Bastian Kienitz: NORMAL

Blankosonett

ist es normal, wenn du an Kanten stößt
die sich an Kanten stoßen, hinter denen
die Gleichung allenfalls Wert Null beträgt
um jede Abweichung von vornherein

den einen Längengrad fernab zu schieben
bestimmst du zunächst eine feste Zahl
und zollst dem Raum die Winkelperspektive
die dich viel weiter, tiefer fallen lässt

komm! hüpf mit mir in den Kaninchenbau
und folge A) the white light, rabbit
in seinen Unterschlupf, dem Spiegelsaal

wo wir uns in der Anderwelt befinden
da ist dein Stigma allenfalls normal
um bei der Norm des Gleichgewichts zu bleiben…

Carsten Stephan: Unterwegs mit Eichendorff

„Hörst du nicht die Quellen gehen
Zwischen Stein und Blumen weit?

Hörst du nicht die Bäume rauschen
Draußen durch die stille Rund’?

Hörst du nun den Frühling laden,
Waldhorn gehn im grünen Wald?

Hörst du tief die feuchten Hügel
Schlagen an die Felsenwand?“

„All das kann ich gar nicht hören.
Also: halt doch mal die Klappe!“

blumenleere: prost blitz (auf dass er dich erschlagen moege!)

aeuszere & veraeuszere dich, in altvertrauter waehrung, dem eigentlich schon laengst vor deiner geburt abgelaufenen & ergo, dementsprechend, zu keinem sinnvollen verzehr mehr empfohlenen, widerlichen senf deiner profilneurotischen meinungen, welche allzu gerne saemtliche der sich dir & dabei auch nur irgendwie den mindesten widerstand bildend, also deine illustre – welch ein trauriger hohn! – aufmerksamkeit ausreichend auf sich ziehend entgegenstemmenden reibungspunkte deiner begegnungen mit moeglichen & unmoeglichen entitaeten schmierig hinabtriefen muss, damit du wochen spaeter noch, skrupellos darauf aufbauend, laut schwadronierend schier denselben erbaermlichen wust an dumpf muffelndem nonsens jedweder persona, die es selbstverstaendlich nie wirklich interessieren kann – es sei denn, sie waere total verbloedet oder in dich verliebt & dadurch sowieso beides – wiederum via ihre ohren gen ihre allein deshalb bemitleidenswerten hirnwindungen krakeelen darfst – & zugleich kaempfst du rigoros hasserfuellt gegen deinesgleichen, willst du ja auf gar keinen fall deinen hoechstens aufs groeszenwahnsinnigste herbeihalluzinierten monopolstatus hinsichtlich dessen, berechtigte kritik (sic!) ausueben zu duerfen gefaehrden … & gemeinsam, ihr vertrottelten narren des geiferschaeumend tollwuetig hinaus ueber sich galoppierenden egozentrismus, bildet ihr das armselige fundament unserer uns zu traenen des abscheus ruehrenden aktuellen, nur scheinbar diversitaet – tatsaechlich phantasielos oede, viel zu enge graubraune uniformen – zurschaustellenden kulturlandschaft …

Simon Borowiak: Lieblos

Ich sehꞌ etwas,
was Du nicht siehst.

Ich fühlꞌ etwas,
was Du nicht fühlst.

Ich hörꞌ etwas,
was Du nicht hörst.

Wann merkst Du endlich,
dass Du störst?

Du schaust mich an
wie hundert Kühe.

Ich stehe vor Dir
wie ein Schwein.

Du gibst Dir redlicher als redlich
Mühe,

und ich will doch nur
bei der Andren sein.

Carsten Stephan: Narren

Runde Köpfe, spitze Zungen,
Stiller Weltschmerz, lautes Lachen.
Ab und zu kommt eine Nachricht
Und es zeigt sich wer beleidigt.

Dünner Bizeps, dicke Lippe,
Werk mit Absicht, ohne Wirkung.
Ab und zu kommt eine Klage
Und es plündert wer das Konto.

Sanfte Augen, scharfe Blicke,
Narrenfreiheit, Idealismus.
Ab und zu kommt eine Kugel
Und es greinen falsche Freunde.

Harald Kappel: Vom Abstellen des Mangels

morgens
ist das Bedürfnis am Größten
der Vortag
ist mit feuchten Erinnerungen gefüllt
der erste Schluck
nicht vor neun
ist der Schwerste
die selbstauferlegte Beschränkung
ein täglicher Erfolg
und
ein körperliches Muß
die Erleichterung
setzt augenblicklich ein
die Freude niemals
der Tag
wird
vom Abstellen des Mangels
erfüllt

Lea Schlenker: Der Bär

Wäre ich lieber
alleine eine Nacht
in einem Wald
mit einem Bären
oder einem Mann?

Aus einem seltsamen Grund
denke ich Sachen wie
einem Bär könnte ich vielleicht noch ausweichen
oder ihn irgendwie besänftigen
ich könnte mich totstellen
oder versuchen
laut zu sprechen und ihn somit einzuschüchtern

Ich denke an Bärenfallen
und Honigfässer
an Winnie Poos Freunde und
dass sie mehr Angst von mir als ich von ihnen hätte
Und dass ich so laut über seine Witze lachen dürfte
wie ich will
ohne dass er sich gleich in mich verliebt

Wäre ich lieber
auf einer einsamen Insel
mit Paddington oder einem Incel
einem gefrässigen Faulpelz oder einem schmierigen Pinsel
Wieso wird mir diese Frage überhaupt gestellt?

Es ist vielleicht weil ich nach einer Lesung
jeweils fleischfressende Pflanzen per Post erhalte
Weil ich die fetten Fische eigenhändig aus dem Meer fische
Oder es ist, weil ich mich manchmal fragen muss ob ich übertreibe
mich dann auf der Toilette verstecke
und ein Bär in meinem Büro
wenigstens irgendwie niedlich wäre

Wäre ich lieber eine Partygängerin
Mit einem Teddybären oder einem Pfefferspray
in der Handtasche?
Wäre ich lieber eine Arbeitnehmerin
Mit Werdegang oder einem Gang zum HR?

Ich denke an Bärenfallen und Honigfässer
Weil sie mir die Illusion von Kontrolle geben
Denn jeder weiss
Dass Bären nicht angreifen
Es sei denn man provoziert sie
Ich Männer gleichzeitig liebe und hasse
und ich nach einem Bärenangriff
niemandem erklären müsste
wieso mein Rock so kurz war

Simon Borowiak: Geschlossene II

Sechs Uhr dreißig Morgenrunde.
Setz Dich auf! Geh los! Gesunde!
Lange Gänge,
zähe Gänge,
immer wieder,
volle Länge,
immer wieder
Bett bis Tür,
wo ein Cherub sitzt dafür
und liest Illustrierte.
Elf Uhr dreißig Mittagsrunde.
Seelenkrümmung. Neue Stunde.
Kurze Gänge,
enge Gänge,
tausend Meisen
im Gedränge,
Bett bis Tür
und Tür bis Klo,
laut bis Krach
und Mensch bis Zoo.
Einer muss mal kreischen.
Sechs Uhr dreißig Abendrunde.
Pharmaka in aller Munde.
Dunkle Gänge,
schwarze Gänge,
immer wieder,
volle Länge,
Finsternis und Fehlbelichtung,
Einsamkeit und Selbstvernichtung,
leider stirbt man nicht im Schlaf.