Ella:r Gülden: Größer

Sie haben mir eine kleine sichere Zone übrig gelassen, in der ich mich frei bewegen kann. Für mich selbst ist es ein recht großes Gelände, doch ich kenne es in- und auswendig. An Grenzen stoße ich dabei nicht, zu groß ist auch meine Angst. Und die eigentliche Welt ist für mich ohnehin nicht mehr bereisbar, in ihrer Gänze unzugänglich. Ihre Größe ist für mich nicht zu bewältigen, ich lebe im Kleinen. Immer noch und nöcher. Nein, kleiner wird’s hier wahrscheinlich nicht mehr. Es gibt ein paar von ihnen, die auf mich achten, auch wenn sie mich kaum mehr sehen können. Die mich ein klein wenig teilhaben lassen an dem zu großen, zu weiten Orbit. Denn dort spielt sich ja das hauptsächliche Leben ab. Also das aller anderen. Naja, vielleicht nicht gar aller anderen, doch es ist nichts darüber bekannt. Mir jedenfalls nicht, in meinem mickrigen Raum hier, der mir gerade groß genug ist. Sie portionieren Neuigkeiten über ihre Erkenntnisse, Errungenschaften und die großen Vorgänge in kleinstmögliche Informationshappen, damit ich sie konsumieren kann. Grob gesagt nutze ich eine Verkleinerungslupe für die aus ihrer Sicht mikroskopisch minimierten Ausschnitte aus zeitungsähnlichen Schriftstücken. Es ist grundlegend beängstigend, aber manchmal auch unterhaltsam für mich, wie unfassbar gigantesk sich die Welt entwickelt hat, die vor längerer Zeit auch noch ein Stück weit meine, ja unsere war. Warum das so geschah? Das weiß noch niemand von ihnen. Es gibt Theorien, die meistens exorbitant sind, sich also auf Prozesse außerhalb dieser Welt, im alles umfassenden All beziehen. Es fällt mir schwer, mich auf diese Ansätze einzulassen, Biochemie, Physik und all das war noch nie meine Stärke. Von erhöhten Wachstumshormondosen in neuen Züchtungen von Nutztieren, über gentechnisch veränderte Ultra-Nährpflanzen bis hin zur Entdeckung brandneuer, widerstandsfähigerer Baustoffe, war vieles wissenschaftlich erklärbar. Doch es gab immer noch verschwörungsideologische Ausreißer, Paarungen von hiesigen Menschen mit Hyperwesen und Schlimmeres. Das postfaktische Zeitalter hatte diese größer gewachsene Weltbevölkerung zwar eigentlich bereits hinter sich gelassen, aber Sensationsgier und übersinnliche Glaubenssätze fanden nach wie vor genug Anhängerynnen. Mehr kann ich dazu im Moment nicht sagen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert