Carsten Stephan: Orchester der Äonen

Aus 12 ½ Versen Johannes R. Bechers

Die Zimbeln rasen durch die Dämmerungen.
Von Abgrund-Orgeln, donnernden, umstimmt.
Es kollern Flöten wimmernd im Gerölle.
Ein Holzklavier im Automate singt.

Ha! Jedes Haut-Quadrat betupfen Trommeln.
Der Liebesharfe weicher Ton längst barst.
Aus Tubaschößen wirr Gesänge prallen.
Es rasseln Geigen, Geigen tödlich-schrill.

Posaunen! – Echo aus Versteck und Ecken.
Ein Cello dunkler unter Brücken wühlt.
Wir wallen, von Trompetenbraus umbrandet.
Ein finsteres Vieh, die fette Pauke, grunzt.

Carsten Stephan: Karneval

Ein Knabe kriecht in die Konfettidüne.
Ein plumpes Blasorchester bläst zum Spaß.
Ganz grüne Röcke fliegen auf der Bühne,
Und große Zähne beißen in ein Glas.

Katarrhe schielen nach der nackten Wade.
Ein draller Dackel liebt ein Narrenbein.
Es hagelt große Tafeln Schokolade,
Ein Balg bricht nieder und ein Sturm herein.

Ein Wagen kippt. Bemützte Männer purzeln.
Ein Altersfleck ist von Kamellen blau.
Trompeten dellen. Rote Trommeln wurzeln.
Ein Traktor stolpert über ein Helau.

Bastian Kienitz: Das jüngste Gericht/Komposition V

(Blankosonett)

der Tag schlägt Augenblicke aus dem Rahmen
die in das Meer der schwarzen Farbe fallen
gedankenleer wie eine leichte Brise
und manchmal mehr als wir zu wissen glauben

vergänglich weicht das Abendlicht der Erde
und löst sich auf in einem steten Wandel
aus Worten, die in Wiederworten enden
und einem Anfang gleich das Ende gönnen

im Mittelpunkt steht diese Weite – Leben
das aus dem Boden bricht, um zu erblühen
und sich im Inneren zu optimieren

du hast es angeregt mit dir zu sterben
jetzt wirkt das Chaos, liegt in deinen Händen
was übrig bleibt, darf sich für Tod erklären…

Angelina Roth: Szenen einer Sucht

Ich gehe zum Bahnhof
und kaufe eine Zeitung am Kiosk,
als wäre nie etwas gewesen.
Ich fühle mich wie ein Junkie,
der jetzt clean ist
und an der Heroin-Abgabe vorbeifährt
schön frisiert, mit neuem Leben,
der Tochter über den Kopf streicht.

Durchsagen dröhnen durch den Lautsprecher
und vermitteln dieses unbeschreibliche Gefühl:
Einfach einsteigen und wegfahren.
Hinter dem Abteil liegt der Flughafen
und dahinter das Meer.
Check-in, check-out,
so schlug mein Puls,
Berlin, New York, Kapstadt.
Bis ich eines Tages aufwachte,
und nur noch schrie.
Ich wollte bleiben,
stornierte meine Reisen,
legte mich auf den Boden,
und wartete bis der Teufel meinen Körper verlassen hatte.

Seitdem ist der Bahnhof für mich kein Tor zum Glück mehr.
Er ist ein Gebäude wie jedes andere auch.
Ich hole mir ein Stück Kuchen
und schwelge in dem guten Gefühl, frei zu sein.

Ich brauche dich nicht mehr,
schreie ich leise gegen das Gemäuer,
spaziere zwischen den Shops hindurch
Hand in Hand mit meiner Sehnsucht
Heute sind wir Freunde – vorbei die Zeiten,
in denen wir uns zerstörerisch geliebt haben.
Unsere Finger ineinander verhakt,
gehen wir Richtung Gleise.

“Schau”, sage ich, “hier musste ich früher hin,
um mich lebendig zu fühlen.”
Heute sehe ich den anderen zu,
wie sie zu den Zügen hasten
und lächle über ihren Zwang.

Die Sehnsucht bleibt stehen
und schaut mir tief in die Augen
Sie zieht mich näher an sich heran.
“Du weißt doch, dass wir das lassen wollten”,
sage ich gestresst.

Sie hebt ihre Finger an meine Wange
und streicht sanft darüber.
“Aufhören”, fauche ich und versuche, sie wegzustoßen.
Sie kommt noch näher und ihre Lippen
berühren fast mein Gesicht.
Ich spüre ihren Atem und erinnere mich
an unsere verhängnisvollen Nächte.

Eine Sekunde und ihre Lippen berühren meine,
weich, fordernd, erobern sie sie mühelos.
Ich werfe alles über Bord und drücke mich gegen sie.
Die Sehnsucht umarmt mich noch heftiger
und flüstert mir atemlos ins Ohr:
“Lass uns abhauen von hier,
ein Wochenende, nur du und ich”,
und zieht mich zu den Gleisen.

Bastian Kienitz: UNTITLED I

blechern klingt der Sommer
hinter dem Schuppen
Flecken und Stroh die
Flimmern verstaubt und
trockene Insektenhüllen
welche sich in Spinnweben
verfangen gleichen einem
Traumfänger der lichtschwer
in der Mittagshitze ruht und
nach einem Luftbild
Ausschau hält als könnten
Nägel in der Mittagshitze
das kühle Regenwasser
rufen so schrill klingen die
Eisenteile wenn diese
raschelnd

aneinanderschlagen und in
dem ausgedörrten See die
toten Fische tanzen
sehen