich ein Ort verschiedenster Lustbarkeiten. Eine davon ist das Frühstück. Ja, im Bett wollten wir frühstücken, die Geliebte und ich, im Bett unseres mittelfränkischen Kleinstadthotelzimmers, wohinein die Morgensonne Wärme und strahlend Licht sandte. „Geh in den Frühstücksraum!“ gurrte die Geliebte mir ins Ohr, „und jag uns ein Frühstück, mein Held!“ – „Ja, mit Gottes Hilfe!“ sagte ich, frisierte mich mit einer Handvoll Leitungswasser, streifte Hemd und Hose über und machte mich tapfer auf den langen Weg zum Frühstücksraum, am anderen Ende des Korridors gelegen. Dort, in bedrohlichem Halbdunkel, wachte die Wirtin strengen Blicks über ihr Sortiment aus Semmeln, Aufschnitt und Marmelade.
Fröhlich wünschte ich ihr einen guten Morgen, und bestimmt habe sie nichts dagegen, wenn man sich ein Frühstück aufs Zimmer nehme.
Da musterte sie mich wie einen unartigen Buben und sagte, sie habe aber das Buffet extra so schön aufgebaut.
„Ihr Buffet“, sagte ich, „ist wirklich wunderschön. Aber noch viel schöner ist das Zimmer, das Sie uns zugedacht haben – wie dort die Sonne zum Fenster hereinlacht! Deshalb würden wir mit großer – Sie ahnen gar nicht, mit wie großer! – Freude im Bett frühstücken.“
Die Wirtin atmete tief durch, und ihre Stirnfalten verkündeten Unheil.
„Sie werden damit gar keine Mühe haben“, versicherte ich eilends. „Ich selbst werde das Tablett mit all den guten Dingen füllen und eigenhändig aufs Zimmer bringen.“
Ihr Gesicht verfärbte sich, ihre Miene wurde düster. „Nein. Das ist nicht erlaubt.“
„Sie sind die Wirtin!“ sagte ich. „Sie können es erlauben!“
Aber sie erlaubte nicht.
Geknickt meldete ich der Geliebten die verlorene Schlacht. Als wir gemeinsam im Frühstücksraum Platz nahmen, servierte uns die Wirtin den Kaffee mit dem Charme eines Getränkeautomaten, und wir nahmen unsere erste Tagesmahlzeit gemäß § 5 Absatz 2 der fränkischen Hotelfrühstücksverordnung zu uns, diszipliniert und unter Aufsicht.
Reisender, merk: Franken ist nicht romantisch, sondern protestantisch. Wenn du dir mit der Dame deines Herzens ein Zimmer nimmst – erkundige dich vorab an der Rezeption, ob man bereit ist, euch eine der elementarsten Freuden des Lebens zu gönnen: Ein Frühstück im Bett. Sonst hast du die Rechnung ohne die Wirtin gemacht.

Andii Weber: Yoko und John – Eine Liebe aus Kaltschaum

Irgendwann in Amsterdam. Ein sonniger Morgen erhellt eine Suite in einer Jugendherberge. YOKO und JOHN erwachen gerade in ihre Flitterwochen hinein. Auf dem Tagesplan stehen heute eine original Industriehafenrundfahrt und eine coole Käseverkostung. Der Wecker gibt
einen Urschrei von sich. YOKO klappt hoch und begrüßt den Tag.

Y, herzallerliebst: Hui, was für ein schöner Morgen! Da möchte ich doch mal meinen Lieben Mann aufwecken. JOOOOHN! AUFWACHÄN JETZT! WIR HABEN HEUTE VIEL VOR!

John stöhnt, schält sich aus den Federn und sieht nicht ganz so frisch aus. Sein Bocklevel ist sichtlich low.

J: Was ist denn los mein Hasenpfötchen? Wie spät ist es denn?

Y, gewaltig schreiend: HALB SIEBÄÄHN! IN NER HALBEN STUNDE GIBTS ESSEN UNTEN!

J: Ach Rohrspätzchen, können wir nicht noch ein bisschen liegen bleiben? Nur 5 Minuten? Ich kauf uns dann später ne Dose Fisch und Chips unten am Hafen, ok?

Y: JOHN! KEINE AUSREDÄN! WIR WOLLEN DOCH SIGHTSEEING MACHÄN!

J: Ja schon, aber wir können auch noch in fünf Minuten Sightseeing machen, Hurzelpurz!

Y: WIR SIND HIER IN DER SCHÖNSTEN STADT EVER UND DU WILLST PÄNNÄN? DA HAB ICH MIR JA EINEN TOLLEN MANN GEANGÄLT! AMSTERDAM HAT DEN SECHSTGRÖSSTEN INDUSTRIEHAFÄN VON DER GANZÄN WÄLT. WAS KANN DENN JETZT WICHTIGER SEIN ALS SO EINÄ. EINMALIGÄ. INDUSTRIEHAFÄNRUNDFAHRT?

J: Na, Der Weltfrieden.

Y: DER WAS?

J: Der Weltfrieden.

Y: DAS HAB ICH AKUSTISCH SCHON VERSTANDÄN! ABER WAS HAT DAS MIT DEM WELTFRIEDÄN ZU TUN, WENN DU DA RUMLIEGST?

J: Joghurtschnäuzchen, wenn überall auf der Welt jetzt gerade alle Menschen noch ein bisschen liegen bleiben würden, dann wäre immerhin schon mal fünf Minuten Weltfrieden, oder?

Y: HM DA HAST DU WOHL RÄCHT!

J, erstaunt: Ja, wirklich?

Y: JA! LEG DICH RUHIG HIN! SCHNÄLL, BEVOR SIE WIEDER BOMBEN IRGENDWO REINSCHMEISSEN! LOS, SCHLAFÄÄN!

John ist sichtlich verwundert und schüttelt den Kopf und Yoko sieht ihrem Mann dabei zu, wie ihn der Kaltschaum zufrieden schmatzend in sich aufnimmt.

[bliep]

Werbeunterbrechung: Hallo Kids! Mein Name ist Dr.Mabuse und ich bin Zahnarzt. Immer wieder werde ich gefragt, wie man seine Zähne am besten vor dem abfaulen schützt. Leider fragen das die meisten Menschen erst, wenn ihnen die – sie verzeihen mir den Ausdruck – gammeligen Stumpen schon auf halb 12 aus dem Fressbrett hängen. Tja, blöd gelaufen.
Dabei ist die Lösung so simpel wie genial: Einfach zweimal täglich Zähneputzen. Wichtige und wertvolle Gesundheitstipps wie diesen erhalten sie jede Woche in der Apothekerbeschau. Ein erhabenes Magazin, gedruckt auf echtem Papier zum anfassen und zum riechen.Apothekerbeschau: Das Magazin für die Ewigkeit. Jetzt in jeder Apotheke

[bliep]

JOHN wacht auf und muss sich schütteln. das Zimmer ist berstend voll von
Menschen. es handelt sich um ein Rudel Journalisten, die das junge Paar keck mit ihren Digitalkameras anpirschen, Immer auf der Suche nach heißen Neuigkeiten zum aktuellen Weltgeschen. Drollig!

J flüsternd zu Yoko: Wer sind diese Leute?

Y leise schreiend: DAS SIND JOURNALISTÄN, JOHN!

J: Um Himmels Willen, wieso das denn? Ist das nicht gefährlich? Sind die Stubenrein?

Y: WIR MACHÄN JÄTZT KUNST JOHN!

J: Bittewas?

Y: KUNST! JOHN!

J: Ja das hab ich akustisch schon verstanden, Schmusekätzchen. Aber was hat das alles zu
bedeuten?

Y: WIR MACHEN EIN BED IN! WIR SIND ALSO QUASI IN THE BED DRINNEN, JOHN. UM ZU PROTESTIERÄN!

John ahnt worauf das ganze hinausläuft, reibt sich die Stirn und startet sein Morgendliches Yogaprogramm. Es beginnt mit dem Sandwurm.

J: Für den Weltfrieden, stimmts?

Y GENAU! DU BIST SOOOOOOOOOO. KLUG.

Das Rudel wird immer unruhiger. Die Jungtiere lechzen nach frischem Informationen, da tritt der Alpharüde hervor und beginnt zu investigieren. Ein Verhalten, dass in dieser Jahreszeit für ältere Journalisten übrigens vollkommen natürlich ist.

Journalist: Wuff! Guten morgen die Herrschaften, Wolfram Eschenacher von der Züricher Zeitung. Sie protestieren hier also für den Frieden?

J: Ja, naja … also demonstrieren … das war mehr so ‘ne kindliche Trotzreaktion …

Journalist: sehr interessant WUFFWUFFWUFF!. Und was soll das bringen? ist das nicht ein bisschen – verzeihen sie mir den Ausdruck – arrogant von ihnen? Dass Sie denken, dass sie durch herumlümmeln WUFFWUFF wirklich etwas verändern können?

Y säuselnd: Das ist nicht arrogant, sondern antiautoritär. Wissen sie, wenn nämlich alle Menschen einfach mal länger liegen bleiben täten, dann wäre ja auch auf der ganzen welt …

Journalist: HAHAHAWUFFWUFFWUFF sind sie nicht putzig?

Das Rudel, das bisher still zugehört hat, kann sich vor Bellen nicht mehr halten. Zwei Jungtiere, die wohl Ihren Platz in der Gruppe behaupten müssen, brechen aus der Gruppe
aus.

Jungjournalist Tim: TIm von der Bento hier, wüff. Wann wird endlich gebumst bei euch?

Jungjournalist Tom: Tom von Vice, kläffkläff. Genau! Wir brauchen Content!

Ein wilder Tumult bricht los. John und Yoko verschränken ihre Arme und bleiben regungslos sitzen. Den Journalisten wird klar, dass hier nichts weiter passieren wird und sie traben aus dem Zimmer.

J: Endlich sind die weg. Naja, dann können wir jetzt ja runter zum Früh…

Y: BIST DU DOOF? DU MACHST NOCH UNSER KUNSTWERK KAPUTT! DU BLEIBST SCHÖN LIEGEN!

J: Aber ich hab Hunger

Y: NICHTS GIBTS, DIE KUNST GEHT VOR. MEINST DU, JOSEPH BEUYS HÄTTE SICH AUS SEINEN KUNSTWERKEN ERST EINMAL EIN SCHMALZBROT GEMACHT, NUR, WEIL ER EIN BISSCHEN HUNGER HATTE? NEIN HÄTTE ER NICHT! ER HAT GETAN
WAS GETAN WERDEN MUSSTE! NÄMLICH KUNST. SO!

J: Is’ ja gut mein Zitronenfalter. Dann warte ich eben noch bis … wie lange soll dieses

Kunstwerk denn überhaupt stehen?

Y: EINE WOCHÄ. UND TAGSÜBÄR KANN MAN VORBEIKOMMEN UND SICHS
ANSCHAUÄN!

J. Eine Woche? Tagsüber anschauen? Ach Rattenpups, das halte ich aber für gar keine gute …

Es klopft zurückhaltend an der Tür. Ein älterer Mann mit verschmierter Hornbrille steht im Türrahmen. Er heißt Mammut und hat einen Strauß Blumen dabei. Außerdem weint er ein bisschen, aber das tut er würdevoll.

Mammut: Ich hoffe ich störe nicht. Ich weiß, wie schwer das gerade für euch ist.

Yoko und John schweigen. Sie wüssten sowieso nicht, was sie jetzt sagen sollten. Der Mann hat offenbar seelische Schmerzen. Mammut schreitet auf das Bett zu und legt die Blumen und die Pralinen daneben.

Mammut: Ich wünsche euch, auch im Namen der Gewerkschaft, ganz ganz viel Kraft. Ihr schafft das!

Mammut nickt kurz und verschwindet möglichst schnell. Ihm war dieser Besuch offensichtlich etwas peinlich

J: Aha, und so sehen jetzt also unsere Flitterwochen aus oder was?

Da erschallen Schalmeien und ein kleiner Junge mit lustiger Frisur tritt in den Raum. Er stampft mit jedem Schritt fest auf und hat ein zusammengekniffenes Gesicht. Er denkt wohl, dass ihn diese Gesichtsartistik wütender aussehen lässt, aber unsere beiden
Friedensaktivisten deuten das als unschuldige Niedlichkeit.

J: Oh schön, ein Kind! Kinder sind unsere Zukunft! Komm doch her, kleiner Fratz!

Der Junge stapft entschlossen auf das Bett zu

Junge: So ihr beiden Spinner, jetzt steht schon auf!

J: Nanu? Ein Kunstbanause?

Y: Wie heißt du denn, Junge?

Junge: Ich bin der Präsident von den US von A!

J, kichert: Na sowas

Y: JOHN!

Junge: Halt die Fresse, du Hippiepenner! Nimm gefälligst deinen Präsidenten ernst!

J: Ich bin aber Engländer!

Junge: Mir reichts! es ist fünf vor 12 und ihr lümmelt da rum. Und ganz Amerika mit euch.

J: Ganz Amerika?

Junge: Ja, ganz Amerika! Die Wirtschaft ist am Boden! Nichts geht mehr. So traurig!

J verwirrt: Also bist du jetzt traurig oder die Wirtschaft?

Junge: Ich bin nicht hier um über Wirtschaft zu diskutieren! Fakt ist, dass Alles stillsteht, bis ihr endlich aufsteht.

Y: Aber das war doch der Sinn, das ist antiautoritärer Protest …

J: Ein Scheiß ist das! Ihr hört sofort damit auf! Ich halt jetzt so lange die Luft an, bis ihr aufsteht!

J: Nein tu das nicht! Sowas endet böse!

Der Junge hält die Luft an. Yoko und John sitzen da und schauen ihm beim Blauwerden zu. Einige Minuten vergehen bis der Junge endlich bewusstlos umfällt. Poff.

J, vergnügt: Wow, das ganze hat ja echt was gebracht! Und ich konnte tatsächlich noch fünf Minuten schlafen. Und irgendwie hat es ja doch auch ein bisschen Spaß gemacht.

Y: DAS WAR EIN VOLLER ERFOLG! LASS UNS DAS BALD MAL WIEDER MACHEN,

JOHN!

J: Wie könnte ich da nein sagen, meine kleine Schreischnauze?

Carolin Wabra: Heimkommen

und ich weiß dass es dir nicht gut geht. habe es bereits gerochen als du nach hause kamst. als du in dein zimmer gingst und die tür leise hinter dir zugezogen hast.
es roch ganz süßlich im gang nach deinem parfum. aber auch nach deiner traurigkeit.
jetzt liegst du in deinem bett und hast die dunkelblau gestreifte bettdecke über dich gelegt. genauso wie die schwere des heutigen tages – ach des ganzen lebens – über dir liegt. in embryonalstellung hast du dich zusammengerollt. dein warmer bauch drückt sich an deine kühlen oberschenkel.
ich liege im zimmer nebenan. starre an die decke und kann dich leise durch die zwischentür atmen hören. gedanken rasen durch meinen Kopf. Laut, leise, dann wieder lauter als zuvor. Ich bekomme sie nicht zu fassen. Geistige Abrisse über die Zukunft, über das Scheitern, über Ziele, über die Vergangenheit, über dich, über mich. Sie lassen sich nicht ordnen. Sie glitschen durch meine Finger.
ein zimmer weiter hast du deinen laptop nun vor dir aufgeklappt. ein weiß bläuliches licht spiegelt sich in deinen augen wieder. irgendeine schöne serie schaust du jetzt. eine serie in der das leben warm ist und freunde für immer bleiben. in denen ängste keine rolle spielen und wenn dann können sie gelöst werden und dienen nur einem größeren glücklichen zweck, der in staffel 2, folge 4 auftauchen wird.
doch dieses leben ist dir genauso fremd wie mir. deine ängste sind vermutlich noch größer als meine aber du hast sie ganz tief weggepackt in die hölzerene schublade deiner kommode. dort liegen sie versteckt unter schönheitsmasken und augentropfen.
du willst dich auflösen so wie ich hier in meinem bett und ich frage mich warum wir das nicht zusammen tun. warum wir nicht beide unsere dunkelheit nehmen und auf den tisch legen. dann würde sie dort liegen. heiß und pulsierend. sie würde über die tischplatte kriechen wie eine ätzende flüssigkeit. warm und dampfend würde sie dann vor uns liegen und wir beide würden daneben sitzen und rauchen. würden uns an den händen halten und die dunkelheit betrachten.