zunächst
mein zitterndes Hirn
eine Vorspeise
die Augen desynchronisiert
heißes Glas
Tränen als Aperitif
ich vermisse
den Magenschutz
meine Gedärme
glühendes Eisen
verdauen sich selbst
dann
die Diktatur des Silikons
am Präpariertisch
kurz vor dem Hauptgericht
schnitzt ihr Lippenandruck
Risse in mein Gesicht
Erektion wird zur Skulptur
Implantate
werden Machofantasie
Dentalkorrekturen
pfählen mein Zahnfleisch
das Verlangen wird aufgeschlitzt
die Weiße Substanz anästhesiert
endlich
zum Dessert
säe ich
einen Pfahl
und eine silberne Kugel
in ihre Herzklappenfehler
ernte den Applaus des Mundschenks
die Paranoia
eine verlässliche Schwerkraft
hustet mich
in den Schlaf
Kategorie: Lyrik
Arabella Block: Heißgetränke
Hochglanzbilder einer Aussstellung,
von innen beleuchtet.
Heiße Brühen, auch in Braille.
Tastgeräusche klick.
Münzen drängen durch den Schlitz
ins unsichtbar Bodenvolle.
Einmal sachte drücken.
Rumor.
Rieseln? Regnen? Rauschen?
Bechererscheinung.
Der heilige Strahl.
Die Angst vor dem Überlaufen.
Letzter Tropfen.
Endgeräusch-Design.
„Bitte entnehmen“.
In die kalte Welt mit einem Schrei:
Was für ’ne Plörre.
Clara Fieger: N Latte
Stell dir vor, du arbeitest in einem kleinen Café im Kern einer von Menschen überfüllten Innenstadt.
Draußen regnet es heute.
Die Gäste kommen und gehen.
Du bereitest ein Getränk nach dem anderen zu, in der Hoffnung es gelingt nach der Vorstellung und zur Zufriedenheit des Gastes.
Ab und zu bestellt jemand einen Kuchen. Du schneidest das Stück ab.
Du hoffst dabei, dass es gerade wird, nicht zu klein, um nicht den Gast zu verärgern und noch zu groß, um genügend Stücke aus dem Gesamtkuchen herauszubekommen.
Die Gäste legen ihre nassen Schirme in den vorgesehenen Schirmständer. Du denkst daran, dass diese Schirme, wenn der Regen aufhört, womöglich vergessen – vielleicht sogar für immer zurückgelassen werden. Die Schirme, die durchnässte Kleidung und die tropfenden Haare bringen eine dämpfige Luft in den Raum hinein.
Es läuft Musik.
Lo-Fi-Hiphop.
Du kannst einige Gesprächsfetzen der Gäste aufschnappen, hörst aber eigentlich nicht wirklich zu. Interessiert dich ja eh überhaupt nicht, über welche Beziehungskrisen, Weihnachtsgeschenkideen oder Jobverträge sie quatschen.
Nach einigen Stunden der heutigen Schicht werden die Positionen hinter dem Tresen gewechselt. Dein Platz an der Kaffeemaschine übernimmt jetzt jemand anderes. Du bist an der Kasse. Puh. Das heißt mit den Gästen im direkten Kontakt.
Cappuccino. Espresso. Kuchen. 2 x Cappuccino mit Hafermilch. 3 große Cappuccini, einer davon laktosefrei.
Americano mit einem Schuss Sojamilch. Filterkaffee. 2 x Cappuccino und 2 Kuchen. Espresso. Americano – schwarz. N Latte.
Einen Caffé Latte oder einen Latte Macchiato?
Caffé Latte. Americano. 2 Espressi. Großer Sojacappuccino. 4 x Cappuccino zum mitnehmen. 2 Filterkaffee. N Latte, bitte.
Einen Caffé Latte oder einen Latte Macchiato?
Caffé Latte. Americano und ein Macchiato.
Espresso Macchiato oder Latte Macchiato?
Espresso Macchiato. 2 x Cappuccino. Espresso und Kuchen. Ein Latte Matschatscho.
Okaaaay.
One Latte, please.
Caffé Latte or Latte Macchiato?
Caffé Latte, please. N Latte.
Caffé Latte oder Latte Macchiato?
Latte Macchiato. 2 Americano. Espresso. 2 Kuchen. Filterkaffee zum mitnehmen. Cappuccino mit Sojamilch. Mokka.
Entschuldigung, wir haben hier keinen Mokka.
Mokka?
Wir haben hier leider keinen Mokka.
We don’t have Mokka.
Mokka?
(sprachlos)
Hallo, ich hätte gerne einen Caffé Latte, bitte.
(love <3)
N Latte.
Caffé Latte oder Latte Macchiato?
N Latte.
N Latte.
Mooooookkkkka?
N Latte.
N Latte.
N Latte.
N Latte.
N Latte.
N Latte.
N Latte.
N Latte.
…
Latte hier, Latte da.
…
Der nächste, der N Latte bestellt, bekommt ein Glas Milch, denkst du.
Im Hintergrund läuft der Lo-Fi-Hiphop.
Şafak Sarıçiçek: Toffee
Strahlenwinter, Streifenlicht !
In Landstraßen namens NACHT UND HORIZONT
Zerteilt ein Korsar die Stachelschweine duftender Sehnsüchte.
Ich wollte umtriebig sein und wir wollten FISCHERNETZE flicken:
Strahlwind, Straflicht, ach wo sinken nur deine Wege hin ?
Zerteilt und presst in Form. Wurstiges wie Wulstiges.
Straf sie nicht ab, ewiges FORMALDEHYD, es reichen nie Kanister.
Die Winkel schlüpfen. Ecken und Schlafkanten gehen ein.
In ein, in ander. Vielleicht fällt Dämmerung ab von Kastanien.
Fall ab vom Degen, du traumlose Nacht. Schrei nicht, Tulpa.
Tukan, wir sahen schon Gezeter steigen. Ziehen Funk
Prediger über Steppen. Treib Dorniges, Wüste. KAMELLEN
Arabella Block: Ich Geist?
Ich bin der Geist, der stets verneint,
und das mit Recht,
denn alles, was besteht ist wert – die Weltgeschicht erweist’s – dass es zugrunde geht.
Doch bin ich auch der Geist, der stets bejaht.
Ist auch nicht schlecht.
Wer fühlt sich schon von alledem, was ist, durchweg gedisst und angepisst? (Das wär doch Mist.)
Und ganz im Ernst bin ich der Geist, der sagt: „Vielleicht“
und kratz mich am – symbolischen – Gemächt*.
Mañana, schau’mer mal, der Ball ist rund, das Leben nur ein Traum. Und zudem bunt.
Als kluger Geist sag ich auch manchmal nix.
Oder nur: „La-di-da“. „Schubdubidu uh-uh-lala.“ „Noch weiter links, jaaaah, daaaa!“
„Ein Bier noch!“ „Noch ein Wein!“ Geht klar.
A propos klar: Ein Obstler passt noch rein.
Fragst du mich was, sag ich: „Ich lieb dich so“.
Fragt mich wer anders, flüchte ich aufs Klo.
Wenn mich die Welt also befragt: Die Antwort bin ich nicht.
Es wohnt nur tief in meinem Fleisch
ein Kuss für dich, ein Kichern, ein Gedicht.
* Über die Verortung dieses Organs streiten die Wissenschaftler. Die einen vermuten es im Gehirn, links unterhalb der Amygdala, im sogenanten Hänschenklein-Cortex. Die anderen in der Nähe der Zirbeldrüse.
Marco Kerler: Bevor
Wir waren in unserer
Stadt oder war es nur
deine gewesen ich weiß
es nicht mehr jedenfalls
fragten wir nicht nach dem
Weg blieben im Licht der
wenigen Sonnenstrahlen
konnte man uns erkennen
diese Konturen die sich
vereinten als wir sprachen
wie nah das uns kam
wenn du etwas sagtest
und ich es sagte bevor
du es sagtest bevor ich
bevor du bevor wir über-
haupt gedacht hatten da
war es wie aus einem
Geist einem Guss bevor
wir das wussten bevor
Hanne Mausfeld: Sonett
Vergessen sei hier mal die freie Form.
Wir wollen uns an alten Rhythmen laben
Und Reime finden, edel, echt, erhaben,
Uns halten an die definierte Norm.
Wir fühln uns wohl und gehen gern konform.
Man könnt lebendig uns sogar begraben,
Wir würden trotzdem mit den Füßen schaben –
Der Untertanengeist ist schon enorm.
Zerrissen unsre Hirne, unser Denken.
Denn andre lassen sich nicht leicht beirren,
Sie streben hin zu großen, weiten Welten,
Wobei sie plötzlich neue Fahnen schwenken
Und martialisch mit den Schwertern klirren,
Als ob nur eine Freiheit sollte gelten.
Jutta v. Ochsenstein: geistvoll halb leer
durch die Straßen der Stadt ziehen wir
zwischen Schatten, Parallelen, dann
Richtungen nehmen wir Zeit aus den Rinnsalen
lichtet sich manchmal ein Bunker
Weite ist ein Geschenk, das jemand vergaß
im Nachtmodus
sprechen Mond, Sonne und Schrecken
bleiben Fragen offen, geistvoll vielleicht
das Lachen
Jutta v. Ochsenstein: frei Räumen
der Papierstoß mit meiner Schrift
unberührbar
Jahrzehnte lag er stoisch
in der Truhe bis
ich in die Zeilen einfiel
eine Bauruine:
Meinungen verblasst auf Plakaten
Liebe in Neonschrift
schiefe Blickwinkel
in den Räumen
irrten meine Fragen
als ob es
eine Geschichte
gäbe
das Papier verbrannte
unter freiem Himmel
Verena Schmidt: Zehn Geister und einer, der nicht dazugehört
Der gruselige Geist,
ist der Geist, der die Seele vereist.
Der spirituelle Geist,
ist der Geist mit dem du ins Innere deiner Seele zu neuen Erfahrungen reist.
Der Himbeergeist,
ist der Geist, der die Leber verschleißt.
Der Teamgeist heißt Geist,
weil er Menschen zusammenschweißt.
Der wissenschaftliche Geist,
ist der Geist, der sich für den Fortschritt ein Bein ausreißt.
Der Liebesgeist
heißt Geist, denn das Leben ist die Liebe und des Lebens Leben Geist.
Der Weihnachtsgeist
macht, dass jeder das bunte, liebevoll drapierte Papier aufreißt.
Der Quälgeist
ist der kleine Geist, an dem sich die Oma die Zähne ausbeißt.
Der heilige Geist
ist der Geist, der dir in Reli den Arsch aufreißt.
Der Weingeist
beseelt und macht müde meist.
Ach und da hinten …
der kleine Braune im rechten Eck.
Das ist der kleine braune Geist
auf den jeder scheißt.