Bastian Kienitz: Das jüngste Gericht/Komposition V

(Blankosonett)

der Tag schlägt Augenblicke aus dem Rahmen
die in das Meer der schwarzen Farbe fallen
gedankenleer wie eine leichte Brise
und manchmal mehr als wir zu wissen glauben

vergänglich weicht das Abendlicht der Erde
und löst sich auf in einem steten Wandel
aus Worten, die in Wiederworten enden
und einem Anfang gleich das Ende gönnen

im Mittelpunkt steht diese Weite – Leben
das aus dem Boden bricht, um zu erblühen
und sich im Inneren zu optimieren

du hast es angeregt mit dir zu sterben
jetzt wirkt das Chaos, liegt in deinen Händen
was übrig bleibt, darf sich für Tod erklären…

Angelina Roth: Szenen einer Sucht

Ich gehe zum Bahnhof
und kaufe eine Zeitung am Kiosk,
als wäre nie etwas gewesen.
Ich fühle mich wie ein Junkie,
der jetzt clean ist
und an der Heroin-Abgabe vorbeifährt
schön frisiert, mit neuem Leben,
der Tochter über den Kopf streicht.

Durchsagen dröhnen durch den Lautsprecher
und vermitteln dieses unbeschreibliche Gefühl:
Einfach einsteigen und wegfahren.
Hinter dem Abteil liegt der Flughafen
und dahinter das Meer.
Check-in, check-out,
so schlug mein Puls,
Berlin, New York, Kapstadt.
Bis ich eines Tages aufwachte,
und nur noch schrie.
Ich wollte bleiben,
stornierte meine Reisen,
legte mich auf den Boden,
und wartete bis der Teufel meinen Körper verlassen hatte.

Seitdem ist der Bahnhof für mich kein Tor zum Glück mehr.
Er ist ein Gebäude wie jedes andere auch.
Ich hole mir ein Stück Kuchen
und schwelge in dem guten Gefühl, frei zu sein.

Ich brauche dich nicht mehr,
schreie ich leise gegen das Gemäuer,
spaziere zwischen den Shops hindurch
Hand in Hand mit meiner Sehnsucht
Heute sind wir Freunde – vorbei die Zeiten,
in denen wir uns zerstörerisch geliebt haben.
Unsere Finger ineinander verhakt,
gehen wir Richtung Gleise.

“Schau”, sage ich, “hier musste ich früher hin,
um mich lebendig zu fühlen.”
Heute sehe ich den anderen zu,
wie sie zu den Zügen hasten
und lächle über ihren Zwang.

Die Sehnsucht bleibt stehen
und schaut mir tief in die Augen
Sie zieht mich näher an sich heran.
“Du weißt doch, dass wir das lassen wollten”,
sage ich gestresst.

Sie hebt ihre Finger an meine Wange
und streicht sanft darüber.
“Aufhören”, fauche ich und versuche, sie wegzustoßen.
Sie kommt noch näher und ihre Lippen
berühren fast mein Gesicht.
Ich spüre ihren Atem und erinnere mich
an unsere verhängnisvollen Nächte.

Eine Sekunde und ihre Lippen berühren meine,
weich, fordernd, erobern sie sie mühelos.
Ich werfe alles über Bord und drücke mich gegen sie.
Die Sehnsucht umarmt mich noch heftiger
und flüstert mir atemlos ins Ohr:
“Lass uns abhauen von hier,
ein Wochenende, nur du und ich”,
und zieht mich zu den Gleisen.

Bastian Kienitz: UNTITLED I

blechern klingt der Sommer
hinter dem Schuppen
Flecken und Stroh die
Flimmern verstaubt und
trockene Insektenhüllen
welche sich in Spinnweben
verfangen gleichen einem
Traumfänger der lichtschwer
in der Mittagshitze ruht und
nach einem Luftbild
Ausschau hält als könnten
Nägel in der Mittagshitze
das kühle Regenwasser
rufen so schrill klingen die
Eisenteile wenn diese
raschelnd

aneinanderschlagen und in
dem ausgedörrten See die
toten Fische tanzen
sehen

Bastian Kienitz: 3 DEKADES OF DISSIDENT

(Blankosonett)

THE SUN scheint heute wieder schwarzlackiert
auf beiger Fläche Standardsatz Druck quer
zu deinen Lippen, die laut Lackrot schreien
als hielten wir den Atem an, inzwischen

vielleicht auch den der Erde, ihrer Kinder
zu denen wir letztendlich auch gehören
im Stoffgemisch aus Zeit- und Raumgefüge
und Mineral aus Wortstaub in den Sätzen

laut ausgesprochen könnte man glatt denken
dass dieser Mundraub, der vor deiner Haustür
stattfindet, gar nicht da ist: SCHLIESS DIE AUGEN!

und höre auch nicht mehr die lauten Vögel
Steckbrief: effects of global warming
wenn dir der Puls am Reiz dazwischenfunkt…

Simon Borowiak: Wahre Romantik

Verkommener Bahndamm
an vergessner Industrie
Verfärbt ins Unbeschreibliche
Lichtbrei gemischt
Nichts schwarz Nichts gelb
Die Sonne steil

Darunter
alles am Dunkeln
Staub am Glimmen
Dreck am Funkeln
Die Welt
verhauen und verstoßen
Gestockt und eben und getrübt
Zwei Sonnen steil

Darunter grauer Gilb an Schotter
Blauer Efeu Chromgestänge
Der Teer gebrochen und Ginster

Drei Sonnen steil
darunter Ableben
Und wir
mit sandigen Augen
Vier Sonnen steil
Darunter Rost

Harald Kappel: FluorChlorBromJod

die Dissektion der Schlagader
unterbricht den Saftstrom
des Träumenden
in monochromer Tinktur
ertrinkt das Mitgefühl
für den kahlen Schädel
stereotomisch
werden Wünsche ausgeschält
heimlich
die Meinung geglättet
die Kritik entlaubt
jaja
im Schatten droht die Apnoe
dann macht doch
was ihr wollt
die Oberfläche bleibt stumm
schamlos vermehrt sich
im Schädeltransplantat
die alte Vaccine
der Saftstrom
des Träumenden
ertrinkt
in monochromer Tinktur

Harald Kappel: Beanstandung der Szene

in meiner Nähe
lagern
im Bahnhofslicht
in der warmen Kühlbox
ungelieferte Torten
in meiner Nähe
schimmern
unter Neonröhren
in Zeitungspapier eingeschlagen
goldgelbe Makrelen
in der gekippten Stimmung
dünsten deine Nylonstrümpfe
wie geronnene Milch
ich beanstande
die kleine Szene
unbemerkt
bedaure aufrichtig
mit halblauter Rührung
deine Tränensäcke
dann
schiebe ich den Fischen
deine Traurigkeit hinter die Kiemen
esse die warmen Torten
fühle mich obenauf
reibe dein Nylon
zum vagen Funkenschlag
unbemerkt
beanstande ich
mich selbst
und warte
warte
war
w
v
,
.

Bastian Kienitz: HELL YEAH, endlich gibt es Kriegsroboter

Blankosonett

HELL YEAH, der Bildschirm flackert, leises Rauschen
umgibt den Abend still im Kerzenschein
hast du den Song WE FUCKING DIE gehört
jetzt schlagen Funken lauthals in den Raum

zwei Kanal Ton mit der Tendenz zum Töten
SHOT COUNTER SHOT komm, lass es richtig knallen
bis dieses Wirkungsfeld beginnt zu bluten:
wir sind jetzt mitten in der Szenerie

es gibt ein Wort Maschinenparadigma
dass selbst dein Hirn wie ein Computer tickt
wenn wir die Taste Rot am Joystick drücken

dann läuft im Video der ROBOTS DAY
aus Regeln programmierter Schaukulisse:
wenn du kein Herz hast, kannst du Töten gehen…