Zeha Schmidtke: 1.10. Gärtnervater

Der Gemüsehändler fegt den Boden. Die Türglocke klingelt.

Händler
Oh, die Türglocke.

Kunde
Guten Tag. Folgendes: Ich will heute Abend richtig lecker kochen. Wir sind zu fünft. Da hätte ich gerne frischen Rosenkohl, möglichst kleine Köpfchen, und für die Vorspeise sechs mittelgroße Artischocken. 

Händler
Es tut mir leid. 

Kunde
Keine Artischocken? 

Händler
Es tut mir leid: So ein Laden, wie Sie ihn suchen, ist das hier nicht.

Kunde
Wieso? Draußen steht doch „Gemüsehandlung“. Und ich will Gemüse.

Händler
Nein. Sie wollen arrogantes Modegrünzeug. Und das gibt es hier nicht.

Kunde
Das ist ein Scherz.

Händler
Ein Scherz ist es, wie sich Ihre Artischocke benimmt, seitdem sie zur Arzneipflanze des Jahres gewählt wurde.

Kunde
Ja, Mensch. Dieses bedeutende gesellschaftliche Ereignis ist komplett an mir vorbeigerauscht.

Händler
Wie sich die Artischocke seitdem zum floristischen Dekorationselement aufbläst! Sich als Diätmittel und Wellness-Tee den Snobs und Neureichen an den Hals wirft! Dabei ist sie im Grunde ihres Artischockenherzens nichts anderes als ein Distelgewächs! 

Kunde
Aber Rosenkohl werden Sie doch haben.

Händler
Warum nicht gleich Königin-Der-Nacht-Kohl? Wie dekadent muss eine Pflanze sein, um einen zyklischen Blütenaufbau auszubilden!? 

Kunde
Das fragen Sie am besten den Rosenkohl selbst.

Händler
Ich frage aber Sie! Der Rosenkohl wächst bedecktsamig. Er schämt sich seiner Samen! Meinen Sie auch, man müsse sich seiner Natur schämen? 

Kunde
Nee, da gehen der Rosenkohl und ich getrennte Wege. Apropos gehen.

Händler
Dann ist ja alles klar. Hier, bitte. 

Er präsentiert dem Kunden ein paar welke Blätter schmutziges Grün. 

Kunde
Was ist das jetzt?

Händler
Ehrlicher, nahrhafter Baumspinat. Er hat sich nie in den Vordergrund gedrängt. Ein Model in diesen Schicki-Micki-Kochzeitschriften wollte er nie werden. Er bleibt bescheiden und tut seine Arbeit.

Kunde
Sieht ja schon auch aus wie Unkraut.

Händler
Kommt es denn heute wirklich nur auf das Aussehen an? Sagen Sie mir: Zählen die inneren Werte noch etwas?

Kunde
Doch, natürlich! Wie ist er denn so von innen, der Kollege Baumspinat?

Händler
Er hat ein violettes Herz. Violett ist die Farbe der Frömmigkeit und der Kunst! Wegen diesem kleinen Kerl mache ich das Ganze hier überhaupt nur. Ich bin froh, dass er in Ihre Hände kommt. Für 12,70. 

Kunde
Ja, ich bin auch froh. Dass ich jetzt nach Hause geh. Mit ihm.

Der Kunde zahlt und verlässt den Laden.

Händler
Hörst Du mich, Vater? Hast Du mir nicht immer gesagt, ich würde nie zum Gemüsehändler taugen? Ich kann sogar Unkraut verkaufen, Vater! 12,70 für Unkraut! Und morgen, Vater, verkaufe ich einen Baumstrunk!

Michael Schmidt: Wuiser und Wohnen

So ein Philosoph hat mal gesagt: „Ich denke, also bin ich.“ Und das hat auch gestimmt, weil wie wir heute wissen, hat’s ihn tatsächlich gegeben, diesen Philosophen. Allerdings müsst man heut viel eher sagen: „Ich wohne, also bin ich.“ Weil ohne das Wohnen ist alles nichts. Zumindest nichts Gescheites. Und damit man heut überhaupt noch wohnen kann oder zum Wohnen kommt, gehört sich schon was dazu. Die Frau Drangsaler von drüben zum Beispiel, die hat aus ihrer Wohnung raus müssen, weil die einen Eigenbedarf gehabt haben. Der Bub von denen hat nämlich endlich sein Jura-Examen bestanden gehabt, ausgerechnet im Mietrecht, und hat deswegen unbedingt eine erste Kanzlei gebraucht, dort, wo die Drangsalerin drin gewohnt hat. Da hat sie wegziehen müssen. Wo sie hin ist, das weiß ich nicht. Wahrscheinlich haben sie sie eh gleich ins Altenheim rein. Dass sich die das Wohnen anderweitig nicht mehr anfängt, hat sich eh ein jeder denken können. 

Ein anderer Spruch, der geht so: „My Home is my Castle.“ „Mein Heim ist meine Burg“. Und auch das stimmt! Weil eine Burg muss man verteidigen, sonst wär sie ja keine, sondern bloß ein Haus oder eine Wohnung, je nachdem. Das gilt nicht bloß bei Leuten, die Eigenbedarf anmelden wie Hauseigentümer oder ihre Buben mit Staatsexamen. Wahrhaftig nicht! Derzeit kann man‘s ja wieder laufend in der Zeitung lesen, dass sie da eingebrochen haben oder dort. Und bei uns ja auch! Beim Professor Wuiser zum Beispiel waren schon mehrfach die Einbrecher drin. Letztes Mal auch wieder! In seine Zwölfquadratmeterwohnung, im sechsten Stock oben! Und haben – natürlich – schon wieder nichts Brauchbares gefunden. Nicht einmal im Kühlschrank! Da haben sie den halt einfach ausgestreckt und durch‘s Stiegenhaus runter. Das restliche Zeug haben sie ihm drin gelassen. Weil die Sperrmüllabfuhr sind sie halt auch wieder nicht, hat einer von ihnen noch gesagt. Haben sonst nichts brauchen können. Haben den Kühlschrank dann auf einen alten Peugeot rauf und sind davon. Die waren ganz schön fertig von der Schlepperei. Der eine hat zum anderen Einbrecher sogar noch gesagt, dass er glaubt, dass er sich dabei einen Bruch gehoben hat. Warum ich das nicht gemeldet hab? Ja, denken Sie vielleicht, ich interessiere mich für so was? Außerdem haben sie bei der Frau Nolpinger im Parterre auch noch geläutet, bevor sie wieder weg sind. Haben sogar mit ihr geredet und gesagt: „Also, wir waren ja schon in vielen Wohnungen! Aber das bei dem Professor Wuiser da oben schlägt doch glatt dem Fass den Boden aus! Ihr solltet einmal für den sammeln gehen! Auf Wiederschaun!“ Also, echt! Da könnt die Frau Nolpinger doch auch mal ein Wörtechn sagen, oder? Mich zumindest geht das nichts an. Mich geht überhaupt gar nichts was an! Oder wollen Sie, dass man mir nachsagt, ich spionier? Der Herr Wuiser hat doch eh nichts in dem Kühlschrank drin gehabt. Bis auf eine abgelaufene Packung Milch, eine H-Vollmilch. Und die war noch von 2011.“

Margret Bernreuther: Die 69.-€-Platte

„Du hast gerade 69€ für eine Platte ausgegeben? Also, nicht mal eine Platte, sondern eine Single, weil es geht ja nur um dieses eine Lied? Ich dachte, du musst ein bisschen auf dein Geld aufpassen? Wegen Corona, ich mein harte Zeiten. Was ist denn mit dem Lied? Spiel mal vor! Ja schick mir den Link! Also, ich weiß ja nicht, das ist jetzt finde ich kein Wocheneinkauf wert. Also. Da würde ich den Kindern doch vielleicht das nächste Mal lieber sowas wie neue Sandalen kaufen. Ich mein, der Sommer hat ja gerade erst angefangen. Und deine Stereoanlage ist doch eh voll im Arsch. Du kannst also noch nicht mal ordentlich aufdrehen daheim. Ja, schön wenn deine Nachbarn da nicht so traurig drüber sind. Ich kapier einfach nicht warum du das Lied nicht einfach streamst, du hast mir doch den Link geschickt. Also für mich ist das raus geschmissenes Geld. Ich würde das Ding zurückschicken. Ja sag mal, wie sieht das denn schon wieder aus. Du hast die noch keine 24 Stunden und dann sieht die Platte so aus. Also Mint kannst du knicken. Die wirst du noch nicht mal mehr als very good los. Warum willst du sie denn überhaupt nicht zurück schicken? Ja erzähl mal von deinem Plan. Deswegen hast du die Platte gekauft? Kann ich dir gleich sagen, klappt nicht. Das hat doch noch nie geklappt. Ich mein wäre ja was anderes, wenn du dir das Lied selber drauf schaffst und es auf der Bühne oder unter seinem Fenster performest. Das wäre ein Zeichen, aber so. Wie soll der das denn schnallen. Und dass du ihn meinst.
Du hast jetzt 69 Euro ausgegeben, weil du dir ernsthaft ausmalst das du bei der nächsten Gelegenheit das Lied auf den Plattenteller legst und wie durch Zauberhand weis der sofort ALLES?
Meine Güte bist du bescheuert. Und was machst du, wenn er nicht kommt? Immer einpacken?
Und dann weiß ich schon wie das Ding in ein paar Wochen aussieht. Wieso passt du denn eigentlich nicht besser auf deine Platten auf. Hier zum Beispiel, sowas ist echt traurig zu sehen.
Aber viel trauriger ist, das du immer denkst, dass es irgendjemanden interessiert.
Ja, sorry, das war jetzt hart. Aber du musst echt an dir arbeiten. Also wirklich an allem. Du kannst doch so nicht weiter machen. Machst du denn auch mal was für dich? Also, mal Yoga oder ein ausgiebiges Bad. Stimmt schon, Musik hören ist schon was für dich selber, aber nicht, wenn du die ganze Zeit drüber nachdenkst wie du andere damit beeindrucken kannst. Dann ist das ja wohl weniger, was du für dich machst. Wenn du Lieder für andere aussuchst.
Hast du halt nicht gelernt. Mal bei dir zu bleiben. Ich mach dir keinen Vorwurf. Ich sag nur, das ist mal, was du angehen solltest.“. 

Michael Schmidt: Wuiser und das Sammeln

„Wer Sachen sammelt, hat es in der Pandemie leichter gehabt. Meine Nachbarin zum Beispiel sammelt alte Bügeleisen. Ja, alte Bügeleisen! Die hat sie über die ganzen Jahre zusammengetragen und während dem Lockdown, da… ja, da hat sie… Naja, da wird sie sich den ganzen Haufen halt angeschaut haben. Da hat sie was zum Anschauen gehabt mit ihren Bügeleisen da. Zumindest ist ihr nicht langweilig geworden, während dem Lockdown, hat sie gesagt, weil sie ihre Bügeleisen hat. Und der Cousin von meinem Mann, der sammelt auch. Der sammelt alte Unterlagen über Baustellen von der Bahn. Damit er am Ende von seinem Leben der Bahn mal vorlegen kann, wo seine Lebtag lang all ihre Züge stecken geblieben sind, sagt er. Aber das spricht schon zwei andere Sachen an vom Sammeln: Erstens kann man davon fanatisch werden. Und dann noch die Geschichte mit dem Platz. Wo tut man die ganzen Dinge bloß hin? Ein Kollege von mir zum Beispiel. Bei dem waren wir einmal spontan in seiner Wohnung, weil wir ihn zum Geburtstag haben überraschen wollen. Und wie wir mit der Überraschung so reinkommen, tja, da waren wir selber ganz überrascht. Als wenn eine Bombe eingeschlagen hätt dort! Alles voll mit Bücher vollgestopft! Bis unter die Decke! Da muss sich schon der Boden durchgebogen haben in dem unten seine Bude rein. Und zwischen den Bergen von den Büchern hat er sich grad ein, zwei Weglein freigeschaufelt gehabt. Und wie wir mit der Überraschung zu ihm reintun, sitzt er ganz hinten in der Ecke – da hat er grad noch ein Tischlein eingezwickt gehabt – sitzt er ganz, ganz hinten in der Ecke unter einer Funzel und im Unterhemd und schneidet sich ein Brot runter, weil er ansonsten nichts mehr zum Beißen und zum Anziehen gehabt hat! Freilich, einen Anzug für die Arbeit hat er schon noch gehabt. Darum wären wir auch sonst nie draufgekommen, dass er so arm und so fanatisch ist und privat nichts anderes kennt wie das Sammeln von seinen Büchern da. Herrgott, was die Leut nicht alles sammeln! Der Professor Wuiser bei uns im Haus ja auch. Und der hat auch gesagt, dass ihm seine Sammlung die Pandemie erleichtert hat. Bloß WAS der sammelt, das weiß bis heute noch kein Mensch. Nur, dass er sich für seine Sammlung ein zweites Kellerabteil bei uns zugelegt hat. An der ersten Tür hat er ja ein Schild mit der Aufschrift „Geheimarchiv Wuiser – Professor und Akademiker in Rente“ hängen. Aber drin ist da nix. So viel wissen wir. Weiß das ganze Haus bei uns. Das ist nur eine Attrappe für die Einbrecher, und das weiß auch ein jeder. Nein, die eigentliche Sammlung vom Herrn Wuiser ist ja in seinem zweiten Kellerabteil drin. Und das muss riesig sein! Aber da hängt eben ein anderes Schild, mit der Aufschrift „Vorsicht Starkstrom“. Und dass das keine Attrappe ist, haben wir da gemerkt, wie es letztings bei uns wieder einen Einbrecher gegrillt hat. Schon den zweiten diesen Monat. Hat gar nicht schön ausgeschaut, das Ganze! Aber probieren tun sie’s halt allweil wieder, obwohl ich ihnen sogar einen Zettel ins Stiegenhaus gehängt hab: „Von Einbruch ist dringend abzusehen!“ Hilft aber nichts. Darum hat der Professor Wuiser auch den Starkstrom nochmal um eins hochgedreht. Sicherheitshalber halt. Aber mit seiner Sammlung, sagt er, ist er gut über die Pandemie gekommen. Was? Die Einbrecher? Ja, die nicht. Kann ich mir nicht vorstellen. Auf gar keinen Fall, bei der Rauchwolke. Und bei dem Gestank! Das hat bis zu uns in die Wohnung rauf gestunken. Sagen wir allweil noch zu unserem Enkel: Pass auf, wenn’s so derb stinkt, dann hat’s grad vom Professor Wuiser einen Einbrecher erwischt. Da brauchst dir nichts groß dabei denken.“

Margit Heumann – Grünes Freud und Leid

Mit dem Umzug aufs Land hatte ich plötzlich einen Garten, der bisher von der Mitbewohnerin akkurat bebaut worden war. Sie war froh, nur noch die Hälfte zu haben, und ich freute mich darauf, ökologisch wertvolles Gemüse und ein paar Blumen selbst zu züchten.

Im März konnte ich es kaum erwarten, mit dem Pflanzen zu beginnen. Ich teilte die Beete ein, ziemlich provisorisch, aber darauf kam es nicht an, dann zog ich eine Furche mit dem Hackenstiel und säte oder pflanzte in diese Rinne. Als ich fertig war, betrachtete ich zufrieden mein Werk. Keine Frage, alles war wohl gelungen. Nur im Vergleich mit Frau Langs Hälfte sah es ziemlich laienhaft aus. Ihre Beete waren genau rechtwinkelig, die Setzlinge in einer schnurgeraden Reihe mit genau gleichem Abstand. Später fand ich heraus, wie sie das machte: Sie hatte einen Meterstab für die Anlage dabei, sie spannte Schnüre für gerade Rinnen, sie hatte ein Stöckchen als Abstandsmaß zwischen den Pflanzen. Damit konnte ich nicht konkurrieren.

Mit dem Frühling begann auch die Saison in meinem Reitbetrieb. Zäune waren zu reparieren, Stuten kamen zum Decken, die Reitschüler wollten Unterricht und die Berittpferde Ausbildung. Der Garten geriet ins Hintertreffen. Oft saß ich bis spät abends auf dem Pferd, vergaß das Gießen oder hatte einfach keine Lust mehr. Zum Ausgleich stand ich dann mal wieder eine halbe Stunde mit dem Gartenschlauch da und ertränkte alles. Zum Jäten kam ich nur alle heiligen Zeiten, und wenn noch ein mehrtägiges Turnier oder eine Reitwoche auswärts dazu kam, schoss das Unkraut in die Höhe, dass es über den Nutzpflanzen zusammenschlug. Der Unterschied zu Frau Langs Hälfte wurde noch offensichtlicher: Bei ihr wurde kein Unkräutchen höher als zwei Zentimeter, bei ihr wurde zur richtigen Tageszeit und ganz gezielt mit der Gießkanne jedes einzelne Pflänzchen befeuchtet. Der Anblick ihres gepflegten Gartens deprimierte mich schrecklich.

Manche Pflanzen waren so robust, dass sie meine Pflegeattacken ziemlich unbeschadet überstanden. Die Zeit der Ernte kam. Über Wochen ernährten wir uns von verlaustem Salat, wurmigen Radieschen und winzigen Erdbeeren. Erntezeit schien nicht kompatibel mit Reitbetrieb, die Bohnen waren reif, als ich das Vereinsturnier vorbereitete, die Tomaten während einer dreiwöchigen Fortbildung, und ehe ich es bemerkte, war der Blumenkohl von Raupen zerfressen. Frau Lang dagegen ging jeden zweiten Tag ihr Gemüse durch und erntete die reifen Früchte, und der Blumenkohl wurde mit großen Blättern abgedeckt, sobald die ersten Kohlweißlinge auftauchten.

Ich war richtig erleichtert, als ich im Herbst den Garten leer räumen konnte. Nächstes Jahr, das nahm ich mir fest vor, sollte es anders laufen. Tat es natürlich nicht, und nach ein paar erfolglosen Versuchsreihen stellte ich den Gemüseanbau ganz ein und säte Grassamen aus. Ein Rasen war pflegeleichter, vor allem deswegen, weil ich meinem Mann das Mähen aufs Auge drücken konnte.

Zeha Schmidtke – Unkenrufe

Nachts in der Gartenkolonie. Grillen zirpen. Ein paar wirklich laute Unken dominieren die Stimmung. Ein später Spaziergänger wird auf seinem Gang durch die Gemeinde von einem Nachbarn angesprochen.

nachbar

Nabend.

spaziergänger

Guten Abend.

nachbar

Na? Können Sie auch nicht schlafen bei dem Lärm, ne? Wissen Sie, was das ist? Wissen Sie, was das ist? Das ist vom Nachbarn hier.

spaziergänger

Ach.

nachbar

Ich sag immer: Gartenteich ist ne schöne Sache. Gartenteich haben wir alle. Aber das reicht dem Nachbarn ja nicht, er muß ja immer ne Extrawurst haben. „Gartenteich haben sie alle“, hat er sich wahrscheinlich gedacht: „Ich brauch was spezielles.“ Manche ticken ja so.

spaziergänger

Ja, ja.

nachbar

Er brauchte was Exklusives. Diese fetten Frösche. Aus dem Import. Solche Kawenzmänner sind das! Und das geht jetzt hier die ganze Nacht.

spaziergänger

Ach, so.

nachbar

Tun Sie mir doch mal einen Gefallen. Ich hab bisschen Probleme mit den Gelenken. Können Sie mal hier…einmal hier kurz drücken.

spaziergänger

Hier?

nachbar

Ja, ja.

Der Spaziergänger drückt auf den Knopf. Eine Explosion zerreißt die Nacht. Die Unken unken nicht mehr.

Der Nachbar lacht sich kaputt.

nachbar

Da fliegen sie! Die fetten Frösche!

Der Froschgarten brennt. Ein paar Planken fallen zu Boden.

nachbar

Jetzt sind sie ruhig. Die haben Sie wirklich sauber ruhig gekriegt.

Aus der Ferne: herannahende Sirenen: Polizei und Feuerwehr.

spaziergänger

Wieso ich?

nachbar

Ich muss dann mal los. Ihnen alles Gute!

Die Sirenen kommen näher.

Ende.

Zeha Schmidtke: Es kommt ein Wetter

Achtung, Achtung. Hier ist das Letzte Deutsche Fernsehen mit einer aktuellen Wetterwarnung.

In großen Regionen des sozialen Miteinanders kommt es in Bälde zu extremen Verwirbelungen und höchst ungemütlichen Turbulenzen. Besonders betroffen sind Menschen ohne Rettungsschirm und Systemrelevanz. Die Nichtoptimierten und Unverwertbaren. Ihr irrlichternde Geister, Ihr Schlendriane, Du spielender Mensch: Ihr müsst vermehrt mit Niederschlägen rechnen.

Denn, ja, Lockdown. Ja, Krise, Du weißt ja selber, was das heißt: Krise heißt immer Krisengewinnler. Ihre Karawane zieht weiter, es muss ja voran gehen. Nun sind sie schon so weit weg, die Gewinnler, dass sie unsere Rufe gar nicht mehr hören könnten, selbst wenn sie wollten.

Und zu den Verlorenen spricht die Stimme, die noch jede Krise schadlos übersteht: Die Stimme der Abwicklung und Verwaltung. „Jetzt erst mal keine Sperenzien mehr“, spricht sie, als ob ihre Sprechenden jemals auch nur eine Sperenzie selbst erdacht hätten. „Verrücktheiten schön und gut. Ich trage privat durchaus mal einen frechen Hut. Aber dann muss auch gut sein.“

Und nun verwaltet und wickelt sie ab, so die Agentur für Arbeit: Transitionskurse für alle freien Kunstschaffenden. Umschulungen. Oboisten zu Lageristen. Deine Poesie ist erfolglos? Der Lieferdienst mit den grellbunten Taschen ist es nicht. Denn merke: Der gestalterische Geist gilt uns in unseren schmalen Breitengraden als nettes Hobby. Mit Stolz hingegen erfüllt uns unser Billiglohnsektor. Warum stirbt die SPD…eigentlich so langsam? Zu Staub sollt Ihr werden, weil Ihr es Euch verdient habt. Aus Eurem Kadaver soll wahrhaft links ein neues Blümelein sprießen, und zur linken Volkspartei soll es erblühen, Hallojulia und Hosihanna. Und nicht Annalena, ihre Partei war auch dabei. Trau, schau wem.

Und besondere Obacht, spielender Mensch. Schutz vor dem rauen Winde findest Du nimmermehr, wie noch ehemals gedacht, auf den Inseln und in den stehenden Festen der Kunst und Kultur. Denn auch dort haben die Eingesessenen und Gutgeförderten die Wetterfähnchen nach dem Wind gerichtet und sich auf ihre Fahnen die Steuerbescheide der letzten Jahre geschrieben: „Bewertet unser Malen nach Zahlen. Wir sind doch auch systemrelevant.“ Wohl wissend, dass sie damit gleichermaßen zum Ausdruck bringen: „Es gibt also Menschen, die systemirrelevant sind, denn sonst müssten wir das ja nicht betonen.“

Nu, ja. Wenn ich dort einen Sitz besäße, würde ich mich womöglich auch so sehr an seine Lehne klammern. Gleichwohl: Wenn es uns zur Kultur geworden ist, dieRelevanz der Menschen in Ja und Nein zu scheiden, dann werden wir wohl erst einmal kulturlos leben müssen, um zur Kunst zurückzufinden. Oh ja, da zieht etwas auf.

Nun machte Kunst aber schon immer Arbeit, bevor sie schön wird. Und dies ist immerhin ein Klimawandel, auf dem wir Einfluß haben. Also, Ihr spielenden Menschen aller Couleur und jedweder Geschlechter! Du prachtvoller Homo Ludens dieser und jeder Welt! Ihr, meine Liebsten! Salben wir uns mit Zuversicht. Lasst uns zärtlich zueinander sein. Auf unser Wohl in großen Schlucken.

Der kommende Sturm geht gegen uns. Doch wie es immer und bei jedem Wetter ist: Es dauert nur ein Weilchen. Und am Ende noch des weltenzerbrechendsten Wolkenbruchs wartet ein Regenbogen. Wir werden sehen. Wenn wir uns vorher nicht vom Blitz erschlagen lassen.

Arne Zank: Die Vögel fliegen hoch

Teil 1: Bank

Teil 2: Krabben

Teil 3: Dr. Zank

Teil 4: Geld

Teil 5: Schnell essen

Teil 6: Dr. Zank II


Hörspielskript, Regie, Schnitt: Lukas Münich
Mastering: Bernd Pflaum

Sprecher*innen:
Vogel 1: Timo Möller
Vogel 2: Luca Rihm
Cousinvogel/Polizistvogel: Bird Berlin
Kapitän/Wirtin/Polizei/Arzt: Philipp Kause
Krabbenlehrling Nils/Bankbeamter: Roman Bahr
Dr. Arne Zank: Anders Möhl


Zeha Schmidtke: Wildnis

Ein milder Dienstagnachmittag. Auf der schmalen Straße vor dem berankten Ziergartenzaun pickt eine Elster an etwas frisch Überfahrenem.

Hinter dem Zaun ist der Kinderspielplatz heute kaum besucht. Zwei Eltern schaukeln ihr korpulentes Kind mit gemeinsamer Kraft. Eine weitere Mutter hat sich auf die Holzumrandung des Sandkastens gesetzt und beobachtet glücklich seinen Säugling, der im Sand liegt und mit den Ärmchen rudert. 

Zu ihr setzt sich ein drahtiger Fremder und beginnt mit leiser Stimme grußlos dieses Gespräch.  

– Ist das da Ihrer? 

– (zustimmend) Das ist Paul.

– Der kann ja gar nix.

– Wie bitte?

– Liegt im Sand und kann kaum den Kopf oben halten. Erbärmlich.

– Hallo? Er ist gerade mal fünf Monate alt!

– In der Wildnis wär er keine drei Tage alt geworden. 

– Aber sonst geht es Ihnen gut, ja? 

– Sie sollten sich lieber fragen, ob das gut ist, was Sie da tun. Sie erziehen Ihr Kind zu einer Beute!

– Ich pass schon auf, keine Sorge.

– Das Giraffenjunge wird bereits wenige Minuten nach seiner Geburt von seiner Mutter zum Laufen gezwungen. 

– Das kann man doch nicht vergleichen!

– Warum? Sind Sie dümmer als eine Giraffe?

– Werden Sie mal nicht pampig. Es reicht langsam!

– Sehen Sie sich die schwächliche Frucht Ihrer Lenden doch an! Wenn sich ein Raubtier mit offenem Rachen auf ihn stürzen würde, dann könnte er nicht einmal den Kopf heben, um seinen Henker zu betrachten!

– Wissen Sie: Raubtiere sind auf Kinderspielplätzen dann doch eher selten.

– Wie lang will Ihr Kind noch warten? Die Welt wartet nicht auf Ihr Kind! 

– Und Sie sind schon als Löwenbändiger auf die Welt gekommen, oder was?

– Ich war mal genau so wie Ihr kleiner Schwächling da. Aber widrige Umstände haben mich früh auf eigenen Beinen stehen lassen. 

– Tja. Wir haben halt alle unser Schicksal…

– Die Eltern von einem Lastwagen gerissen. Ich musste mich schnell allein behaupten. 

– Das ist traurig. Aber Paul ist trotzdem noch ein Baby! Wenn er in Ihrem Alter ist, dann wird er auch für sich sorgen können.

– So schnell soll aus diesem hilflosen Wurm ein überlebensfähiger Krieger werden? Sind Sie sich da sicher?

– Natürlich bin ich mir da sicher.

– Was glauben Sie: Wie alt bin ich?

– Ist mir doch egal. Mitte, Ende Dreißig. Die Ecke.

– Ich bin auf den Tag genau sieben Jahre und drei Wochen alt.

– Was?

– Ich sagte doch, dass mich die Umstände früh auf eigenen Beinen haben stehen lassen.

– Quatsch.

– Hier mein Geburtsarmbändchen mit dem Datum. Das Einzige, was mir blieb. Wenn Sie Ihrem Sohn einen Gefallen tun wollen, dann stehen Sie jetzt auf und lassen ihn hier zurück. Sonst lernt er es nie.

– Das ist doch gefälscht…

– Sehen Sie! Er isst Sand! Er beginnt bereits, für sich selber zu sorgen! Sie sind es, die ihn bremsen. Gehen Sie! GEHEN SIE!