Christine Wiesel: Fritz, der Glücksspieler

Schlappernd mit Hundeblick
eingenässt und verkotet
vegetiert er der Fritz.

Er lebt noch, was denkt er?
Hat er jeweils etwas gedacht?
Oder nur alle benutzt und ausgebeutet?

Olga gebar den Manfred,
entstanden irgendwann durch den Herrn Papa,
lange vor meiner Zeit und lange nicht gewahr.

Was war ihm wichtig?
Hat er einmal jemanden richtig geliebt?
Alles nicht klar.
Die Partnerinnen waren z. Teil einfach so
fabelhaft und gingen an ihm zugrunde oder fast.

Die soziale Frage brachte selbst mich um den Verstand.
Am Lebensende hat es auch mich erreicht
und ich sehe die geöffnete Hand.

Marius Geitz: Zocken II

Oben und unten
Und stark und schwach
Vielleicht ist das die falsche Unterteilung
Geöffnet und verschlossen
Und das korrekte Maß
Vielmehr geht es doch darum bereit zu sein

Sicherheit und Sicherung
Des eigenen Tun
So viel Angst davor
Nochmal loszugeh‘n
Doch der Umkehrschluss
Ist der endgültige Stillstand
Und somit der Verlust
Tiefer zu seh‘n

Bereit für die Öffnung
Bereit für den Verschluss
Bereit dafür, dass sich was bewegt
Doch bereit zu sein
Heißt eine Lücke zu erkennen
Und diese Lücke auch zu verstehen

Der Gewinn ist rein
Der Gewinn ist klar
Der Gewinn ist was gewonnen werden will
Nur leicht zu erreichen
Ist dieser sicher nicht
Sonst wär’ das Leid auf dem Weg
Nichts wert
wenigstens nicht viel

Marius Geitz: Zocken I

Kaum ist eine Unzulänglichkeit offenkundig geworden,
fallen die Geier ein und zerfleischen alles.
Kaum ist ein kleiner Riss sichtbar geworden,
werden die Brechstangen angesetzt und heben alles aus den Angeln.
Kaum hat das Tempo für einen Moment nachgelassen,
Kommen die großen Räder und walzen alles platt.

Die Konsequenz daraus müsste sein,
jede Unzulänglichkeit zu verstecken.
Die Konsequenz müsste sein,
Jeden kleinen Riss zu verputzen.
Sie müsste sein,
Das Tempo unaufhörlich beizubehalten.
Kann das unsere Lösung sein?

Besser wäre doch,
Wir lachten die Geier aus
Besser wäre doch,
Wir schmälzten die Brechstangen ein
Besser wäre doch,
Wir fänden unser eigenes Tempo
Und am besten wäre doch,
Wir höben das Kinn und riefen:
Wir entscheiden selbst.

Daphne Elfenbein: Haare kämmen

das weiße Blut – du hast mich verletzt – jetzt ist es kaputt
Aufs Schneidbrett den Nacken gedrückt, 
neben dem Messer das Tier
die Lache neben dem Kühlschrank
nackte Füße auf Fliesen
weil alles mit A anfängt, also aaaa, 
sodass ich um acht Uhr fluchtartig den Tatort verlasse

leg deinen Kopf in meinen Schoß
schenk mir den regard irresistible
möchtest du ein hartes Ei? 
Das oeuil magique, die terre promise, der Mont de Venus 
Gib auf dein Horn Acht!
Soll ich dir die Haare kämmen? Komm!

Mit den Fingern durchs Haar, dein seidiges Haar
rauf dir dein Haar 
bis Blut fließt und Büschel zwischen den Fingern
das Tierchen, das Fellchen, die Schnauze
hat da nicht eben ein Glöckchen geschlagen?

aber das Gras und die Ameisen an den Halmen
die Frösche an den Rändern
der jaulende Hund, Libellen im Haar
du sagst ja nichts
zerkratzt dir ja dein Gesicht
dein Hals auf dem Kissen
ich hab das Messer genommen
die Stiche, Stöße, die Vorstöße zur Terre promise
tut es weh?

DAS
wenn sich Härchen aufrichten und Schläge
also die Stromschläge der terre promise
den ganzen Kerl durchzucken
que fait mon petit chou? 
was macht die die blinde Elster, 
das Hündchen, der Fuchs
wie’s schlummert unter den Blättern 
und die Turteltauben von den Drähten fallen
vor Schreck

Eine Hand, eine Gesäßtasche warm
eine Rundung, die aufschimmert
es ist ein Handwerk
aaah, da ist ja mein Messer
Fangen wir mit dem Regard irresistible an
schau mir in die Augen: soooo

Was haben die Amseln von den Beeren gegessen
den süßen Beeren – aber da!
Deine Hände machen ja, was sie wollen 
mal sehen was die Klinge uns sagt
auf deinem Rücken 
grün ist das Gras
dabei in den Himmel geblinzelt
Die Sonne macht einen ja ganz verrückt

Au! 
Schwindlig macht einen das Blut
immer auf und ab rauscht es 
im Ohr und auf den Straßen 
hoch aufgerichtet die Omnibusse mit ihren Tatzen
nicht nur die Schwalben
auch Schnabelmönche, die Tauben – kurr-uh
am Wegrand die Schalen
aufgebrochen, die Nabelschnüre der gelbe Schleim
quer übern Asphalt

vom Baum gefallen – rohe Eier im Mund 
mit dem Haar im Geäst
dabei die Vogeleier zerquetscht, 
das Hemd zerfetzt
Schrammen auf der Brust
das kommt davon -ein Glockenton 
das dürre Glöckchen, ein Schellenbaum
eins-zwei-drei
dein Haar versengt an der Sonne

jetzt auf den Bauch liegen,
Ameisen aus Locken klauben
Bienen schaukeln im Schatten der Halme
die Luft von Entenflügeln gerührt
im Schatten behaarter Wipfel
ein Maulwurf, der sich tiefer gräbt
etwas, das aus der Erde schießt, 
funkelnd und heiß wie die Sonne

unter den Achselhöhlen, in den Venusgebirgen
fabulieren mit den Fingern im Ohr
Text, der aus allen Poren quillt
Zügel, en train, da lösen sich sämtliche Bänder
gib Acht, dein Haar
und steigt ab vom blutigen Schoß

Dann war da aber noch das Hündchen

Das Entchen, du Strolch!
den Nacken ins Gras
am Schwänzchen in der Luft herumgewirbelt
ein bisschen Remy Martin
in die Tierschnauze geträufelt
wie wär’s mit einem Eis am Stiel? 
Scherben im Mund 
und wieder ist ein Vogeljunges 
aus dem Nest gefallen

Fleisch fressende Pflanze
gieriges Kätzchen – Efeugewächs
Wollen sehen, was dein Brusthaar uns sagt
Relaxez-vous, so ist’s recht.

Nicht das Gesicht verziehen, nein
das Herz nicht schlagen lassen
ne donnez pas libre cours a vos emotions
Daisies – Ameisen im Haar
Der Kamm bleibt hängen
AU

du hast mich verletzt
das weiße Blut -– jetzt ist es kaputt
Oh! Ich vergaß die terre promise
aber nicht doch!  
Entspannen Sie sich!
Ein bisschen Gymnastik
Noch mehr vom oeuil magique
und noch ein wenig hinter dem Ohr
schwarz glänzt das Haar

Tage im Blattwerk
im Schatten der Halme 
es rauscht die Pappel im Ohr 
wie es zu fließen beginnt
Die Sonne spaziert am Zenith
weil es nach Eisen schmeckt und am Bauch klebt
Büschel aus Krallen geschüttelt
Relaxez – vous

mit dem Omnibus in eine Achselhöhle gefahren
haarig, Perlen im Mund – 
aus glänzenden Flügeln Augen
Zungen, vergraben tief
grün ist das Gras und
Trauerweiden lassen ihr Haar herab

Die Blume im Spiegel pariert
Es ist eine alte Erfahrung
Dass einen das abgelegte Leben
aufs Höchlichste schmerzt

Eva Szulkowski: Damenbart

Ich habe einen kleinen Damenbart
Mit 30 ist er mir gewachsen und er ist ganz zart
Nur bei bestimmtem Lichteinfall kann man ihn gut sehen
Wer keinen Damenbart hat wird dies Lied wohl schlecht verstehen

Ich habe einen kleinen Damenbart
Das heißt die Oberlippe ist seitdem nun auch behaart
Ich überleg ihn wegzuzupfen oder wegzuwaxen
Ich überleg ihn anzunehmen: Er ist so gewachsen

Ich hab‘s nicht so mit dem Rasieren, Haare überall
Warum nun ausgerechnet er, das wäre unnormal
Es käme mir vor wie ein räuberischer Überfall
Ich sage Beautyzwang, leck mich & du kannst mich mal

Doch immer noch steht da dieser Damenbart
Es gibt keinen Zweifel, ich bin im Gesicht behaart
Ich bleibe fair, will ja wirklich keinen blamen
Doch Mama, ich glaub es liegt an deinen Genen

Chor:
Sie steht vorm Badezimmerspiegel und sie schaut sich an
Sie steht vorm Badezimmerspiegel und sie schaut sich an
Sie steht vorm Badezimmerspiegel und sie schaut sich an
„Bin ich denn jetzt noch eine Frau oder schon ein Mann?“

Marius Geitz: Haare

Pixie Cut……Ponyhawk
Pferdeschwanz…..Quiff
Pompadour…..Undercut
Shape up……Tonsur

Ganz egal, was du trägst,
Schneid´ es einfach ab

Schneid´ dein Haar
Schneid´ dein Haar
Schneid´ dein Haar
Schneid´ dein Haar
Schneid´ dein Haar
Schneid´ dein Haar ab

Bubikopf…..Bürstenschnitt
Ein Zopf…Ein Dutt….Iro
Topfschnitt…..was der Trump da trägt
Braids….Kranzfrisur

Ganz egal, was du trägst,
Schneid es einfach ab

II

Für mich bist du genauso schön, wie ich es finde, dass sich die Kinder auf der Straße vor mir fragen, was der Schnurrbart mit der Schnur zu tun hat und sich dabei Schnüre an die Oberlippe halten.

Marius Geitz: Magie

IV

Ich habe schon zu lang nichts mehr gegessen. Es tanzen kleine silbrig leuchtende Sterne durch den Raum. Ich fühle mich geschwächt, will aber die Sterne auch nicht verlieren, denn sie gefallen mir sehr.

V

Ich habe mich doch dazu durchgerungen
Noch rauszugehen
Es nieselt
Ganz leicht
Ich sehe es in den Lichtkegeln der Laterne
Und weiß, dass das was ich sehe, im Winter Schnee wäre
Und ich werde friedlich

Pauline Füg: Zauberspruch für Verwundete

I

Wir fahren nach Norden. Wir fahren von da fort, wo die Seehunde am Strand liegen.
Ich sehe dich an, du bist ein bisschen weit entfernt, wir fahren, ich will nicht mehr
anhalten, wir fahren davon und dahin. In deinen Augen ist etwas zu viel Beton, deine
Schultern sind etwas zu schmal, ich sehe dich immer etwas zu lange an.
Deswegen sag ich einen Zauberspruch für Verwundete,
das ist ein Zauberspruch für Verwundete,
das ist eine Wunde für Verzauberte,
denn Weltfallsucht hat mir die Knie aufgeschlagen.
Und Fenster ist auch nur ein Blick in die Welt
Und Welt hat sich zu weit aus dem Fenster gelehnt.
Tag ist auch nur das Gegenteil von Nacht
Und Nacht ist auch nur eine Frage der Zeit.

II

Wir fahren immer, um den Sonnenuntergang zu sehen, aber meistens ist die Sonne
schon nicht mehr da, bevor sie den Horizont erreicht hat, denn wir halten an den
falschen Stellen und fragen nichts mehr. Du sagst, du hast Blätter im Haar und ich
wünschte, es wären Misteln.
Ich mag keine Zahlen und ich mag keine Straßen,
Ich mag keine Namen und ich mag keine Gassen.
Am Straßenrand haben sie ein Auto leer geparkt
Und ich halte schon nicht mehr Hand oder Atem.
Und Farbe ist auch nur eine Frage des Lichts
Und ich seh schon überall alles ein (auch die Bucht und die Ecken).
Larven sind auch nur falsch gelagerte Nahrung,
ich sag: wir atmen alleine und hören alleine damit auf.

III

Uns ruft niemand an. Nicht auf dieser Fahrt.
Nicht auf diesem Roadtrip, Cowboy.
Manchmal sage ich zu dir: „Halt. Halt an. Hier riecht es so, wie es sein muss. Nach
gehaltenen Händen und Versprechen.“
Aber ja, ich weiß, der Bremsweg wäre zu lang.
Das ist ein Zauberspruch für Verwundete und Weltfallsucht hat mir die Knie
aufgeschlagen,
es ist kalt geworden gerade und wird so schnell nicht mehr warm.
Die Felder sind leer und weit, es ist auch nur irgendeine Jahreszeit ohne Erdbeeren
Und Wolken sind auch nur ein Filter für Sonne.
Die Menschen sagen: Schrift ist ein begrenzter Zeichenvorrat.
Und was wichtig ist, ist nicht da.
Ich will, dass ihr meine Wörter seid,
aber ihr seid auch nur Sprache ins Nichts.

IV

Wenn wir anhalten, um zu tanken, gräbt sich der Staub tiefer in unsere Haut als der
Geruch von Benzin.
Wir sehen uns an und küssen uns und ich möchte Kleeblätter für dich suchen und
vierspurige Autobahnen blind und zu Fuß überqueren.
Aber deine Lippen zucken.
Steine sind auch nur kleine Berge, denk ich und alles ist halb so schlimm,
meine Wimpern sind viel zu lang und jemand hat deine Augenwinkel genommen
Und sich davon gestohlen, sodass nun Weitsicht fehlt.
Hier bauen sie Wein an auf geraden Böden, weil hier die Sonne anders scheint.
Deswegen sag ich einen Zauberspruch für Verwundete,
ich schwör einen Zauberschwur für Verwundete,
ich schwör einen Zaubersatz für Verwundete.
Das ist ein Zauberspruch für Verwundete,
das ist ein Zauberspruch für Verwundete.

V

Und ich weiß plötzlich, wir werden immer so weiter fahren, ich werde immer im
Rückspiegel zu sehen sein. Stupid little girl on the run.
Wir werden in Motels schlafen, zusammengerollte Raupen, mit verhakten Zehen und
uns an jedem Morgen von Neuem an irgendetwas klammern, das es nicht gibt. An
einen Punkt vielleicht, an ein Ende oder ist es der Weg?
Und immer noch die Frage – denn meine Knie sind nun einmal aufgeschlagen –
WER FÄHRT MORGEN MIT MIR ANS MEER?
Und das ist heute wie Wochen zuvor:
Alleine und keine Flucht.
Und nun ein Zauberspruch für Verwundete,
wegen der Rücklichter sind mir die Finger klamm geworden,
ich zerschlage die Ellenbogen an der Fensterscheibe, das ist nun kein Blick in die
Welt mehr,
das ist ein Zauberspruch für Verwundete:
Und Stifte hinterlasen auch nur ein Spur auf Papier
Begradigte Flüsse engen mich ein und alles ist da und alles ist fort,
ich bleibe an der Straße stehen und warte, bis du mich verloren hast,
denn jeder Morgen ist auch nur ein Warten auf Später und Leben ist eine Frage der
Geburt.

Jesus Maria von Friedel: An die Autobahnraststättenmülltonne

Da stehst Du, unerklärlich Rund,
ungekannte Tiefe,
was glitzert da im tiefen Schlund?
Ah! Präservative!

Äonenlang magst Du hier steh’n,
seit wann, kann niemand wissen,
hast trutzig Deinen Dienst verseh’n
– und der ist echt beschissen.

So schluckst Du Jahr um Jahr galant,
was andere entbehren,
ganz stoisch, wie ein Erdtrabant,
und ohne Dich zu wehren.

Woher kommt dieser Gleichmut nur,
ganz ohne Seelenlast,
trotz Tampons, Windeln, Kot-Lasur,
nur ruhige Tonnen-Rast?

Wie ein Idol stierst Du mich an,
höhnisch grient Dein Schlund:
„Ich bin Tonne, Du nur Mann,
und das nicht ohne Grund:

Wer hier zu mir gekommen ist,
wird bald auch wieder gehen,
wenn Du schon längst verschwunden bist,
werd‘ ich noch immer stehen.

So leb‘ ich hier als stiller Gott,
kann, was ich verrichte,
ich entsorge Eu’ren Schrott
– Euch dann die Erdgeschichte.“

So steh‘ ich mit dem Eispapier,
bereit, wieder zu fahr’n,
von Ferne her rauscht die A vier,
fast wie der Ozean.