Simon Borowiak: Flughafen Nizza

Flughafen Nizza.
Sitze ich und warte
in meinen Anziehsachen.

Daneben sitzt und wartet
münchener Familie
in ihren Anziehsachen.

Der Situierten Sohn stakt auf und ab.
Mustert mich, als wär ich Dreck.
Bei jedem auf und ab
mustert er mich Dreck.

Da hat er recht:
Von seinem Büffel-Seiden-Kaschmirmantel
könnte ich zwei Jahre leben.

Dann Aufruf.
Einstieg.
Mein Onkel hat es gut mit mir gemeint:
Erste Klasse, erste Reihe, erster Platz.

Danach steigt ein
der Rest der Welt.

Der Seidenraupenbüffelsohn
muss weitergehen, zweite Klasse.
Und das auch noch an mir vorbei.

Gesichtszug wie ein grad mit Wucht
entgleister ICE.

Kurz gleiche Höhe,
Tuchfühlung,
fast aneinander schabend:
Der Kaschmir und
die Jeans von kik.

Er: Fassungslos und voll von Wut.
Ich: Voll das Herz,
voll von Verachtung,
voll schmutziger Verachtung.

So tief
lassen uns Reiche sinken.

Bastian Kienitz: Bücherwürmer

MAN SAGT, Bücherwürmer seien eine aussterbende Spezies
da es in naher Zukunft keine Bücher mehr gäbe & sich diese
Gattung also ihrem natürlichen Habitat entzogen in kürzester
Zeit laut evolutionärem Grundgedanken nicht neu orientieren
könnte & der Klimawechsel somit schwer beschädigt oder zumindest mit einer starken Aversion gegenüber unnatürlichen
Ausweichreservaten z.B. technologischen Gütern & somit
Gehalt also dem eigentlichen Inhalt nicht mehr folgen können,
Punkt.

Bastian Kienitz: NORMAL

Blankosonett

ist es normal, wenn du an Kanten stößt
die sich an Kanten stoßen, hinter denen
die Gleichung allenfalls Wert Null beträgt
um jede Abweichung von vornherein

den einen Längengrad fernab zu schieben
bestimmst du zunächst eine feste Zahl
und zollst dem Raum die Winkelperspektive
die dich viel weiter, tiefer fallen lässt

komm! hüpf mit mir in den Kaninchenbau
und folge A) the white light, rabbit
in seinen Unterschlupf, dem Spiegelsaal

wo wir uns in der Anderwelt befinden
da ist dein Stigma allenfalls normal
um bei der Norm des Gleichgewichts zu bleiben…

Carsten Stephan: Unterwegs mit Eichendorff

„Hörst du nicht die Quellen gehen
Zwischen Stein und Blumen weit?

Hörst du nicht die Bäume rauschen
Draußen durch die stille Rund’?

Hörst du nun den Frühling laden,
Waldhorn gehn im grünen Wald?

Hörst du tief die feuchten Hügel
Schlagen an die Felsenwand?“

„All das kann ich gar nicht hören.
Also: halt doch mal die Klappe!“

blumenleere: prost blitz (auf dass er dich erschlagen moege!)

aeuszere & veraeuszere dich, in altvertrauter waehrung, dem eigentlich schon laengst vor deiner geburt abgelaufenen & ergo, dementsprechend, zu keinem sinnvollen verzehr mehr empfohlenen, widerlichen senf deiner profilneurotischen meinungen, welche allzu gerne saemtliche der sich dir & dabei auch nur irgendwie den mindesten widerstand bildend, also deine illustre – welch ein trauriger hohn! – aufmerksamkeit ausreichend auf sich ziehend entgegenstemmenden reibungspunkte deiner begegnungen mit moeglichen & unmoeglichen entitaeten schmierig hinabtriefen muss, damit du wochen spaeter noch, skrupellos darauf aufbauend, laut schwadronierend schier denselben erbaermlichen wust an dumpf muffelndem nonsens jedweder persona, die es selbstverstaendlich nie wirklich interessieren kann – es sei denn, sie waere total verbloedet oder in dich verliebt & dadurch sowieso beides – wiederum via ihre ohren gen ihre allein deshalb bemitleidenswerten hirnwindungen krakeelen darfst – & zugleich kaempfst du rigoros hasserfuellt gegen deinesgleichen, willst du ja auf gar keinen fall deinen hoechstens aufs groeszenwahnsinnigste herbeihalluzinierten monopolstatus hinsichtlich dessen, berechtigte kritik (sic!) ausueben zu duerfen gefaehrden … & gemeinsam, ihr vertrottelten narren des geiferschaeumend tollwuetig hinaus ueber sich galoppierenden egozentrismus, bildet ihr das armselige fundament unserer uns zu traenen des abscheus ruehrenden aktuellen, nur scheinbar diversitaet – tatsaechlich phantasielos oede, viel zu enge graubraune uniformen – zurschaustellenden kulturlandschaft …

Simon Borowiak: Lieblos

Ich sehꞌ etwas,
was Du nicht siehst.

Ich fühlꞌ etwas,
was Du nicht fühlst.

Ich hörꞌ etwas,
was Du nicht hörst.

Wann merkst Du endlich,
dass Du störst?

Du schaust mich an
wie hundert Kühe.

Ich stehe vor Dir
wie ein Schwein.

Du gibst Dir redlicher als redlich
Mühe,

und ich will doch nur
bei der Andren sein.

Carsten Stephan: Narren

Runde Köpfe, spitze Zungen,
Stiller Weltschmerz, lautes Lachen.
Ab und zu kommt eine Nachricht
Und es zeigt sich wer beleidigt.

Dünner Bizeps, dicke Lippe,
Werk mit Absicht, ohne Wirkung.
Ab und zu kommt eine Klage
Und es plündert wer das Konto.

Sanfte Augen, scharfe Blicke,
Narrenfreiheit, Idealismus.
Ab und zu kommt eine Kugel
Und es greinen falsche Freunde.

Harald Kappel: Vom Abstellen des Mangels

morgens
ist das Bedürfnis am Größten
der Vortag
ist mit feuchten Erinnerungen gefüllt
der erste Schluck
nicht vor neun
ist der Schwerste
die selbstauferlegte Beschränkung
ein täglicher Erfolg
und
ein körperliches Muß
die Erleichterung
setzt augenblicklich ein
die Freude niemals
der Tag
wird
vom Abstellen des Mangels
erfüllt