Die von der Sucht droben werden mit der Corona viel zu tun kriegen. Haben ja alle jetzt viel genug Zeit gehabt, um daheim zu hocken und eine Flasche nach der anderen runterzulassen. Im Neudeutschen: Home Office. Und da läuft’s halt umso geschmierter, wenn die Promille stimmt. Und der Chef wundert sich, warum auf einmal sämtliche Mitarbeiter, die vorher kein Wort herausgebracht haben, mit Schnapsideen kommen, als ob sie der Daniel Düsentrieb selber wären. So manch einer hat in der Zeit sogar ein Buch geschrieben und veröffentlicht. Unser Nachbar ja auch. Letzt‘s Mal im Supermarkt hab ich ihn drauf angesprochen. Sagt er, er sagt’s mir ganz ehrlich: Er tät gar nicht mehr wissen, worum’s in seinem Buch eigentlich geht. Aber signiert hat er mir’s trotzdem noch spontan. Dafür hab ich ihm auch die Flasche Korn übernommen. Sag ich: Legen Sie die einfach bei mir auf’s Kassenband. Das war ja das Mindeste, wie ich mich bei dem Mann hab bedanken können. Und dann ist er wieder zu sich heim. Hat ja wieder ins Home Office müssen. Aber ich denk, irgendwann muss auch der hinauf in die Sucht. Und dann ist’s nicht mehr lustig. Aber schämen muss man sich deswegen heutzutags nicht mehr. Gibt ja lauter prominente Beispiele, wer schon alles in der Sucht war. Sogar der Professor Wuiser hat mal eine Therapie gemacht. Bei den anonymen Workaholikern. Und da hat der Therapeut gesagt, dass es gut wär, wenn sich der Herr Wuiser mal Zeit nimmt und hinsetzt und in sich geht und zusammenschreibt, wie es ihm als Workaholic so geht. Am Anfang ist ihm gar nichts dazu eingefallen, weil ja ein Workaholic gar nicht groß darüber nachdenkt, was er so den ganzen tag tut. Und dann ist es doch geflossen. Das bringt er jetzt auch als Buch heraus: „Die Kulturgeschichte des Workaholismus.“
In acht Bänden und im Schuber.
Kategorie: Drama
Elmar Tannert: Innerer Monolog eines Kaffeetrinkers
… jeden Abend dasselbe … ich bin so müde … aber ich kann nicht schlafen … nicht einschlafen … das kommt vom Kaffee … nein, das kommt nicht vom Kaffee … Kaffee trink ich nur in der Früh … den brauch ich … sonst komm ich nicht in die Gänge … heute früh war ich so müde … viel zu wenig geschlafen … und dann um sieben aufstehen … das geht nicht ohne Kaffee … zwei Tassen … schwarz … aber das reicht dann auch … erstmal … dann komm ich ins Büro … und im Büro läuft immer die Kaffeemaschine … irgendjemand schaltet die immer ein … Frau Kramer schaltet die immer ein … dabei trinkt die daheim auch schon Kaffee … genau wie die anderen … aber trotzdem macht sie immer Kaffee für alle … und dann bietet sie ihren Káffe* an … Káffe sagt die immer … dieses Káffemonster … dabei heißt das Kaffée … und ich sag jedes Mal „ja“ … warum sag ich jedes Mal „ja“? … mir reichen meine zwei Tassen Kaffee am Morgen … aber ich kann den anderen einfach nicht beim Káffetrinken zusehen … jetzt sag ich selber schon Káffe statt Kaffée … Kaffée heißt das … morgen werd ich sagen, ich nehm koffeinfreien … nein, das mach ich nicht … sonst denken alle, ich bin herzkrank … und außerdem, ohne Koffein hat der Kaffee gar keinen Sinn … dann braucht man überhaupt keinen Kaffee trinken … ohne Koffein hat der Kaffee keinen Sinn … da gibt’s doch ein Lied … “was hat der Kaffee für an Sinn ohne Koffein“ … das singt irgendein Österreicher … Peter Alexander … Quatsch, der war‘s nicht … aber ein Österreicher war‘s … nein, der Franz Morak auch nicht … aber natürlich ein Österreicher … die trinken dauernd Kaffee … aber das merken die gar nicht … weil die immer Melange bestellen … und Einspänner … Franziskaner … kleine Braune … große Braune … a Schalerl Gold … aber Kaffee bestellen die nicht … deswegen können die Österreicher ruhig schlafen … aber ich kann nicht schlafen, weil ich kein Österreicher bin … dabei trink ich Kaffee nur am Vormittag … ab Mittag trink ich keinen Kaffee mehr … bloß einen Cappuccino nach dem Essen … mit viel Milch … sonst kann ich nicht schlafen … ich schlaf eh immer so schlecht in letzter Zeit … immer Termine … Termine jeden Tag … alle sind so hektisch den ganzen Tag … das kommt vom Kaffee … nein … das kommt nicht vom Káffe … heißt das jetzt Káffe oder Kaffee? … egal … ich kann nicht schlafen … der Kaffee am frühen Abend … der ist gefährlich … egal, ob er Káffe oder Kaffee heißt … aber ich hab am Abend gar keinen Kaffee getrunken … bloß einen Latte Macchiato … das ist gar kein richtiger Kaffee … aber einen Kaffee trinken und dann gleich ins Bett … das geht … da merkt man nichts … hab ich schon öfter gehört … ja … das probier ich jetzt aus … ich steh nochmal auf … und mach mir einen Kaffee …
Elmar Tannert: Die große Stunde
Da stehen sie am Tresen vom Pik-As und warten auf ihre große Stunde: Weizen-Willi, Jehova-Michel, Bauch-Peter und Tschechen-Paul.
Paul besucht seit Jahren einen Tschechischkurs an der Volkshochschule. Damit trainiert er seine Zungenfertigkeit, denn Tschechisch verfügt nicht nur über eine Reihe höchst differenzierter Zischlaute, sondern gilt zudem als die vokalärmste Sprache Europas. „Man kann im Tschechischen Sätze bilden“, doziert Paul gerne, „die kommen ganz ohne Vokale aus. Wißt ihr zum Beispiel, was auf tschechisch heißt …“
„… ’steck deinen Finger durch den Hals‘?“ rufen Weizen-Willi, Jehova-Michel und Bauch-Peter im Chor, und Tschechen-Paul hebt sein Glas und ruft: „Strč prst skrz krk!“
Das rechte Rücklicht an seinem Wagen ist chronisch defekt. Das ist Absicht, denn Pauls Vision von seiner großen Stunde sieht so aus: Eines Nachts wird ihn die Polizei anhalten, um ihn auf das defekte Rücklicht hinzuweisen, und er wird sagen: „Kein Problem, ich hab immer ein Ersatzlämpchen im Handschuhfach – und der Kreuzschlitzschraubenzieher liegt gleich daneben!“ Und er wird das Wort „Kreuzschlitzschraubenzieher“ dank jahrelanger Zischlautübungen noch mit 3 Promille im Blut so vollendet artikulieren, daß die Polizisten einen etwaigen Verdacht auf Trunkenheit am Steuer sofort verwerfen werden.
Bauch-Peter hingegen nimmt seit Jahren Ballettunterricht. Deshalb läßt er es sich nicht nehmen, mit dem Auto ins Pik-As zu kommen, obwohl er gleich um die Ecke wohnt, denn Bewegung, sagt er, hat er zweimal die Woche im Ballett genug. Ihn haben sie einmal, es ist schon Jahre her, auf dem Strich entlanggehen lassen. Danach war der Schein ein halbes Jahr weg. Im Pik-As führt der Bauch-Peter immer wieder mit Hingabe seine große Stunde vor.
„Zieht einen Strich auf dem Boden! Aber schnurgerade! Und noch einen Hörnerwhisky für alle!“
Das lassen sich die anderen nicht zweimal sagen. Eine Wäscheleine wird knapp über dem Boden von Barhocker zu Barhocker gespannt, ein Kreidestrich wird daran entlanggezogen, und Bauch-Peter wieselt nicht nur exakt auf dem Strich auf und ab, sondern dreht auch nach dem zehnten Landbier noch anmutige Figuren dazu. Das soll ihm ein nüchterner Polizist erst einmal nachmachen …
Der Jehova-Michel wiederum nimmt den netten älteren Damen in der Fußgängerzone regelmäßig die neuesten Ausgaben von „Wachtturm“ und „Erwachet!“ ab und deponiert die Traktate gut sichtbar auf dem Beifahrersitz.
„Michel, mach uns den Prediger!“ ruft die Gesellschaft, wenn der Gesprächsstoff auszugehen droht. Dann stellt er sich auf einen umgedrehten Bierkasten, spricht über den menschlichen Leib als den Tempel Gottes und wettert gegen Alkohol- und Nikotinmißbrauch, bis seine Zechkumpane röchelnd und wiehernd von den Barhockern gleiten.
Auch er träumt von seiner großen Stunde. Er wird den Polizisten mit dem Führerschein eine religiöse Schrift in die Hand drücken und sie fragen, wie sie es mit Gottes Wort halten, und ob er sie einladen darf in den Königreichssaal zum Bibelstudium, und da werden sie, meint er, erstens schleunigst das Weite suchen und ihn zweitens für völlig unverdächtig halten – vorausgesetzt, er hat sein Atemgold-Bonbon im Mund.
Und der Weizen-Willi? Der steigt, wenn die Polizeistunde geschlagen hat, mit einer Sanitäterweste am Leib ins Auto und ist über kulturelle wie sportliche Großveranstaltungen stets informiert. „Na, Kollegen?“ wird er also im Fall des Falles ungefähr sagen, „auch noch Volksfesteinsatz gehabt?“
Seine Erste-Hilfe-Kenntnisse frischt er natürlich regelmäßig auf, denn jeder weiß ja, daß es auf der Welt die merkwürdigsten Zufälle gibt, und wie oft passiert genau das, was nicht passieren soll. Falls also einer der Polizisten während der Kontrolle einen Kreislaufzusammenbruch haben sollte, dann ist der Weizen-Willi auch nach einem Dutzend Hefeweizen und mehreren Sechsämter-Runden noch imstande, den Freund und Helfer qualifiziert zu betreuen. Die Tresenbesatzung weiß das zu schätzen, denn der Weizen-Willi hat noch jeden Trinker im Notfall so weit wiederhergestellt, daß er aus eigener Kraft sein Auto erreicht hat, und wenn es auf allen vieren war.
„Laßt euch nicht unterkriegen, Jungs!“ sagt Walter, der Wirt vom Pik-As, zum Abschied. „Denkt immer dran: Die Säule der Sicherheit im Straßenverkehr seid ihr!“
Walter liest regelmäßig Zeitung, und die veröffentlichten Statistiken, findet er, sprechen eine eindeutige Sprache: 2,5 Prozent aller Verkehrsunfälle, heißt es, werden von Betrunkenen verursacht. Mit anderen Worten: Die 97,5 Prozent Nüchternen sind es, die wie die Wahnsinnigen fahren.
Andii Weber: Es braucht nur ein paar Rosen, um einen ganzen Staat zu zersetzen
Napoleon Bonaparte im Spiegelgespräch
Napoleon Bonaparte, Kultmegaloman in kleiner Uniform, sitzt in einer Hollywoodschaukel auf seiner Terasse. Seit seiner Niederlage bei Waterloo hat man ihn nicht mehr so entschleunigt gesehen. Er scheint in Gedanken versunken, in seinem Gesicht zuckt kein Muskel. Nur wenn er einen Schluck aus der halben Kokusnuss mit Strohalm nimmt, die ihn sein Familienminister vor dem Gespräch bereitgestellt hat, verzieht sich seine Miene: Es scheint nicht zu schmecken. Die Stille von St.Helena, einer kleinen Insel im Pazifik, scheint Napoleon geradezu zur Ruhe zu verdammen. Doch innerlich lodert seine Flamme weiter, wie er uns im Interview verrät. Ein Gespräch über Abgeschiedenheit, Gartenarbeit, die Fragilität von Macht und über Punk.
SPIEGEL: Herr Bonaparte, dies sind schwierige Zeiten, Ich habe schon viele Interviews geführt, aber dies ist das erste, bei dem ich eineinhalb Meter abstand halten muss.
Napoleon: Ja, schwierige Zeiten in der Tat, schwierige Zeiten. (blickt verträumt auf die Vulkanspitzen)
SPIEGEL: Aber ich möchte mich trotzdem ganz herzlich bedanken, dass sie sich die Zeit für uns genommen haben.
Napoleon: (lacht scharf und ironisch auf) Ja, bitteschön. Ich habe momentan eigentlich recht viel Zeit …
SPIEGEL: Danke
Napoleon: Ja, bitte.
SPIEGEL: Dankeschön, wirklich. das ist sehr … lieb.
Napoleon: Ja, zum Henker, bitteschön!
SPIEGEL: Danke! Sie sind ja schon einige Jahre hier in der Verbannung auf St. Helena. Was können wir als freie Europäer denn von Ihnen als unfreien Ex-Europäer lernen?
Napoleon: Wenn sie mich so fragen: Nichts.
SPIEGEL: Aber sie müssten doch der absolute Grand Expert in sachen Isolation sein. Wie halten sie es aus so ganz ab vom Weltgeschehen?
Napoleon: Sie sagen das mit so einem Unterton, das gefällt mir gar nicht!
SPIEGEL: Was meinen Sie?
Napoleon: Na das mit dem Grand Expert in Sachen Isolation. Sie wissen schon, das ich immernoch der Grand Impereur bin oder?
SPIEGEL: Ach so?
Napoleon: Natürlich! Zugegeben, mein Reich hat sich etwas verkleinert. Ich herrsche hier mit allem Pipapo und sogar Hofstaat über meinen Garten.
SPIEGEL: Ihren Garten?
Napoleon. Das hat mein Arzt empfohlen: Herr Empereur, hat er gesagt, gehen sie doch mal in den Garten und schneiden sie Rosen und Hibiskusblüten ab; Das hilft gegen die Langeweile und die Gicht. Ja, und das habe ich dann gemacht. Zuerst war das auch ganz fabelhaft: Ich habe diese stacheligen Blumen ganz herrlich gezähmt und mir unterworfen. Doch dieses Drecksgestrüpp ist einfach immer nachgewachsen! Sie müssen wissen, mein Garten ist sehr groß …
SPIEGEL: Lassen Sie mich da mal kritisch einhaken: Wie groß genau?
Napoleon: So groß (Napoleon zieht seine Hand aus seiner Hose und macht eine ausladende Bewegung).
SPIEGEL: Hat es eigentlich einen Grund, dass sie die Hand nicht mehr im Revers tragen, sondern in der Hose?
Napoleon: Hä?
SPIEGEL: Fahren sie fort!
Napoleon: Also die Rosenscheiße wuchs immer wieder nach und so befahl ich meinem Koch, dass er jeden Tag genau einen Daumen dick abschneiden solle von allen Rosen.
SPIEGEL: Ein solider Plan, wie mir scheint …
Napoleon: RUHE! Damit fing der Mist ja gerade erst an! Mein Koch war den ganzen Tag am Rosenschnibbeln. Denn wie ich bereits erwähnte, ist mein garten sooo … egal. Seine eigentlichen Schnibbelpflichten, die in der Küche nämlich, vernachlässigte er also sträflich. Was natürlich unverzeihlich ist.
SPIEGEL: Ja, und dann?
Napoleon. Naja dann habe ich meinen Innenminister zum Kochen geschickt, und meinen Arzt zum Koch in den Garten zum Rosenschnibbeln. Dadurch ist aber zum einen eine Vakanz im Innenministerium entstanden die ich umgehend mit dem Minister für Digitales und Infrastruktur auffüllen musste und meinen zweiten General, eine Schnarchnase vor dem Herrn übrigens, habe ich beordert, meine täglichen Arztvisiten abzuhalten.
SPIEGEL: Interessant …
Napoleon: Ich bin noch nicht fertig! Durch diese Rochaden entstand in meinem (macht ein verächtliches Gesicht) “Parlament” ein Machtvakuum und löste eine kleine Regierungskrise aus. Und jetzt habe ich Rosen mit perfekten Blutwerten und einen 5G-Funkturm in meinem Wohnzimmer und muss mir bei jeder Arztvisite anhören, dass es das beste gegen meine Gicht wäre, wenn ich mir beide Beine amputieren ließe.
Sie sehen an diesem Beispiel, wie fragil Macht ist: Es braucht nur ein paar Rosen, um einen ganzen Staat zu zersetzen. Diese Engländer können ihnen davon ein Liedchen singen.
SPIEGEL: Es scheint mir so, als würde ihnen nicht langweilig werden, trotz der Verbannung in die absolute Abgeschiedenheit.
Napoleon: Was reden sie da? Es ist dermaßen fade. Ich möchte etwas singen!
SPIEGEL: Aber …
Napoleon: I’m so bored with St.Helen
I’m so bored with St.Helen
But what can I do?
SPIEGEL: Sind sie ein Punk, Herr Bonaparte?
Napoleon: Was erlauben sie sich?
SPIEGEL: Entschuldigung, dumme Frage.
Napoleon: Ja.
Spiegel. Verzeihung.
Napoleon. Schon gut.
SPIEGEL: Anders gefragt: Rosenschneiden, Regierungsgeschäfte, Arztvisiten. Bleibt da überhaupt noch Zeit, die Stille von St.Helena zu genießen?
Napoleon. Was ist denn das nun wieder für eine Frage? Was meinen sie, warum ich das alles mache? Meinen sie wohl, ich wäre hier zum Spaß? Ich schlage hier meine letzte Schlacht. Die schlacht gegen die Langeweile, die Stille. Also möchte ich durchaus sagen, dass ich erfolgreich bin, trotz der ganzen Amateure um mich herum. Entourage, entourage! ich kann es nicht mehr hören! Wuseln ständig in meinem schönen Garten herum und bringen alles durcheinander.
SPIEGEL: Wie lebt es sich denn so im Hause Bonaparte im Südatlantik?
Napoleon: Naja, ich habe einen sehr großen Hut und ein sehr kleines Bett. daneben versuche ich meine Memoiren zu schreiben. Und von wegen Abgeschiedenheit! Ganz im Gegenteil: Sie wissen ja gar nicht wie viele Touristen Täglich, stündlich versuchen in mein Anwesen zu gelangen, um mich zu begaffen. Das ist die eigentliche Demütigung: Die Romantisiereung meiner Abgeschiedenheit durch dahergelaufene Taugenichtse, die mir beim verschimmeln zuschauen wollen. PACK!
Und so versuche ich mich noch weiter zurückzuziehen: Ich gehe nur noch aus dem Hause, wenn es gar nicht anders geht. Und eigentlich geht es immer anders. Man braucht halt nur einen funktionierenden Hofstaat, dann kann man auch zu hause bleiben.
SPIEGEL: Viele Menschen, die momentan in Isolation leben, würden dem vielleicht entgegenen, dass sie keinen funktionierenden Hofstaat zu Hause haben. Haben sie den Realitätsbezug verloren, Herr Bonaparte?
Napoleon: Nein.
Michael Schmidt: Wuiser und die Ausgangsbeschränkung
Ja, das mit dieser Ausgangssache tut keinem von uns so richtig gut. Trotzdem gibt’s Leut, die damit besser umgehen können als andere. Die sehen dann das alles dann viel gelassener.
Das muss noch angeblich von den Genen herkommen. Von den menschlichen Genen her. Von der Eiszeit. Da haben die Leut ja auch eine Zeit lang nicht von der Höhle rausgekonnt, wenn der Gletscher die erst mal zugeschoben hat. Die haben dann halt abwarten müssen, bis der Gletscher wieder weggetaut war. Freilich, ein, zwei Mammuts hat da auch jeder im Vorrat gehabt. Oder ein Riesenfaultier. Was halt gerade da war. Was man am Wasserloch halt noch so alles vorgefunden hat, wenn nicht die anderen Höhlenmenschen schon dagewesen war’n und alles weggeschnappt haben. Da hat man auch schnell sein müssen. Weil einen Kadaver oder ein Aas hat keiner gern genommen.
Jäger und Sammler, sagen die Forscher dazu. „Der Mensch, ein Jäger und Sammler“. Und weil das so lange gegangen ist, hat sich das Ganze dann halt in die Gene abgesetzt. Ja, freilich, das sieht man heute noch! Hat man die letzten Wochen ja gut wieder im Supermarkt gesehen. Hat man gut beobachten können: Tagsüber warn sie noch im Home Office, und am Abend dann sind alle zu Jäger und Sammler geworden. Das ist der Instinkt, der sich da einschaltet. Dann legen alle den Jäger- und Sammler-Turbo ein. Bloß, dass man heut noch an der Supermarktkasse vorbeimuss, bevor man die Beute heimbekommt. In der Eiszeit war das dann so was wie ein zugefrorener Felsspalt. Da haben sie dann auch alle so komische Laute gemacht. Das kann man heute noch an der Supermarktkasse hören, diese unheimlichen Urlaute. Wie sie mit der Beute dastehen und warten müssen, bevor sie sich damit davonmachen können.
Wie damals am zugefrorenen Felsspalt. Da hat sich nichts groß geändert. Das kann Ihnen der Herr Wuiser auch bestätigen.
Der Professor Wuiser steht die Tage nämlich öfters neben der Supermarktkasse und nimmt da mit dem Tonbandgerät auf. Ganz hervorragende Urlaute. Und wenn er zu den Leuten sagt, dass er von ihnen einen solchen Urlaut braucht, weil er ein Forscher ist, dann kriegt der den auch prompt. Und wenn er Glück hat, sogar gleich mehrere. Weil das ist eine wunderbare Gelegenheit, dass man einmal die echten Urlaute hören und aufnehmen kann, hat der Professor Wuiser gesagt und, dass wir darum heut eigentlich in einer ganz ertragreichen Zeit leben täten.“
Lily Schuster: Traum
Stefan: „Was liegt dir denn auf dem Herzen, was du mir mitten in der Nacht erzählen musst?“
Sie: „Ich gebe in diese hochmoderne Suchmaschine namens „Google“ die Buchstaben -T-r-a-m- Definition ein.
-Enter-… Straßenbahn, hä? Straßenbahn?
Achsooo, vertippt!
-Löschtaste- u- m- Definition-Enter-. Na also.. hammas jetzt?
Erstens: im Schlaf auftretende Abfolge von Vorstellungen, Bildern, Ereignissen, Erlebnissen.
Beispiel: „ein schöner, seltsamer Traum“
Zweite Definition ist unterteilt in zweitens a und zweitens b.
Zweitens a: sehnlicher, unerfüllter Wunsch.
Beispiel: „Der Traum vom Glück“
Zweitens b: etwas traumhaft schönes, Person; Sache, die wie die Erfüllung geheimer Wünsche erscheint.
Beispiel: „Das ist ja ein Traum von einem Haus.“
Sie: „Als ob ich nicht wüsste was ein Traum ist, Stefan . Ich träume jede Nacht und jeden Tag.
Stefan: „Hattest du schonwieder einen deiner Albträume?“
Sie: „Zum Beispiel träume ich in meinem Traum von einem Traum in dem ich träume, Träume wahrwerden zu lassen.“
Stefan: „Ist alles gut bei dir?“
Sie: „Träume wie… mir den roséfarbenen, von kleinen Diamanten, umgebenen Ring zu kaufen, den ich so oft in diesem Schaufenster um die Ecke liegen sehe.
Stefan: „Sag doch einfach, dass du heiraten willst.“
Sie, genervt von allem: „Oder wie… einfach mal mein Hinterteil von der Couch heben, mich Richtung Zimmer bewegen, den Schrank öffnen, die Matte rausholen, auf den Boden legen, Musik am Handy anmachen und einfach Sport treiben, damit ich mich wohl fühle in meiner Haut und gesund sowie fit bleibe.“
Stefan, genervt von ihr: „Gleich so theatralisch.“
Sie, kurz vorm Nervenzusammenbruch: „Oder… es auch mal zu schaffen PÜNKTLICH aus dem Haus zugehen, ohne vorher fünf Wecker gestellt zu haben. Der eine klingelt, wenn ich aufstehen muss. Der zweite, wann ich aus dem Bad raus sein muss, der dritte gibt mir dann an, dass ich jetzt fertig mit Frühstücken sein sollte und auch schon mit dem Hund Gassi gewesen sein sollte. Dann gibt es da desWeiteren den vierten Wecker, welcher so nett ist und mir sagt, wann der richtige Zeitpunkt zum Anziehen ist. Der fünfte ist dann logischerweise jener, der mich zur Tür bittet.“
Stefan: „Du hast ja Probleme!“
Sie, wieder etwas beruhigt und traurig: „Ganz abgesehen von den Träumen nach Zärtlichkeit. Nach Liebe und abends nicht alleine den Film anzuschauen. Der auch mal kocht, den Haushalt macht und gemeinsam mit mir weint und lacht. Also so was wie „Der Traum vom Mann“
Stefan schweigt
Sie: „Ach ja! Selbstverständlich ist die Welt in meinen Träumen glücklich und DAS ÜBERALL auf diesem Planeten. Sie ist bunt und harmonisch, nicht einfarbig und kalt. Sie wird bewohnt und belebt von Wesen, die es schätzen dort zu sein und alles dafür tun, dass es noch lange ein solch wertvolles Etwas gibt. Wo jeder und jede die Chance hat zu träumen und die Träume erfüllen zu können. Zumindest die meisten.
Stefan, indem er sie Finger auf den Tisch klopft: „Mmmh.“
Sie: „Erfolg spielt auch eine große Rolle in meiner Utopie*. Ich will es schaffen selbstständig zu sein, in dem was ich tue um erfolgreich zu sein. Mich ins Zeug legen und anstrengen. Nicht ständig mein Glück vor mich herschieben und darauf warten, dass es mir aus dem Nichts in die Arme fällt. Glück haben mit den richtigen Menschen am richtigen Ort zur richtigen Zeit zu sein. Oder eben den richtigen Zeitpunkt für sich an seinem richtigen Ort erschaffen. In der Realität und nicht im Traum!“
Stefan flüstert fragend vor sich hin: „ Mit den richtigen Menschen am richtigen Zeitpunkt zur richtigen… was?!“
Sie: „In meiner -mehr als nur- Kopfgeburt* gehe ich selbstbewusst durchs Leben, mache mir keine Gedanken darüber, was andere über mich und mein Outfit denken. Ich tanze in der Disco für mich und nicht für die, die sich dort aufhaltenden eventuell in Frage kommenden, zukünftigen Traummänner. Ich esse nur so viel bis ich keinen Hunger mehr habe und nicht noch sieben Portionen mehr, weil es halt wieder so lecker schmeckt. Ich bin konzentriert auf mein Wohl und vergesse dabei nicht das Wohlbefinden meiner Freunde und das, der Familie. Mit denen ich übrigens nie Streit habe und wenn, ich mich sehr schnell wieder versöhne. Denen es allen gut geht und auch niemals schlecht.Die auf keinen Fall krank werden im Alter und unter Schmerzen sterben. Zwischen jenen und mir stetig ein großartiger Kontakt besteht, der für immer bleibt. Wunderschöne Haare an dem Tag meines ersten Dates. Schöne Nägel, stressfreies pünktliches Losgehen OHNE meine klingelnden fünf Schätze. Wohlfühlen in meiner eigenen Haut.“
Stefan, versucht sie ernst zu nehmen: „Und was machst du, damit sich deine Träume erfüllen?“
Sie: „Den Mund mache ich auf und sage „NEIN“. Wenn ich das nicht will. Wenn ich nicht will, dass mirder eventuell in Frage kommende zukünftige Traummann, mit dem ich mein erstes langersehntes Date unter einer leuchtenden Lichterkette im leicht schwenkendem Boot auf dem Meer habe, mir unter den Rock fassen möchte. Nein! Zu mir selbst, wenn ich mal wieder auf der Couch hocke, Frust in mich rein fresse, anstatt meinen verf..„Piiiip“..rsch anzuheben und sportlich zu sein. Nein zu all dem, was mir in der Realität aufgeschwatzt wird und mir nicht gut tut.“, sagt sie voller Elan und zugleich aufbrausend. [immer energischer werdend:] Und JA. Ja, den Mut zu haben, mir den Ring aus dem Schaufenster um die Ecke zu kaufen. Mir zuzutrauen, dass ich rechtzeitig aus dem Haus komme. Ja zu mir, wenn ich vor dem Spiegel stehe und mir in die Augen schau. Ja zu denen, die mein Nein nicht kapiert haben: JA, du hast recht, ich habe gerade NEIN gesagt. Und „DOCH“ zu allen, die behaupten, dass Träume nicht wahrwerden können. Denn das sind verträumte, die ihren Träumen nicht einmal die Chance geben, geträumt zu werden.“
Stefan schaut sie verwirrt an und fragt: „Aber was ist, wenn sich alle meine Träume erfüllt haben?“
Sie: „Dann TRÄUM WEITER!“
Stefan ängstlich: „Wann, hast du nochmal gesagt, ist dein Psychologe vom Urlaub wieder zurück?“
Benjamin Weissinger: Pflaumen
Musikalienhandel, später Nachmittag kurz vor Ladenschluss
„Guten Tag!“
„Guten Tag! Wie kann ich Ihnen helfen?“
„Och… ich schau mich erstmal ein bisschen um“
„Gerne 🙂 wir schließen zwar um 18 Uhr, aber ein paar Minuten haben sie ja noch 🙂 „
„Oh. Dann…komme ich doch lieber gleich zur Sache. Schauen Sie mal hier, was ich in meiner Tasche habe“
„…was ist das? Pflaumen!?“
„Eine Dose eingelegte Pflaumen. Sie fragen sich jetzt sicher, was ich damit in einem Musikladen möchte.“
„Ja, da bin ich gespannt.“
„Und zwar würde ich da 50 Euro für haben wollen. Aber wir können auch noch handeln.“
„Ich glaube ich verstehe nicht. Also wir…. „
„45!“
„Nein, also wir kaufen hier generell nichts an. Also noch nicht mal Instrumente oder Noten. Aber Konserven garnicht.“
„[wird ernst]…na gut, 40.“
„Ehm…es tut mir wirklich leid, aber ich kaufe ihnen diese Dose Pflaumen definitiv nicht ab!“
„… und das ist ihr letztes Wort?!“
„Ja, leider. Wir schließen jetzt auch.“
„[guckt auf die Uhr]…wir haben 17:57…drei Minuten habe ich noch“
„Das ist richtig, aber wenn sie…“
„Schauen sie mal. Ich öffne die Dose mit einem Dosenöffner, den ich dabei habe“
„Nein, bitte…“
„Warten sie es ab!“
„Hier drinnen bitte nicht essen.“
„Da, jetzt ist sie auf. Haben sie eine Tuba?“
„Tuba?! Großer Gott, bitte nicht. Jetzt weiß ich, wer sie sind. Wir dachten auf der Berufsschule immer, sie seien eine urban legend. Aber es gibt sie wirklich.“
„Hihihi. Und da hinten sehe ich auch schon die wunderschöne Tuba. Sie hätten mir die Dose abkaufen können, aber jetzt wird die Tuba mit leckeren Pflaumen gefüllt.“
„[rennt um die Pflaumenperson herum und stellt sich schützend vor die Tuba] Nein, das dürfen sie nicht!!!! Ich rufe die Polizei!!!“
„Das können sie gerne machen. Aber die Pflaumen kommen in die Tuba [setzt zum Wurf an]“
„Aaaaaaaaah“
„Oh Gott, Schatz, was ist los?!“
„Scheiße. Ich hatte wieder den Traum mit der Tuba und dem Kunden mit den Pflaumen“
„Hä. Das ist doch erst heute abend passiert. Wieso hast du denn dann schon mehrmals davon geträumt“
„Ich hab heute Nacht schon mehrmals das gleiche geträumt, die ersten Male hast du nicht mitbekommen.“
„Hach Mensch. War es denn so schlimm?“
„Es war diese Hilflosigkeit. Ich konnte nichts machen, stürzte ihm noch entgegen. Aber er muss eine unglaubliche Übung im Werfen von Pflaumendosen in Tubas haben. Voll rein.“
„Das ist nicht deine Schuld. Du konntest nichts machen.“
„Doch. Ich hätte mich sofort an die Geschichten über den Verrückten erinnern können, als er mit der Pflaumendose anfing. Aber erst als er Tuba sagte, klingelte es.“
„Ja, aber was hättest du machen können. Ihn angreifen und sie ihm abnehmen? Wer weiß, wie gefährlich der ist.“
„Ja, aber trotzdem…“
„Vergiss die Sache jetzt. Du weißt doch, der letzte Kunde ist immer der schlimmste. Morgen wird bestimmt ein ruhiger Tag. Und jetzt schlaf weiter.“
„Ich kann das Geräusch nicht vergessen. Dieses Scheppern von Metall auf Metall und dann dieses Glottergeräusch der raussuppenden eingelegten Pflaumen. Und wie er dann zu spielen begann, als wäre nichts geschehen.“
„Er hat auf der Tuba mit den Pflaumen drin gespielt?!?“
„Nein, auf einer unser Violinen. Die Havanaise. Recht gut sogar.“
„Und wann hast du ihn dann endlich rausgeschmissen?!“
„Gar nicht. Mir wurde alles zuviel, hab einfach den Laden hinter ihm abgeschlossen und bin nach Hause gerannt.“
„Er ist noch im Laden?????“
„Nein, er hat mit einer Pauke die Schaufensterscheibe eingeworfen und ist mir wie ein Irrer hinterher…“
„Oh Gott, und dann? Hast du ihn abgehängt?“
„Ja, er war ziemlich schlecht zu Fuß“
„Gott sei Dank. Was für ein scheiß Albtraum.“
„Und das alles morgen dem Chef erklären. Aber es hilft alles nichts, ich versuch noch ein paar Stündchen zu schlafen“
„Ja, genau, mach das. Ich mach uns mal ein bisschen das Fenster auf Kipp, frische Luft tut immer gut.“
(Von unten von der Straße hört man leise die Havanaise)
Elmar Tannert: Anti-Fasching im Pik-As
Am Faschingssamstag findet im Pik-As der traditionelle Strohwitwerstammtisch statt. Die Damen nehmen sich ein verlängertes Wochenende auf dem Kölner Karneval, denn mit dem fränkischen Fasching können auch sie nichts anfangen; ihre Männer bleiben im Lande und deklarieren ihren Kneipenabend zur Anti-Faschings-Party, obwohl das gleiche Programm abläuft wie an den übrigen Samstagen: Trinken, Schafkopfen und die Zeit vergehen lassen.
So war es jedenfalls jahrelang, bis Walter, der Wirt, an Neujahr das Ziel ins Auge faßte, den Stammtisch der Faschingsboykotteure ein wenig aufzumöbeln. „Ich hab mir da was überlegt“, sagte er also Anfang Januar zur versammelten Runde. „Nämlich: Wir müssen an Fasching ein bißchen mehr Stimmung in die Bude bringen.“
„Stimmung?“ ächzte Weizen-Willi, der vor kurzem sein 25-jähriges Stammtischjubiläum feierte, „Stimmung!“ wiederholte er mit Verachtung, er sei ja gerade deswegen an Fasching im Pik-As, weil man hier seine Ruhe habe vor der sogenannten Stimmung, und so solle es auch bleiben.
Die Runde pflichtete ihm lautstark bei.
Aber Walter ließ nicht locker. Natürlich rede er nicht von der üblichen Faschingsstimmung, und – heiliges Versprechen! – er habe weißgott nicht vor, seine Gäste mit Fernsehübertragungen vom Karneval am Rhein zu martern. Seiner Ansicht nach müsse der Stammtisch vielmehr vom passiven Faschingswiderstand zum aktiven Faschingsboykott übergehen. Und er habe da schon einen Plan.
Das Wort „aktiv“ weckte Mißtrauen in der Runde.
„Auch noch aktiv werden!“ stöhnte Bauch-Peter. „Also, eigentlich komm ich ja her, weil man hier so schön entspannen kann.“
„Laß mal Walter seinen Plan erzählen“, warf der Kapitän ein. „Vielleicht wird‘s ja nicht ganz so schlimm.“
„Ich hör mir das nur an, wenn‘s eine Runde auf‘s Haus gibt!“ rief der Doktor.
Walter brachte eine Runde Hörnerwhisky alias Jägermeister auf Kosten des Hauses. Dann brachte er seinen Vorschlag zu Gehör. Und als er geendet hatte, hätte der Stammtisch am liebsten schon am nächsten Tag den aktiven Faschingsboykott à la Pik-As gefeiert.
Genau vier Wochen später versammelte sich nach und nach eine farbenfrohe Runde im Pik-As, und jeder Neuankömmling wurde mit großem Hallo begrüßt. Sie hatten sich auch wirklich Mühe gegeben, jeder einzelne von ihnen, und Walter stellte mit Genugtuung fest, daß er mit seiner Idee so etwas wie Kampfgeist in die Truppe gebracht hatte. Jeder mußte Keller- und Dachbodenabteile durchwühlt haben, um das auserlesene Stück zutage zu fördern, das er am Leibe trug; mancher hatte vielleicht sogar einen Trödelladen heimgesucht. Da saß der Kapitän in einem grellen Pop-Art-Hemd aus den Siebzigern. Da saß Weizen-Willi im verblichenen Hawaiihemd. Der Doktor kam herein in einem Hemd mit Prilblumen-Dekor. Den Vogel schoß allerdings Bauch-Peter ab, der sich bauchfrei in eine Rüschentrachtenbluse seiner Frau gezwängt hatte.
„Blusen gelten nicht!“ rief Weizen-Willi. „Der Wettbewerb hieß: ‚Wer trägt das scheußlichste Hemd‘ – nicht: ‚wer trägt die scheußlichste Bluse‘!“
„Du hast ja bloß Angst vor Konkurrenz!“ konterte Bauch-Peter. „Die Bluse gilt!“
Weizen-Willi gab nach – „aber nur unter einer Bedingung: Du gibst eine Runde aus!“
Bauch-Peter war friedfertig und läutete mit einer Runde Sechsämter den Stammtisch der Faschingsboykotteure ein.
Als zu vorgerückter Stunde ein äußerst korrekt gekleideter Fremder die Gaststube betrat, war die Stimmung auf dem Siedepunkt. Die Teilnehmer des von Walter ins Leben gerufenen „Scheußliche Hemden“-Wettbewerbs spielten gerade Modeschau. Zu den Klängen von „Fiesta Mexicana“ und unter den anfeuernden Rufen der Stammtischbrüder tänzelte der bauchfreie Bauch-Peter hüftwackelnd am Tresen entlang. Der Fremde blieb mit offenem Mund an der Tür stehen, als sei er inmitten der Zivilisation auf Ureinwohner gestoßen, die ein schockierendes Ritual zelebrieren.
Walter drehte das Radio leiser. Die Runde verstummte und starrte den Mann im dunkelgrauen Zweireiher und blütenweißen Hemd an.
„Entschuldigen Sie“, sagte der Fremde. „Kann mir einer der Herren sagen, wie ich zum Intercity-Hotel in der Eilgutstraße komme?“
„Zum Intercity-Hotel?“ wiederholte Walter und wollte eben zu einer Wegbeschreibung anheben, da stürzte sich Bauch-Peter auf den Fremden, umarmte ihn und rief: „Glückwunsch! Sie haben gewonnen!“
„Gewonnen?“ fragte der Mann und echote verständnislos die Runde.
„Mit dem läppischen weißen Hemd?“ fragte Weizen-Willi.
Bauch-Peter legte seine Pranke auf die Schulter des Fremden und schob ihn zum Tisch.
„Genau. Ich erkläre unseren Gast zum Gewinner des ‚Scheußliche-Hemden‘-Wettbewerbs 2008. Denn woran denken wir, wenn wir so ein Hemd sehen?“
„An Arbeit?“ schlug der Doktor vor.
„Vielleicht sogar an Chefs“, überlegte der Kapitän.
„Erraten!“ rief Bauch-Peter. „Und kennt einer von euch etwas Scheußlicheres als Chefs und Arbeit?“
„Nein!“ grölte die Runde begeistert.
„Walter, ein Herrengedeck für den glücklichen Gewinner!“
Der Fremde wand sich, er habe keine Zeit und trinke niemals Alkohol, aber das ließen die Anti-Faschings-Aktivisten nicht gelten, zumal der rheinländische Akzent des Mannes unverkennbar war. Mit vereinten Kräften drückten Weizen-Willi und der Kapitän den Gast auf einen Stuhl, und die Runde prostete ihm überschwenglich zu.
„Auf den fränkischen Fasching, tschulligung, Anti-Fasching!“ schmetterte der Kapitän, und Bauch-Peter rief: „Aloha-he!“
Als die Stammtischbrüder vom Pik-As gegen drei Uhr morgens aus dem Lokal taumelten, schwelgten sie schon in Vorfreude auf den Anti-Fasching 2021, „und den von 2020“, bemerkte Walter zum Abschied, „wird unser Gast aus dem Rheinland so schnell nicht vergessen.“
Andreas Lugauer: In die Wirtschaft am zweiten Advent
»Ich gehe jetzt Bier trinken.
Meine Spezln, die Sauhund’, sind noch in der Kirche, aber wegen der Weihnachtsfeier gestern, es is’ ja zweiter Advent – ja Menschenskind, ham mir uns in der Boar die Rüscherln neipfiffn, ja do legst di nieder, Bluatsakrament! Dawei ham wir am Amfang, noch bevor d’ Wirtin ’s Weihnachtsschweinerne hergstellt hat, scho ein jeder vier Weißbier dringhabt – also wegen dieser Weihnachtsfeier – ›Wehrmachtsfeier‹, wie der Girgl im Spaß allweil sagt, ’haha! –, wegen dieser Weihnachtsfeier, die wie jedes Jahr sehr schön war, konnt’ ich da ums verrecken nicht aufstehn für die Kirchn, und jetz geh ich eimfach gleich zum Frühschoppen. Aber einmal geht das schon, wie’s bei uns gern heißt, mords einen Brand hab ich eh zum löschen. Außerdem ham wir uns ja gestern zur Weihnachtsfeier auch praktisch ad majorem Dei gloriam getroffen, zur größeren Ehre Gottes also, nicht wahr. Das kann man schon einmal als quasi vorgezogenen Gottesdienst betrachten, nicht wahr, schließlich hat’s auch Weihnachtsgebäck und einen Christbaum gegeben und die Grundschüler ham gesungen, und einen Weihnachtspunsch hat’s auch geben, aber von dem trinkst am besten bloß eine Tass’, weilst sonst a so Sodbrennen kriegst. Naa naa, der Herrgott hat, glaub ich, schon ein Verständnis dafür, daß wir auf ihn mit einem Weißbier anstoßen bzw. mit sechzehn. Die eine Tass Wehrmachts-…, zefix, jetz fang ich auch schon damit an, die eine Tass’ Weihnachtspunsch ist aber auch gar nicht verkehrt, weil dazu kann man dann auch ein paar Platzerl essen, weil des süße Zeug paßt ja zum Weißbier eimfach nicht dazu, weil es sich geschmacklich eimfach beißt. Aber jetz halten S’ mich nicht länger auf, weil ich einen solchernen Brand hab, und wenn ich jetzt nicht gleich meine Konterhalbe krieg, dann konst an Sanka ruaffn, weil ich’s dann nimmer daback. Oiso, schöna Sonntag Ihnen, gell!«
Liebe Hörer*innen und Hörer, weil dieser Bericht von mancher und manchem, die des Bayerischen nicht in zertifikatwürdiger Weise mächtig sind, womöglich nicht ganz verstanden worden ist, haben wir als kostenlosen Service den stellvertretenden bayerischen Ministerpräsidenten, Hubert Aiwanger, zu uns ins Studio eingeladen. Er wird Ihnen den Text nun noch einmal im besten Hochdeutsch vortragen, zu dem er fähig ist:
»Ich gehe jetzt Bier trinken.Meine Freunde, die Sauhunde, sind noch in der Kirche, aber wegen der Weihnachtsfeier gestern, es ist ja zweiter Advent – ja Menschenskinder, haben wir uns in der Bar die Rüscherln hineingepfiffen, ja da legst du dich nieder, Blutsakrament! Dabei haben wir am Anfang, noch bevor die Bedieung das Weihnachtsschweinerne auf den Tisch gestellt hat, schon ein jeder vier Weißbier drinnen gehabt – also wegen dieser Weihnachtsfeier – ›Wehrmachtsfeier‹, wie der Georg im Spaß immer sagt, ’haha! –, wegen dieser Weihnachtsfeier, die wie jedes Jahr sehr schön war, konnte ich da ums Verrecken nicht aufstehen für die Kirche, und jetzt gehe ich einfach gleich zum Frühschoppen. Aber einmal geht das schon, wie es bei uns gerne heißt, einen sehr großen Brand habe ich eh zu Löschen. Außerdem haben wir uns ja gestern zur Weihnachtsfeier auch praktisch ad majorem Dei gloriam getroffen, zur größeren Ehre Gottes also, nicht wahr. Das kann man schon einmal als quasi vorgezogenen Gottesdienst betrachten, nicht wahr, schließlich hat es auch Weihnachtsgebäck und einen Christbaum gegeben und die Grundschüler haben gesungen, und einen Weihnachtspunsch hat es auch geben, aber von dem trinkst du am besten bloß eine Tasse, weil du sonst solches Sodbrennen kriegst. Nein nein, der Herrgott hat, glaube ich, schon ein Verständnis dafür, dass wir auf ihn mit einem Weißbier anstoßen bzw. mit sechzehn. Die eine Tasse Wehrmachts-…, zefix, jetzt fang ich auch schon damit an, die eine Tasse Weihnachtspunsch ist aber auch gar nicht verkehrt, weil dazu kann man dann auch ein paar Plätzchen essen, weil dieses süße Zeug passt ja zum Weißbier einfach nicht dazu, weil es sich geschmacklich einfach beißt. Aber jetzt halten Sie mich nicht länger auf, weil ich einen so großen Brand habe, und wenn ich jetzt nicht gleich meine Konterhalbe kriege, dann kannst du den Notarztwagen rufen, weil ich es dann nimmer derbacke. Also, schönen Sonntag Ihnen, gell!«
Michael Schmidt: Wirtschaft
„Frühers hat man’s ja leichter gehabt mit der Wirtschaft. Da hat man immer gewusst: Ich kauf was und das krieg ich. Heute ist das alles viel zu kompliziert geworden. Und Sachen, die man früher gut verkaufen konnt, auf denen bleibt man heute gerne sitzen. Da haben sich schon manche dumm im Spiegel angeschaut nachher. Sind einfach nicht mit der Zeit gegangen. Haben gedacht: Was schert mich die Zeit. Aber die Zeit hat sich – im Gegenteil – nichts um sie geschert. Gar nichts. So ist das gewesen. Und so geht es immer weiter, bis sich die Menschheit einmal verabschiedet.
Auch der Herr Professor Wuiser hat das schon mal mitgemacht, so wie man einfach alles mitmacht, wenn man ein Professor ist. Der hat damals noch gesagt, dass in der Kohle die große Zukunft liegt. Hat so viel Kohle bestellt, dass keiner sie nie verheizen hat können. Und ist dann darauf sitzengeblieben. Ein ganzer Berg Kohle. Sogar in seiner Zwölfquadratmeterwohnung hat er die gehabt, einen ganzen Haufen, weil er nicht gewusst hat, wo er mit der ganzen Kohle aus soll:
Pechkohle, Braunkohle, Eßkohle, Magerkohle, Glanzkohle. Alles mögliche an Kohle.
Und wie das mit der Kohle sich dann schließlich abgezeichnet hat, hat er sich einen Stuhl genommen, seinen Denkerstuhl, wie er dazu sagt, ist damit den Kohleberg rauf, hat sich ganz oben hingesetzt und hat überlegt. Einen Tag lang und eine Nacht.
‚Nein, Wuiser, du gibst nicht auf!‘, hat er sich am Ende gedacht: ‚Ein Professor und aufgeben! Das hat’s noch nie gegeben, und du ausgerechnet wirst jetzt nicht damit anfangen!‘
Dann ist er wieder runter von dem Berg und hat sich an die Arbeit gemacht. Was er dann getan hat? Ich weiß nicht, waren Sie schon mal im Darknet drin? In diesem Darknet? Müssen Sie unbedingt auch mal reingehen. Da ist der Herr Wuiser nämlich auch seither. Weil er sich gedacht hat, so ein Haufen Kohle, wie er einen hat, passt gut zum Darknet dazu. ‚Schnell zu Kohle kommen?‘, steht auf seiner Darkbook-Seite. Aber nicht, dass Sie jetzt denken, dass er dorten die ganze Kohle verschenkt. Ist bloß ein Werbespruch. Nein, der Herr Wuiser hat es viel schlauer angestellt und hat dort eine eigene Währung gegründet.
Kennen Sie dieses Bitcoin? Ja? Weil was das Bitcoin im Internet ist, ist das Kohlecoin jetzt im Darknet drin. Eine Währung, die an der Wuiser-Kohle hängt. Währungseinheit ist ein Kohlecoin oder ‚Koincoin‘, wie man bei uns in Bayern sagt. Und zehn Koincoin sind ein ‚Wuiser‘. Und zehn ‚Wuiser‘ sind dann ein ‚Professor Wuiser-Coin‘. Und wenn man zehn ‚Professor Wuiser-Coin‘ kauft, gibt’s dann schon einen Darknet-Artikel gratis. Eine Kalaschnikow. Oder ein Pfund Koks. Oder eine Waschmaschine, die sich um ihre eigene Trommel dreht.
Sie können sich’s aussuchen.“