Als ich mit dem Blick flüchtig von meinem Rad auf den Boden traf,
entdeckte ich verzückt ein einsames gepinseltes Herz. Unter seiner
blutroten Schicht schimmerte tiefer, klebschwarzer Teer. Wohl ein
kreativer Geist zauberte dieses unerwartete Liebessymbol auf die
trostlosen schmutzigen Teerflecken. Von Kopf wie Fuß auswärts,
strichen noch Tropfen des damals heißen Teeres auf einem kurzen
Weg. Blutrote wie tiefschwarze Fahrradspuren verliefen
geradedurch Richtung Nord und Süd – von frischer Farbe.
Plötzlich fiel mir die Ordnung in unserem Herzen ein.
Frische Verletzungen im Herzen. Aber auch frische Liebesfreuden
senkrecht durchs Herz. Verteilt in unserem Körper, Geist wie Seele.
Diese Spuren bescheren uns Unordnung, alles ist
durcheinandergewirbelt, sobald das Herz liebt oder schmerzt. Doch
manchmal braucht es diese Wirbel um wieder eine Grundordnung zu
bekommen.
Wie sagt man doch so schön: „Du hast in meinem Herzen Spuren
hinterlassen.“
Nun liegt es an dir selbst, was macht man mit diesem Durcheinander?
Ignorieren oder daraus Lernen, Genießen und dankbar Sein?
Letztendlich bestimmt es jeder für sich selbst. Sobald du diese
frischen Spuren im Herzen spürst, lebst du. Es ist so gesehen das
sicherste Zeichen, dass du am Leben bist. (Wenn man den Herzschlag
und die Atmung ausklammert.) Jeder nimmt diese (Un-) Ordnung auf
eigene subtile Weise wahr. Es ist ein Geschenk des Universums an
das Leben. Auch wenn es sehr scharf stechen wie tief schmerzen
kann – es hört irgendwann auf wehzutun. Alles geht vorbei.
Es ordnet sich im Leben alles zu seiner Zeit. Den Zeitpunkt
bestimmen dabei nicht wir. Doch können wir es uns so erträglich wie
möglich gestalten. Wir verbringen zum Beispiel jeden Tag Zeit damit,
Ordnung in unser Haar zu bringen.
Nur wie sieht es mit unserem Herzen aus?
In diesem Moment begebe ich mich als „stiller Beobachter“ an die
Spitze des zerfahrenen Herzens. Demütig betrachtend. Es ist so
wichtig, langfristig darin Ordnung zu haben, um ganz einfach
„glücklich“ zu sein. Es bestimmt, wie du dich fühlst und somit wie du
lebst. Wie du liebst. Ob du lachst? Wie achtsam sind wir mit dem
Gleichgewicht zwischen Unordnung und Ordnung in unserer
Gefühlshochburg? Deine innere Harmonie ist aufgeräumt, wenn du im
wahrsten Sinne des Wortes mit deinem Herzschlag lebst und liebst.
Ein hilfreicher praktischer Kompass ist nur dein Eigenes ebenso wie
einmalig. Jederzeit verfügbar und immer ehrlich.
Es ist dein Bauchgefühl, deine Intuition. Gleich ob du dich
entscheiden willst, wer für dich gut ist oder wer dir eher schadet
und Energie raubt. Dein Bauchgefühl ist dein Geschenk seit deiner
Geburt und solange du lebst. Nutze es, niemals wird es dich verraten.
Das Leben ist ein Geschenk mit all seinen Facetten. Seien es
Teerspitzenflecken, rundrote Liebesreifenspuren oder tiefgraue
Gefühlsabdrücke. Alles hat seinen Sinn in der Ordnung wie
Unordnung. Wir nehmen – wohl auch ziehen wir – mit unserem Herzen
an, wie ein Magnet. Schließlich setzt der Bauch ein. Du kommst ins
Handeln und hörst auf dich selbst. Dann wird alles gut und wenn es
noch nicht gut ist, bist du noch nicht an deinem Ankerplatz im Hafen
deines Lebens angekommen.
Kategorie: Monolog
Lea Schlenker: Der Bär
Wäre ich lieber
alleine eine Nacht
in einem Wald
mit einem Bären
oder einem Mann?
Aus einem seltsamen Grund
denke ich Sachen wie
einem Bär könnte ich vielleicht noch ausweichen
oder ihn irgendwie besänftigen
ich könnte mich totstellen
oder versuchen
laut zu sprechen und ihn somit einzuschüchtern
Ich denke an Bärenfallen
und Honigfässer
an Winnie Poos Freunde und
dass sie mehr Angst von mir als ich von ihnen hätte
Und dass ich so laut über seine Witze lachen dürfte
wie ich will
ohne dass er sich gleich in mich verliebt
Wäre ich lieber
auf einer einsamen Insel
mit Paddington oder einem Incel
einem gefrässigen Faulpelz oder einem schmierigen Pinsel
Wieso wird mir diese Frage überhaupt gestellt?
Es ist vielleicht weil ich nach einer Lesung
jeweils fleischfressende Pflanzen per Post erhalte
Weil ich die fetten Fische eigenhändig aus dem Meer fische
Oder es ist, weil ich mich manchmal fragen muss ob ich übertreibe
mich dann auf der Toilette verstecke
und ein Bär in meinem Büro
wenigstens irgendwie niedlich wäre
Wäre ich lieber eine Partygängerin
Mit einem Teddybären oder einem Pfefferspray
in der Handtasche?
Wäre ich lieber eine Arbeitnehmerin
Mit Werdegang oder einem Gang zum HR?
Ich denke an Bärenfallen und Honigfässer
Weil sie mir die Illusion von Kontrolle geben
Denn jeder weiss
Dass Bären nicht angreifen
Es sei denn man provoziert sie
Ich Männer gleichzeitig liebe und hasse
und ich nach einem Bärenangriff
niemandem erklären müsste
wieso mein Rock so kurz war
Matt S. Bakausky: Megastar
Jeder kennt mich, ich kenne niemanden. Man nennt mich den nächsten Michael Jackson. Ich bin ein Megastar. Überall wo ich hinkomme schreien die Frauen und fallen in Ohnmacht. Aber ich bin sehr schüchtern und bin am Boden geblieben. Manchmal habe ich sogar das Hochstaplersymptom. Dann glaube ich für vier bis fünf Stunden, dass ich ein Niemand bin und nichts zu bieten habe. Ich fühle mich auch oft sehr einsam, gerade unter Menschen, dann ziehe ich mich zurück für ein paar Wochen nach Altenried. In Altenried kennt mich niemand als Megastar und ich kenne jeden. Es ist meine Familie, mein Dorf. Meine Heimat. Die kennen mich noch von früher. Die kennen mich noch als kleiner Hosenscheißer, der für fünf Pfennig Süßigkeiten bei Bäcker Rudi kauft. Da kann ich sein, muss nicht Autogramme schreiben oder Selfies schießen. Alles ist gut. Vor kurzem habe ich mit dem Rauchen aufgehört. Seitdem muss ich öfters husten, als würde sich etwas in mir lösen und ich bin sehr sensibel geworden, als hätte ich eine dünne Haut. Die Gefühle der unerwiderten Liebe und Einsamkeit sind seitdem präsent. Nie hat mich eine Frau wirklich geliebt. Sie lieben nur die Idee mit BIG BAKAUSKY zusammen zu sein, sie genießen die Aufmerksamkeit die das an meiner Seite stehen ihnen gibt. Aber Intimität existiert nicht. Rein-/Raus-Spiel klar, doch da ist keine Liebe. Das macht mich zutiefst traurig und dann kehre ich zurück mit einem alten VW Käfer nach Altenried. Dort begrüßen mich die Menschen als Matze. Matze ist immer noch der kleine Junge von vor 30 Jahren. Matze kann geliebt werden für sich. Wenn ich eines Tages heiraten werde, dann ein Mädchen aus Altenried. Im Haus meiner Eltern mit Garten werde ich die Kinder groß ziehen. Fernab von der falschen großen Jetsetter-Welt. Abgeschirmt von den Fanscharen. Aber jetzt sitze ich erstmal in der Bäckerei von Rudi und trinke einen einfachen Kaffee, mit viel Liebe zubereitet von Rudis Tochter Anneliese. Sie kennt mich schon seit ich mit fünf in den Kindergarten kam. Ich liebe sie, bin jedoch zu schüchtern, sie auf eine Verabredung einzuladen. Habe Angst sie zu verlieren, die Idylle zu zerstören. Da wo mich jeder als Matze kennt, da habe ich eine meganice Zeit und da will ich für immer sein.
Katrin Rauch: Beichte
Ich letztens so: Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
und der Pfarrer so: Gott, der unser Herz erleuchtet, schenke dir wahre Erkenntnis deiner Sünden und seiner Barmherzigkeit. Amen.
und ich so: Ich bin nicht ganz so sicher, ob ich das richtig mache. Meine letzte Beichte ist schon ein bisschen aus… Aber ich glaube, man sagt sowas wie: Ich bekenne vor Gott, dass ich folgende Sünden begangen habe:
Ich habe mal bei einer Senftube in der Mitte draufgedrückt statt hinten. Ich habe mit der Knopfleiste der Decke beim Gesicht geschlafen. Ich habe einmal eine Tasse auf der unteren Ebene des Geschirrspülers einsortiert. Ich habe meine Unterhosen nicht gebügelt und den Bettbezug auch nicht und die Geschirrtücher. Ich habe erst nach dem Staubsaugen staubgewischt und meine Bücher nicht sortiert, nicht mal nach Farbe. Ich habe mehrere Tage in Folge komplett im Sitzen gearbeitet, obwohl mein Schreibtisch höhenverstellbar ist und hab Feierabend gemacht, bevor ich alle E-Mails beantwortet habe. Ich habe letztens beim Auflegen am Telefon auf WiederSEHEN gesagt, jemandem die Hand hingestreckt, während die andere Person zur Umarmung angesetzt hatte, jemanden nochmal nach dem Namen gefragt, obwohl die Person ihn mir schon genannt hatte. Ich habe auf den Geburtstag meiner Oma vergessen UND auf den des Hamsters meiner Cousine. Ich kann mir überhaupt ganz schlecht Geburtstage merken.
Ich habe länger als drei Minuten mit warmem Wasser geduscht und das Wasser beim Haare einseifen einfach laufen gelassen. Beim Geschirrspülen hab ich das Wasser einfach laufen lassen. Beim Händewaschen hab ich das Wasser einfach laufen lassen. Ich habe unlängst etwas in Plastik Eingeschweißtes gekauft, obwohl es das im Unverpacktladen auch gegeben hätte und hab vergessen, dass es nicht meine alleinige Verantwortung ist, das Klima zu retten. „Jeder Einkaufszettel ist auch ein Stimmzettel.“ Ich hab‘s letzten Samstag schon wieder nicht auf den Bauernmarkt geschafft und kann mir dort den Käse nicht mehr leisten.
Ich gebe mehr als 50% meines Einkommens für meinen Wohnraum aus. Ich bin finanziell vom Staat abhängig. Von meinem Einkommen geht keine Steuer ab, weil es zu wenig ist. Ich kann meine Kinder nicht auf die Sprachreise schicken, auf die die ganze Klasse fährt, und zum Abendessen gibt es s-Budget Steinofen Weckerln zum Fertigbacken und Wasser. Ab und zu gönnen wir uns einen Burger vom Mäci um 1,40. Ich habe einfach keine Zeit, frisch zu kochen.
Ich bin der ganze Twitter-Tread: „What’s considered trashy if you’re poor, but classy if you’re rich?“, die Kinder von jemandem anders großziehen lassen, ein richtig altes Auto fahren, tagsüber saufen, Junkfood essen, keinen Job haben, den Wohnort wechseln, weil woanders die Lebensbedingungen besser sind und die Antwort: „Im Grunde alles.“ Ein Kind sein, alt sein, ein Mann sein, eine Frau sein, keins von beiden.
Ich habe noch nie ein Schild gebastelt, auf dem ein lustiger Demospruch steht, wie zum Beispiel: „Nazis essen heimlich Döner!“, oder „Remigriert euch ins Knie!“, oder „Kein Sex für Nazis!“, oder „Mehr Geschichtsunterricht für Nazis!“, oder „Lebe stets so, dass die FPÖ etwas dagegen hat.“ oder „Ich bin so wütend, ich hab sogar ein Schild gebastelt!“. Ich war zu wenig wütend, um ein lustiges Schild zu basteln. Alter, ich war zu wenig wütend, um überhaupt ein Schild zu basteln. Ich fühle mich offenbar zu wenig betroffen von der Aushöhlung des Sozialstaats, von der klaffenden Vermögensverteilung, von der neoliberalen Leistungslüge, von Heterosexismus und Patriarchat, von Hate Speech und Hetze. Ich bin nicht betroffen von Armut oder rassistischen Deportationsfantasien, aber damit ich mir nicht ganz so privilegiert vorkommen muss, habe ich letztens nachgerechnet, ob ich zur Mittelschicht gehöre und war zufrieden, als untere Mittelschicht das Ergebnis war.
Ach ja, und fast vergessen: Ich bin aus der Kirche ausgetreten.
Das sind meine Sünden. Es tut mir von Herzen leid, dass ich Gott beleidigt habe, i guess…
und der Pfarrer so: Im Namen Jesu: Ich spreche dich los von deinen Sünden im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Jetzt kannst du in Frieden gehen. Amen.
blumenleere: gehenna
denken wir uns doch mal rein, ins alte rom, oder vielleicht besser gleich gen antikes athen …? egal; gewiss duerfte zumindest sein, saemtliche moralischen vorstellungen von richtig & falsch waren damals noch nicht von christlicher scheinheiligkeit verseucht – das heiszt, es gab dementsprechend kein derartig konnotiertes suendenkonzept. & ja, sicherlich, es existierten wohl mehr bis minder konkrete vorstellungen davon, was als extrem verwerflich & damit – indes, wahrscheinlich teilweise eher personenbezogen – geahndet werden musste, allerdings fernab teuflischer versuchungen, unheilbar boeser seelen & des ansatzes, menschen via solch perverse methoden selbst in ihren eigenen waenden & sogar ihren traeumen zu verklaven zu suchen …
& heute? uns vermeintlich aufgeklaerte packt manchmal nach wie vor die furcht, wenn wir laut der kriterien eines widerwillig erfahrenen religionsunterrichts, des demselben zugrundeliegenden idiotischen dogmas & seiner unsere familien infiltrierenden hinterhaeltigen tentakel zu unkeusche gedanken hegen, waehrend wir die sexuellen uebergriffe ihre machtpositionen rigoros ausnutzender priesterhorden zwar murrend, doch hinnehmend, dass taeter maximal versetzt werden, einigermaszen devot akzeptieren, anstatt endlich – die eskapaden der wurzeln des black metal dahingehend formschoen imitierend – alle kirchen & sonstigen insbesondere katholischen unterdrueckungspalaeste endgueltig & irreversibel niederzubrennen & ergo zu eliminieren.
Matt S. Bakausky: Der Müllfluencer
Er postet ein Foto von sich und einem Glas voller Zigarettenstummel. Jemand fragt, ob er die alle geraucht hat. Nein, hat er nicht, er sammelte sie ein auf der Straße. Wahrscheinlich möchte er darauf hinweisen, dass man Müll – und Kippen sind Müll – nicht einfach auf die Straße wirft. Denn sie verpesten das Grundwasser – bis zu 40 Liter.
Das Foto wird zum Hit auf Twitter, ehemals X und auch auf YouTube kommen Videos, in denen der Müllfluencer Müll einsammelt, gut an. Vielleicht achtet nur ein Mensch mehr darauf, was er mit dem Müll macht, lässt sich influencen, dann wäre doch schon etwas geschafft. Ich zum Beispiel habe jetzt immer einen Taschenaschenbecher dabei und werfe die Kippenstummel da rein. Das habe ich vom Müllfluencer gelernt. Früher schmiss ich sie auf die Straße, wenn kein Aschenbecher oder Mülleimer in der Nähe war. Jetzt nicht mehr. Aber alte Elektrogeräte schmeiße ich immer noch in die Pegnitz. Das schadet ja keinem. Der Müllfluencer erzählt, dass er keine Spritzen mehr einsammeln darf, obwohl er es vorsichtig gemacht hatte. Seine Freundin war damit nicht einverstanden. Aber er häkelt aus alten Toastpackungen eine Decke. Die unendliche Toastpackungendecke oder so. So gut kenne ich den Müllfluencer auch wieder nicht. Das Thema war doch Trash, oder? Und ja, das ist mir dazu eingefallen – weil Müll heißt ja Trash auf Englisch. Cool, oder?
Christian Knieps: Für was Verben?
Eine kaum zu identifizierende Leiche, grässlich zugerichtet, auf dem nackten Boden, der blutdurchtränkte, in der gleißenden, unbarmherzigen und an dem Geschehen unbeteiligten Sonne, mit massenhaft schwirrenden Fliegen überall, dieses eindringliche gleichfrequente Summen, dieser beißende, bleierne Geruch nach fortgeschrittener Verwesung, beginnende Zersetzung allen ehemaligen Lebens, hinaus nach dem längst eingetretenen Tod.
Starke, höchst emotionale Ablehnung von meiner Seite aus, die Ermittlung, nicht mein Wunsch, großer Drang nach Weglaufen, doch hier, an diesem Ort, meine neue, ungewollte Ermittlung, dieses menschliche Desaster vor mir und in meinem schmerzenden Kopf.
Der eigenartige, äußert mitteilsame Täter, seine exakte Adresse und Handynummer auf der ansonsten zugerichteten, vor uns liegenden Leiche, penibel saubere Schrift, fast zu perfekt, nahe an einer gedruckten Druckschrift, comic sans serif, diese spaltende Schriftart, geliebt oder verhasst.
Meine überaus engagierten Kolleg:Innen, unterwegs zu der auf der Oberhaut der Leiche angegebenen Adresse, ausgeschaltetes Blaulicht, keine unnötige Aufmerksamkeit, auch wenn der vermeintliche Täter, der mitteilsame, die Ankunft erwartungsfroh, am dreckigen Fenster hinter dem ebenfalls dreckigen Vorhang erkennbar, zitternd und über den Maßen stark schwitzend.
Ein vermeintlich einfacher Einsatz, in Sicherheitsausrüstung anrückende Kolleg:Innen, gepanzerte schwarzgefärbte Kevlarprotektoren, vorsichtiges, koordiniertes Vorrücken, der nervöse Täter hinter dem durchscheinenden Vorhang, erwartungsgespannt auf die nähere Zukunft, die langsamen, zähflüssig verrinnenden Sekunden. Näherung, minutiös kontrolliert, professionelles Training und exakte Umsetzung, einem ballettesken Schwanentanz gleich, Kommandos per abgesprochenen Zeichen, Umstellung des baufälligen Hauses, Klärung der Bereitschaft aller beteiligten Einheiten Zugriff, Sturm durch die nicht abgeschlossenen Türen vorne und hinten, Drücken des Knopfes trotz allen Schweißes, augenblickliche Zündung der angebrachten, versteckten Bomben, grande catastrophe, unsere geordnete Welt völlig anders als zuvor.
Elias Hirschl: Was normal ist
eine Produktion von „moïs“ (Katrin Rauch mit Elias Hirschl)
Es ist normal der Sau eins mit dem Holzscheit über den Schädel zu ziehen. Es ist normal die Sau bis ins Wohnzimmer schreien zu hören. Es ist normal die Sau ausbluten zu lassen. Es ist normal die Schweineborsten mit einer Metallkette abzurubbeln. Es ist normal die Schweinehälfte neben der Waschmaschine zu zerlegen. Es ist normal das Schweineblut in einem erwärmten Eimer aufzufangen und tüchtig durchzurühren damit es nicht gerinnt. Es ist normal etwas Salz hinzuzufügen. Es ist normal die Muskelabfälle vom Zuschneiden des Schlegels zusammen mit dem Fett in Wasser vorzukochen, den halbweichen Speck in Würfel zu schneiden und die Fleischabfälle mit der Schwarte und den vorgedämpften Zwiebeln durch den Fleischwolf zu jagen. Es ist normal Gewürze dazuzugeben. Es ist normal zusätzliches Salz hinzuzufügen falls das Blut zu süß schmeckt. Es ist normal die Därme auszuschaben mit einem Spachtel. Es ist normal die dickflüssige Blut-Muskelabfallmasse nach dem Abschmecken in die vorbereiteten Därme zu pressen. Es ist normal die Därme nach dem Abbinden zurück in die heiße Kochbrühe zu tun und sie bei 70 bis 80 Grad eine halbe Stunde ziehen zu lassen. Es ist normal die Därme mit einer Nadel anzustechen um zu sehen ob kein Blut mehr heraustritt. Es ist normal die Därme dann aus dem Wasser zu ziehen und sie zum Abtrocknen über Stangen zu hängen und sie nach Belieben etwas anzuräuchern. Es ist normal die Därme dann einzukühlen um sie in ein paar Tagen der Hochzeitsgesellschaft zu servieren.
Es ist normal sich davor zu fragen, ob man wirklich nicht mit dem Bräutigam verwandt ist. Es ist normal den Bräutigam vor seiner Hochzeit halbnackt in einen fahrbaren Käfig zu sperren. Es ist normal den Bräutigam an einer Holzleiter festzubinden. Es ist normal ihn mit einem Feuerwehrschlauch abzuspritzen. Es ist normal dem Bräutigam mehrere Flaschen Schnaps mit einem Schlauch einzuleiten. Es ist normal die Hose des Bräutigams um Mitternacht zu verbrennen. Es ist normal die Braut zu entführen und ihre Schuhe an einen Baum zu nageln. Es ist normal am nächsten Tag die Blunzn der Familie zu servieren. Es ist normal den Schweinekopf aufzuheben, um ihm bei der nächsten Gelegenheit einem unverheirateten Mann zum 30. Geburtstag in den Vorgarten zu werfen.
Es ist normal nach sechs Monaten Ehe ein Kind zu gebären, was einen sehr wundert, weil man ja bis nach der Eheschließung gewartet hat mit dem ersten Mal. Es ist normal ein Haus zu bauen und sich eine Katze zuzulegen. Es ist normal den ungewollten Katzenwurf in einen Sack zu stecken und in einen Eimer Wasser zu tunken bis keine Luftblasen mehr kochkommen. Es ist normal dem neugeborenen Baby Ohrlöcher stechen zu lassen damit es schon mal welche hat, nur zur Sicherheit. Es ist normal das Kind von klein auf mit ordentlicher Hausmannskost großzuziehen. Mit Blutwurscht, Blunzngröstl, Wiener Schnitzel, Schnitzelsemmel, Tafelspitz, Beuschl, Kaspressknödel, Grammelknödel, Hascheeknödel, Leberknödel, Milzschnitten, Geselchtem, Lammgulasch, Schweinsgulasch, Rindsgulasch, Kartoffelgulasch mit Rindfleischeinlage, Kalbsrahmgulasch, Backhendl, Backhendlsalat, Schlutzkrapfen, Kärntner Kasnudeln, Reindling, Zwiebelrostbraten, Topfenknödel, Germknödel, Tiroler Gröschtl, Hirschgulasch, Wildschweingulasch, Schinkenfleckerl, Krautfleckerl mit Schinken, Bauernschmaus, Brettljausn, Entenbraten, Altwiener Suppentopf mit Rindfleisch, Saumaisen, Mühlviertler Speckknödl im Reindl, Schweinsbraten im Reindl, Kärntner Laxn, Burenwurst, Käsekrainer, ein Hamburger um 1,40, 3,20 im Menü mit Pommes, Saftgulasch, Gulaschsaft, Ei im Glas, Gulaschsaft im Glas, Grammelschmalzbrot, Kaiserschmarrn mit Zwetschgenröster, Wammerl, Rindfleischsalat, Wurschtsalat, Saure Wurscht, Selchroller, Rollmops, Surbraten und Krenfleisch.
Es ist normal vor dem Essen ein Tischgebet zu sprechen. Es ist normal zu sagen: Lieber Gott im Himmel, wir danken dir, dass du uns das Blunzngröstl bescheret hast. Danke lieber Gott für das Beuschl. Danke lieber Gott für den Schlutzkrapfen. Gegrüßet seist du Maria, voll der Gnade, der Herr ist mit dir, gebenedeit ist deine Brettljause, gebenedeit sind deine Saumaisen, gebenedeit ist dein Gulaschsaft, deine Selchroller, deine saure Wurscht mit rohen Zwiebeln, dein Verdauungsschnaps, dein zweiter Verdauungsschnaps.
Es ist normal sich von den Kindern heimfahren zu lassen weil man zu besoffen ist selber zu fahren. Es ist normal sich in der Weihnachtszeit als Teufel zu verkleiden. Es ist normal fremde Kinder in einen Sack zu stopfen und mit einer Gerte zu verdreschen. Es ist normal, wenn einem mal die Hand ausrutscht. Es ist normal, wenn das Kind ein bisschen abgehärtet wird, ein bisschen aufs echte Leben vorbereitet. Es ist normal dem Kind zu sagen, dass es nicht weinen soll. Es ist normal, ihm für den Kirchtag ein Dirndl anzuziehen, auf dem mit der Position der Schleife ausgeschildert ist, ob es vergeben, single oder Jungfrau ist. Es ist normal, dass der Ehemann nicht mehr ich liebe dich sagt, man sagt ja auch selber nicht mehr ich liebe dich. Es ist normal nicht mehr geliebt zu werden. Es ist normal nicht mehr zu lieben. Es ist normal den Kontakt zu seinen Kindern zu verlieren. Es ist normal keinen Besuch mehr zu bekommen. Es ist normal, dass sich mehrere ehemalige Schulfreunde besoffen mit dem Auto tot fahren. Es ist ja auch normal, dass man selber besoffen fährt, jetzt wo die Kinder weg sind. Es ist normal noch einmal mit den Kindern Silvester feiern zu wollen, Schwarzpulver in Kartonröhren anzuzünden, sie in den Himmel zu schießen und dabei zuzuschauen, wie sie in bunten Farben explodieren.
Es ist normal Biskuits in Fischform zu essen und Sekt mit kleinen Plastikschweinchen darin zu trinken. Es ist normal geschmolzenes Blei vom Löffel ins Wasser fallen zu lassen und aus den entstehenden Formen die Zukunft vorherzusagen. Es ist normal sich Vorsätze fürs neue Jahr zu machen. Es ist normal einen Streit mit den Kindern anzufangen. Es ist normal seine Tochter anzuschreien, dass die Globuli sehr wohl etwas helfen, weil damals haben die ja auch gegen die Erkältung geholfen und die Bachblüten gegen die Prüfungsangst und immerhin hat sie ja jetzt ihren Schulabschluss, also soll sie nicht so undankbar sein. Es ist normal, dass der Ehemann währenddessen mit der Gerti schmust, weil es ist ja schließlich Silvester. Es ist normal, dass der Ehemann in letzter Zeit immer später von der Arbeit kommt. Es ist normal, dass der Ehemann einem vorwirft, dass man selber Schuld daran sei. Es ist normal, dass er sich die Aufmerksamkeit, die Spannung, die Aufregung bei der Gerti sucht, weil die Gerti eben aufmerksamer, spannender und aufregender ist, so wie die Susi damals aufmerksamer, spannender und aufregender war, so wie die Sabine damals aufmerksamer, spannender und aufregender war, so wie man selbst früher aufmerksamer, spannender und aufregender war. (Es ist normal sich Vorsätze fürs neue Jahr zu machen. Einen Strich ziehen, ein neues Jahr, ein neues Ich.)
Es ist normal, am nächsten Morgen früh aufzustehen und den Polterkäfig vom Dachboden zu holen. Es ist normal dem Ehemann eins mit dem Holzscheit über den Schädel zu ziehen. Es ist normal ihn bis ins Wohnzimmer schreien zu hören, während man frühstückt. Es ist normal die Sau ausbluten zu lassen und das Blut in einem vorgewärmten Eimer aufzufangen. Es ist normal, die Sau durch den Fleischwolf zu jagen. Es ist normal, die Sau in die eigenen Därme zu stopfen und eine Stunde ziehen zu lassen. Es ist normal, sich das Dirndl der Tochter anzuziehen und mit der Position der Schleife bekannt zu geben, dass man jetzt wieder single ist. Single and ready to mingle. Es ist normal, den Kopf der Sau in den Vorgarten zu werfen, auf den Rasenmäherroboter und im Liegestuhl sitzend zuzuschauen, wie er herumfährt zwischen dem gestutzten Unkraut, zwischen den Kürbissen und Zucchinis und den Gartenzwergen.
Ella:r Gülden: Muschelbadewanne
Ja und die hatten so eine Wellness-Badewanne mit integriertem Whirlpool wie aus nem Spa-Hotel .. weißt schon, wie eine Muschel geformt, oder vielleicht eher wie ein Herz.
Es war um meinen Geburtstag herum, zufällig in dem Jahr btw, als Michael Schumacher verunglückt ist, der Unfall war genau an meinem Geburtstag, da lagen wir in dieser Muschelbadewanne, und ihre Mutter sah unten fern, und wir küssten uns und knutschten, und mehr und das Wasser war so schön warm, und ihr Körper auch und es schäumte. Ja, das war das dritte Date und ich war da einfach schon mit bei ihrer Mutter zuhause. Ist bisschen so ein Lesben-Witz, gell? Die Mutter war still und freundlich, ihr Vater lebte nicht mehr. Sie lächelte mich oft wissend an, ich war schon „die Neue“, wir hingen viel aneinander. Sie war so unfassbar weich, ich ging schier in ihr verloren, ließ mich von ihren supersoften Lippen aufsaugen und tauchte über ihr sanftes, rundes, ultracutes Gesicht in sie hinein. Da blieb ich ganz schön lange, fühlte mich einfach wohl.
Dann war aber gleich darauf Silvester, da waren wir bei schwulen Freunden von ihr, glaub in einer anderen Stadt. Die waren wirklich so klischeeschwul, vor allem einer der beiden, und es hat einfach Spaß gemacht. Wir haben Trivial Pursuit gespielt und es liefen Pophits über Youtube auf dem Fernseher, das war damals noch recht neu. Sie hatten einen albern tapsigen Mops, und was es zu essen gab, weiß ich nicht mehr. Vielleicht vegetarischen Hot-Dog? Vom Sekt angeschikert kam ich ihr dann immer näher, und es ging heiß her in der Neujahrsnacht. Ne, ich erzähl jetzt keine Details, vielleicht ein ander Mal, wenn du darauf brennst. Naja und dann fuhr ich bald wieder heim und das neue Jahr ging los, dies das, und ich hätte’s nicht gedacht, aber dieses schon echt intensive Treffen war auch gleichzeitig das letzte.
Tja, so kann’s gehen. Das kam da sehr unerwartet und ich hab monatelang gelitten und war tieftraurig, es hat aber halt nicht gepasst. Und das war eben meine erste queere Erfahrung, das erste Mal ist immer am krassesten, oder? Naja, wirst du noch sehen. Ist ja ganz individuell. Mit jeder Person ist es anders. Es kamen dann noch ein paar nach ihr. Schon fast immer schön, aber oft auch gewissermaßen kompliziert. Menschen halt, hm!? Meine queeren Dates waren in jedem Fall immer aufregender und weniger vorhersehbar als die heterotischen. Aber vielleicht bild ich mir das auch nur ein. Hab’s mir jedenfalls nicht ausgesucht, queer zu sein, doch es taugt mir. Dir auch, oder?
Ach und sie, die erste, hatte mir übrigens mal eine Leckmuschel gegeben, das war für sie ein lesbisches Symbol, lol. Die hab ich immer noch. Willst du noch den letzten Schluck Wein?
Auf eine queere Zukunft!
Das Wil: Mirror
Sometimes I see someone else. Not on the street, but in my mirror. Its the same face every time. But it isn‘t… me. That‘s alright. I‘ve gotten quite used to it. If I look at the other being for too long it takes my body. I am left floating. I like to float. Everything seems very small when you‘re far away. Most of the time my other just skips breakfast and otherwise tries their best to pass as me. But on some special days, it goes to the woods to… become. I am not sure what.
I have entertained the thought that maybe, I am a vampire. Vampires can‘t see themselves in mirrors. I also much prefer candle light to any bright lights outside. But Vampires aren‘t real, are they. Also I love garalic way too much. Then again, none of this feels truely real.
After it has wandered and I haven‘t payed at- tention, floating, as I do past stars and the sun basking in the glory of the universe, I wake up. I have to remember what I am and who. Depen- ding on how far we went, I have to figure out the where. Then, going outside, strangers call me by names I didn‘t tell them and trees whi- sper of memories I do not have. None of it feels real then.
The first time it felt real was when we started leaving notes to eachother. It was the scarirest thing. Of course I was aware before. But there is a difference between awareness and true realiza- tion. They started out mean. Go away. Why are you here. You are a coward who doesn‘t deserve this. Why did you hurt him. Stop being. Stop being so angry. Stop hurting me. GO AWAY. And I wanted to. I tried. I fled to the sea to drown my fear but it wouldn‘t sink. And I went to the earth and begged her to take me back but she rejected me.
And so I apologized. I looked at myself, not the one in the mirror, but me, as I am from its point of view. And it- well it gets worse before it gets better. I am not sure if you have ever drowned. It is a lot like that, sticking your head too far past the point of return past the cold glass of the mirror and let it flood you. And you can unsee, of course you can. But you shouldn‘t. Because you‘re just turning your back on the things that might stab you. Personally I‘d rather see what is coming for me. I‘d rather see where I am going.
So I have seen me.
I know with more certainity now, that what I see in the mirror, it isn‘t me. Even so, the letters have changed. I have found out it likes choclate and eyeliner and if I leave little gifts for it, it even does my chores when I can not. It tells me not to be afraid, but I can not follow all of it‘s wishes. But the fear is different from before and the hatred gone.
When it goes to the forest now, to become, we become together. It is not me and I am not it. But we are becoming into the same thing toge- ther, no longer fighting over all the different di- rections or stubbornly pushing down paths the other may be hurt by. We are two but we will grow as one.
Most recently I have discovered what I think are little love letters and I am leaving some of my own. Rarely. And every thing still isnt forgotten. Won‘t be forgotten anymore. But I try to. When I have the time to.