Lea Schlenker: Die Auktion

Als ich die Auktion betrat
Hatte ich ja keine Ahnung
Als ich die Auktion betrat
Hatte ich ja gar keine Wahl
Wo sollte ich denn sonst hin
Auf der Suche nach ein bisschen roher Emotion

Die Welt wurde an den Bestbietenden verkauft
Und nun ist die Auktion beendet
Alle stehen auf und wollen ein Stück von mir
Ein Stück Leber und eine Träne und die zwei Augen
Meine Zähne und eine Haarsträhne ausgerissen und zwischen zwei Buchseiten geklemmt
Dieser Ausverkauf flasht mich überhaupt nicht mehr
Gar nicht so wie früher oder
Vielleicht war ich auch gar nie auf der Suche nach irgendwas

Mein Streikbrecher und ich sind wild wie Wölfe
Und rot wie das brennende Athen
Mein Streikbrecher und ich sind wild wie Wölfe
Wo bist du mein Kleiner?
Wir haben uns doch mal zu Musik im Supermarkt geküsst
Zwischen Mangos und Avocados
Haben Coupons zerrissen und ein Feuer gemacht
Ruth Bader Ginsberg zur rechten und Mariah Carey zur linken

Wir sitzen in einem Restaurant und geben unsere Daten nicht an
Eine fette Pappmachepuppe starrt uns an
Sie starrt uns während des Hauptgangs an
Sie starrt uns während des Desserts an
Sie sieht uns sogar beim Weinen zu als wären wir Fische in einem Aquarium
Ich sehe zu Dladlinia rüber und sie schluckt und sagt
Ohne Acid kann ich diese Weltuntergangsstimmung einfach nicht richtig geniessen
Verstehst du was ich meine

Denke an kleine Metallteile in der Luft
Und ich langweile mich
Und ich hasse das
Und ich hasse diese Hitze gefolgt von Regen gefolgt von Kälte gefolgt von Feuer
Die Stadt und die Menschen
Die den Olymp bestaunen und ein Foto machen
Solange er noch steht
Während im Hintergrund die Flammen lodern
Und riesige Fluten von Asche und Blut auf uns zu kommen

Und ich bereue dass ich an dieser Auktion dabei war

Stephanie Mehnert: Zwischenzeilen, abgefallene

Es ist so still. Da
liegt die Asche auf den Lidern
liegt auf den blassen Mündern
und dort im Park, wo wir erst gestern waren

Wir leben in Legenden weiter, viel besser als wir sind
hast du geflüstert, wenn wir beieinander lagen
und scharrende Taubenfüße zählten
die gerade Zahl für Zukunft
die ungerade

Jetzt nisten Vögel in den schwarzen Fenstermäulern
das Uhrwerk spuckt Sekunden in die Nacht
und wir welken wir am Erlebten
die Träume in Trümmern
unausgesprochen

Es ist so still. Da
liegt der Morgen auf den Wangen
liegt auf den Dächern, die noch sind
und schau doch nur: der Tag beginnt im Osten

Angelina Roth: Watching a Crime

Ich sinke in Gedanken.

Die Treppen zur U-Bahn hinunter.

Sehe Menschen.

Höre Schreie.

Weine leise.

Ich fliege in Gedanken.

Durch die Straßen von Kiew.

Sehe Soldaten und erkenne nicht,

zu welchem Heer sie gehören.

Unter mir mein Schatten.

Oder bin das ich?

Am Fenster steht ein Kind.

Oder ist es schon erwachsen?

Der Himmel dröhnt.

Was war, ist auf einmal wieder, was sein wird.

Nichts kann meinen Flug durch die Stadt stoppen.

Ich sauge den Schmerz auf,

gerate in Taumel,

und mein Körper stirbt im Bombenhagel der Vergangenheit.

Ich stehe auf und laufe zu Fuß weiter.

Es ist Krieg.

Heute und morgen gibt es nicht mehr.

Es gibt nur noch diesen Krieg.

Lea Schlenker: Ich kann nicht über den Krieg schreiben

Ich kann nicht über den Krieg schreiben
Mein Blut ist
Ignazio Cassis
Und ein bisschen
Emmanuel Macron
Auf dem Weg zur Arbeit im Labor
Fallen mir die Earpods aus den Ohren
Nach dem Aufstehen mache ich mir einen Tee
Aus Schweizer Alpenkräutern
(seit zehn Jahren denselben)
Ich kenne
Ich will
Stabilität

Ich kann nicht über den Krieg schreiben!
Wenn ich die Nachrichten lese halte ich mir
Die Hand vor den Mund
Und greife dann zur Fonduegabel
Ich lese von
Demonstrationen
Bin aber schon ein bisschen müde
Ich döse ein wenig in einem Kinosessel
Mitten in meiner Stadt
Meinem Monbijou
Während in einer nicht allzu weit entfernten Stadt
Die Filmrollen explodieren

Ich kann nicht über den Krieg schreiben
Ich plane meinen sweet thirty in Montreux
Und einen Weekendtrip nach Paris
Drinks in Basel und St. Louis
Die Zeit vergeht wie im Flug während draussen
Die Bomben knallen

Ich kann nicht nicht über den Krieg schreiben
In meinem Kopf Geschrei
Und in meinen Beinen
Ich drehe Runden wie ein geschlagener Hund
Alles was ich denke
Alles unter der Sonne
Und dem blauen Himmel

Ich kann nicht nicht über den Krieg schreiben
Nie würde ich für mein Land kämpfen
Nie würde ich für ein Land sterben
Ich würde Abrüstung schreien
Ich kenne
Ich will
Stabilität

Ich kann nicht über den Krieg schreiben
Und ich kann nicht nicht über den Krieg schreiben
Live Ticker und Panikattacken
Was heisst Neutralität
Es heisst Grau wo normalerweise Farbstufen wären
Emmanuel Macron telefoniert
Schon wieder?
Ich wasche mein Gesicht
wie jeden verdammten Morgen

Stefan Veiths Restaurant Gargantua: Neujahrsmenu für 2022

Gargantua serviert heute

Josefa Tabernagels Future Dish aus dem Jahre 1880,
welches sie damals bereits aus dem outer space hinterm Mond einigen dort lebenden Dinosauriern zu Neujahr servierte

Windradgeschnetzeltes oder Cyberfilet vom Ahornfisch
im selben Sud 3 Tage lang gebadet (Ahorndrosselschleim, oder Narzissenschnaps, Weinerliche Pferdetränen), von einem Öko-Narzisten angerührt und in unglücklicher Tönnieskuhbutter gesäuert.
Gersten/Emmausnudeln mit Semmelbrösel, dazu einen Dahammerden-Salat

Zum Nachtisch reichen wir einen zwetschgenverschnapsten Adamsapfel plus geeister Veganersahne (egal ob Hafer oder Koko-Lores)

Dazu trinken wir einen kalten Kaffee aus Grönland.

Wohl bekomms!

Benjamin Weissinger: Parlamentsmoët

Statt 1 Parlamentspoet
brauchts hier 1 Parlamentsmoët
Genommen von den Reichen,
eingeschenkt den Armen- als Zeichen.
Dann Wohnung für alle,
Grundeinkommen.
Grenzen auf und Bleiberecht.
Dazu Kaviar vom Hecht Stör.

Lutz Senneberg: Die Orgel

Ich bin der Nebel,
Du bist der Giebel,
Ich Spiele am Hebel,
Du liest in der Fibel.

Ich zupf an der Leier
Du drehst an der Orgel,
Machst Suppe aus Eier,
Ich dünste nen Geier.

Du machst täglich Sport,
Ich bewege mich kaum,
wechselst ständig den Ort,
ich bleibe im Raum.

Auf Orgel gibt es keinen Reim,
Das les ich jetzt als Zeichen:
Denn unsere Liebe soll nicht sein,
Muss deiner Orgel weichen.

Hanne Mausfeld: mit weitblick

wegbeamen 
unnötig
in wärme lüfteln und
in wilden wolkenwelten
voller kumulus 
wann immer wellen schlagen
liebend auf schaumkronen tanzen
auf himmelspferden gallopieren
im eigenen Kämmerchen
wohlwollend 
auch zum selbst 
das geistige lotterbett 
nicht besudeln oder
maßstab
sein lassen 
für blaue Stunden
wer weiß wo