FD: Postapo-Glitzer-Glitzer

Wir sind ausgezogen
die Welt zu erobern
gefunden haben wir nur Trümmer
Hinterlassenschafen vergangener
Generatonen
irgendwo zwischen Bau-Skeleten und Restauratonsversuch
wandeln wir
in dem Wissen, wir werden die letzten sein
mit einem Lächeln lassen wir die Bemühungen
um…
hinter uns
In dem Wissen
es wird nichts bleiben
unseren Lebensstandart nehmen wir nicht mit
postapokalyptsch heißt der neue Trend
irgendwo zwischen Gleichgültgkeit und Müllbergen
kultvieren wir Wahnsinn und Magie
irgendwo zwischen Kapitalismus und Konsum
streuen wir den verlorenen Glitzer
suchen wir nicht mehr das Leben
das uns verweigert bleibt
irgendwo tanzen wir weiter auf dem Schlachteld
der letzten Generaton
irgendwo tanzen wir
solange die Musik weiterläuf
merkt vielleicht niemand
wie
vor den Toren unserer Welt
der Tag anbricht

Bettsy Bär: Perfect Days

Der superkregle Opi Wim Wenders hat wieder zugelangt und guckt im seim neum Fülm drin super-empathisch auf dem alten Opi Kloputz im Japam. Im Japam ham die Kloputz-Opis aber noch echtes Arbeitsethos, lesen Faulkner, bis sie vor Müdigkeit umfalln & wohnen nur in ganz ganz schlichtem Muji. Auch die Dialoge, die sie führn, sind wie Muji: Nur aufs Wesentliche beschränkt nämlich. Das ist dann Weisheit! Und Poesie! (Darf man nich mit Kitsch verwechseln! Niemals nich!) Aber die Onkel vom Kloputz da im Japam hörm die gleiche geile Mucke wie die alten Onkel mit den dicken schwarzen Brillen und Seidenschals in Europa! Zun Beispiel Patti Smith! Aber auch Eric Burdon! Sie sind nämlich genauso edel wie die europäischen Opis, vielleicht sogar noch edler! Wegen Bescheidenheit! Und Zen! Aber Spotify kenn die alten Edlen in Japan nich! Die denken, dass das ein Plattenladen ist. Hahahahaha. Hier weiß Opi Wenders viel besser Bescheid. Aber er lacht ganz lieb dadrüber, nich fies. Faulkner is schließlich wichtiger als Spotify!

Opi Wenders beschlägt nur dann seine empathische, dicke, schwarze Fülm-Brille, wenn die kleinen Mädchen in Japan die edlen Opis da immerzu busseln wolln. (Heiß!) Das machen die nämlich ständig da. Sie wolln bei ihrn Edel-Opis übernachten, sie auf die Wange busseln, mit ihn‘ im Park schäkern. Sowas ehmt. DAS machen die Scheißmädchen HIER viel zu selten. Wamscheimlich, weil sie nich so richtich edel sin ehmt.

Naja. Aber das Kino war wieder sehr schöm. Von Ort her. International. Bloß die Kino-Opis, die so lang & laut an den Stellen gelacht ham, weil sie so viel besser wussten, dass Spotify kein Laden ist … Naja.

Bis bald, Hasen, wenn es wieder heißt: Bettsybärs Fülmkritik.

Elias Hirschl: Was normal ist

eine Produktion von „moïs“ (Katrin Rauch mit Elias Hirschl)

Es ist normal der Sau eins mit dem Holzscheit über den Schädel zu ziehen. Es ist normal die Sau bis ins Wohnzimmer schreien zu hören. Es ist normal die Sau ausbluten zu lassen. Es ist normal die Schweineborsten mit einer Metallkette abzurubbeln. Es ist normal die Schweinehälfte neben der Waschmaschine zu zerlegen. Es ist normal das Schweineblut in einem erwärmten Eimer aufzufangen und tüchtig durchzurühren damit es nicht gerinnt. Es ist normal etwas Salz hinzuzufügen. Es ist normal die Muskelabfälle vom Zuschneiden des Schlegels zusammen mit dem Fett in Wasser vorzukochen, den halbweichen Speck in Würfel zu schneiden und die Fleischabfälle mit der Schwarte und den vorgedämpften Zwiebeln durch den Fleischwolf zu jagen. Es ist normal Gewürze dazuzugeben. Es ist normal zusätzliches Salz hinzuzufügen falls das Blut zu süß schmeckt. Es ist normal die Därme auszuschaben mit einem Spachtel. Es ist normal die dickflüssige Blut-Muskelabfallmasse nach dem Abschmecken in die vorbereiteten Därme zu pressen. Es ist normal die Därme nach dem Abbinden zurück in die heiße Kochbrühe zu tun und sie bei 70 bis 80 Grad eine halbe Stunde ziehen zu lassen. Es ist normal die Därme mit einer Nadel anzustechen um zu sehen ob kein Blut mehr heraustritt. Es ist normal die Därme dann aus dem Wasser zu ziehen und sie zum Abtrocknen über Stangen zu hängen und sie nach Belieben etwas anzuräuchern. Es ist normal die Därme dann einzukühlen um sie in ein paar Tagen der Hochzeitsgesellschaft zu servieren.

Es ist normal sich davor zu fragen, ob man wirklich nicht mit dem Bräutigam verwandt ist. Es ist normal den Bräutigam vor seiner Hochzeit halbnackt in einen fahrbaren Käfig zu sperren. Es ist normal den Bräutigam an einer Holzleiter festzubinden. Es ist normal ihn mit einem Feuerwehrschlauch abzuspritzen. Es ist normal dem Bräutigam mehrere Flaschen Schnaps mit einem Schlauch einzuleiten. Es ist normal die Hose des Bräutigams um Mitternacht zu verbrennen. Es ist normal die Braut zu entführen und ihre Schuhe an einen Baum zu nageln. Es ist normal am nächsten Tag die Blunzn der Familie zu servieren. Es ist normal den Schweinekopf aufzuheben, um ihm bei der nächsten Gelegenheit einem unverheirateten Mann zum 30. Geburtstag in den Vorgarten zu werfen.

Es ist normal nach sechs Monaten Ehe ein Kind zu gebären, was einen sehr wundert, weil man ja bis nach der Eheschließung gewartet hat mit dem ersten Mal. Es ist normal ein Haus zu bauen und sich eine Katze zuzulegen. Es ist normal den ungewollten Katzenwurf in einen Sack zu stecken und in einen Eimer Wasser zu tunken bis keine Luftblasen mehr kochkommen. Es ist normal dem neugeborenen Baby Ohrlöcher stechen zu lassen damit es schon mal welche hat, nur zur Sicherheit. Es ist normal das Kind von klein auf mit ordentlicher Hausmannskost großzuziehen. Mit Blutwurscht, Blunzngröstl, Wiener Schnitzel, Schnitzelsemmel, Tafelspitz, Beuschl, Kaspressknödel, Grammelknödel, Hascheeknödel, Leberknödel, Milzschnitten, Geselchtem, Lammgulasch, Schweinsgulasch, Rindsgulasch, Kartoffelgulasch mit Rindfleischeinlage, Kalbsrahmgulasch, Backhendl, Backhendlsalat, Schlutzkrapfen, Kärntner Kasnudeln, Reindling, Zwiebelrostbraten, Topfenknödel, Germknödel, Tiroler Gröschtl, Hirschgulasch, Wildschweingulasch, Schinkenfleckerl, Krautfleckerl mit Schinken, Bauernschmaus, Brettljausn, Entenbraten, Altwiener Suppentopf mit Rindfleisch, Saumaisen, Mühlviertler Speckknödl im Reindl, Schweinsbraten im Reindl, Kärntner Laxn, Burenwurst, Käsekrainer, ein Hamburger um 1,40, 3,20 im Menü mit Pommes, Saftgulasch, Gulaschsaft, Ei im Glas, Gulaschsaft im Glas, Grammelschmalzbrot, Kaiserschmarrn mit Zwetschgenröster, Wammerl, Rindfleischsalat, Wurschtsalat, Saure Wurscht, Selchroller, Rollmops, Surbraten und Krenfleisch.

Es ist normal vor dem Essen ein Tischgebet zu sprechen. Es ist normal zu sagen: Lieber Gott im Himmel, wir danken dir, dass du uns das Blunzngröstl bescheret hast. Danke lieber Gott für das Beuschl. Danke lieber Gott für den Schlutzkrapfen. Gegrüßet seist du Maria, voll der Gnade, der Herr ist mit dir, gebenedeit ist deine Brettljause, gebenedeit sind deine Saumaisen, gebenedeit ist dein Gulaschsaft, deine Selchroller, deine saure Wurscht mit rohen Zwiebeln, dein Verdauungsschnaps, dein zweiter Verdauungsschnaps.

Es ist normal sich von den Kindern heimfahren zu lassen weil man zu besoffen ist selber zu fahren. Es ist normal sich in der Weihnachtszeit als Teufel zu verkleiden. Es ist normal fremde Kinder in einen Sack zu stopfen und mit einer Gerte zu verdreschen. Es ist normal, wenn einem mal die Hand ausrutscht. Es ist normal, wenn das Kind ein bisschen abgehärtet wird, ein bisschen aufs echte Leben vorbereitet. Es ist normal dem Kind zu sagen, dass es nicht weinen soll. Es ist normal, ihm für den Kirchtag ein Dirndl anzuziehen, auf dem mit der Position der Schleife ausgeschildert ist, ob es vergeben, single oder Jungfrau ist. Es ist normal, dass der Ehemann nicht mehr ich liebe dich sagt, man sagt ja auch selber nicht mehr ich liebe dich. Es ist normal nicht mehr geliebt zu werden. Es ist normal nicht mehr zu lieben. Es ist normal den Kontakt zu seinen Kindern zu verlieren. Es ist normal keinen Besuch mehr zu bekommen. Es ist normal, dass sich mehrere ehemalige Schulfreunde besoffen mit dem Auto tot fahren. Es ist ja auch normal, dass man selber besoffen fährt, jetzt wo die Kinder weg sind. Es ist normal noch einmal mit den Kindern Silvester feiern zu wollen, Schwarzpulver in Kartonröhren anzuzünden, sie in den Himmel zu schießen und dabei zuzuschauen, wie sie in bunten Farben explodieren.

Es ist normal Biskuits in Fischform zu essen und Sekt mit kleinen Plastikschweinchen darin zu trinken. Es ist normal geschmolzenes Blei vom Löffel ins Wasser fallen zu lassen und aus den entstehenden Formen die Zukunft vorherzusagen. Es ist normal sich Vorsätze fürs neue Jahr zu machen. Es ist normal einen Streit mit den Kindern anzufangen. Es ist normal seine Tochter anzuschreien, dass die Globuli sehr wohl etwas helfen, weil damals haben die ja auch gegen die Erkältung geholfen und die Bachblüten gegen die Prüfungsangst und immerhin hat sie ja jetzt ihren Schulabschluss, also soll sie nicht so undankbar sein. Es ist normal, dass der Ehemann währenddessen mit der Gerti schmust, weil es ist ja schließlich Silvester. Es ist normal, dass der Ehemann in letzter Zeit immer später von der Arbeit kommt. Es ist normal, dass der Ehemann einem vorwirft, dass man selber Schuld daran sei. Es ist normal, dass er sich die Aufmerksamkeit, die Spannung, die Aufregung bei der Gerti sucht, weil die Gerti eben aufmerksamer, spannender und aufregender ist, so wie die Susi damals aufmerksamer, spannender und aufregender war, so wie die Sabine damals aufmerksamer, spannender und aufregender war, so wie man selbst früher aufmerksamer, spannender und aufregender war. (Es ist normal sich Vorsätze fürs neue Jahr zu machen. Einen Strich ziehen, ein neues Jahr, ein neues Ich.)

Es ist normal, am nächsten Morgen früh aufzustehen und den Polterkäfig vom Dachboden zu holen. Es ist normal dem Ehemann eins mit dem Holzscheit über den Schädel zu ziehen. Es ist normal ihn bis ins Wohnzimmer schreien zu hören, während man frühstückt. Es ist normal die Sau ausbluten zu lassen und das Blut in einem vorgewärmten Eimer aufzufangen. Es ist normal, die Sau durch den Fleischwolf zu jagen. Es ist normal, die Sau in die eigenen Därme zu stopfen und eine Stunde ziehen zu lassen. Es ist normal, sich das Dirndl der Tochter anzuziehen und mit der Position der Schleife bekannt zu geben, dass man jetzt wieder single ist. Single and ready to mingle. Es ist normal, den Kopf der Sau in den Vorgarten zu werfen, auf den Rasenmäherroboter und im Liegestuhl sitzend zuzuschauen, wie er herumfährt zwischen dem gestutzten Unkraut, zwischen den Kürbissen und Zucchinis und den Gartenzwergen.

Christian Knieps: Mein Hund, mein Wahnsinn

Ich halte mich für einen glücklichen Mann, wenn alles in seinen rechten Bahnen läuft. Dann entschied ich mich dazu, mir einen Hund anzuschaffen und erschuf gleichzeitig meinen eigenen Wahnsinn.
Der Plan war denkbar einfach: ich hole mir einen Welpen, nehme einen ganzen Monat Urlaub, erziehe ihn und sorge dafür, dass er stubenrein wird, und gehe, wenn das Gröbste überstanden ist, wieder arbeiten. Abends würde mich dann freudestrahlend mein treuer Begleiter erwarten, mit dem ich zum Toben auf die Hundewiese gehen könnte.
Als ich Tommy das erste Mal sah, war ich sogleich dahingeschmolzen. In die sanftmütigen Labradoraugen verliebte ich mich auf den ersten Blick und so zog Tommy bei mir ein. Der erste Monat war dann auch der Himmel auf Erden! Ich hatte Urlaub, konnte den ganzen Tag den kleinen Welpen umsorgen, ihn bespaßen und mit ihm draußen sein.
Alles war perfekt, bis zu dem Zeitpunkt, an dem ich wieder arbeiten ging. Wie jeden Morgen war ich früh mit ihm eine große Runde gegangen, dann aber den ganzen Tag unterwegs gewesen, und als ich abends nach Hause kam, wollte ich die Türe lieber wieder zumachen und gehen.
Tommy stand zwar schwanzwedelnd vor mir und freute sich über alle Maßen über meine Rückkehr, doch meine Wohnung hatte nur noch wenig mit der zu tun, die ich verlassen hatte. Kopfkissen waren zerfetzt, alle Schuhe, die draußen gestanden hatten, waren angenagt – ein erstaunliches Ergebnis, wenn man bedenkt, dass der Kleine erst knapp vier Monate alt war. Vasen lagen auf dem Boden, die Blumen waren angeknabbert, Tischbedeckungen waren zum Teppich umfunktioniert worden und ob ich jemals die Fernbedienung meines Fernsehers wiederfinden würde, stand noch in den Sternen.
Ich wollte ausrasten, durchdrehen, doch Tommy freute sich nur, mich zu sehen. Ich konnte nicht anders, als mich zu ihm zu bücken und ihn zu streicheln. Die Tränen in meinen Augen leckte er weg und ich war augenblicklich wieder verliebt. Trotz des Chaos und trotz des Wahnsinns, der in mir erwachsen war und den ich die nächsten Monate stetig bekämpfen musste.
Ich probierte es mit noch längeren Spaziergängen, Suchspielen, Apportieraufgaben, sogar mit einem Laufband versuchte ich es, doch Tommy war nicht zu stoppen, wenn ich nicht zu Hause war. Ich hatte – man konnte es gar nicht anders sagen – einen hyperaktiven Kontrollfreak großgezogen, der durchdrehte, wenn er nicht wusste, was er mit seiner Energie machen sollte.
Das alles geschah vor drei Jahren. Inzwischen haben wir uns beide mit der Situation arrangiert. Er darf mich kontrollieren und ist ein wenig erwachsener geworden, und ich habe zusammen mit meiner Wohnung einen massiven Veränderungsprozess durchlaufen. Seit neuestem frage ich mich, ob ich durch Tommy unfähig geworden bin, eine Beziehung zu einem anderen Mann einzugehen. Aus Angst vor Tommys Eifersüchteleien.
Doch dann kam das Glück zurück, und Arne trat vor kurzem in mein Leben, der selbst zwei Hunde hat. Zwei Hunde, die so gar nicht wie Tommy sind. Erzogen und mit perfektem Sozialverhalten. Es knallte kurz, als wir alle fünf das erste Mal aufeinandertrafen, doch siehe da – Tommy war auf einmal wie ausgewechselt. Plötzlich hatte er seine Aufgabe im Rudel gefunden. Und so langsam verschwindet auch mein Wahnsinn. Nur auf dem Boden werde ich nichts mehr liegen lassen. Nie wieder! Versprochen!

Ella:r Gülden: Muschelbadewanne

Ja und die hatten so eine Wellness-Badewanne mit integriertem Whirlpool wie aus nem Spa-Hotel .. weißt schon, wie eine Muschel geformt, oder vielleicht eher wie ein Herz.

Es war um meinen Geburtstag herum, zufällig in dem Jahr btw, als Michael Schumacher verunglückt ist, der Unfall war genau an meinem Geburtstag, da lagen wir in dieser Muschelbadewanne, und ihre Mutter sah unten fern, und wir küssten uns und knutschten, und mehr und das Wasser war so schön warm, und ihr Körper auch und es schäumte. Ja, das war das dritte Date und ich war da einfach schon mit bei ihrer Mutter zuhause. Ist bisschen so ein Lesben-Witz, gell? Die Mutter war still und freundlich, ihr Vater lebte nicht mehr. Sie lächelte mich oft wissend an, ich war schon „die Neue“, wir hingen viel aneinander. Sie war so unfassbar weich, ich ging schier in ihr verloren, ließ mich von ihren supersoften Lippen aufsaugen und tauchte über ihr sanftes, rundes, ultracutes Gesicht in sie hinein. Da blieb ich ganz schön lange, fühlte mich einfach wohl.

Dann war aber gleich darauf Silvester, da waren wir bei schwulen Freunden von ihr, glaub in einer anderen Stadt. Die waren wirklich so klischeeschwul, vor allem einer der beiden, und es hat einfach Spaß gemacht. Wir haben Trivial Pursuit gespielt und es liefen Pophits über Youtube auf dem Fernseher, das war damals noch recht neu. Sie hatten einen albern tapsigen Mops, und was es zu essen gab, weiß ich nicht mehr. Vielleicht vegetarischen Hot-Dog? Vom Sekt angeschikert kam ich ihr dann immer näher, und es ging heiß her in der Neujahrsnacht. Ne, ich erzähl jetzt keine Details, vielleicht ein ander Mal, wenn du darauf brennst. Naja und dann fuhr ich bald wieder heim und das neue Jahr ging los, dies das, und ich hätte’s nicht gedacht, aber dieses schon echt intensive Treffen war auch gleichzeitig das letzte.

Tja, so kann’s gehen. Das kam da sehr unerwartet und ich hab monatelang gelitten und war tieftraurig, es hat aber halt nicht gepasst. Und das war eben meine erste queere Erfahrung, das erste Mal ist immer am krassesten, oder? Naja, wirst du noch sehen. Ist ja ganz individuell. Mit jeder Person ist es anders. Es kamen dann noch ein paar nach ihr. Schon fast immer schön, aber oft auch gewissermaßen kompliziert. Menschen halt, hm!? Meine queeren Dates waren in jedem Fall immer aufregender und weniger vorhersehbar als die heterotischen. Aber vielleicht bild ich mir das auch nur ein. Hab’s mir jedenfalls nicht ausgesucht, queer zu sein, doch es taugt mir. Dir auch, oder?

Ach und sie, die erste, hatte mir übrigens mal eine Leckmuschel gegeben, das war für sie ein lesbisches Symbol, lol. Die hab ich immer noch. Willst du noch den letzten Schluck Wein?

Auf eine queere Zukunft!

Theobald Fuchs: Nukleares Epos (Auszug)

Nukleares Epos (Auszug)

„Links!“ rief Dr. Hanno Sauerbrei.

Der Diplomand am Bedienpult drückte ein kleines Hebelchen nach rechts.

„Links, sage ich!“ brüllte Dr. Sauerbrei. Er lag unter dem tonnenschweren Elektromagneten des Neutronenkalorimeters und versuchte verzweifelt, ein Gewindestängelchen unter die Kettenführung zu schieben.

Der Diplomand mit der Links-Rechts-Schwäche büßte sein letztes Quantum Selbstsicherheit ein. Schweißperlen tropften von seiner Stirn. Im selben Moment, als ich hinzu sprang, um ihm die Bedienkonsole aus der Hand zu reißen, legte er erneut das Hebelchen um.

„Das war wieder die falsche Richtung“, wies ich ihn auf seinen Fehler hin, doch meine Stimme ging in dem gewaltigen Lärm unter, mit dem der Elektromagnet gegen das Strahlrohr krachte und sozusagen nur im Vorübergehen Dr. Sauerbrei zerquetschte.

Mit ohrenbetäubendem Fauchen schoss das Vakuum aus dem geborstenen Austrittsfenster am Ende des Strahlrohres, zerfetzte Kabel und Folien, schleuderte Lichtleiter und Platinen in die Halle. Sämtliche Sicherheitsventile des etwa ein Kilometer langen Ringes schlugen mit einem martialischem Knall zu.

Dann war es plötzlich wieder still. Totenstill. Nur der scharfe Geruch von Schwefelwasserstoff, der aus den gerissenen Vieldrahtkammern austrat, verbreitete sich im grünen Dämmerlicht der Notbeleuchtungen.

Wie die Bilder eines fernen Traums zogen die Warnhinweise des Gassicherheitsbeauftragten an meinem inneren Auge vorbei. Leicht entzündlich, als Gemisch mit Luft hochexplosiv, nicht einatmen, Hautkontakt vermeiden.

„Oh Mann“, sagte der Diplomand, „jetzt brauche ich eine Kippe.“

Dann zückte er sein Benzinfeuerzeug.

(aus: Hinter jedem genialen Wissenschaftler steht ein Heer von Vollidioten, Streitschrift, Genf / Hamburg, 1987, 600 Seiten, eins-neunundneunzig im Wühltisch bei der Norma)

Harald Kappel: Hochgeladen

die Leiche
meines Vaters
riecht nach dem Telefunkenapparat
meiner Mutter
das Niveau am Sterbebett
wird peinlich genau protokolliert
die Fotografie
des aufgeschnittenen Herzens
zeigt an seinen Rändern
unverdauten Spinat
die sectionale Präparation
vermittelt den Eindruck
als wär er noch da
fieberhaft knacken Schädelknochen
intensives Denken setzt ein
die Augennerven kratzen von innen heraus
am Klavier wird ein läppisches Lied gespielt
ich lade seine Facebookseite hoch
und zeige sie
am offenen Sarg
seine Freunde sind drei
er hat zwei Likes
in viertausend Stunden
ich hatte ihn blockiert
die Leiche meines Vaters
wird peinlich genau hochgeladen
sie riecht nach dem Telefunkenapparat
meiner Mutter

Harald Kappel: MolekülWolke

im polyzyklischen Kohlenwasserstoff
der Sterne
entdecke ich das Aroma deines Aufgesetzten
hinter dem Thresen
lagern Meteoriten
bringen chemisch
die Evolution in den Biergarten
ich relativiere die Theorie
allgemein korrekt
zur Feier des Tages
öffne ich
praktisch die nächste Flasche
fantasiere vom Nobelpreis
stopfe mir
nicht rechtzeitig
das Maul
und verdampfe
am Ereignishorizont