Bastian Kienitz: 10.11.2012 [2.00Uhr]

Auf dem Tisch liegt er, wie etwas Gezähmtes, mit Zähnen,
mit messerscharfen Blickpunkten, an ihren Schenkeln ent-
lang kleine Perlen, klitzekleine vom Regen und rotgestürzte
Unterlippen von seiner Protagonistin: er liest am Biertisch
weiter vom Schreiben….

Bastian Kienitz: The Chair

der stuhl auf dem
du sitzt ist morsch
und auch die zeit

der Stuhl auf dem
du sitzt ist morsch
und auch die Zeit
hat ihre Spuren
hinterlassen

gefaltet hängst
du deine weißen
Hemden auf
und wünschst
dir dieses flatterhafte
Herz zurück

(vielleicht hat es dich längst
verlassen)

ich glaube nicht
dass es dich stört
den Neuanstrich
wird niemand wagen
und wie der Stuhl
wirst du zuletzt
zerbrochen einen letzten
Ausweg planen

David Telgin: Der alte Schrank

der alte schrank
in der neuen wohnung

Der alte Schrank,
zwölfmal umgezogen,

Seine Kanten stumpf
von Jahren gezeichnet,

Narben
wie Runen in sein Holz gegraben,

Mein treuer Begleiter

Der alte Schrank
in der neuen Wohnung,

In der Ecke
glänzt er wieder

Ein stummer Zeuge
aus alten Tagen

Der meine Geschichten
und Träume bewahrt.

Carsten Stephan: Malewitschmodell Mascha

An der großen Schönheit Maschas
Hat ein jeder sich ergötzt.
Und Malewitsch hat sie schließlich
Auch perfekt ins Bild gesetzt.

Er holt sie vom Rübenacker,
Sie posiert im Atelier,
Perlenohrring nur am Leibe,
So entstand auch dies Porträt.

Und bald kam es, wie es musste
Zwischen Maler und Modell.
War modern auch Herr Malewitsch,
Hier blieb er traditionell.

Was der Meister in ihr sehe,
Fragt verliebt sie ihn zuletzt.
Er verwies auf sein Gemälde,
Und das hat sie wohl verletzt.

Denn sie nahm ein Hackebeilchen,
Herr Malewitsch ward ganz klein,
Und ging in die neue Phase
Des Gulaschfuturismus ein.

Ja, der Mascha schwarze Seele
Zeigt das Bild hier absolut.
Bloß Banausen finden’s einfach
Nur quadratisch, praktisch, gut.

Kasimir Malewitsch: Das Schwarze Quadrat.
Malerischer Realismus einer Bauerntochter in zwei Dimensionen (1915)

bastian kienitz: Appolo und die Musen

das Ungeschriebene flüstern dieser Regen tropf tropf reden ohne Worte mit dem Augenaufschlag im Frühsommer oder lass es Frühling Winter sein auf deiner Insel hinterm Horizont das eine Blatt der Stift und das inmitten fröhlich tanzende Sehnsucht zerreißende Naturschauspiel auf der Rückseite des Mondes lass uns Blumen pflücken gehen die ich aus seiner Stille lese

Bastian Kienitz: LA SCAPLIATA

hinter den Augen, die ein Meer von sich zeichnen
zeichnet sich stumm eine Stille mit ab
zwischen Kontur und dem ersten Anzeichen
einer Begegnung, die mehr als das sagt

als ihre Lippen zu sagen vermögen
Herbstzeit ein Blatt auf verblichenem Blatt
hinter dem Lichtstreu aus Licht und dem regen
eines Gefühls aus den Tiefen der Nacht

lächelst auch du als Geheimnis dazwischen
wortloses Schweigen, vielmehr noch als das
was ich nicht sage, dein Herz muss es wissen
und schaut im Stillen zu den Sternen hinab…

Carsten Stephan: Matze Maier

Matze Maier schrieb am Abend
Launig, mit geschnorrtem Stifte,
Ein paar Zeilen auf den Deckel
Seines Bieres.

Und am nächsten Morgen schellten
Vierzig feiste Großverleger,
Bis er endlich irgendeinem
Gähnend nachgab,

Der sein Werk in einer Woche
Dann millionenfach verkaufte
Und die Wälder niederwalzte
Fürs Papier.

Matze Maier zuckte zaghaft
Seine schönen, schmalen Schultern
Und zog zügig in ein Schlösschen
Fern in Frankreich,

Wo bald große Kipper knatternd
Geld aus Hollywood abluden
Und die Groupies grinsend aus den
Laken lugten.

Und kaum einen Monat später
Schrieb er wundersamerweise:
Werde nie im Leben Dichter!
Und zerbarst.